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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Der Marquis von Marigny

reiche, und die nächste französische Post erst am 26. Januar abginge. Perl sei ein
ärmliches Nest, wo kaum etwas zu essen zu bekommen sei. Diese Mitteilung reichte
aus, den alten Herrn trotz seiner Ungeduld in Trier zurückzuhalten. Wieviel lieber
freilich wäre er Weitergcrcist, wenn möglich noch an demselben Abend! Was würde
er darum gegeben haben, wenn er die Nacht anstatt in seinem behaglichen Gast-
hvfsbett auf der harten Schwelle des königlichen Kerkers hätte verbringen dürfen!
Aber was nützte alles Klagen? Er mußte eben bis zum 25. in Trier bleiben!

Zum Glück wohnten im "Römischen Kaiser," wo Marigny abgestiegen war,
mehrere seiner emigrierten Landsleute. Mnu kannte sich gegenseitig zwar nicht,
aber die gemeinsame Not und Sorge knüpften jetzt in einer einzigen Stunde festere
Bande der Freundschaft als früher ein jahrelanger Verkehr. Wenn der Marquis
den Schicksalsgefährten trotzdem den Zweck seiner Reise verschwieg, so geschah es,
weil er voraussah, daß sie versuchen würden, ihn von seinem, wie er längst em¬
pfand, aussichtslosen Vorsatze abzubringen. Ach, diese Leute aHuten ja nicht, was
ihn nach Paris trieb! Sie würden seine Gründe weder verstanden noch gebilligt
haben!

Am zweiten Tage nach seiner Ankunft fand Marigny, als er zum Frühstück
in das Gastzimmer trat, seine neuen Freunde in großer Erregung. Man erzählte
ihm, daß frühmorgens ein französischer Patriot, der schon vor Monaten in der
Stadt gelebt und sich den Behörden verdächtig gemacht habe, schwer verwundet
und demi Tode nahe am Katharinenufer aufgefunden worden sei. Der Wirt einer
kleinen Herberge ganz in der Nähe habe ausgesagt, der Fremde wäre erst am
Abend vorher angekommen und nach dem Abendessen noch einmal weggegangen,
um einen Bekannten zu besuchen. Von diesem Gange sei er nicht zurückgekehrt.
Der Chirurgus, der dem Sterbenden Beistand geleistet und seine Wunden unter¬
sucht hätte, sollte auf das bestimmteste erklärt haben, die Verletzungen rührten von
einer sehr schmalen Degenklinge her, wie sie die französischen Kavaliere zu tragen
pflegten. Nun sei es ja möglich, daß sich der Mörder eines französischen Degens
bedient habe, aber damit sei keineswegs bewiesen, daß er selbst auch ein Franzose
sein müsse. Dies sei sogar völlig ausgeschlossen, da man einem Royalisten doch
nicht zutrauen könne, er werde an einem wehrlosen und noch dazu schon bejahrten
Manne einen Meuchelmord begehen.

Obwohl die Emigranten den bisher von keinem Menschen ausgesprochnen Ver¬
dacht, als könne einer von ihnen der Täter sein, im voraus sehr eifrig zurück-
wiesen, verrieten sie durch ihr Benehmen, daß jeder von ihnen dem andern die
Tat wohl zutraute, wie sie auch den Wirt zum Zeugen dafür anriefen, daß sie in
der fraglichen Nacht den Gasthof nicht verlassen hätten.

Marigny machte sich über den seltsamen Vorgang seine eignen Gedanken,
glaubte aber nicht fehl zu gehn, wenn er das Gehörte mit den nächtlichen Erleb¬
nissen in Kochen in Verbindung brachte.

Wie vorauszusehen war, stellte die Polizei auch unter den Gästen des "Rö¬
mischen Kaisers" Nachforschungen an, die freilich nichts andres ergaben, als daß
die Herren in der Nacht zum 23. Januar samt und sonders wie gesittete Bürger
in ihren Betten gelegen hatten. Als ihre Unschuld erwiesen war, glaubten sie es
ihrer Ehre schuldig zu sei", nach Kräften auf die Polizei zu schimpfen, die Mord
und Totschlag mitten in der belebten Stadt nicht zu verhindern wisse und hinter¬
her die ehrenwertesten Leute verdächtigte. Mau erhitzte sich gegenseitig durch solche
Reden immer mehr und faßte endlich sogar den Entschluß, dem Kurfürsten eine
Beschwerdeschrift einzureichen und die strengste Bestrafung der schuldigen Beamten
zu verlangen.

