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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Aoloniale Spiegelbilder mit besondrer Berücksichtigung Samoas

und manche Beschwerden waren auch berechtigt. Was aber diese und weitere
Kreise an ihren Brüdern in der Ferne als nationale Schwäche tadelten, das
übten sie selbst -- nach der Erfahrung, daß man die eignen Fehler an andern
am meisten empfindet und -- tadelt! Es ist noch nicht lange her, daß man
in unserm Vaterlande die Erzeugnisse unter fremdem Namen über alles schätzte,
daß die beste Reklame fremde Sprache, undeutsche oder auch oft verkehrte
französische oder englische Worte waren. Nicht einmal der Sieg des Niuls
in AsririM^, sowie die damit bewiesene Übermacht der deutschen Technik und
Kultur hat die deutsche Vorliebe für das Nichtdeutsche ganz besiegt. Dennoch
muß anerkannt werden, daß die Herrschaft der fremdsprachlichen Reklame
von der fortschreitenden geistigen Bildung hinabgedrückt, erfreulicherweise immer
tiefer sinkt.

Die auf niedrer Bildungsstufe stehenden Deutschen, die als vaterlands¬
müde Auswandrer, Abenteurer oder aus dringenden Gründen der Heimat
Ratel sagen, haben allerdings das begreifliche Bestreben, sich fremden Ver¬
hältnissen, in denen sie Obdach und Glück suchen, möglichst schnell anzupassen,
ihre Abstammung zu vergessen und zu verleugnen; denn Nationalgefühl und
Pietät haben sie nicht oder jedenfalls viel weniger als Erhaltungstrieb. Um
solche Elemente ist es nicht schade, wir können sie ohne Wunsch und Bedauern
in englischer Liebe und Begeisterung aufgehn lassen. Wir finden sie überall,
leicht erkennbar an ihrer Vorliebe für fremde Sprache, die sie aber ebenso¬
wenig beherrschen wie die Muttersprache.

Die bessern Elemente der deutschen Auswandrer sind und bleiben auch
überwiegend deutsch-national gesinnt, und zwar mit bewunderungswürdiger
Zähigkeit, trotz der oft sehr großen Schwierigkeiten und Nachteile, denen sie
sich dadurch aussetzen. Die Geschichte Samoas lehrt das in schöner Weise,
ebenso wie das zähe Fortbestehn der deutschen Klubs in Australien usw. Die
Schwierigkeiten, die sich deu deutschen Ansiedlern in fremden Gebieten ent¬
gegenstellen, sind ebenso natürlich wie berechtigt durch den nationalen oder
noch mehr durch den internationalen Wettbewerb. Wir Deutschen sind auch
geneigt, uns^über die Engländer zu entrüsten, die sich am Rhein, in Heidelberg,
in Baden-Baden, in Berlin usw. mit ihrer Sprache und Sitte breit machen, nur
weil wir das als eine UnHöflichkeit, eine Mißachtung unsrer Gewohnheiten
auffassen; man sagt: So gut wie wir englisch und französisch lernen und in
England oder Frankreich so sprechen, können die Engländer Deutsch lernen,
wie die Russen. Dabei vergißt man aber, daß die Russen Deutsch lernen, weil
sie noch auf unsre Kultur angewiesen sind, was für die Engländer nicht der
Fall ist oder^wenigstens nicht der Fall war. Auch wir haben einst vom
Westen gelernt und können es in mancher Beziehung noch tun; deshalb war
auch die Vorliebe für die westliche Kultur und Sprache ebenso berechtigt, wie
daß wir sie erlernten und gebrauchten.

