er über den Stil einer neuen Börse sprechen soll, erklärt er, daß ihm an ihrem Unternehmen nichts gelegen ist, sie sollen den Fries ihres Gebäudes mit herabhängenden Geldbeuteln dekorieren; den Arbeitern in Cumberwell empfiehlt er, ihre Kanonen so gut wie möglich zu machen; die Kriegsschnler in Wvolwich fragt er ironisch, was sie denn eigentlich von einem Schriftsteller, der sich mit Malerei beschäftige, zu lernen erwarteten. Er spottet über die Bestrebungen zur Ausbreitung des künstlerischen Geschmacks in allen Klassen. Mein klassifizierender Freund, wenn du deinen Geschmack ausgebreitet haben wirst, wo werden dann deine Klassen sein? Du glaubst, dn wirst den Grün¬ kramhändler und den Straßenkehrer zu Dante und Beethoven bekehren; wenn dir das gelingt, hast du einen Gentleman ans ihm gemacht, der seine Arbeit ebenso widerwärtig finden wird, wie du selbst sie finden würdest. Von solchen Übergängen ans zeigt er den einzelnen Bernfskreisen die Punkte, an denen sich ihr Leben mit den Äußerungen der Kunst berührt. Es sind die bekannten Lehrsätze Ruskins, auf die wir nicht näher einzugehen brauchen, und sie werden mit dein bei den englischen Schriftstellern beliebten wortreichen Humor vorgetragen, der noch unserm deutschen Geschmack mit einfachen und oft selbstverständlichen Dingen zuviel Umstände macht. -- "Diesem Letzten, vier Abhandlungen über die ersten Grundsätze der Volkswirtschaft" (1L60), hätte füglich ungedruckt bleiben können. Was sich davon anhören läßt, hatte längst Cnrlhle besser gesagt (in l^se Amel ?rs8ont> 1843 und I^Uhr-ä^- ?Äiuxlllot,8 1850), das andre ist wissenschaftlich genommen Unsinn, und das englische Publikum, das diese mißmutigen Deklamationen gegen die Nationalökonomie, als sie zuerst erschienen, einfach ablehnte, handelte jedenfalls verständlicher als der Heraus¬ geber des deutschen Verlags, der sie uns in einem feierlichen Vorwort nach mehr als vierzig Jahren noch einmal ans Herz legt. -- Die an der Universität Oxford 1870 gehaltnen sieben "Vorträge über Kunst" (Kunst und Religion, Moral, Nützlichkeit, Linie, Licht, Farbe) sind offen und kurz gesagt ein unbe- deutendes Buch, das mau zu seiner Unterhaltung lesen kann, wenn man dazu die Zeit hat, über das aber ein deutscher Leser, der sich überhaupt für Kunst interessiert und ein wenig damit beschäftigt hat, längst hinaus sein wird, weil das meiste darin für ihn Trivialitäten sind. Und doch ist in der Übersetzung noch vieles gekürzt und andres ganz weggelassen worden. Wenn man statt dessen umgekehrt nur das, was einigermaßen eigentümlich ist, auszugsweise wiedergegeben hätte, wie es z. B. der Heitzsche Verlag in Straßburg mit einer Anzahl Ruskinscher Schriften gemacht hat, so würde das ganze Buch kaum mehr als ein Dutzend solcher Aphorismen hergegeben haben. Dafür ein Beispiel. Die höchste Stufe der künstlerischen Entfaltung erreicht ein Volk immer erst in der Periode seiner durch vielfache Laster befleckten Verfeinerung, und diese künstlerische Vollkommenheit ist bisher noch für jedes Volk das Zeichen vom Beginn seines Niedergangs gewesen. Andrerseits gibt es vereinzelt in unbe¬ rührten Gegenden Landbevölkerungen ganz ohne Kunst, die fast so schuldlos wie die Lämmer sind. Aber die Sittlichkeit, die der Kunst ihre Kraft gibt, es die Sittlichkeit von Menschen und nicht von Schafherden. Das Gute entspringt niemals aus dein Bösen, sondern es wird durch den Kampf mit
John Rufen: und Malter Pater
