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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Aus der Jugendzeit

Kamerad komm, Kamerad komm mit Sack und Pack," Fluchend und lärmend
bückten sich die Soldaten nach den am Boden liegenden kleinen Münzen, rafften
davon zusammen, was sie eben erHaschen konnten, nahmen noch ein paar neue, un¬
mittelbar vorher vom Schuhmacher abgelieferte steife Lederstiefel mit, und weg
waren sie. Für dieses mal war die Gefahr vorüber und alles gut abgelaufen.
Später haben meine Großeltern häufig französische Einquartierung, und zwar immer
Offiziere mit ihren Burschen in ihrem Hause beherbergt und sind immer sehr gut
mit ihnen ausgekommen. Mein Vater war, wenn er davon erzählte, immer voll
Anerkennung für die anständigen und höfliche" Manieren der Franzosen im Gegen¬
satz zu der ungeschlachten Grobheit und Begehrlichkeit späterer russischer oder
bayrischer Einquartierung. Da Quedlinburg unmittelbar nach dem ersten Erscheinen
der Franzosen dem nen gebildeten Königreich Westfalen einverleibt wurde, so war
die Stadt für die französischen Truppen kein feindliches Gebiet, sondern Freundes¬
land. Im allgemeinen haben sich die Franzosen auch bei uns als Freunde betragen.
Immerhin haben sie durch ihre Leichtfertigkeit und Liederlichkeit auch in Quedlin¬
burg in manchen Bürgerhäusern viel Verwüstung angerichtet. Für Frauen und
Mädchen waren sie eine große Gefahr. Von religiöser Sitte und Zucht hielten sie
nichts und spotteten darüber. Die althergebrachte Solidität der Bürgerschaft hat
während der Zeit der französischen Invasion schwer gelitten. Freilich machten sie
dem Puder und bei den Männern dem Haarzvpf, aber ohne Zweifel auch in
andern Verhältnissen manchem alten, langen oder kurzen Zopf ohne viel Federlesens
ein Ende.

Vor dem russische" Feldzuge Napoleons hatte ein französischer Offizier bei
meinen Großeltern längere Zeit im Quartier gelegen und sich mit ihnen und den
Kindern des Hauses angefreundet. Als ihm am ersten Morgen uach seiner An¬
kunft Kaffee zum ersten Frühstück serviert wurde, hatte er diesen mit den Worten
zurückgewiesen: ^" es,es, nix xour solclat. Meine Großmutter war in der größten
Verlegenheit, was sie ihm vorsetzen sollte. Da hatte er plötzlich nach seinem Tschako
gegriffen und war fortgeräumt. Er kam aber bald vergnügt schmunzelnd zurück,
und zwar mit einem Hering, den er quer durch den damals üblichen schmalen Latz
seiner Beinkleider gesteckt hatte. Den Hering brachte er in die Küche. Dort suchte
er meiner Großmutter durch Pantomimen und mit den Worten: NslW, niÄclame,
mÄsnxs deutlich zu machen, daß er Heringssalat haben wolle. Der wurde denn auch
gemacht, und zwar nach Quedlinburger Art äußerst schmackhaft. Der Franzose war
glücklich und bekam seitdem täglich seine Portion Heringssalat zum Frühstück. Dafür
war er so dankbar, daß er im Winter 1812/13, als er aus dem russischen Feld¬
zuge mit einem Kvllett, von dem um den Wachtfeuer" die Schöße abgesengt waren,
zurückkam, in Quedlinburg auf das Rathaus eilte und ein Qnartierbillett eben
mousiöur LoWv verlangte. Er erhielt es auch, aber auf den Namen des ältesten
Sohnes meiner Großeltern Ernst Bosse. Als er in dessen Haus geführt wurde,
schüttelte er unwillig mit dem Kopfe und zerriß das Villele mit den Worten: Nix
monsiizui' Vosso. Dann trollte er ab und fand sich auch richtig auf eigne Hand
zu dem Hause meiner Großeltern. Dort wurde er gastlich aufgenommen und er¬
zählte in seiner nur halb verständlichen Art von den Schreckenstagen in Moskau
und den Leiden der Zranclö armöo in den winterlichen Steppen Rußlands und an
der Beresina, Er erhielt seinen Heringssalat und marschierte nach wenig Tagen
weiter nach Westen, der französischen Heimat zu.

