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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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T>onatellos Arbeiten für die Mediceer

ir wollen einmal zusammenstellen, was vor fünfhundert Jahren
eine einzige Familie einem einzigen Künstler zu tun gab. Was
und wie hat Donatello, dieser mannigfaltigste aller Plastiker, der
mit seiner Kunst spielte wie jemand, der genießend den Arm bald
bis an die Schulter in die Flut taucht, bald den Finger nur
leicht von dem durchsichtigen Wasser überspülen läßt, für die Medici seiner Zeit,
d, h. zwischen 1425 und 1465, gearbeitet?

Durch seinen Figurenschmuck an der Außenseite von Florentiner Kirchen,
namentlich am Dom, war Donatello um 1420, in der Mitte seiner dreißiger
Jahre, bekannt, populär, berühmt geworden. Die Mediceer haben ihm wieder¬
holt kirchliche Innenarchitektur und -Plastik in Auftrag gegeben. Um 1440
arbeitete er auf Bestellung Cosimos die Süngerempvre in dem linken Seiten¬
schiff von San Lorenzo. Es wurde die reifste der drei schonen Florentiner
Sängeremporen dieses Jahrzehnts. Man gibt heute zwar allgemein der Lucas
della Robbia die erste Stelle: Luca zerlegt die Brüstung in eine Reihe Felder,
deren jedes eine Gruppe singender Knaben, Jünglinge oder Mädchen zeigt.
Die Empore erfüllt aber doch ihren Zweck mir in dem Augenblicke, wo Sänger
auf ihr stehn und musizieren; ist es da nun richtig, dieses leibhaftige Singen
unmittelbar darunter an der Brüstung noch einmal im Bilde ausführlich zu
wiederhole"? Luca hat sich, als er es ersann, die leere Empore vorgestellt und
die Musik mit Hilfe von Psalm 150 als etwas, was mit ihr in künstlerische
Beziehung gebracht werden müsse; Donatello hat sich sowohl die Dvmsünger-
cmporc wie die von San Lorenzo mit singenden Sängern erfüllt gedacht. Mit
dieser und der vielstimmig, in alter Weise oft unharmonisch quellenden Fülle
ihres Gesanges verträgt sich der ausgelassene Puttenreigen, den er auf den vier
Feldern der Domsängerempore dahinwirbeln läßt; das vornehmste Gefäß eines
Sängerchors seiner Intention aber hat er erst in der Empore in San Lorenzo
gegeben, die, rein architektonisch gehalten, wirklich leer sein will, wenn sie leer
ist, nur ein schöner Balkon, der aus der Gesamtarchitektur nicht durch seine das
Auge aufs einzelne ziehende Behandlung herausfallen darf. Und wieviel feiner
war die Einteilung in fünf Felder als in vier -- halbieren und wieder halbieren
war Handwerkskunst --, ein wieviel vornehmeres Raumgefühl verraten die breiten
Zwischenglieder gegenüber den schmälern im Dom oder gar dem unmittelbaren
Aneinanderquetschen je zweier Säulen zwischen den Putteugruppen der Prateser
Außenkanzel!

Um dieselbe Zeit, zwischen 1433 und 1443, gestaltete Donatello die Me-
dieisakristei derselben Lorenzokirche im Auftrage der Medici zu einem ganzen
Museum seiner Kunst aus. Giovanni d'Averando, der Ahne des großen Ge-


Grenzboton 1903 III 37


T>onatellos Arbeiten für die Mediceer

ir wollen einmal zusammenstellen, was vor fünfhundert Jahren
eine einzige Familie einem einzigen Künstler zu tun gab. Was
und wie hat Donatello, dieser mannigfaltigste aller Plastiker, der
mit seiner Kunst spielte wie jemand, der genießend den Arm bald
bis an die Schulter in die Flut taucht, bald den Finger nur
leicht von dem durchsichtigen Wasser überspülen läßt, für die Medici seiner Zeit,
d, h. zwischen 1425 und 1465, gearbeitet?

