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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Aus der Jugendzeit

dem Munde eines gewitzter Huybaueru eine Definition des Gesetzes gehört hatte,
die im Grunde ungefähr auf dasselbe hinauskam, was der berühmte Rechtslehrer
uns darüber zu sagen wußte.

Auf der oben erwähnten Reise nach Braunschweig besuchte mein Vater mit
mir anch seine Kundleute in den Bruchdörfern. Überall wurden wir gastlich auf¬
genommen. In Adcrstedt haben wir bei einem besonders wohlhabenden Kundmnnn
auch eine Nacht über logiert. Natürlich in haushohen Himmelbetten. Wie schön
waren diese Wanderungen mit meinem Vater durch das Bruch! Er zeigte mir den
üppigen Graswuchs der mit Gräben durchzognen Kunstwiesen, belehrte mich über
die Heu- und Grnmmcterute, über Klee, Luzcrue, Esparsette und Topinambur,
über Raps und Rübsen, Sommer- und Wintergetreide. Er zeigte mir Störche,
Kiebitze und Bekassinen, Rohrdommeln und Wiedehopfe und lobte die wirtschaft¬
liche Lage der Bauern. Das waren frühzeitige Berührungen mit dem praktischen
Leben, mit einer eigentümlichen Welt, die jenseits unsrer Stadtmauern lag. Wie
manche praktische Anschauungen habe ich dadurch vor andern Stadtkindern voraus
gewonnen! Wenn wir uns dann in Jerxheim in die dritte Klasse der damals noch
jungen Eisenbahn setzten oder auf einer Haltestelle ausstiegen, um den Pastor lon-i
aufzusuchen -- mein Vater stand mit vielen Lcmdpastorcn der Umgegend auf freund¬
schaftlichem Fuße --, wenn mich der Pastor dann auf MEUW und Milo examinierte
und nnr freundlich den Krauskopf streichelte, wie glücklich war ich! Wer kann er¬
messen, wie weit der Einfluß solcher Jugendeindrücke in das spätere Leben des
Mannes hineinreicht?

Der richtige Gedanke meines Vaters, die Kinder schon früh an ein selbstän¬
diges Handeln zu gewöhnen, führte dahin, daß bei uns von Ängstlichkeit keine
Rede war. In einem Alter, wo andre Kinder noch sorglich behütet wurden und
kaum allein über die Straße gehn durften, schickte er mich schon als Voden über
Land, vorzugsweise nach dem fünf Viertelstunden Wegs entfernten Dorfe Ditfurt.
Er hatte dort eine Menge geschäftlicher und persönlicher Beziehungen. In der
Ditfurter Feldflur besaß er mehr als hundert Morgen an einzelne Bauern ver¬
pachtete Äcker. Auch wohnten in Ditfurt mehrere seiner Hypothekenschilldner, und
die Ditfurter Wirte waren seine Kunden. So fand sich häufig Gelegenheit, Mahu-
nnd andre Briefe nach Ditfurt zu schicken. Ohne jedes Bedenken benutzte er mich
dazu als Boten und überließ es mir, ob ich allein gehn oder irgend einen Spiel¬
kameraden mitnehmen wollte. Schon in meinem siebenten Jahre habe ich solche
Gänge gemacht. Natürlich kamen dabei nur die schulfreien Nachmittage am Mitt¬
woch oder Sonnabend in Frage. Für mich waren solche Gänge eine Lust. Furchtlos
trottete ich deu an Abwechslung reichen Weg immer an der Bode entlang, zwischen
Wiesen und Ackern an den klappernden Mühlen vorbei und sah dabei eine Menge
Dinge, von denen viele meiner Schulkameraden kaum eine Ahnung hatten: Hasen
und Wiesel, Maulwürfe, Fischottern und Wasserratten, schimmernde Eisvögel und
wilde Enten, kurz alles, was draußen kreucht und fleucht. Der Weg ging über
den Klers, die schöne, von Alleen umsäumte große Schützenwiese der Stadt, dann
an der großen Tuchfabrik des Kommerzienrath Krage vorbei auf die Walkmühle
zu -- in Quedlinburg sagte man: Walkenmühle --, dann an der ein wenig seit¬
wärts bleibenden Augermuhle vorüber nach der Bleiweißfabrik, die von einem
Herrn Kopp administriert wurde, und von da immer flußabwärts über baumreiche
Wiesen und Anger nach Ditfurt. So lernte ich früh die Antwort auf ein da¬
maliges Lieblingsrätsel der Quedlinburger Jugend: "Was liegt zwischen Kopf
(Kopp) und Kragen?" Wenn der Gefragte antwortete: "Der Hals," wurde er
ausgelacht. Die richtige Antwort war vielmehr: "Die Walkenmühle." In Ditfurt
wurde der Brief abgegeben und je nach Umständen auf Autwort gewartet. In
der Regel setzte man mir eine Tasse Kaffee oder ein Butterbrot vor oder schenkte
mir ein paar Äpfel, und fröhlich trollte ich dann mit oder ohne Begleiter wieder
nach Hause. Natürlich freute ich mich, wenn der Vater zufrieden war und auch


Aus der Jugendzeit

dem Munde eines gewitzter Huybaueru eine Definition des Gesetzes gehört hatte,
die im Grunde ungefähr auf dasselbe hinauskam, was der berühmte Rechtslehrer
uns darüber zu sagen wußte.

