Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Der Marquis von Marigny Türme der winzigen Dorfkirchen, immer dieselben efeuumsponnenen Mauerreste einer Menschen bemerkte der Marquis auf der Landstraße so gut wie gar nicht, In Kochen hatte der Marquis ein andres Erlebnis, das ihn nicht minder Was habt Ihr denn zu ihm gesagt, guter Mann? fragte der wackre Schwager, Ich habe ihn sehr höflich gefragt, wieviel Uhr es sei. Dann seid froh, daß er Euch uicht das Rebmcsser in den Leib gestoßen hat. Und als ihn Marigny dann um weitere Aufklärung bat, erzählte er geheimnis¬ In der Gaststube der Posthalterei, wo ein paar Bürger "och bei ihrem Der Marquis von Marigny Türme der winzigen Dorfkirchen, immer dieselben efeuumsponnenen Mauerreste einer Menschen bemerkte der Marquis auf der Landstraße so gut wie gar nicht, In Kochen hatte der Marquis ein andres Erlebnis, das ihn nicht minder Was habt Ihr denn zu ihm gesagt, guter Mann? fragte der wackre Schwager, Ich habe ihn sehr höflich gefragt, wieviel Uhr es sei. Dann seid froh, daß er Euch uicht das Rebmcsser in den Leib gestoßen hat. Und als ihn Marigny dann um weitere Aufklärung bat, erzählte er geheimnis¬ In der Gaststube der Posthalterei, wo ein paar Bürger »och bei ihrem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0311" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241525"/> <fw type="header" place="top"> Der Marquis von Marigny</fw><lb/> <p xml:id="ID_1224" prev="#ID_1223"> Türme der winzigen Dorfkirchen, immer dieselben efeuumsponnenen Mauerreste einer<lb/> längst überflüssig'gewordnen Befestigung!</p><lb/> <p xml:id="ID_1225"> Menschen bemerkte der Marquis auf der Landstraße so gut wie gar nicht,<lb/> in den Dörfern nur selten. Es war. als hielte die Bevölkerung ihren Winter-<lb/> schlaf. um sich für die mühevolle Wiuzerarbeit des kommenden ^"hlings nach<lb/> Kräften zu stärken. Und wenn der alte Herr während des Pferdewechsels den<lb/> Postwagen verließ und wirklich das Glück hatte, einen der Ortseingesessenen zu<lb/> treffen, mit dem er in seinem gebrochnen Deutsch ein Gespräch anzuknüpfen ver¬<lb/> suchte, so erhielt er so kurze und unfreundliche Antworten, daß er es meist vorzog,<lb/> den unliebenswürdigen Eingebornen stehn zu lassen und mißmutig semen Platz in<lb/> der Kutsche wieder aufzusuchen. Der gute Marquis ahnte glücklicherweise acht,<lb/> weshalb man in dieser Gegend so wenig von ihm wissen wollte. An seiner Sprache<lb/> erkannte man nämlich den Franzosen, an seinem Wesen und seiner Kleidung den<lb/> Aristokraten, und mit französischen Aristokraten hatte man im letzten Sommer hier<lb/> allenthalben so schlimme Erfahrungen gemacht, daß niemand Neigung verspürte,<lb/> die Bekanntschaft mit dieser Sorte Von Menschen zu erneuern. Die Herrschaften<lb/> hatten sich schlimmer betragen, als ob sie in Feindesland gewesen wären, hatten<lb/> requiriert, was thuen des Mitnehmcns wert schien, und sich nicht gescheut, in Gast-<lb/> Höfen und Schenken die Zeche schuldig zu bleiben oder mit falscher Münze zu be¬<lb/> zahlen. Von alledem wußte der alte Edelmann, der gewohnt