Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache ersaufen," "mit den Krähen sich durch ein Pfund Hanf beißen" oder auch Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache ersaufen," „mit den Krähen sich durch ein Pfund Hanf beißen" oder auch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0374" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241588"/> <fw type="header" place="top"> Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache</fw><lb/> <p xml:id="ID_1441" prev="#ID_1440" next="#ID_1442"> ersaufen," „mit den Krähen sich durch ein Pfund Hanf beißen" oder auch<lb/> „in ein hänfenes Schnupftuch niesen," „das hänfene Pferd reiten,"<lb/> „durchs hänfene Fenster sehen" oder „eine .Hanfsuppe essen." Man<lb/> ziert ihn ferner mit einem „hanfenen Halsband" oder „Kragen," ladet<lb/> ihn zu einer „hanfenen Bratwurst" zu Gaste, traut ihn mit der „Haus¬<lb/> brand" oder läßt ihn „mit der Jungfer Hamsin Hochzeit machen," ja mit<lb/> ihr gar „einen lustigen Sprung von der Leiter tun." Wie sich einzelne dieser<lb/> ältern Redensarten mit unbedeutendem Veränderungen im Volksmunde bis in<lb/> die neuere Zeit zu erhalten vermochten (so z.B. „mit des Seilers Tochter"<lb/> oder „Jungfer Strick Hochzeit machen"), so spielt auch der -— unserm<lb/> Rechte jetzt unbekannte — Galgen noch in überaus zahlreichen einzelnen Wort¬<lb/> verbindungen unsrer Sprache eine Rolle. So gibt es bekanntlich noch jetzt<lb/> Leute, die eine richtige „Galgenphysiognomie" oder (ein „Galgengcsicht")<lb/> haben, und deckt sich deren Trüger mit einem richtigen, durchtriebnen Tunichtgut<lb/> oder Taugenichts, der allerlei „Galgenstreiche" (d. h. Schelmen- oder Schurken¬<lb/> streiche) verübt, vielleicht gar „falsch wie Galgenholz" ist, sodaß er in<lb/> frühern Zeiten leicht Bekanntschaft mit dem Galgen Hütte machen können, so<lb/> nennen wir ihn einen „Galgenstrick" (oder auch wohl bloß „Strick," d. h.<lb/> zunächst der Strick, mit dem der Verurteilte gehängt wurde, dann der Mensch, der<lb/> solchen Strick verdient) oder einen „Galgenbraten" oder „Galgenvogel" (ur¬<lb/> sprünglich die Raben und Krnheu, „des Henkers Tauben," auf dem „Rabenstein,"<lb/> denen der Gehenkte zur Nahrung diente, dann in übertragnem Sinne dieser<lb/> selber), auch wohl einen „Galgenast" (am „dürren Baum") oder einen<lb/> „Galgeuschwcngel" (als „Klöppel" in der „Feldglocke"; vgl.: „am Galgen<lb/> baumeln" hängen). Wir halten nicht viel von einer „Galgenreue,"<lb/> d. h. einer solchen, die zu spät kommt, wie bei dem Verurteilten in seiner<lb/> Todesangst, oder auch, die nur um die bösen Folgen der Sünde, nicht<lb/> über diese selbst trauert. Ebenso sind wir selten erbaut von einer „Galgen¬<lb/> frist," durch die irgend ein unangenehmes, aber unvermeidlich bevorstehendes<lb/> Ereignis nur um kurze Zeit hinausgeschoben wird, wie früher manchmal<lb/> die Strafvollstreckung für den zum Galgen Verurteilten. Auch wundern<lb/> wir uns zuweilen über das „Galgenglück" (Diebes-, Schelmeuglück), das<lb/> einzelne Menschen haben, denn das ist ein eigentlich ebenso unerwartetes und<lb/> unverdientes Glück, wie es früher manchmal noch dem schon am Galgen<lb/> Hängenden zuteil wurde, wenn etwa der Strick riß — ein Vorgang, der<lb/> ihm nicht selten die Straflosigkeit gewährte. Gedenken wir endlich noch der<lb/> „Galgenfreude" für „Schadenfreude," des „Galgenhumors," eiuer Mischung<lb/> von Scherz und Verzweiflung, die auch noch heute mancher unter sehr kritischen<lb/> Umstünden zeigt, ähnlich wie sie früher der Todeskandidat auf dem Wege<lb/> zum Galgen öfter noch entwickelt haben mag, so sind damit die hauptsäch¬<lb/> lichsten, jetzt noch allgemeiner gebräuchlichen Zusammensetzungen mit „Galgen"<lb/> aufgezählt. Denn nur auf kleinere Kreise ist wohl der Gebrauch der Ausdrücke<lb/> „Galgenschieber" für einen Auditeur (z.V. in der österreichischen Svldateu-<lb/> sprache) und „Galgennägel" für ein Gericht Mohrrüben beschränkt geblieben.<lb/> Zu erwähnen ist aber noch, daß auch viele unsrer heutigen Flur- und Straßen¬<lb/> namen auf die Plätze hinweisen, wo einst die Galgen gestanden haben. Um<lb/> diese Wahrzeichen der Gerechtigkeit den sich dem Stadtgebiete Nähernden wo¬<lb/> möglich schon aus weiter Ferne vor Augen zu führen, pflegten sie mit Vor¬<lb/> liebe auf freiem Felde, an der offnen Heerstraße, an Wegscheider, namentlich<lb/> aber auf weithin sichtbaren Anhöhen in der Umgebung errichtet zu werden.<lb/> Daraus erklärt sich das häufige Vorkommen der „Galgenberge" in den ver¬<lb/> schiedensten Gegenden Deutschlands (so z. V. bei Hildesheim, Wetzlar, Büdingen<lb/> in Hessen), die sich übrigens zuweilen eine aus neuerer Zeit stammende euphe¬<lb/> mistische Umgestaltung haben gefallen lassen müssen, wie der „Gallberg" bei</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0374]
Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache
ersaufen," „mit den Krähen sich durch ein Pfund Hanf beißen" oder auch
„in ein hänfenes Schnupftuch niesen," „das hänfene Pferd reiten,"
„durchs hänfene Fenster sehen" oder „eine .Hanfsuppe essen." Man
ziert ihn ferner mit einem „hanfenen Halsband" oder „Kragen," ladet
ihn zu einer „hanfenen Bratwurst" zu Gaste, traut ihn mit der „Haus¬
brand" oder läßt ihn „mit der Jungfer Hamsin Hochzeit machen," ja mit
ihr gar „einen lustigen Sprung von der Leiter tun." Wie sich einzelne dieser
ältern Redensarten mit unbedeutendem Veränderungen im Volksmunde bis in
die neuere Zeit zu erhalten vermochten (so z.B. „mit des Seilers Tochter"
oder „Jungfer Strick Hochzeit machen"), so spielt auch der -— unserm
Rechte jetzt unbekannte — Galgen noch in überaus zahlreichen einzelnen Wort¬
verbindungen unsrer Sprache eine Rolle. So gibt es bekanntlich noch jetzt
Leute, die eine richtige „Galgenphysiognomie" oder (ein „Galgengcsicht")
haben, und deckt sich deren Trüger mit einem richtigen, durchtriebnen Tunichtgut
oder Taugenichts, der allerlei „Galgenstreiche" (d. h. Schelmen- oder Schurken¬
streiche) verübt, vielleicht gar „falsch wie Galgenholz" ist, sodaß er in
frühern Zeiten leicht Bekanntschaft mit dem Galgen Hütte machen können, so
nennen wir ihn einen „Galgenstrick" (oder auch wohl bloß „Strick," d. h.
zunächst der Strick, mit dem der Verurteilte gehängt wurde, dann der Mensch, der
solchen Strick verdient) oder einen „Galgenbraten" oder „Galgenvogel" (ur¬
sprünglich die Raben und Krnheu, „des Henkers Tauben," auf dem „Rabenstein,"
denen der Gehenkte zur Nahrung diente, dann in übertragnem Sinne dieser
selber), auch wohl einen „Galgenast" (am „dürren Baum") oder einen
„Galgeuschwcngel" (als „Klöppel" in der „Feldglocke"; vgl.: „am Galgen
baumeln" hängen). Wir halten nicht viel von einer „Galgenreue,"
d. h. einer solchen, die zu spät kommt, wie bei dem Verurteilten in seiner
Todesangst, oder auch, die nur um die bösen Folgen der Sünde, nicht
über diese selbst trauert. Ebenso sind wir selten erbaut von einer „Galgen¬
frist," durch die irgend ein unangenehmes, aber unvermeidlich bevorstehendes
Ereignis nur um kurze Zeit hinausgeschoben wird, wie früher manchmal
die Strafvollstreckung für den zum Galgen Verurteilten. Auch wundern
wir uns zuweilen über das „Galgenglück" (Diebes-, Schelmeuglück), das
einzelne Menschen haben, denn das ist ein eigentlich ebenso unerwartetes und
unverdientes Glück, wie es früher manchmal noch dem schon am Galgen
Hängenden zuteil wurde, wenn etwa der Strick riß — ein Vorgang, der
ihm nicht selten die Straflosigkeit gewährte. Gedenken wir endlich noch der
„Galgenfreude" für „Schadenfreude," des „Galgenhumors," eiuer Mischung
von Scherz und Verzweiflung, die auch noch heute mancher unter sehr kritischen
Umstünden zeigt, ähnlich wie sie früher der Todeskandidat auf dem Wege
zum Galgen öfter noch entwickelt haben mag, so sind damit die hauptsäch¬
lichsten, jetzt noch allgemeiner gebräuchlichen Zusammensetzungen mit „Galgen"
aufgezählt. Denn nur auf kleinere Kreise ist wohl der Gebrauch der Ausdrücke
„Galgenschieber" für einen Auditeur (z.V. in der österreichischen Svldateu-
sprache) und „Galgennägel" für ein Gericht Mohrrüben beschränkt geblieben.
Zu erwähnen ist aber noch, daß auch viele unsrer heutigen Flur- und Straßen¬
namen auf die Plätze hinweisen, wo einst die Galgen gestanden haben. Um
diese Wahrzeichen der Gerechtigkeit den sich dem Stadtgebiete Nähernden wo¬
möglich schon aus weiter Ferne vor Augen zu führen, pflegten sie mit Vor¬
liebe auf freiem Felde, an der offnen Heerstraße, an Wegscheider, namentlich
aber auf weithin sichtbaren Anhöhen in der Umgebung errichtet zu werden.
Daraus erklärt sich das häufige Vorkommen der „Galgenberge" in den ver¬
schiedensten Gegenden Deutschlands (so z. V. bei Hildesheim, Wetzlar, Büdingen
in Hessen), die sich übrigens zuweilen eine aus neuerer Zeit stammende euphe¬
mistische Umgestaltung haben gefallen lassen müssen, wie der „Gallberg" bei
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