Auf der oben erwähnten Reise nach Braunschweig besuchte mein Vater mit
mir anch seine Kundleute in den Bruchdörfern. Überall wurden wir gastlich auf¬
genommen. In Adcrstedt haben wir bei einem besonders wohlhabenden Kundmnnn
auch eine Nacht über logiert. Natürlich in haushohen Himmelbetten. Wie schön
waren diese Wanderungen mit meinem Vater durch das Bruch! Er zeigte mir den
üppigen Graswuchs der mit Gräben durchzognen Kunstwiesen, belehrte mich über
die Heu- und Grnmmcterute, über Klee, Luzcrue, Esparsette und Topinambur,
über Raps und Rübsen, Sommer- und Wintergetreide. Er zeigte mir Störche,
Kiebitze und Bekassinen, Rohrdommeln und Wiedehopfe und lobte die wirtschaft¬
liche Lage der Bauern. Das waren frühzeitige Berührungen mit dem praktischen
Leben, mit einer eigentümlichen Welt, die jenseits unsrer Stadtmauern lag. Wie
manche praktische Anschauungen habe ich dadurch vor andern Stadtkindern voraus
gewonnen! Wenn wir uns dann in Jerxheim in die dritte Klasse der damals noch
jungen Eisenbahn setzten oder auf einer Haltestelle ausstiegen, um den Pastor lon-i
aufzusuchen — mein Vater stand mit vielen Lcmdpastorcn der Umgegend auf freund¬
schaftlichem Fuße —, wenn mich der Pastor dann auf MEUW und Milo examinierte
und nnr freundlich den Krauskopf streichelte, wie glücklich war ich! Wer kann er¬
messen, wie weit der Einfluß solcher Jugendeindrücke in das spätere Leben des
Mannes hineinreicht?

Der richtige Gedanke meines Vaters, die Kinder schon früh an ein selbstän¬
diges Handeln zu gewöhnen, führte dahin, daß bei uns von Ängstlichkeit keine
Rede war. In einem Alter, wo andre Kinder noch sorglich behütet wurden und
kaum allein über die Straße gehn durften, schickte er mich schon als Voden über
Land, vorzugsweise nach dem fünf Viertelstunden Wegs entfernten Dorfe Ditfurt.
Er hatte dort eine Menge geschäftlicher und persönlicher Beziehungen. In der
Ditfurter Feldflur besaß er mehr als hundert Morgen an einzelne Bauern ver¬
pachtete Äcker. Auch wohnten in Ditfurt mehrere seiner Hypothekenschilldner, und
die Ditfurter Wirte waren seine Kunden. So fand sich häufig Gelegenheit, Mahu-
nnd andre Briefe nach Ditfurt zu schicken. Ohne jedes Bedenken benutzte er mich
dazu als Boten und überließ es mir, ob ich allein gehn oder irgend einen Spiel¬
kameraden mitnehmen wollte. Schon in meinem siebenten Jahre habe ich solche
Gänge gemacht. Natürlich kamen dabei nur die schulfreien Nachmittage am Mitt¬
woch oder Sonnabend in Frage. Für mich waren solche Gänge eine Lust. Furchtlos
trottete ich deu an Abwechslung reichen Weg immer an der Bode entlang, zwischen
Wiesen und Ackern an den klappernden Mühlen vorbei und sah dabei eine Menge
Dinge, von denen viele meiner Schulkameraden kaum eine Ahnung hatten: Hasen
und Wiesel, Maulwürfe, Fischottern und Wasserratten, schimmernde Eisvögel und
wilde Enten, kurz alles, was draußen kreucht und fleucht. Der Weg ging über
den Klers, die schöne, von Alleen umsäumte große Schützenwiese der Stadt, dann
an der großen Tuchfabrik des Kommerzienrath Krage vorbei auf die Walkmühle
zu — in Quedlinburg sagte man: Walkenmühle —, dann an der ein wenig seit¬
wärts bleibenden Augermuhle vorüber nach der Bleiweißfabrik, die von einem
Herrn Kopp administriert wurde, und von da immer flußabwärts über baumreiche
Wiesen und Anger nach Ditfurt. So lernte ich früh die Antwort auf ein da¬
maliges Lieblingsrätsel der Quedlinburger Jugend: „Was liegt zwischen Kopf
(Kopp) und Kragen?" Wenn der Gefragte antwortete: „Der Hals," wurde er
ausgelacht. Die richtige Antwort war vielmehr: „Die Walkenmühle." In Ditfurt
wurde der Brief abgegeben und je nach Umständen auf Autwort gewartet. In
der Regel setzte man mir eine Tasse Kaffee oder ein Butterbrot vor oder schenkte
mir ein paar Äpfel, und fröhlich trollte ich dann mit oder ohne Begleiter wieder
nach Hause. Natürlich freute ich mich, wenn der Vater zufrieden war und auch


