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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Die orientalische Frage

flusses auf die innere Gestaltung der Dinge in Ungarn und lieferte damit
die für die Machtstellung der Monarchie so bedeutsame südslawische Frage
dem Magyarentum aus, das sie durch seiue seit 1868 befolgte Politik uicht
einer gedeihlichen, sondern einer für den Gesamtstaat kritischen Lösung näher¬
gebracht hat, -- Es ist bekannt, wie sehr man sich in Pest gegen die Okku¬
pation Bosniens und der Herzegowina sträubte, und alljährlich kann man in
der ungarischen Delegation das "Hötsrunr osnsso des beschränkten Magharen-
tums hören, daß die Monarchie auf der Balkanhalbinsel nichts zu suchen
habe; wann immer matt in Wien den Versuch machte, tütig in die Entwicklung
der Dinge im Orient einzugreifen, immer trat man seit Andrassy von Pest
aus hindernd dazwischen in der Überzeugung, daß eine tätige Orientvolitik
der Monarchie verworfen werden müsse, weil sie nicht anders als südslawisch
sein könne, dadurch aber die Stellung des Magyarentums gegenüber den
ungarländischcn Südslawen ungünstig beeinflußt werden würde. Indem die
Pester Politik so jede Machtentfaltung der Monarchie in der orientalischen
Frage verhindert, lockert sie aber zugleich dnrch ihre brutalen, gewalttätige"
Magyarisiernngsbestrebungen den Zusammenhang der der Monarchie ange¬
hörenden Südslawen mit dieser und bereitet dadurch die Lösung der süd¬
slawischen Frage außerhalb des Nahmens der Monarchie vor.

Das Zusammentreffen der blutigen Unruhen in Kroatien, dieser natür¬
lichen Wirkung magyarischer Verwaltung, und der letzten Belgrader Palast¬
revolution mag zufällig sein, aber die dabei erfolgte Annäherung zwischen den
einander sonst so feindlichen Serben und Kroaten, sowie der Umstand, daß
bei dem serbischen Thronwechsel großserbische Unterströmungen mittütig waren,
sind eine ernste Mahnung für die Staatsmänner Österreich-Ungarns, daß die
Monarchie mit der bisherigen armseligen orientalischen Politik, die sich auf
ein paar tausend katholische Albanesen stützen zu können vermeint, in schlechter
Kopierung der russischen Politik Bosnien mit Hilfe einer katholischen Pro¬
paganda österreichisch machen will und die Lösung der südslawischen Frage
darin gefunden zu haben glaubt, daß sie Serben und Kroaten gegeneinander
ausspielt, wirkliche dauernde Erfolge nicht erzielen kann.

Leider ist man in Österreich-Ungarn von jeher gewöhnt, die Ursachen
mangelnder Erfolge nicht so sehr in der eignen Politik als in der andrer zu
suche", und darum stößt man auch nicht selten auf die Meinung, daß Deutsch-
land an der wenig erfreulichen Entwicklung der Dinge an der Südoftgrenze
der Monarchie schuld, und das deutsch-österreichische Bündnis ein leoninischer
Vertrag sei, weil es Österreich gar nichts biete, nicht einmal eine Bürgschaft
seiner Machtstellung im Orient. In tschechischen Blättern bildet diese "patrio¬
tische" Klage eine stehende Rubrik, in der österreichischen lind neustens auch
in der ungarischen Delegation hat sie sich eingebürgert, und es ist sehr zu be¬
dauern, daß man sich an verantwortlicher Stelle bisher nicht die Mühe ge¬
nommen hat, an der Hand der historischen Entwicklung der orientalischen
Frage das Ungereimte dieser Angriffe auf das deutsch-österreichische Bündnis
nachzuweisen.

Zunächst wird um, die Frage beantworten müssen, ob Deutschland über-


Die orientalische Frage

flusses auf die innere Gestaltung der Dinge in Ungarn und lieferte damit
die für die Machtstellung der Monarchie so bedeutsame südslawische Frage
dem Magyarentum aus, das sie durch seiue seit 1868 befolgte Politik uicht
einer gedeihlichen, sondern einer für den Gesamtstaat kritischen Lösung näher¬
gebracht hat, — Es ist bekannt, wie sehr man sich in Pest gegen die Okku¬
pation Bosniens und der Herzegowina sträubte, und alljährlich kann man in
der ungarischen Delegation das «Hötsrunr osnsso des beschränkten Magharen-
tums hören, daß die Monarchie auf der Balkanhalbinsel nichts zu suchen
habe; wann immer matt in Wien den Versuch machte, tütig in die Entwicklung
der Dinge im Orient einzugreifen, immer trat man seit Andrassy von Pest
aus hindernd dazwischen in der Überzeugung, daß eine tätige Orientvolitik
der Monarchie verworfen werden müsse, weil sie nicht anders als südslawisch
sein könne, dadurch aber die Stellung des Magyarentums gegenüber den
ungarländischcn Südslawen ungünstig beeinflußt werden würde. Indem die
Pester Politik so jede Machtentfaltung der Monarchie in der orientalischen
Frage verhindert, lockert sie aber zugleich dnrch ihre brutalen, gewalttätige»
Magyarisiernngsbestrebungen den Zusammenhang der der Monarchie ange¬
hörenden Südslawen mit dieser und bereitet dadurch die Lösung der süd¬
slawischen Frage außerhalb des Nahmens der Monarchie vor.