war, seine Standes¬<lb/> genossen für ebenso redlich zu halten, wie er selbst es zu sein sich rühmen durfte,<lb/> nichts, und er erstaunte deshalb nicht wenig, als in Moselkern ein Mann an den<lb/> Postwagen trat, eine lange Liste seltsam geschriebner Namen vorzeigte und sich er¬<lb/> kundigte, ob der Herr wisse, wo er die Leute, die so hießen und die aus Koblenz<lb/> gekommen wären, jetzt wohl finden könne. Als Marigny. der die Namen nicht<lb/> einmal zu entziffern vermochte, der Wahrheit gemäß erklärte, das sei ihm unbe¬<lb/> kannt, faltete der Mann das Papier wieder zusammen und entfernte sich mit der<lb/> Bemerkung, er hoffe, daß sie allesamt vom Teufel geholt worden seien.</p><lb/> <p xml:id="ID_1226"> In Kochen hatte der Marquis ein andres Erlebnis, das ihn nicht minder<lb/> Peinlich berührte. Es war schon in vorgerückter Abendstunde, als der Wagen vor<lb/> der Posthalterei hielt, wo man über Nacht bleiben mußte. Beim Aufsteigen fragte<lb/> der Passagier, dessen Uhr stehn geblieben war. einen gerade des Wegs kommenden<lb/> Bürger nach der Zeit. Statt aller Antwort schlug ihm dieser den Hut vom<lb/> Kopfe und verschwand darauf in einer dunkeln Seitengasse. Der alte Herr, dessen<lb/> Geduld nun zu reißen begann, beschwerte sich über das unerklärliche Betragen des<lb/> fremden Menschen mit bittern Worten beim Postillon.</p><lb/> <p xml:id="ID_1227"> Was habt Ihr denn zu ihm gesagt, guter Mann? fragte der wackre Schwager,<lb/> für deu es Standesunterschiede nicht zu gebe» schien.</p><lb/> <p xml:id="ID_1228"> Ich habe ihn sehr höflich gefragt, wieviel Uhr es sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_1229"> Dann seid froh, daß er Euch uicht das Rebmcsser in den Leib gestoßen hat.<lb/> Das merkt Euch, falls Ihr wieder mal hier durchpassiert! in Kochern darf man<lb/> die Leute uicht uach der Zeit fragen. Das können sie nicht vertragen. Sind von<lb/> alters her schon zuviel damit geuzt worden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1230"> Und als ihn Marigny dann um weitere Aufklärung bat, erzählte er geheimnis¬<lb/> voll aber mit großem Behagen, die Kochemer hätten vor Jahr und Tag ihre<lb/> Sonnenuhr an der Klostermauer mit einem schönen Gehäuse versehen und würden<lb/> seitdem von den Nachbarn so gehänselt, daß es schon manchen blutigen Kopf ge¬<lb/> setzt hätte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1231" next="#ID_1232"> In der Gaststube der Posthalterei, wo ein paar Bürger »och bei ihrem<lb/> Schoppen saßen und die Pariser Ereignisse besprachen, erregte Marignys Erscheinen<lb/> erklärliches Aufsehen. Man musterte ihn mit neugierigen Blicken und rückte, als<lb/> man seine Nationalität erkannte, beiseite. Die guten Leute wußten nicht recht, was<lb/> sie aus einem Manne machen sollten, der wie ein Aristokrat gekleidet war unddabei mutterseelenallein nach Frankreich hineinfuhr. Einer von ihnen, der ein</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0311]
Der Marquis von Marigny
Türme der winzigen Dorfkirchen, immer dieselben efeuumsponnenen Mauerreste einer
längst überflüssig'gewordnen Befestigung!