Aber soweit sollte es nicht kommen. Die Nachricht von der Verurteilung
Ludwigs des Sechzehnte" verursachte, daß alles andre in den Hintergrund trat.
Auch die unter den Emigranten, die diesen letzten vernichtenden Schlag gegen das
Königtum und die Dynastie vorausgesehen hatten, waren unter dem Eindruck des
Geschehenen wie gelähmt. Immer gab es freilich noch Einzelne, die sich mit


Der Marquis von Marigny

reiche, und die nächste französische Post erst am 26. Januar abginge. Perl sei ein
ärmliches Nest, wo kaum etwas zu essen zu bekommen sei. Diese Mitteilung reichte
aus, den alten Herrn trotz seiner Ungeduld in Trier zurückzuhalten. Wieviel lieber
freilich wäre er Weitergcrcist, wenn möglich noch an demselben Abend! Was würde
er darum gegeben haben, wenn er die Nacht anstatt in seinem behaglichen Gast-
hvfsbett auf der harten Schwelle des königlichen Kerkers hätte verbringen dürfen!
Aber was nützte alles Klagen? Er mußte eben bis zum 25. in Trier bleiben!

Zum Glück wohnten im „Römischen Kaiser," wo Marigny abgestiegen war,
mehrere seiner emigrierten Landsleute. Mnu kannte sich gegenseitig zwar nicht,
aber die gemeinsame Not und Sorge knüpften jetzt in einer einzigen Stunde festere
Bande der Freundschaft als früher ein jahrelanger Verkehr. Wenn der Marquis
den Schicksalsgefährten trotzdem den Zweck seiner Reise verschwieg, so geschah es,
weil er voraussah, daß sie versuchen würden, ihn von seinem, wie er längst em¬
pfand, aussichtslosen Vorsatze abzubringen. Ach, diese Leute aHuten ja nicht, was
ihn nach Paris trieb! Sie würden seine Gründe weder verstanden noch gebilligt
haben!

Am zweiten Tage nach seiner Ankunft fand Marigny, als er zum Frühstück
in das Gastzimmer trat, seine neuen Freunde in großer Erregung. Man erzählte
ihm, daß frühmorgens ein französischer Patriot, der schon vor Monaten in der
Stadt gelebt und sich den Behörden verdächtig gemacht habe, schwer verwundet
und demi Tode nahe am Katharinenufer aufgefunden worden sei. Der Wirt einer
kleinen Herberge ganz in der Nähe habe ausgesagt, der Fremde wäre erst am
Abend vorher angekommen und nach dem Abendessen noch einmal weggegangen,
um einen Bekannten zu besuchen. Von diesem Gange sei er nicht zurückgekehrt.
Der Chirurgus, der dem Sterbenden Beistand geleistet und seine Wunden unter¬
sucht hätte, sollte auf das bestimmteste erklärt haben, die Verletzungen rührten von
einer sehr schmalen Degenklinge her, wie sie die französischen Kavaliere zu tragen
pflegten. Nun sei es ja möglich, daß sich der Mörder eines französischen Degens
bedient habe, aber damit sei keineswegs bewiesen, daß er selbst auch ein Franzose
sein müsse. Dies sei sogar völlig ausgeschlossen, da man einem Royalisten doch
nicht zutrauen könne, er werde an einem wehrlosen und noch dazu schon bejahrten
Manne einen Meuchelmord begehen.

Obwohl die Emigranten den bisher von keinem Menschen ausgesprochnen Ver¬
dacht, als könne einer von ihnen der Täter sein, im voraus sehr eifrig zurück-
wiesen, verrieten sie durch ihr Benehmen, daß jeder von ihnen dem andern die
Tat wohl zutraute, wie sie auch den Wirt zum Zeugen dafür anriefen, daß sie in
der fraglichen Nacht den Gasthof nicht verlassen hätten.

Marigny machte sich über den seltsamen Vorgang seine eignen Gedanken,
glaubte aber nicht fehl zu gehn, wenn er das Gehörte mit den nächtlichen Erleb¬
nissen in Kochen in Verbindung brachte.

Wie vorauszusehen war, stellte die Polizei auch unter den Gästen des „Rö¬
mischen Kaisers" Nachforschungen an, die freilich nichts andres ergaben, als daß
die Herren in der Nacht zum 23. Januar samt und sonders wie gesittete Bürger
in ihren Betten gelegen hatten. Als ihre Unschuld erwiesen war, glaubten sie es
ihrer Ehre schuldig zu sei», nach Kräften auf die Polizei zu schimpfen, die Mord
und Totschlag mitten in der belebten Stadt nicht zu verhindern wisse und hinter¬
her die ehrenwertesten Leute verdächtigte. Mau erhitzte sich gegenseitig durch solche
Reden immer mehr und faßte endlich sogar den Entschluß, dem Kurfürsten eine
Beschwerdeschrift einzureichen und die strengste Bestrafung der schuldigen Beamten
zu verlangen.