Das Zusammentreffen der blutigen Unruhen in Kroatien, dieser natür¬
lichen Wirkung magyarischer Verwaltung, und der letzten Belgrader Palast¬
revolution mag zufällig sein, aber die dabei erfolgte Annäherung zwischen den
einander sonst so feindlichen Serben und Kroaten, sowie der Umstand, daß
bei dem serbischen Thronwechsel großserbische Unterströmungen mittütig waren,
sind eine ernste Mahnung für die Staatsmänner Österreich-Ungarns, daß die
Monarchie mit der bisherigen armseligen orientalischen Politik, die sich auf
ein paar tausend katholische Albanesen stützen zu können vermeint, in schlechter
Kopierung der russischen Politik Bosnien mit Hilfe einer katholischen Pro¬
paganda österreichisch machen will und die Lösung der südslawischen Frage
darin gefunden zu haben glaubt, daß sie Serben und Kroaten gegeneinander
ausspielt, wirkliche dauernde Erfolge nicht erzielen kann.

Leider ist man in Österreich-Ungarn von jeher gewöhnt, die Ursachen
mangelnder Erfolge nicht so sehr in der eignen Politik als in der andrer zu
suche», und darum stößt man auch nicht selten auf die Meinung, daß Deutsch-
land an der wenig erfreulichen Entwicklung der Dinge an der Südoftgrenze
der Monarchie schuld, und das deutsch-österreichische Bündnis ein leoninischer
Vertrag sei, weil es Österreich gar nichts biete, nicht einmal eine Bürgschaft
seiner Machtstellung im Orient. In tschechischen Blättern bildet diese „patrio¬
tische" Klage eine stehende Rubrik, in der österreichischen lind neustens auch
in der ungarischen Delegation hat sie sich eingebürgert, und es ist sehr zu be¬
dauern, daß man sich an verantwortlicher Stelle bisher nicht die Mühe ge¬
nommen hat, an der Hand der historischen Entwicklung der orientalischen
Frage das Ungereimte dieser Angriffe auf das deutsch-österreichische Bündnis
nachzuweisen.

Zunächst wird um, die Frage beantworten müssen, ob Deutschland über-


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[0343] Die orientalische Frage flusses auf die innere Gestaltung der Dinge in Ungarn und lieferte damit die für die Machtstellung der Monarchie so bedeutsame südslawische Frage dem Magyarentum aus, das sie durch seiue seit 1868 befolgte Politik uicht einer gedeihlichen, sondern einer für den Gesamtstaat kritischen Lösung näher¬ gebracht hat, — Es ist bekannt, wie sehr man sich in Pest gegen die Okku¬ pation Bosniens und der Herzegowina sträubte, und alljährlich kann man in der ungarischen Delegation das «Hötsrunr osnsso des beschränkten Magharen- tums hören, daß die Monarchie auf der Balkanhalbinsel nichts zu suchen habe; wann immer matt in Wien den Versuch machte, tütig in die Entwicklung der Dinge im Orient einzugreifen, immer trat man seit Andrassy von Pest aus hindernd dazwischen in der Überzeugung, daß eine tätige Orientvolitik der Monarchie verworfen werden müsse, weil sie nicht anders als südslawisch sein könne, dadurch aber die Stellung des Magyarentums gegenüber den ungarländischcn Südslawen ungünstig beeinflußt werden würde. Indem die Pester Politik so jede Machtentfaltung der Monarchie in der orientalischen Frage verhindert, lockert sie aber zugleich dnrch ihre brutalen, gewalttätige» Magyarisiernngsbestrebungen den Zusammenhang der der Monarchie ange¬ hörenden Südslawen mit dieser und bereitet dadurch die Lösung der süd¬ slawischen Frage außerhalb des Nahmens der Monarchie vor. Das Zusammentreffen der blutigen Unruhen in Kroatien, dieser natür¬ lichen Wirkung magyarischer Verwaltung, und der letzten Belgrader Palast¬ revolution mag zufällig sein, aber die dabei erfolgte Annäherung zwischen den einander sonst so feindlichen Serben und Kroaten, sowie der Umstand, daß bei dem serbischen Thronwechsel großserbische Unterströmungen mittütig waren, sind eine ernste Mahnung für die Staatsmänner Österreich-Ungarns, daß die Monarchie mit der bisherigen armseligen orientalischen Politik, die sich auf ein paar tausend katholische Albanesen stützen zu können vermeint, in schlechter Kopierung der russischen Politik Bosnien mit Hilfe einer katholischen Pro¬ paganda österreichisch machen will und die Lösung der südslawischen Frage darin gefunden zu haben glaubt, daß sie Serben und Kroaten gegeneinander ausspielt, wirkliche dauernde Erfolge nicht erzielen kann. Leider ist man in Österreich-Ungarn von jeher gewöhnt, die Ursachen mangelnder Erfolge nicht so sehr in der eignen Politik als in der andrer zu suche», und darum stößt man auch nicht selten auf die Meinung, daß Deutsch- land an der wenig erfreulichen Entwicklung der Dinge an der Südoftgrenze der Monarchie schuld, und das deutsch-österreichische Bündnis ein leoninischer Vertrag sei, weil es Österreich gar nichts biete, nicht einmal eine Bürgschaft seiner Machtstellung im Orient. In tschechischen Blättern bildet diese „patrio¬ tische" Klage eine stehende Rubrik, in der österreichischen lind neustens auch in der ungarischen Delegation hat sie sich eingebürgert, und es ist sehr zu be¬ dauern, daß man sich an verantwortlicher Stelle bisher nicht die Mühe ge¬ nommen hat, an der Hand der historischen Entwicklung der orientalischen Frage das Ungereimte dieser Angriffe auf das deutsch-österreichische Bündnis nachzuweisen. Zunächst wird um, die Frage beantworten müssen, ob Deutschland über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/343>, abgerufen am 28.07.2024.