eigne" Zuchtlosigkeit sein werden, können sie in der polnischen Geschichte nach¬ lesen, die gerade in bezug ans die orientalische Frage sehr beachtenswerte Ana¬ logien mit der Ungarns aufweist.
Böhmen (Schluß)
er Episode mit der Königinhofer Handschrift ist darum aus¬ führlicher gedacht worden, weil sie typisch für die gesamte neu- literarische Bewegung der Tschechen ist. Ihre leitenden Gedanken dabei sind der Deutschenhaß und die Sucht, die Rolle einer großen Nation zu spielen, zu der sie doch nun einmal vom Geschick nicht bestimmt sind, und zu der sie es auch nie bringen können. Sie hatten wohl die Größe und die Wirkung der deutschen Literatur und Kunst vor Augen, als sie eine eigne schaffen wollten, wobei sie ja sehr Anerkennenswertes geleistet haben. Aber ihr Weg ist ganz unähnlich dem großen Zuge, den einst die deutsche Blüte der Kunst und der Wissenschaft genommen hat. Es handelt sich um den modernen Versuch, den die nationale Anspannung des verflossenen Jahrhunderts auch in andern kleinen Nationen angeregt hat, sich aus Patriotismus, also aus dem Bedürfnis eines nationalen Fortschritts, eine tendenziöse Literatur großzuziehn. Was dort die nicht bewußt erreichte Wirkung war, soll hier der Anfang sein. So dient Kunst und Poesie von vornherein der Politik, sie wird zum großen Teil künstlich gepflegt und gepriesen, der wissenschaftliche und der künstlerische Wert der einzelnen Leistungen gilt in vielen Fällen geringer als der politische Zweck. Die Wirkung, die zum Teil vorausgenommen wird, kann nicht dieselbe sein, wie dort, anch kann die größte Regsamkeit, sogar der angespannteste Fana¬ tismus einer kleinen Nation höchstens vorübergehend leisten, was der großen bei ungestörter Entwicklung aus der innern Fülle von selbst kam. Wohl kann in den äußern Erscheinungen durch unverdrossene Selbstaufopfrnng manches erreicht werden, was die eignen Kreise und auch näherstehende, vielleicht den kleinmütigen Gegner sogar täuscht, aber die Treibhauspflanze wird nie die wahre Volkskraft der Natur erreichen, nicht weiter fruchtbringende Samen tragen. Es nützt ihnen nichts, die große Weltbrücke leugnen zu wollen, auf denen allen Slawen die Weltsprache des Mittelalters, das Latein, der Glaube des gekreuzigten Christus, alle Wissenschaft, Verkehrsrecht und Kriegführung, Landwirtschaft und Bergbau, Kunst und Handwerk aus deutschen Landen zu¬ gegangen ist, und dafür kleine slawische Stege zu zimmern, über die das alles gegangen sein soll. Mit Hankas literarischen Betrüge und Palaekys böhmischer Geschichtschreibung, die arglos dessen vermeintlichen Funde verwertete, begann das Tschechentum leise die Fahne zu eutfalten. Vorher schien die tschechische Sprache fast erloschen zu sein, der durchaus tschechisch gesinnte Franz Pelzel, der 1774 das für lange Zeit beste Handbuch der böhmischen Geschichte herausgab, sagt darin: "Die tschechische Sprache ist jetzt nur unter einem Teile der Bürger-
Böhmen
eigne» Zuchtlosigkeit sein werden, können sie in der polnischen Geschichte nach¬ lesen, die gerade in bezug ans die orientalische Frage sehr beachtenswerte Ana¬ logien mit der Ungarns aufweist.
