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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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und nur zu bald verständlich geworden, daß Beschäftigung und Erwerb auch
auf dem schönen Samoa von denselben Bedingungen abhängen wie daheim,
und daß für Begeisterung, guten Willen und schöne Worte allein noch lange
keine ertragreiche Kokospflanzung zu haben ist. Das hätten sich die Leicht¬
gläubigen beizeiten überlegen sollen, und sie Hütten sich vor allem erst hin¬
reichend über die Verhältnisse erkundigen müssen, ehe sie daheim etwas auf¬
gaben und die kostspielige Reise antraten. Jetzt sollen natürlich die übertriebnen
Berichte, die Verhältnisse dort, die Verwaltung oder die deutsche Kolonial-
gcsellschaft an dem Unglück schuld sein, und man findet überdies noch sonst
allerhand Ursachen und Nbclstünde, und viele Zeitungen und Zeitschriften
glauben ihrem eignen Interesse und dem der Kolonie zu dienen, wenn sie mit
oder ohne eigne Bemerkungen die Klagen und Anklagen unterstützen, ohne
sie selbst erst gehörig zu prüfen. Auf diese Weise ist auch die so spät er-
worbne Kolonie Samoa erstaunlich schnell in dasselbe Getriebe geraten, das
unsre ältern Kolonien zum Teil schon glücklich überstanden haben; aber man
darf hoffen, daß die hier auf ganz andre Weise hervorgerufne Mauserung
schnell und ohne weitere Folgen überwunden werden wird, zumal wenn auch
von amtlicher Seite energisch darauf hingewirkt und möglichst rechtzeitig für
geeignete Maßregeln und Einwirkungen gesorgt wird, bevor tatsächliche Übel¬
stände und Fehler die Entwicklung des Schutzgebiets nachteilig beeinflussen.

Zunächst ist es jedenfalls geboten, daß von maßgebender Stelle dafür
gesorgt wird, daß die Klagen und Gerüchte rechtzeitig aufgeklärt werden, ehe
sie weitere Kreise ziehen, und daß eine Beseitigung vorhandner Mißstände
ohne Verzug veranlaßt wird. Auch dabei macht sich das Fehlen einer direkten
Verbindung mit der Kolonie fühlbar. Ob und inwieweit die gegenwärtigen
Verhältnisse zu Klagen berechtigen, sei solcher Aufklärung überlasten. Sehr
zu bedauern ist es, daß sich das Organ der deutschen Kolonialgescllschaft gerade
dem öffentlichen Interesse für Samoa gegenüber sehr indifferent verhält und
sich fast allein auf verspätete und meist auf schon überholte Nachrichten über
die Vorgänge in der Kolonie beschränkt.

Von der wirtschaftlichen Bedeutung unsrer Kolonien können wir im
allgemeinen sagen: sie liegt in der Zukunft. Kolonialpolitik ist überhaupt eine
Politik der Perspektive und praktisch-nationaler oder richtiger vielleicht diplo¬
matischer Spekulation, und gerade deshalb hat sie bei uns so schwer Ver¬
ständnis und Interesse gefunden. Denn wie die ersten Kolonialdebatten im
Reichstag und die dabei besonders wegen der Südsee und insbesondre Samoas
geäußerten Ansichten der frühern Gegner heute überzeugend beweisen, fehlte
einem großen Teile des deutschen Volks und seiner Vertreter und Führer
noch in den achtziger Jahren völlig jedes klare Empfinden für nicht partei¬
politische Ziele. Das erscheint heute schon verwunderlich; aber vor zwanzig
Jahren war es erklärlich, wenn auch uicht berechtigt -- bedauerlich bleibt
es immer.

(Schluß folgt)




und nur zu bald verständlich geworden, daß Beschäftigung und Erwerb auch
auf dem schönen Samoa von denselben Bedingungen abhängen wie daheim,
und daß für Begeisterung, guten Willen und schöne Worte allein noch lange
keine ertragreiche Kokospflanzung zu haben ist. Das hätten sich die Leicht¬
gläubigen beizeiten überlegen sollen, und sie Hütten sich vor allem erst hin¬
reichend über die Verhältnisse erkundigen müssen, ehe sie daheim etwas auf¬
gaben und die kostspielige Reise antraten. Jetzt sollen natürlich die übertriebnen
Berichte, die Verhältnisse dort, die Verwaltung oder die deutsche Kolonial-
gcsellschaft an dem Unglück schuld sein, und man findet überdies noch sonst
allerhand Ursachen und Nbclstünde, und viele Zeitungen und Zeitschriften
glauben ihrem eignen Interesse und dem der Kolonie zu dienen, wenn sie mit
oder ohne eigne Bemerkungen die Klagen und Anklagen unterstützen, ohne
sie selbst erst gehörig zu prüfen. Auf diese Weise ist auch die so spät er-
worbne Kolonie Samoa erstaunlich schnell in dasselbe Getriebe geraten, das
unsre ältern Kolonien zum Teil schon glücklich überstanden haben; aber man
darf hoffen, daß die hier auf ganz andre Weise hervorgerufne Mauserung
schnell und ohne weitere Folgen überwunden werden wird, zumal wenn auch
von amtlicher Seite energisch darauf hingewirkt und möglichst rechtzeitig für
geeignete Maßregeln und Einwirkungen gesorgt wird, bevor tatsächliche Übel¬
stände und Fehler die Entwicklung des Schutzgebiets nachteilig beeinflussen.

Zunächst ist es jedenfalls geboten, daß von maßgebender Stelle dafür
gesorgt wird, daß die Klagen und Gerüchte rechtzeitig aufgeklärt werden, ehe
sie weitere Kreise ziehen, und daß eine Beseitigung vorhandner Mißstände
ohne Verzug veranlaßt wird. Auch dabei macht sich das Fehlen einer direkten
Verbindung mit der Kolonie fühlbar. Ob und inwieweit die gegenwärtigen
Verhältnisse zu Klagen berechtigen, sei solcher Aufklärung überlasten. Sehr
zu bedauern ist es, daß sich das Organ der deutschen Kolonialgescllschaft gerade
dem öffentlichen Interesse für Samoa gegenüber sehr indifferent verhält und
sich fast allein auf verspätete und meist auf schon überholte Nachrichten über
die Vorgänge in der Kolonie beschränkt.

Von der wirtschaftlichen Bedeutung unsrer Kolonien können wir im
allgemeinen sagen: sie liegt in der Zukunft. Kolonialpolitik ist überhaupt eine
Politik der Perspektive und praktisch-nationaler oder richtiger vielleicht diplo¬
matischer Spekulation, und gerade deshalb hat sie bei uns so schwer Ver¬
ständnis und Interesse gefunden. Denn wie die ersten Kolonialdebatten im
Reichstag und die dabei besonders wegen der Südsee und insbesondre Samoas
geäußerten Ansichten der frühern Gegner heute überzeugend beweisen, fehlte
einem großen Teile des deutschen Volks und seiner Vertreter und Führer
noch in den achtziger Jahren völlig jedes klare Empfinden für nicht partei¬
politische Ziele. Das erscheint heute schon verwunderlich; aber vor zwanzig
Jahren war es erklärlich, wenn auch uicht berechtigt — bedauerlich bleibt
es immer.

(Schluß folgt)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/397>, abgerufen am 25.11.2024.