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[0432] Aus der Jugendzeit dem Munde eines gewitzter Huybaueru eine Definition des Gesetzes gehört hatte, die im Grunde ungefähr auf dasselbe hinauskam, was der berühmte Rechtslehrer uns darüber zu sagen wußte. Auf der oben erwähnten Reise nach Braunschweig besuchte mein Vater mit mir anch seine Kundleute in den Bruchdörfern. Überall wurden wir gastlich auf¬ genommen. In Adcrstedt haben wir bei einem besonders wohlhabenden Kundmnnn auch eine Nacht über logiert. Natürlich in haushohen Himmelbetten. Wie schön waren diese Wanderungen mit meinem Vater durch das Bruch! Er zeigte mir den üppigen Graswuchs der mit Gräben durchzognen Kunstwiesen, belehrte mich über die Heu- und Grnmmcterute, über Klee, Luzcrue, Esparsette und Topinambur, über Raps und Rübsen, Sommer- und Wintergetreide. Er zeigte mir Störche, Kiebitze und Bekassinen, Rohrdommeln und Wiedehopfe und lobte die wirtschaft¬ liche Lage der Bauern. Das waren frühzeitige Berührungen mit dem praktischen Leben, mit einer eigentümlichen Welt, die jenseits unsrer Stadtmauern lag. Wie manche praktische Anschauungen habe ich dadurch vor andern Stadtkindern voraus gewonnen! Wenn wir uns dann in Jerxheim in die dritte Klasse der damals noch jungen Eisenbahn setzten oder auf einer Haltestelle ausstiegen, um den Pastor lon-i aufzusuchen — mein Vater stand mit vielen Lcmdpastorcn der Umgegend auf freund¬ schaftlichem Fuße —, wenn mich der Pastor dann auf MEUW und Milo examinierte und nnr freundlich den Krauskopf streichelte, wie glücklich war ich! Wer kann er¬ messen, wie weit der Einfluß solcher Jugendeindrücke in das spätere Leben des Mannes hineinreicht? Der richtige Gedanke meines Vaters, die Kinder schon früh an ein selbstän¬ diges Handeln zu gewöhnen, führte dahin, daß bei uns von Ängstlichkeit keine Rede war. In einem Alter, wo andre Kinder noch sorglich behütet wurden und kaum allein über die Straße gehn durften, schickte er mich schon als Voden über Land, vorzugsweise nach dem fünf Viertelstunden Wegs entfernten Dorfe Ditfurt. Er hatte dort eine Menge geschäftlicher und persönlicher Beziehungen. In der Ditfurter Feldflur besaß er mehr als hundert Morgen an einzelne Bauern ver¬ pachtete Äcker. Auch wohnten in Ditfurt mehrere seiner Hypothekenschilldner, und die Ditfurter Wirte waren seine Kunden. So fand sich häufig Gelegenheit, Mahu- nnd andre Briefe nach Ditfurt zu schicken. Ohne jedes Bedenken benutzte er mich dazu als Boten und überließ es mir, ob ich allein gehn oder irgend einen Spiel¬ kameraden mitnehmen wollte. Schon in meinem siebenten Jahre habe ich solche Gänge gemacht. Natürlich kamen dabei nur die schulfreien Nachmittage am Mitt¬ woch oder Sonnabend in Frage. Für mich waren solche Gänge eine Lust. Furchtlos trottete ich deu an Abwechslung reichen Weg immer an der Bode entlang, zwischen Wiesen und Ackern an den klappernden Mühlen vorbei und sah dabei eine Menge Dinge, von denen viele meiner Schulkameraden kaum eine Ahnung hatten: Hasen und Wiesel, Maulwürfe, Fischottern und Wasserratten, schimmernde Eisvögel und wilde Enten, kurz alles, was draußen kreucht und fleucht. Der Weg ging über den Klers, die schöne, von Alleen umsäumte große Schützenwiese der Stadt, dann an der großen Tuchfabrik des Kommerzienrath Krage vorbei auf die Walkmühle zu — in Quedlinburg sagte man: Walkenmühle —, dann an der ein wenig seit¬ wärts bleibenden Augermuhle vorüber nach der Bleiweißfabrik, die von einem Herrn Kopp administriert wurde, und von da immer flußabwärts über baumreiche Wiesen und Anger nach Ditfurt. So lernte ich früh die Antwort auf ein da¬ maliges Lieblingsrätsel der Quedlinburger Jugend: „Was liegt zwischen Kopf (Kopp) und Kragen?" Wenn der Gefragte antwortete: „Der Hals," wurde er ausgelacht. Die richtige Antwort war vielmehr: „Die Walkenmühle." In Ditfurt wurde der Brief abgegeben und je nach Umständen auf Autwort gewartet. In der Regel setzte man mir eine Tasse Kaffee oder ein Butterbrot vor oder schenkte mir ein paar Äpfel, und fröhlich trollte ich dann mit oder ohne Begleiter wieder nach Hause. Natürlich freute ich mich, wenn der Vater zufrieden war und auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/432>, abgerufen am 01.09.2024.