er über den Stil einer neuen Börse sprechen soll, erklärt er, daß ihm an ihrem Unternehmen nichts gelegen ist, sie sollen den Fries ihres Gebäudes mit herabhängenden Geldbeuteln dekorieren; den Arbeitern in Cumberwell empfiehlt er, ihre Kanonen so gut wie möglich zu machen; die Kriegsschnler in Wvolwich fragt er ironisch, was sie denn eigentlich von einem Schriftsteller, der sich mit Malerei beschäftige, zu lernen erwarteten. Er spottet über die Bestrebungen zur Ausbreitung des künstlerischen Geschmacks in allen Klassen. Mein klassifizierender Freund, wenn du deinen Geschmack ausgebreitet haben wirst, wo werden dann deine Klassen sein? Du glaubst, dn wirst den Grün¬ kramhändler und den Straßenkehrer zu Dante und Beethoven bekehren; wenn dir das gelingt, hast du einen Gentleman ans ihm gemacht, der seine Arbeit ebenso widerwärtig finden wird, wie du selbst sie finden würdest. Von solchen Übergängen ans zeigt er den einzelnen Bernfskreisen die Punkte, an denen sich ihr Leben mit den Äußerungen der Kunst berührt. Es sind die bekannten Lehrsätze Ruskins, auf die wir nicht näher einzugehen brauchen, und sie werden mit dein bei den englischen Schriftstellern beliebten wortreichen Humor vorgetragen, der noch unserm deutschen Geschmack mit einfachen und oft selbstverständlichen Dingen zuviel Umstände macht. — „Diesem Letzten, vier Abhandlungen über die ersten Grundsätze der Volkswirtschaft" (1L60), hätte füglich ungedruckt bleiben können. Was sich davon anhören läßt, hatte längst Cnrlhle besser gesagt (in l^se Amel ?rs8ont> 1843 und I^Uhr-ä^- ?Äiuxlllot,8 1850), das andre ist wissenschaftlich genommen Unsinn, und das englische Publikum, das diese mißmutigen Deklamationen gegen die Nationalökonomie, als sie zuerst erschienen, einfach ablehnte, handelte jedenfalls verständlicher als der Heraus¬ geber des deutschen Verlags, der sie uns in einem feierlichen Vorwort nach mehr als vierzig Jahren noch einmal ans Herz legt. — Die an der Universität Oxford 1870 gehaltnen sieben „Vorträge über Kunst" (Kunst und Religion, Moral, Nützlichkeit, Linie, Licht, Farbe) sind offen und kurz gesagt ein unbe- deutendes Buch, das mau zu seiner Unterhaltung lesen kann, wenn man dazu die Zeit hat, über das aber ein deutscher Leser, der sich überhaupt für Kunst interessiert und ein wenig damit beschäftigt hat, längst hinaus sein wird, weil das meiste darin für ihn Trivialitäten sind. Und doch ist in der Übersetzung noch vieles gekürzt und andres ganz weggelassen worden. Wenn man statt dessen umgekehrt nur das, was einigermaßen eigentümlich ist, auszugsweise wiedergegeben hätte, wie es z. B. der Heitzsche Verlag in Straßburg mit einer Anzahl Ruskinscher Schriften gemacht hat, so würde das ganze Buch kaum mehr als ein Dutzend solcher Aphorismen hergegeben haben. Dafür ein Beispiel. Die höchste Stufe der künstlerischen Entfaltung erreicht ein Volk immer erst in der Periode seiner durch vielfache Laster befleckten Verfeinerung, und diese künstlerische Vollkommenheit ist bisher noch für jedes Volk das Zeichen vom Beginn seines Niedergangs gewesen. Andrerseits gibt es vereinzelt in unbe¬ rührten Gegenden Landbevölkerungen ganz ohne Kunst, die fast so schuldlos wie die Lämmer sind. Aber die Sittlichkeit, die der Kunst ihre Kraft gibt, es die Sittlichkeit von Menschen und nicht von Schafherden. Das Gute entspringt niemals aus dein Bösen, sondern es wird durch den Kampf mit
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John Rufen: und Malter Pater
er über den Stil einer neuen Börse sprechen soll, erklärt er, daß ihm an
ihrem Unternehmen nichts gelegen ist, sie sollen den Fries ihres Gebäudes
mit herabhängenden Geldbeuteln dekorieren; den Arbeitern in Cumberwell
empfiehlt er, ihre Kanonen so gut wie möglich zu machen; die Kriegsschnler
in Wvolwich fragt er ironisch, was sie denn eigentlich von einem Schriftsteller,
der sich mit Malerei beschäftige, zu lernen erwarteten. Er spottet über die
Bestrebungen zur Ausbreitung des künstlerischen Geschmacks in allen Klassen.
