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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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gegenständc für ihr Geld erhalt. Durch den Kapitalerwerb wird also die große
Menge verhindert, mehr zu verbrauchen, und zugleich werden durch das so
erworbne Kapital immer noch mehr Produktionsmittel und Konsumgüter ge¬
schaffen. Es zeigt sich daraus, wie unverständig es ist, wenn Einzelne auf
.Kosten aller immerfort große Kapitalsummen erwerben, ohne daß der ver¬
zehrenden Gesamtheit wenigstens soviel Mittel bleiben, daß sie die Güter kaufen
kann, die der Kapitalbesitz zu seiner eignen Erhaltung hervorzubringen ge¬
nötigt ist.

Der Erwerbgewinn besteht nach Abzug der Summen, die jeder Einzelne
für seinen Lebensunterhalt verwendet, in erlangten Geldansprüchen, für die es
noch an Sachgütern als Deckung fehlt, die vielmehr erst mit Hilfe solcher Geld¬
ansprüche hergestellt werden sollen. An sich betrachtet, erscheint es freilich
seltsam, daß die Angehörigen einer wirtschaftlichen Gemeinschaft Geldforderungen
aneinander erlangen müssen, damit der eine sie an den andern gegen Zins¬
vergütung überträgt, und daß erst durch eine solche Kreditgewährung die
Menschen Güter zu erzeugen und ihren Lebensunterhalt zu finden vermögen.
Im Prinzip ist dieses Verfahren aber doch das beste, vorausgesetzt, daß man
die Entstehung und das Wesen des Gelderwerbs nicht verkennt, und daß durch
die Zulassung eines Kapitalerwerbs die hauptsächliche Aufgabe der wirtschaft¬
lichen Organisation, die ausreichende Befriedigung der Lebensbedürfnisse aller,
nicht leidet. Die untereinander erlangten Geldforderungen dürfen nicht für einen
Bermögcnszuwachs der Gesamtheit gehalten werden, und die Kapitalisten dürfen
sich nicht einbilden, ihre Gcloansprüche bestünden in den von ihnen geschaffnen
Werten. Es find Ansprüche, die sich infolge der herrschenden Erwerbart bilden,
ohne daß deren Berechtigung und Angemessenheit in jedem einzelnen Fall kon¬
trolliert werden konnten. Es ist bei der unendlichen Verschiedenheit aller Erwerb¬
leistungen nicht möglich, für jede von ihnen eine ihrem Nutzwert entsprechende
Bezahlung festzusetzen, und noch weniger möglich, diese Bezahlung so zu be¬
messen, daß sie nur gerade zur Deckung des Lebensbedarfs des ErWerbers
ausreicht. Jeder Versuch, die Höhe des Erwerbgewinns allgemein festzulegen,
würde außerdem die Erwerbtätigkeit hemmen und einschnüren und ihr den
wirksamen Ansporn nehmen, den die Möglichkeit und die Zulüssigkeit eines
größern pekuniären Erfolges verleihen.

Wenn es möglich wäre, jedem Erwerbenden einen Erwerbgewinn zu ge¬
währen, der nicht größer wäre, als er ihn zu seinem Lebensunterhalt ver¬
brauchen würde, so könnte kein Knpitalbesitz entstehn. Es würde daun aber
auch nicht mehr erzeugt werden, als der gegenwärtige Bedarf betrügt, und als
mit den gegenwärtigen Herstellungsmitteln geleistet zu werden vermag. Das
genügt jedoch nicht. Der Zuwachs der Bevölkerung und das gerechtfertigte
Bestreben nach Verbesserung der Lebenshaltung verlangen eine fortwährende
Vermehrung der Herstellungs- und Verkehrseinrichtungen, auch müssen diese
Vorrichtungen ihrer Abnutzung wegen bestündig ausgebessert und erneuert
werden. Der Kapitalerwerb ist also nötig, weil erst dadurch eine Ausdehnung
der Produktion möglich wird. Das erworbne Kapital muß den Produzenten
geliehen werden, damit sie Materialien beschaffen und Arbeitslöhne bezahlen


