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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Maße zugestanden wurden. Es sind Forderungen, die in solcher Höhe gar
nicht zu realisieren sind, sondern von denen mir immer die eine mit der andern
bezahlt werden kann, weil es keine Sachwerte gibt, dnrch deren Ansammlung
und Nichtbenutzung es möglich Ware, den Reichtum tatsächlich zu erlangen,
über den zu verfügen sich der Kapitalist einbildet. Die Stoffe, aus denen
der Erdball besteht, lassen sich nicht in Güter von bleibendem Gebrauchswert
umwandeln. Was von den Menschen geschaffen wurde, muß auch von den
Meuscheu verbraucht werden; was man diesem Zweck entzieht, geht nutzlos
wieder zugrunde. Deu wirklichen Reichtum eines Landes machen -- nußer
dem vergänglichen Nutzwert, den die jeweilig vorhandnen Baulichkeiten (Pro¬
duktionsmittel) und die vorrätigen Produkte haben -- nur sein Bodenwert
und die Arbeitskraft seiner Bewohner aus.

Wahrlich, unser aufgeklärtes Zeitalter mit all seinen Erfindungen und
Fortschritten, auf seine Einsicht in wirtschaftliche Dinge hat es keine Ursache
stolz zu sein.




)ohn Ruskin und Walter Pater

n dieser Zusammenstellung scheint eine versteckte Bosheit zu liegen,
aber die Verehrer Ruskins, die sagen werden: Es tut mir lang
schon weh, daß ich dich in der Gesellschaft seh, müssen ihre
Klage bei der Verlagsbuchhandlung anbringe". Ju der Vorrede
zu der Übersetzung der "Renaissance" des Engländers Walter
Pater (Leipzig, Diederichs) heißt es nämlich, dieses Buch sei als Ergünznng der
deutschen Ausgabe Ruskins gedacht, der mit verbundnen Augen in heiligem
Zorn an der Renaissance vorübergegangen sei (was ja zutrifft), und darum
sei die Verdeutschung "des feinsten englischen Knnstschriftstellers" allen denen
gewidmet, die "soviel innere Ruhe und Muße zu finden vermögen, um in
stillen Stunden mit einem Geistesgeuvsseu Zwiesprache zu halten. Denn
Walter Pater hat nur für solche geschrieben, denen die Kunstbetrachtuug zum
Lebensinhalt geworden ist." Um von dieser Gelegenheit zu profitieren,
denn wir kannten Pater noch nicht, obwohl er schon vor dreißig Jahren ge¬
schrieben hat, schlugen wir zunächst das Kapitel über Sandro Bottieelli auf, einen
der Lieblinge unsers Zeitalters, der, wie es hier heißt, gleich Dante seine ge-
heimnisvolle Stimmung wie einen Doppelgänger mit sinnlicher Erscheinung um¬
kleidet, damit alle daran teilnehmen können. Sandros Männer und Frauen, wird
uns weiter gesagt, sind in ihren wechselnden und ungewissen Seelenzuständen
immer überschattet von der tiefen Traurigkeit der großen Dinge, vor denen
sie zurückbebeu, darum erscheint uns seine Moralität ganz als das große Mit¬
gefühl. Da wir uns hierbei in bezug auf Saudro nichts Rechtes denken
können -- es klingt wie ein Zitat aus Maeterlinck, der ja aber erst lange
nach Pater geschrieben hat --, so wenden wir uns, um eine substantielle
Unterlage für unsre Vorstellung zu gewinnen, an das Venusbild der Uffizieu,


Maße zugestanden wurden. Es sind Forderungen, die in solcher Höhe gar
nicht zu realisieren sind, sondern von denen mir immer die eine mit der andern
bezahlt werden kann, weil es keine Sachwerte gibt, dnrch deren Ansammlung
und Nichtbenutzung es möglich Ware, den Reichtum tatsächlich zu erlangen,
über den zu verfügen sich der Kapitalist einbildet. Die Stoffe, aus denen
der Erdball besteht, lassen sich nicht in Güter von bleibendem Gebrauchswert
umwandeln. Was von den Menschen geschaffen wurde, muß auch von den
Meuscheu verbraucht werden; was man diesem Zweck entzieht, geht nutzlos
wieder zugrunde. Deu wirklichen Reichtum eines Landes machen — nußer
dem vergänglichen Nutzwert, den die jeweilig vorhandnen Baulichkeiten (Pro¬
duktionsmittel) und die vorrätigen Produkte haben — nur sein Bodenwert
und die Arbeitskraft seiner Bewohner aus.

Wahrlich, unser aufgeklärtes Zeitalter mit all seinen Erfindungen und
Fortschritten, auf seine Einsicht in wirtschaftliche Dinge hat es keine Ursache
stolz zu sein.




)ohn Ruskin und Walter Pater

n dieser Zusammenstellung scheint eine versteckte Bosheit zu liegen,
aber die Verehrer Ruskins, die sagen werden: Es tut mir lang
schon weh, daß ich dich in der Gesellschaft seh, müssen ihre
Klage bei der Verlagsbuchhandlung anbringe». Ju der Vorrede
zu der Übersetzung der „Renaissance" des Engländers Walter
Pater (Leipzig, Diederichs) heißt es nämlich, dieses Buch sei als Ergünznng der
deutschen Ausgabe Ruskins gedacht, der mit verbundnen Augen in heiligem
Zorn an der Renaissance vorübergegangen sei (was ja zutrifft), und darum
sei die Verdeutschung „des feinsten englischen Knnstschriftstellers" allen denen
gewidmet, die „soviel innere Ruhe und Muße zu finden vermögen, um in
stillen Stunden mit einem Geistesgeuvsseu Zwiesprache zu halten. Denn
Walter Pater hat nur für solche geschrieben, denen die Kunstbetrachtuug zum
Lebensinhalt geworden ist." Um von dieser Gelegenheit zu profitieren,
denn wir kannten Pater noch nicht, obwohl er schon vor dreißig Jahren ge¬
schrieben hat, schlugen wir zunächst das Kapitel über Sandro Bottieelli auf, einen
der Lieblinge unsers Zeitalters, der, wie es hier heißt, gleich Dante seine ge-
heimnisvolle Stimmung wie einen Doppelgänger mit sinnlicher Erscheinung um¬
kleidet, damit alle daran teilnehmen können. Sandros Männer und Frauen, wird
uns weiter gesagt, sind in ihren wechselnden und ungewissen Seelenzuständen
immer überschattet von der tiefen Traurigkeit der großen Dinge, vor denen
sie zurückbebeu, darum erscheint uns seine Moralität ganz als das große Mit¬
gefühl. Da wir uns hierbei in bezug auf Saudro nichts Rechtes denken
können — es klingt wie ein Zitat aus Maeterlinck, der ja aber erst lange
nach Pater geschrieben hat —, so wenden wir uns, um eine substantielle
Unterlage für unsre Vorstellung zu gewinnen, an das Venusbild der Uffizieu,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/487>, abgerufen am 09.11.2024.