Mein klassifizierender Freund, wenn du deinen Geschmack ausgebreitet haben
wirst, wo werden dann deine Klassen sein? Du glaubst, dn wirst den Grün¬
kramhändler und den Straßenkehrer zu Dante und Beethoven bekehren; wenn
dir das gelingt, hast du einen Gentleman ans ihm gemacht, der seine Arbeit
ebenso widerwärtig finden wird, wie du selbst sie finden würdest. Von solchen
Übergängen ans zeigt er den einzelnen Bernfskreisen die Punkte, an denen
sich ihr Leben mit den Äußerungen der Kunst berührt. Es sind die bekannten
Lehrsätze Ruskins, auf die wir nicht näher einzugehen brauchen, und sie werden mit
dein bei den englischen Schriftstellern beliebten wortreichen Humor vorgetragen,
der noch unserm deutschen Geschmack mit einfachen und oft selbstverständlichen
Dingen zuviel Umstände macht. — „Diesem Letzten, vier Abhandlungen über
die ersten Grundsätze der Volkswirtschaft" (1L60), hätte füglich ungedruckt
bleiben können. Was sich davon anhören läßt, hatte längst Cnrlhle besser
gesagt (in l^se Amel ?rs8ont> 1843 und I^Uhr-ä^- ?Äiuxlllot,8 1850), das
andre ist wissenschaftlich genommen Unsinn, und das englische Publikum, das
diese mißmutigen Deklamationen gegen die Nationalökonomie, als sie zuerst
erschienen, einfach ablehnte, handelte jedenfalls verständlicher als der Heraus¬
geber des deutschen Verlags, der sie uns in einem feierlichen Vorwort nach
mehr als vierzig Jahren noch einmal ans Herz legt. — Die an der Universität
Oxford 1870 gehaltnen sieben „Vorträge über Kunst" (Kunst und Religion,
Moral, Nützlichkeit, Linie, Licht, Farbe) sind offen und kurz gesagt ein unbe-
deutendes Buch, das mau zu seiner Unterhaltung lesen kann, wenn man dazu
die Zeit hat, über das aber ein deutscher Leser, der sich überhaupt für Kunst
interessiert und ein wenig damit beschäftigt hat, längst hinaus sein wird, weil
das meiste darin für ihn Trivialitäten sind. Und doch ist in der Übersetzung
noch vieles gekürzt und andres ganz weggelassen worden. Wenn man statt
dessen umgekehrt nur das, was einigermaßen eigentümlich ist, auszugsweise
wiedergegeben hätte, wie es z. B. der Heitzsche Verlag in Straßburg mit einer
Anzahl Ruskinscher Schriften gemacht hat, so würde das ganze Buch kaum mehr
als ein Dutzend solcher Aphorismen hergegeben haben. Dafür ein Beispiel.
Die höchste Stufe der künstlerischen Entfaltung erreicht ein Volk immer erst
in der Periode seiner durch vielfache Laster befleckten Verfeinerung, und diese
künstlerische Vollkommenheit ist bisher noch für jedes Volk das Zeichen vom
Beginn seines Niedergangs gewesen. Andrerseits gibt es vereinzelt in unbe¬
rührten Gegenden Landbevölkerungen ganz ohne Kunst, die fast so schuldlos
wie die Lämmer sind. Aber die Sittlichkeit, die der Kunst ihre Kraft gibt,
es die Sittlichkeit von Menschen und nicht von Schafherden. Das Gute
entspringt niemals aus dein Bösen, sondern es wird durch den Kampf mit
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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/493>, abgerufen am 25.11.2024.
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