Aber soweit sollte es nicht kommen. Die Nachricht von der Verurteilung
Ludwigs des Sechzehnte« verursachte, daß alles andre in den Hintergrund trat.
Auch die unter den Emigranten, die diesen letzten vernichtenden Schlag gegen das
Königtum und die Dynastie vorausgesehen hatten, waren unter dem Eindruck des
Geschehenen wie gelähmt. Immer gab es freilich noch Einzelne, die sich mit


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[0314] Der Marquis von Marigny reiche, und die nächste französische Post erst am 26. Januar abginge. Perl sei ein ärmliches Nest, wo kaum etwas zu essen zu bekommen sei. Diese Mitteilung reichte aus, den alten Herrn trotz seiner Ungeduld in Trier zurückzuhalten. Wieviel lieber freilich wäre er Weitergcrcist, wenn möglich noch an demselben Abend! Was würde er darum gegeben haben, wenn er die Nacht anstatt in seinem behaglichen Gast- hvfsbett auf der harten Schwelle des königlichen Kerkers hätte verbringen dürfen! Aber was nützte alles Klagen? Er mußte eben bis zum 25. in Trier bleiben! Zum Glück wohnten im „Römischen Kaiser," wo Marigny abgestiegen war, mehrere seiner emigrierten Landsleute. Mnu kannte sich gegenseitig zwar nicht, aber die gemeinsame Not und Sorge knüpften jetzt in einer einzigen Stunde festere Bande der Freundschaft als früher ein jahrelanger Verkehr. Wenn der Marquis den Schicksalsgefährten trotzdem den Zweck seiner Reise verschwieg, so geschah es, weil er voraussah, daß sie versuchen würden, ihn von seinem, wie er längst em¬ pfand, aussichtslosen Vorsatze abzubringen. Ach, diese Leute aHuten ja nicht, was ihn nach Paris trieb! Sie würden seine Gründe weder verstanden noch gebilligt haben! Am zweiten Tage nach seiner Ankunft fand Marigny, als er zum Frühstück in das Gastzimmer trat, seine neuen Freunde in großer Erregung. Man erzählte ihm, daß frühmorgens ein französischer Patriot, der schon vor Monaten in der Stadt gelebt und sich den Behörden verdächtig gemacht habe, schwer verwundet und demi Tode nahe am Katharinenufer aufgefunden worden sei. Der Wirt einer kleinen Herberge ganz in der Nähe habe ausgesagt, der Fremde wäre erst am Abend vorher angekommen und nach dem Abendessen noch einmal weggegangen, um einen Bekannten zu besuchen. Von diesem Gange sei er nicht zurückgekehrt. Der Chirurgus, der dem Sterbenden Beistand geleistet und seine Wunden unter¬ sucht hätte, sollte auf das bestimmteste erklärt haben, die Verletzungen rührten von einer sehr schmalen Degenklinge her, wie sie die französischen Kavaliere zu tragen pflegten. Nun sei es ja möglich, daß sich der Mörder eines französischen Degens bedient habe, aber damit sei keineswegs bewiesen, daß er selbst auch ein Franzose sein müsse. Dies sei sogar völlig ausgeschlossen, da man einem Royalisten doch nicht zutrauen könne, er werde an einem wehrlosen und noch dazu schon bejahrten Manne einen Meuchelmord begehen. Obwohl die Emigranten den bisher von keinem Menschen ausgesprochnen Ver¬ dacht, als könne einer von ihnen der Täter sein, im voraus sehr eifrig zurück- wiesen, verrieten sie durch ihr Benehmen, daß jeder von ihnen dem andern die Tat wohl zutraute, wie sie auch den Wirt zum Zeugen dafür anriefen, daß sie in der fraglichen Nacht den Gasthof nicht verlassen hätten. Marigny machte sich über den seltsamen Vorgang seine eignen Gedanken, glaubte aber nicht fehl zu gehn, wenn er das Gehörte mit den nächtlichen Erleb¬ nissen in Kochen in Verbindung brachte. Wie vorauszusehen war, stellte die Polizei auch unter den Gästen des „Rö¬ mischen Kaisers" Nachforschungen an, die freilich nichts andres ergaben, als daß die Herren in der Nacht zum 23. Januar samt und sonders wie gesittete Bürger in ihren Betten gelegen hatten. Als ihre Unschuld erwiesen war, glaubten sie es ihrer Ehre schuldig zu sei», nach Kräften auf die Polizei zu schimpfen, die Mord und Totschlag mitten in der belebten Stadt nicht zu verhindern wisse und hinter¬ her die ehrenwertesten Leute verdächtigte. Mau erhitzte sich gegenseitig durch solche Reden immer mehr und faßte endlich sogar den Entschluß, dem Kurfürsten eine Beschwerdeschrift einzureichen und die strengste Bestrafung der schuldigen Beamten zu verlangen. Aber soweit sollte es nicht kommen. Die Nachricht von der Verurteilung Ludwigs des Sechzehnte« verursachte, daß alles andre in den Hintergrund trat. Auch die unter den Emigranten, die diesen letzten vernichtenden Schlag gegen das Königtum und die Dynastie vorausgesehen hatten, waren unter dem Eindruck des Geschehenen wie gelähmt. Immer gab es freilich noch Einzelne, die sich mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/314>, abgerufen am 01.09.2024.