Aber die Verhältnisse haben sich in rascher Entwicklung zu unsern Gunsten
geändert. Das gilt auch erfreulicherweise für unsre Weltstellung oder hängt
vielmehr davon ab. Vor 1870 waren die deutschen Auswandrer noch keine
nationalen Elemente in den Augen der englischen Vergrößerungspolitik. Man


Aoloniale Spiegelbilder mit besondrer Berücksichtigung Samoas

und manche Beschwerden waren auch berechtigt. Was aber diese und weitere
Kreise an ihren Brüdern in der Ferne als nationale Schwäche tadelten, das
übten sie selbst — nach der Erfahrung, daß man die eignen Fehler an andern
am meisten empfindet und — tadelt! Es ist noch nicht lange her, daß man
in unserm Vaterlande die Erzeugnisse unter fremdem Namen über alles schätzte,
daß die beste Reklame fremde Sprache, undeutsche oder auch oft verkehrte
französische oder englische Worte waren. Nicht einmal der Sieg des Niuls
in AsririM^, sowie die damit bewiesene Übermacht der deutschen Technik und
Kultur hat die deutsche Vorliebe für das Nichtdeutsche ganz besiegt. Dennoch
muß anerkannt werden, daß die Herrschaft der fremdsprachlichen Reklame
von der fortschreitenden geistigen Bildung hinabgedrückt, erfreulicherweise immer
tiefer sinkt.

Die auf niedrer Bildungsstufe stehenden Deutschen, die als vaterlands¬
müde Auswandrer, Abenteurer oder aus dringenden Gründen der Heimat
Ratel sagen, haben allerdings das begreifliche Bestreben, sich fremden Ver¬
hältnissen, in denen sie Obdach und Glück suchen, möglichst schnell anzupassen,
ihre Abstammung zu vergessen und zu verleugnen; denn Nationalgefühl und
Pietät haben sie nicht oder jedenfalls viel weniger als Erhaltungstrieb. Um
solche Elemente ist es nicht schade, wir können sie ohne Wunsch und Bedauern
in englischer Liebe und Begeisterung aufgehn lassen. Wir finden sie überall,
leicht erkennbar an ihrer Vorliebe für fremde Sprache, die sie aber ebenso¬
wenig beherrschen wie die Muttersprache.

Die bessern Elemente der deutschen Auswandrer sind und bleiben auch
überwiegend deutsch-national gesinnt, und zwar mit bewunderungswürdiger
Zähigkeit, trotz der oft sehr großen Schwierigkeiten und Nachteile, denen sie
sich dadurch aussetzen. Die Geschichte Samoas lehrt das in schöner Weise,
ebenso wie das zähe Fortbestehn der deutschen Klubs in Australien usw. Die
Schwierigkeiten, die sich deu deutschen Ansiedlern in fremden Gebieten ent¬
gegenstellen, sind ebenso natürlich wie berechtigt durch den nationalen oder
noch mehr durch den internationalen Wettbewerb. Wir Deutschen sind auch
geneigt, uns^über die Engländer zu entrüsten, die sich am Rhein, in Heidelberg,
in Baden-Baden, in Berlin usw. mit ihrer Sprache und Sitte breit machen, nur
weil wir das als eine UnHöflichkeit, eine Mißachtung unsrer Gewohnheiten
auffassen; man sagt: So gut wie wir englisch und französisch lernen und in
England oder Frankreich so sprechen, können die Engländer Deutsch lernen,
wie die Russen. Dabei vergißt man aber, daß die Russen Deutsch lernen, weil
sie noch auf unsre Kultur angewiesen sind, was für die Engländer nicht der
Fall ist oder^wenigstens nicht der Fall war. Auch wir haben einst vom
Westen gelernt und können es in mancher Beziehung noch tun; deshalb war
auch die Vorliebe für die westliche Kultur und Sprache ebenso berechtigt, wie
daß wir sie erlernten und gebrauchten.

Aber die Verhältnisse haben sich in rascher Entwicklung zu unsern Gunsten
geändert. Das gilt auch erfreulicherweise für unsre Weltstellung oder hängt
vielmehr davon ab. Vor 1870 waren die deutschen Auswandrer noch keine
nationalen Elemente in den Augen der englischen Vergrößerungspolitik. Man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/394>, abgerufen am 23.11.2024.