gegenständc für ihr Geld erhalt. Durch den Kapitalerwerb wird also die große
Menge verhindert, mehr zu verbrauchen, und zugleich werden durch das so
erworbne Kapital immer noch mehr Produktionsmittel und Konsumgüter ge¬
schaffen. Es zeigt sich daraus, wie unverständig es ist, wenn Einzelne auf
.Kosten aller immerfort große Kapitalsummen erwerben, ohne daß der ver¬
zehrenden Gesamtheit wenigstens soviel Mittel bleiben, daß sie die Güter kaufen
kann, die der Kapitalbesitz zu seiner eignen Erhaltung hervorzubringen ge¬
nötigt ist.

Der Erwerbgewinn besteht nach Abzug der Summen, die jeder Einzelne
für seinen Lebensunterhalt verwendet, in erlangten Geldansprüchen, für die es
noch an Sachgütern als Deckung fehlt, die vielmehr erst mit Hilfe solcher Geld¬
ansprüche hergestellt werden sollen. An sich betrachtet, erscheint es freilich
seltsam, daß die Angehörigen einer wirtschaftlichen Gemeinschaft Geldforderungen
aneinander erlangen müssen, damit der eine sie an den andern gegen Zins¬
vergütung überträgt, und daß erst durch eine solche Kreditgewährung die
Menschen Güter zu erzeugen und ihren Lebensunterhalt zu finden vermögen.
Im Prinzip ist dieses Verfahren aber doch das beste, vorausgesetzt, daß man
die Entstehung und das Wesen des Gelderwerbs nicht verkennt, und daß durch
die Zulassung eines Kapitalerwerbs die hauptsächliche Aufgabe der wirtschaft¬
lichen Organisation, die ausreichende Befriedigung der Lebensbedürfnisse aller,
nicht leidet. Die untereinander erlangten Geldforderungen dürfen nicht für einen
Bermögcnszuwachs der Gesamtheit gehalten werden, und die Kapitalisten dürfen
sich nicht einbilden, ihre Gcloansprüche bestünden in den von ihnen geschaffnen
Werten. Es find Ansprüche, die sich infolge der herrschenden Erwerbart bilden,
ohne daß deren Berechtigung und Angemessenheit in jedem einzelnen Fall kon¬
trolliert werden konnten. Es ist bei der unendlichen Verschiedenheit aller Erwerb¬
leistungen nicht möglich, für jede von ihnen eine ihrem Nutzwert entsprechende
Bezahlung festzusetzen, und noch weniger möglich, diese Bezahlung so zu be¬
messen, daß sie nur gerade zur Deckung des Lebensbedarfs des ErWerbers
ausreicht. Jeder Versuch, die Höhe des Erwerbgewinns allgemein festzulegen,
würde außerdem die Erwerbtätigkeit hemmen und einschnüren und ihr den
wirksamen Ansporn nehmen, den die Möglichkeit und die Zulüssigkeit eines
größern pekuniären Erfolges verleihen.

Wenn es möglich wäre, jedem Erwerbenden einen Erwerbgewinn zu ge¬
währen, der nicht größer wäre, als er ihn zu seinem Lebensunterhalt ver¬
brauchen würde, so könnte kein Knpitalbesitz entstehn. Es würde daun aber
auch nicht mehr erzeugt werden, als der gegenwärtige Bedarf betrügt, und als
mit den gegenwärtigen Herstellungsmitteln geleistet zu werden vermag. Das
genügt jedoch nicht. Der Zuwachs der Bevölkerung und das gerechtfertigte
Bestreben nach Verbesserung der Lebenshaltung verlangen eine fortwährende
Vermehrung der Herstellungs- und Verkehrseinrichtungen, auch müssen diese
Vorrichtungen ihrer Abnutzung wegen bestündig ausgebessert und erneuert
werden. Der Kapitalerwerb ist also nötig, weil erst dadurch eine Ausdehnung
der Produktion möglich wird. Das erworbne Kapital muß den Produzenten
geliehen werden, damit sie Materialien beschaffen und Arbeitslöhne bezahlen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/480>, abgerufen am 26.11.2024.