Böhmen (Schluß)
er Episode mit der Königinhofer Handschrift ist darum aus¬ führlicher gedacht worden, weil sie typisch für die gesamte neu- literarische Bewegung der Tschechen ist. Ihre leitenden Gedanken dabei sind der Deutschenhaß und die Sucht, die Rolle einer großen Nation zu spielen, zu der sie doch nun einmal vom Geschick nicht bestimmt sind, und zu der sie es auch nie bringen können. Sie hatten wohl die Größe und die Wirkung der deutschen Literatur und Kunst vor Augen, als sie eine eigne schaffen wollten, wobei sie ja sehr Anerkennenswertes geleistet haben. Aber ihr Weg ist ganz unähnlich dem großen Zuge, den einst die deutsche Blüte der Kunst und der Wissenschaft genommen hat. Es handelt sich um den modernen Versuch, den die nationale Anspannung des verflossenen Jahrhunderts auch in andern kleinen Nationen angeregt hat, sich aus Patriotismus, also aus dem Bedürfnis eines nationalen Fortschritts, eine tendenziöse Literatur großzuziehn. Was dort die nicht bewußt erreichte Wirkung war, soll hier der Anfang sein. So dient Kunst und Poesie von vornherein der Politik, sie wird zum großen Teil künstlich gepflegt und gepriesen, der wissenschaftliche und der künstlerische Wert der einzelnen Leistungen gilt in vielen Fällen geringer als der politische Zweck. Die Wirkung, die zum Teil vorausgenommen wird, kann nicht dieselbe sein, wie dort, anch kann die größte Regsamkeit, sogar der angespannteste Fana¬ tismus einer kleinen Nation höchstens vorübergehend leisten, was der großen bei ungestörter Entwicklung aus der innern Fülle von selbst kam. Wohl kann in den äußern Erscheinungen durch unverdrossene Selbstaufopfrnng manches erreicht werden, was die eignen Kreise und auch näherstehende, vielleicht den kleinmütigen Gegner sogar täuscht, aber die Treibhauspflanze wird nie die wahre Volkskraft der Natur erreichen, nicht weiter fruchtbringende Samen tragen. Es nützt ihnen nichts, die große Weltbrücke leugnen zu wollen, auf denen allen Slawen die Weltsprache des Mittelalters, das Latein, der Glaube des gekreuzigten Christus, alle Wissenschaft, Verkehrsrecht und Kriegführung, Landwirtschaft und Bergbau, Kunst und Handwerk aus deutschen Landen zu¬ gegangen ist, und dafür kleine slawische Stege zu zimmern, über die das alles gegangen sein soll. Mit Hankas literarischen Betrüge und Palaekys böhmischer Geschichtschreibung, die arglos dessen vermeintlichen Funde verwertete, begann das Tschechentum leise die Fahne zu eutfalten. Vorher schien die tschechische Sprache fast erloschen zu sein, der durchaus tschechisch gesinnte Franz Pelzel, der 1774 das für lange Zeit beste Handbuch der böhmischen Geschichte herausgab, sagt darin: „Die tschechische Sprache ist jetzt nur unter einem Teile der Bürger-
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Böhmen
eigne» Zuchtlosigkeit sein werden, können sie in der polnischen Geschichte nach¬
lesen, die gerade in bezug ans die orientalische Frage sehr beachtenswerte Ana¬
logien mit der Ungarns aufweist.
Böhmen
(Schluß)
er Episode mit der Königinhofer Handschrift ist darum aus¬
führlicher gedacht worden, weil sie typisch für die gesamte neu-
literarische Bewegung der Tschechen ist. Ihre leitenden Gedanken
dabei sind der Deutschenhaß und die Sucht, die Rolle einer großen
Nation zu spielen, zu der sie doch nun einmal vom Geschick nicht
bestimmt sind, und zu der sie es auch nie bringen können. Sie hatten wohl die
Größe und die Wirkung der deutschen Literatur und Kunst vor Augen, als sie
eine eigne schaffen wollten, wobei sie ja sehr Anerkennenswertes geleistet haben.
Aber ihr Weg ist ganz unähnlich dem großen Zuge, den einst die deutsche Blüte
der Kunst und der Wissenschaft genommen hat. Es handelt sich um den modernen
Versuch, den die nationale Anspannung des verflossenen Jahrhunderts auch in
andern kleinen Nationen angeregt hat, sich aus Patriotismus, also aus dem
Bedürfnis eines nationalen Fortschritts, eine tendenziöse Literatur großzuziehn.
Was dort die nicht bewußt erreichte Wirkung war, soll hier der Anfang sein.
So dient Kunst und Poesie von vornherein der Politik, sie wird zum großen
Teil künstlich gepflegt und gepriesen, der wissenschaftliche und der künstlerische
Wert der einzelnen Leistungen gilt in vielen Fällen geringer als der politische
Zweck. Die Wirkung, die zum Teil vorausgenommen wird, kann nicht dieselbe
sein, wie dort, anch kann die größte Regsamkeit, sogar der angespannteste Fana¬
tismus einer kleinen Nation höchstens vorübergehend leisten, was der großen
bei ungestörter Entwicklung aus der innern Fülle von selbst kam. Wohl kann
in den äußern Erscheinungen durch unverdrossene Selbstaufopfrnng manches
erreicht werden, was die eignen Kreise und auch näherstehende, vielleicht den
kleinmütigen Gegner sogar täuscht, aber die Treibhauspflanze wird nie die
wahre Volkskraft der Natur erreichen, nicht weiter fruchtbringende Samen
tragen. Es nützt ihnen nichts, die große Weltbrücke leugnen zu wollen, auf
denen allen Slawen die Weltsprache des Mittelalters, das Latein, der Glaube
des gekreuzigten Christus, alle Wissenschaft, Verkehrsrecht und Kriegführung,
Landwirtschaft und Bergbau, Kunst und Handwerk aus deutschen Landen zu¬
gegangen ist, und dafür kleine slawische Stege zu zimmern, über die das alles
gegangen sein soll. Mit Hankas literarischen Betrüge und Palaekys böhmischer
Geschichtschreibung, die arglos dessen vermeintlichen Funde verwertete, begann
das Tschechentum leise die Fahne zu eutfalten. Vorher schien die tschechische
Sprache fast erloschen zu sein, der durchaus tschechisch gesinnte Franz Pelzel, der
1774 das für lange Zeit beste Handbuch der böhmischen Geschichte herausgab,
sagt darin: „Die tschechische Sprache ist jetzt nur unter einem Teile der Bürger-
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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/347>, abgerufen am 24.11.2024.
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