stadt wohnen müsse. Das war für einen Arzt, der sich in einer der reichsten und schönsten Großstädte unter schwierigen Verhältnissen eine glänzende Praxis geschaffen hatte, eine starke Zumutung, und Struck willigte auch erst ein, nach¬ dem er wiederholt seine Bedenken geäußert hatte, und als ihm die Zusicherung gegeben war, daß er mit seinem frühern Patent wieder in die Armee eingestellt und bei der nächsten Gelegenheit zum Oberstabsarzt befördert würde. Nachdem er einige Wochen bei einem rheinischen Infanterieregiment Dienst getan hatte, siedelte er am 15. Januar 1867 nach Berlin über, als Stabsarzt im Gnrde- Feldartillerie-Regiment und als Leibarzt des Bundeskanzlers. Aber es ging ihm zuerst recht schlecht, denn sein Gehalt war gering, und die Praxis nahm so langsam zu, daß die Frankfurter Ersparnisse bald aufgebraucht waren; auch die Beförderung ließ trotz der Kriegsjahre lange auf sich warten, und Herren mit jüngeren Patent wurden ihm vorgezogen. Dazu kam noch das Gefühl einer gewissen Schikaniererei durch seine Vorgesetzten, die ihn mit allen möglichen Extraarbeiten belasteten; so mußte er es sich gefallen lassen, daß ihm Rekruten - ausbedungen in Berlin aufgebürdet wurden, die man sonst von auswärtigen Militärärzten besorgen ließ, weil nur diese eine besondre Kommandozulage da¬ für erhielten. Gelegentlich erfuhr er dann auch, nach einem Liebesmahl durch einen angeheiterten Kameraden, den Grund dieser Zurücksetzung; man hatte sich geärgert, daß auf Veranlassung des Ministerpräsidenten so ein Frankfurter Sanitätsrat gleich in dein vielbegehrtcn Berlin wieder in die rince eingereiht worden war. Struck dachte zu vornehm, als daß es ihm in den inn gekommen wäre, bei seinem Gönner Klage zu führen; da aber dieser selbst sich gelegentlich teilnehmend erkundigte, woher es komme, daß er so schlecht aussehe, so mußte er denn doch seinem gepreßten Herzen Luft machen, daß er mit Nahrungssorgen zu kämpfen Hütte, daß er auch wegen seiner Wiedereinstellung angefeindet und bei jeder Gelegenheit mit besondern Arbeiten bedacht würde. "Sie sind aber doch Oberstabsarzt?" lautete die erstaunte Frage des Fürsten. "Nein, Durch¬ laucht, ich bin noch Stabsarzt, man hat mich bisher übergangen." Einige Tage später, im April 1872, wurde Struck zum Regimentsarzt der "Franzer" ernanick, und damit war das schlimmste wenigstens überstanden.
Eines Tages ließ ihn der Fürst zu sich rufen und empfing ihn mit folgenden Worten: "Wir müssen Ernst machen und endlich das Gesundheitsamt schaffen, das als sanitäre Aufsichtsbehörde im Reiche fungieren soll; wen könnten Sie als Direktor vorschlagen?" Ohne sich zu besinnen, nannte Struck die Namen Virchow und Petteukofer. "Mit Ihren beiden Herrn ist es nichts -- so sagte der Kanzler wenig Tage später --, Virchow ist vom Kaiser ab¬ gelehnt worden, und Pettenkofer will nicht aus München heraus; sagen Sie mal, wollen Sie Direktor des Reichsgesundheitsamtes werden?" Als Struck vor Staunen fast aus deu Rücken füllt und erklärt, daß er sich einem solchen Posten nicht gewachsen fühle, unterbricht ihn der Fürst mit den Worten: "Ach was, das schlägt in Ihr Fach, Sie sind ein praktischer Mann, und was andre wissen, können Sie auch lernen; ich gebe Ihnen fünf Minuten Bedenkzeit, sagen Sie Ja oder Nein, wollen Sie nicht, dann finde ich auch noch einen andern, wahrscheinlich werden aber dann die Juristen dieses Amt wieder für sich beau-
vom alten Struck