Menschen bemerkte der Marquis auf der Landstraße so gut wie gar nicht,
in den Dörfern nur selten. Es war. als hielte die Bevölkerung ihren Winter-
schlaf. um sich für die mühevolle Wiuzerarbeit des kommenden ^"hlings nach
Kräften zu stärken. Und wenn der alte Herr während des Pferdewechsels den
Postwagen verließ und wirklich das Glück hatte, einen der Ortseingesessenen zu
treffen, mit dem er in seinem gebrochnen Deutsch ein Gespräch anzuknüpfen ver¬
suchte, so erhielt er so kurze und unfreundliche Antworten, daß er es meist vorzog,
den unliebenswürdigen Eingebornen stehn zu lassen und mißmutig semen Platz in
der Kutsche wieder aufzusuchen. Der gute Marquis ahnte glücklicherweise acht,
weshalb man in dieser Gegend so wenig von ihm wissen wollte. An seiner Sprache
erkannte man nämlich den Franzosen, an seinem Wesen und seiner Kleidung den
Aristokraten, und mit französischen Aristokraten hatte man im letzten Sommer hier
allenthalben so schlimme Erfahrungen gemacht, daß niemand Neigung verspürte,
die Bekanntschaft mit dieser Sorte Von Menschen zu erneuern. Die Herrschaften
hatten sich schlimmer betragen, als ob sie in Feindesland gewesen wären, hatten
requiriert, was thuen des Mitnehmcns wert schien, und sich nicht gescheut, in Gast-
Höfen und Schenken die Zeche schuldig zu bleiben oder mit falscher Münze zu be¬
zahlen. Von alledem wußte der alte Edelmann, der gewohnt war, seine Standes¬
genossen für ebenso redlich zu halten, wie er selbst es zu sein sich rühmen durfte,
nichts, und er erstaunte deshalb nicht wenig, als in Moselkern ein Mann an den
Postwagen trat, eine lange Liste seltsam geschriebner Namen vorzeigte und sich er¬
kundigte, ob der Herr wisse, wo er die Leute, die so hießen und die aus Koblenz
gekommen wären, jetzt wohl finden könne. Als Marigny. der die Namen nicht
einmal zu entziffern vermochte, der Wahrheit gemäß erklärte, das sei ihm unbe¬
kannt, faltete der Mann das Papier wieder zusammen und entfernte sich mit der
Bemerkung, er hoffe, daß sie allesamt vom Teufel geholt worden seien.
In Kochen hatte der Marquis ein andres Erlebnis, das ihn nicht minder
Peinlich berührte. Es war schon in vorgerückter Abendstunde, als der Wagen vor
der Posthalterei hielt, wo man über Nacht bleiben mußte. Beim Aufsteigen fragte
der Passagier, dessen Uhr stehn geblieben war. einen gerade des Wegs kommenden
Bürger nach der Zeit. Statt aller Antwort schlug ihm dieser den Hut vom
Kopfe und verschwand darauf in einer dunkeln Seitengasse. Der alte Herr, dessen
Geduld nun zu reißen begann, beschwerte sich über das unerklärliche Betragen des
fremden Menschen mit bittern Worten beim Postillon.
Was habt Ihr denn zu ihm gesagt, guter Mann? fragte der wackre Schwager,
für deu es Standesunterschiede nicht zu gebe» schien.
Ich habe ihn sehr höflich gefragt, wieviel Uhr es sei.
Dann seid froh, daß er Euch uicht das Rebmcsser in den Leib gestoßen hat.
Das merkt Euch, falls Ihr wieder mal hier durchpassiert! in Kochern darf man
die Leute uicht uach der Zeit fragen. Das können sie nicht vertragen. Sind von
alters her schon zuviel damit geuzt worden.
Und als ihn Marigny dann um weitere Aufklärung bat, erzählte er geheimnis¬
voll aber mit großem Behagen, die Kochemer hätten vor Jahr und Tag ihre
Sonnenuhr an der Klostermauer mit einem schönen Gehäuse versehen und würden
seitdem von den Nachbarn so gehänselt, daß es schon manchen blutigen Kopf ge¬
setzt hätte.
In der Gaststube der Posthalterei, wo ein paar Bürger »och bei ihrem
Schoppen saßen und die Pariser Ereignisse besprachen, erregte Marignys Erscheinen
erklärliches Aufsehen. Man musterte ihn mit neugierigen Blicken und rückte, als
man seine Nationalität erkannte, beiseite. Die guten Leute wußten nicht recht, was
sie aus einem Manne machen sollten, der wie ein Aristokrat gekleidet war unddabei mutterseelenallein nach Frankreich hineinfuhr. Einer von ihnen, der ein
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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
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