Diese und ähnliche Geschichten kursierten in meiner Jugend vielfach in den
Bürgerhäusern meiner Vaterstadt. Auch von dem unglaublichen Treiben des Königs
Jerome und seines Hofes in Kassel wurde viel gesprochen. Wir Jungen haßten
und verachteten diesen König Hieronymus leidenschaftlich. Die Alten aber zuckten
die Achseln dazu und lobten seine persönliche Gutmütigkeit und Leutseligkeit. Sie
wollten ihn nicht als so schlimm gelten lassen, wie er verrufen wäre. Er sei oft
in die Kasernen gegangen und habe dort das Essen der Soldaten gekostet, und


Aus der Jugendzeit

Kamerad komm, Kamerad komm mit Sack und Pack," Fluchend und lärmend
bückten sich die Soldaten nach den am Boden liegenden kleinen Münzen, rafften
davon zusammen, was sie eben erHaschen konnten, nahmen noch ein paar neue, un¬
mittelbar vorher vom Schuhmacher abgelieferte steife Lederstiefel mit, und weg
waren sie. Für dieses mal war die Gefahr vorüber und alles gut abgelaufen.
Später haben meine Großeltern häufig französische Einquartierung, und zwar immer
Offiziere mit ihren Burschen in ihrem Hause beherbergt und sind immer sehr gut
mit ihnen ausgekommen. Mein Vater war, wenn er davon erzählte, immer voll
Anerkennung für die anständigen und höfliche» Manieren der Franzosen im Gegen¬
satz zu der ungeschlachten Grobheit und Begehrlichkeit späterer russischer oder
bayrischer Einquartierung. Da Quedlinburg unmittelbar nach dem ersten Erscheinen
der Franzosen dem nen gebildeten Königreich Westfalen einverleibt wurde, so war
die Stadt für die französischen Truppen kein feindliches Gebiet, sondern Freundes¬
land. Im allgemeinen haben sich die Franzosen auch bei uns als Freunde betragen.
Immerhin haben sie durch ihre Leichtfertigkeit und Liederlichkeit auch in Quedlin¬
burg in manchen Bürgerhäusern viel Verwüstung angerichtet. Für Frauen und
Mädchen waren sie eine große Gefahr. Von religiöser Sitte und Zucht hielten sie
nichts und spotteten darüber. Die althergebrachte Solidität der Bürgerschaft hat
während der Zeit der französischen Invasion schwer gelitten. Freilich machten sie
dem Puder und bei den Männern dem Haarzvpf, aber ohne Zweifel auch in
andern Verhältnissen manchem alten, langen oder kurzen Zopf ohne viel Federlesens
ein Ende.

Vor dem russische» Feldzuge Napoleons hatte ein französischer Offizier bei
meinen Großeltern längere Zeit im Quartier gelegen und sich mit ihnen und den
Kindern des Hauses angefreundet. Als ihm am ersten Morgen uach seiner An¬
kunft Kaffee zum ersten Frühstück serviert wurde, hatte er diesen mit den Worten
zurückgewiesen: ^» es,es, nix xour solclat. Meine Großmutter war in der größten
Verlegenheit, was sie ihm vorsetzen sollte. Da hatte er plötzlich nach seinem Tschako
gegriffen und war fortgeräumt. Er kam aber bald vergnügt schmunzelnd zurück,
und zwar mit einem Hering, den er quer durch den damals üblichen schmalen Latz
seiner Beinkleider gesteckt hatte. Den Hering brachte er in die Küche. Dort suchte
er meiner Großmutter durch Pantomimen und mit den Worten: NslW, niÄclame,
mÄsnxs deutlich zu machen, daß er Heringssalat haben wolle. Der wurde denn auch
gemacht, und zwar nach Quedlinburger Art äußerst schmackhaft. Der Franzose war
glücklich und bekam seitdem täglich seine Portion Heringssalat zum Frühstück. Dafür
war er so dankbar, daß er im Winter 1812/13, als er aus dem russischen Feld¬
zuge mit einem Kvllett, von dem um den Wachtfeuer» die Schöße abgesengt waren,
zurückkam, in Quedlinburg auf das Rathaus eilte und ein Qnartierbillett eben
mousiöur LoWv verlangte. Er erhielt es auch, aber auf den Namen des ältesten
Sohnes meiner Großeltern Ernst Bosse. Als er in dessen Haus geführt wurde,
schüttelte er unwillig mit dem Kopfe und zerriß das Villele mit den Worten: Nix
monsiizui' Vosso. Dann trollte er ab und fand sich auch richtig auf eigne Hand
zu dem Hause meiner Großeltern. Dort wurde er gastlich aufgenommen und er¬
zählte in seiner nur halb verständlichen Art von den Schreckenstagen in Moskau
und den Leiden der Zranclö armöo in den winterlichen Steppen Rußlands und an
der Beresina, Er erhielt seinen Heringssalat und marschierte nach wenig Tagen
weiter nach Westen, der französischen Heimat zu.