stadt wohnen müsse. Das war für einen Arzt, der sich in einer der reichsten und schönsten Großstädte unter schwierigen Verhältnissen eine glänzende Praxis geschaffen hatte, eine starke Zumutung, und Struck willigte auch erst ein, nach¬ dem er wiederholt seine Bedenken geäußert hatte, und als ihm die Zusicherung gegeben war, daß er mit seinem frühern Patent wieder in die Armee eingestellt und bei der nächsten Gelegenheit zum Oberstabsarzt befördert würde. Nachdem er einige Wochen bei einem rheinischen Infanterieregiment Dienst getan hatte, siedelte er am 15. Januar 1867 nach Berlin über, als Stabsarzt im Gnrde- Feldartillerie-Regiment und als Leibarzt des Bundeskanzlers. Aber es ging ihm zuerst recht schlecht, denn sein Gehalt war gering, und die Praxis nahm so langsam zu, daß die Frankfurter Ersparnisse bald aufgebraucht waren; auch die Beförderung ließ trotz der Kriegsjahre lange auf sich warten, und Herren mit jüngeren Patent wurden ihm vorgezogen. Dazu kam noch das Gefühl einer gewissen Schikaniererei durch seine Vorgesetzten, die ihn mit allen möglichen Extraarbeiten belasteten; so mußte er es sich gefallen lassen, daß ihm Rekruten - ausbedungen in Berlin aufgebürdet wurden, die man sonst von auswärtigen Militärärzten besorgen ließ, weil nur diese eine besondre Kommandozulage da¬ für erhielten. Gelegentlich erfuhr er dann auch, nach einem Liebesmahl durch einen angeheiterten Kameraden, den Grund dieser Zurücksetzung; man hatte sich geärgert, daß auf Veranlassung des Ministerpräsidenten so ein Frankfurter Sanitätsrat gleich in dein vielbegehrtcn Berlin wieder in die rince eingereiht worden war. Struck dachte zu vornehm, als daß es ihm in den inn gekommen wäre, bei seinem Gönner Klage zu führen; da aber dieser selbst sich gelegentlich teilnehmend erkundigte, woher es komme, daß er so schlecht aussehe, so mußte er denn doch seinem gepreßten Herzen Luft machen, daß er mit Nahrungssorgen zu kämpfen Hütte, daß er auch wegen seiner Wiedereinstellung angefeindet und bei jeder Gelegenheit mit besondern Arbeiten bedacht würde. „Sie sind aber doch Oberstabsarzt?" lautete die erstaunte Frage des Fürsten. „Nein, Durch¬ laucht, ich bin noch Stabsarzt, man hat mich bisher übergangen." Einige Tage später, im April 1872, wurde Struck zum Regimentsarzt der „Franzer" ernanick, und damit war das schlimmste wenigstens überstanden.
Eines Tages ließ ihn der Fürst zu sich rufen und empfing ihn mit folgenden Worten: „Wir müssen Ernst machen und endlich das Gesundheitsamt schaffen, das als sanitäre Aufsichtsbehörde im Reiche fungieren soll; wen könnten Sie als Direktor vorschlagen?" Ohne sich zu besinnen, nannte Struck die Namen Virchow und Petteukofer. „Mit Ihren beiden Herrn ist es nichts — so sagte der Kanzler wenig Tage später —, Virchow ist vom Kaiser ab¬ gelehnt worden, und Pettenkofer will nicht aus München heraus; sagen Sie mal, wollen Sie Direktor des Reichsgesundheitsamtes werden?" Als Struck vor Staunen fast aus deu Rücken füllt und erklärt, daß er sich einem solchen Posten nicht gewachsen fühle, unterbricht ihn der Fürst mit den Worten: „Ach was, das schlägt in Ihr Fach, Sie sind ein praktischer Mann, und was andre wissen, können Sie auch lernen; ich gebe Ihnen fünf Minuten Bedenkzeit, sagen Sie Ja oder Nein, wollen Sie nicht, dann finde ich auch noch einen andern, wahrscheinlich werden aber dann die Juristen dieses Amt wieder für sich beau-
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stadt wohnen müsse. Das war für einen Arzt, der sich in einer der reichsten
und schönsten Großstädte unter schwierigen Verhältnissen eine glänzende Praxis
geschaffen hatte, eine starke Zumutung, und Struck willigte auch erst ein, nach¬
dem er wiederholt seine Bedenken geäußert hatte, und als ihm die Zusicherung
gegeben war, daß er mit seinem frühern Patent wieder in die Armee eingestellt
und bei der nächsten Gelegenheit zum Oberstabsarzt befördert würde. Nachdem
er einige Wochen bei einem rheinischen Infanterieregiment Dienst getan hatte,
siedelte er am 15. Januar 1867 nach Berlin über, als Stabsarzt im Gnrde-
Feldartillerie-Regiment und als Leibarzt des Bundeskanzlers. Aber es ging
ihm zuerst recht schlecht, denn sein Gehalt war gering, und die Praxis nahm
so langsam zu, daß die Frankfurter Ersparnisse bald aufgebraucht waren; auch
die Beförderung ließ trotz der Kriegsjahre lange auf sich warten, und Herren
mit jüngeren Patent wurden ihm vorgezogen. Dazu kam noch das Gefühl
einer gewissen Schikaniererei durch seine Vorgesetzten, die ihn mit allen möglichen
Extraarbeiten belasteten; so mußte er es sich gefallen lassen, daß ihm Rekruten -
ausbedungen in Berlin aufgebürdet wurden, die man sonst von auswärtigen
Militärärzten besorgen ließ, weil nur diese eine besondre Kommandozulage da¬
für erhielten. Gelegentlich erfuhr er dann auch, nach einem Liebesmahl durch
einen angeheiterten Kameraden, den Grund dieser Zurücksetzung; man hatte sich
geärgert, daß auf Veranlassung des Ministerpräsidenten so ein Frankfurter
Sanitätsrat gleich in dein vielbegehrtcn Berlin wieder in die rince eingereiht
worden war. Struck dachte zu vornehm, als daß es ihm in den inn gekommen
wäre, bei seinem Gönner Klage zu führen; da aber dieser selbst sich gelegentlich
teilnehmend erkundigte, woher es komme, daß er so schlecht aussehe, so mußte
er denn doch seinem gepreßten Herzen Luft machen, daß er mit Nahrungssorgen
zu kämpfen Hütte, daß er auch wegen seiner Wiedereinstellung angefeindet und
bei jeder Gelegenheit mit besondern Arbeiten bedacht würde. „Sie sind aber
doch Oberstabsarzt?" lautete die erstaunte Frage des Fürsten. „Nein, Durch¬
laucht, ich bin noch Stabsarzt, man hat mich bisher übergangen." Einige Tage
später, im April 1872, wurde Struck zum Regimentsarzt der „Franzer" ernanick,
und damit war das schlimmste wenigstens überstanden.
Eines Tages ließ ihn der Fürst zu sich rufen und empfing ihn mit
folgenden Worten: „Wir müssen Ernst machen und endlich das Gesundheitsamt
schaffen, das als sanitäre Aufsichtsbehörde im Reiche fungieren soll; wen könnten
Sie als Direktor vorschlagen?" Ohne sich zu besinnen, nannte Struck die
Namen Virchow und Petteukofer. „Mit Ihren beiden Herrn ist es nichts
— so sagte der Kanzler wenig Tage später —, Virchow ist vom Kaiser ab¬
gelehnt worden, und Pettenkofer will nicht aus München heraus; sagen Sie
mal, wollen Sie Direktor des Reichsgesundheitsamtes werden?" Als Struck
vor Staunen fast aus deu Rücken füllt und erklärt, daß er sich einem solchen
Posten nicht gewachsen fühle, unterbricht ihn der Fürst mit den Worten: „Ach
was, das schlägt in Ihr Fach, Sie sind ein praktischer Mann, und was andre
wissen, können Sie auch lernen; ich gebe Ihnen fünf Minuten Bedenkzeit, sagen
Sie Ja oder Nein, wollen Sie nicht, dann finde ich auch noch einen andern,
wahrscheinlich werden aber dann die Juristen dieses Amt wieder für sich beau-
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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/360>, abgerufen am 28.11.2024.
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