Diese und ähnliche Geschichten kursierten in meiner Jugend vielfach in den
Bürgerhäusern meiner Vaterstadt. Auch von dem unglaublichen Treiben des Königs
Jerome und seines Hofes in Kassel wurde viel gesprochen. Wir Jungen haßten
und verachteten diesen König Hieronymus leidenschaftlich. Die Alten aber zuckten
die Achseln dazu und lobten seine persönliche Gutmütigkeit und Leutseligkeit. Sie
wollten ihn nicht als so schlimm gelten lassen, wie er verrufen wäre. Er sei oft
in die Kasernen gegangen und habe dort das Essen der Soldaten gekostet, und


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[0304] Aus der Jugendzeit Kamerad komm, Kamerad komm mit Sack und Pack," Fluchend und lärmend bückten sich die Soldaten nach den am Boden liegenden kleinen Münzen, rafften davon zusammen, was sie eben erHaschen konnten, nahmen noch ein paar neue, un¬ mittelbar vorher vom Schuhmacher abgelieferte steife Lederstiefel mit, und weg waren sie. Für dieses mal war die Gefahr vorüber und alles gut abgelaufen. Später haben meine Großeltern häufig französische Einquartierung, und zwar immer Offiziere mit ihren Burschen in ihrem Hause beherbergt und sind immer sehr gut mit ihnen ausgekommen. Mein Vater war, wenn er davon erzählte, immer voll Anerkennung für die anständigen und höfliche» Manieren der Franzosen im Gegen¬ satz zu der ungeschlachten Grobheit und Begehrlichkeit späterer russischer oder bayrischer Einquartierung. Da Quedlinburg unmittelbar nach dem ersten Erscheinen der Franzosen dem nen gebildeten Königreich Westfalen einverleibt wurde, so war die Stadt für die französischen Truppen kein feindliches Gebiet, sondern Freundes¬ land. Im allgemeinen haben sich die Franzosen auch bei uns als Freunde betragen. Immerhin haben sie durch ihre Leichtfertigkeit und Liederlichkeit auch in Quedlin¬ burg in manchen Bürgerhäusern viel Verwüstung angerichtet. Für Frauen und Mädchen waren sie eine große Gefahr. Von religiöser Sitte und Zucht hielten sie nichts und spotteten darüber. Die althergebrachte Solidität der Bürgerschaft hat während der Zeit der französischen Invasion schwer gelitten. Freilich machten sie dem Puder und bei den Männern dem Haarzvpf, aber ohne Zweifel auch in andern Verhältnissen manchem alten, langen oder kurzen Zopf ohne viel Federlesens ein Ende. Vor dem russische» Feldzuge Napoleons hatte ein französischer Offizier bei meinen Großeltern längere Zeit im Quartier gelegen und sich mit ihnen und den Kindern des Hauses angefreundet. Als ihm am ersten Morgen uach seiner An¬ kunft Kaffee zum ersten Frühstück serviert wurde, hatte er diesen mit den Worten zurückgewiesen: ^» es,es, nix xour solclat. Meine Großmutter war in der größten Verlegenheit, was sie ihm vorsetzen sollte. Da hatte er plötzlich nach seinem Tschako gegriffen und war fortgeräumt. Er kam aber bald vergnügt schmunzelnd zurück, und zwar mit einem Hering, den er quer durch den damals üblichen schmalen Latz seiner Beinkleider gesteckt hatte. Den Hering brachte er in die Küche. Dort suchte er meiner Großmutter durch Pantomimen und mit den Worten: NslW, niÄclame, mÄsnxs deutlich zu machen, daß er Heringssalat haben wolle. Der wurde denn auch gemacht, und zwar nach Quedlinburger Art äußerst schmackhaft. Der Franzose war glücklich und bekam seitdem täglich seine Portion Heringssalat zum Frühstück. Dafür war er so dankbar, daß er im Winter 1812/13, als er aus dem russischen Feld¬ zuge mit einem Kvllett, von dem um den Wachtfeuer» die Schöße abgesengt waren, zurückkam, in Quedlinburg auf das Rathaus eilte und ein Qnartierbillett eben mousiöur LoWv verlangte. Er erhielt es auch, aber auf den Namen des ältesten Sohnes meiner Großeltern Ernst Bosse. Als er in dessen Haus geführt wurde, schüttelte er unwillig mit dem Kopfe und zerriß das Villele mit den Worten: Nix monsiizui' Vosso. Dann trollte er ab und fand sich auch richtig auf eigne Hand zu dem Hause meiner Großeltern. Dort wurde er gastlich aufgenommen und er¬ zählte in seiner nur halb verständlichen Art von den Schreckenstagen in Moskau und den Leiden der Zranclö armöo in den winterlichen Steppen Rußlands und an der Beresina, Er erhielt seinen Heringssalat und marschierte nach wenig Tagen weiter nach Westen, der französischen Heimat zu. Diese und ähnliche Geschichten kursierten in meiner Jugend vielfach in den Bürgerhäusern meiner Vaterstadt. Auch von dem unglaublichen Treiben des Königs Jerome und seines Hofes in Kassel wurde viel gesprochen. Wir Jungen haßten und verachteten diesen König Hieronymus leidenschaftlich. Die Alten aber zuckten die Achseln dazu und lobten seine persönliche Gutmütigkeit und Leutseligkeit. Sie wollten ihn nicht als so schlimm gelten lassen, wie er verrufen wäre. Er sei oft in die Kasernen gegangen und habe dort das Essen der Soldaten gekostet, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/304>, abgerufen am 27.07.2024.