Durch seinen Figurenschmuck an der Außenseite von Florentiner Kirchen,
namentlich am Dom, war Donatello um 1420, in der Mitte seiner dreißiger
Jahre, bekannt, populär, berühmt geworden. Die Mediceer haben ihm wieder¬
holt kirchliche Innenarchitektur und -Plastik in Auftrag gegeben. Um 1440
arbeitete er auf Bestellung Cosimos die Süngerempvre in dem linken Seiten¬
schiff von San Lorenzo. Es wurde die reifste der drei schonen Florentiner
Sängeremporen dieses Jahrzehnts. Man gibt heute zwar allgemein der Lucas
della Robbia die erste Stelle: Luca zerlegt die Brüstung in eine Reihe Felder,
deren jedes eine Gruppe singender Knaben, Jünglinge oder Mädchen zeigt.
Die Empore erfüllt aber doch ihren Zweck mir in dem Augenblicke, wo Sänger
auf ihr stehn und musizieren; ist es da nun richtig, dieses leibhaftige Singen
unmittelbar darunter an der Brüstung noch einmal im Bilde ausführlich zu
wiederhole»? Luca hat sich, als er es ersann, die leere Empore vorgestellt und
die Musik mit Hilfe von Psalm 150 als etwas, was mit ihr in künstlerische
Beziehung gebracht werden müsse; Donatello hat sich sowohl die Dvmsünger-
cmporc wie die von San Lorenzo mit singenden Sängern erfüllt gedacht. Mit
dieser und der vielstimmig, in alter Weise oft unharmonisch quellenden Fülle
ihres Gesanges verträgt sich der ausgelassene Puttenreigen, den er auf den vier
Feldern der Domsängerempore dahinwirbeln läßt; das vornehmste Gefäß eines
Sängerchors seiner Intention aber hat er erst in der Empore in San Lorenzo
gegeben, die, rein architektonisch gehalten, wirklich leer sein will, wenn sie leer
ist, nur ein schöner Balkon, der aus der Gesamtarchitektur nicht durch seine das
Auge aufs einzelne ziehende Behandlung herausfallen darf. Und wieviel feiner
war die Einteilung in fünf Felder als in vier — halbieren und wieder halbieren
war Handwerkskunst —, ein wieviel vornehmeres Raumgefühl verraten die breiten
Zwischenglieder gegenüber den schmälern im Dom oder gar dem unmittelbaren
Aneinanderquetschen je zweier Säulen zwischen den Putteugruppen der Prateser
Außenkanzel!

Um dieselbe Zeit, zwischen 1433 und 1443, gestaltete Donatello die Me-
dieisakristei derselben Lorenzokirche im Auftrage der Medici zu einem ganzen
Museum seiner Kunst aus. Giovanni d'Averando, der Ahne des großen Ge-


Grenzboton 1903 III 37
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[0297] [Abbildung] T>onatellos Arbeiten für die Mediceer ir wollen einmal zusammenstellen, was vor fünfhundert Jahren eine einzige Familie einem einzigen Künstler zu tun gab. Was und wie hat Donatello, dieser mannigfaltigste aller Plastiker, der mit seiner Kunst spielte wie jemand, der genießend den Arm bald bis an die Schulter in die Flut taucht, bald den Finger nur leicht von dem durchsichtigen Wasser überspülen läßt, für die Medici seiner Zeit, d, h. zwischen 1425 und 1465, gearbeitet? Durch seinen Figurenschmuck an der Außenseite von Florentiner Kirchen, namentlich am Dom, war Donatello um 1420, in der Mitte seiner dreißiger Jahre, bekannt, populär, berühmt geworden. Die Mediceer haben ihm wieder¬ holt kirchliche Innenarchitektur und -Plastik in Auftrag gegeben. Um 1440 arbeitete er auf Bestellung Cosimos die Süngerempvre in dem linken Seiten¬ schiff von San Lorenzo. Es wurde die reifste der drei schonen Florentiner Sängeremporen dieses Jahrzehnts. Man gibt heute zwar allgemein der Lucas della Robbia die erste Stelle: Luca zerlegt die Brüstung in eine Reihe Felder, deren jedes eine Gruppe singender Knaben, Jünglinge oder Mädchen zeigt. Die Empore erfüllt aber doch ihren Zweck mir in dem Augenblicke, wo Sänger auf ihr stehn und musizieren; ist es da nun richtig, dieses leibhaftige Singen unmittelbar darunter an der Brüstung noch einmal im Bilde ausführlich zu wiederhole»? Luca hat sich, als er es ersann, die leere Empore vorgestellt und die Musik mit Hilfe von Psalm 150 als etwas, was mit ihr in künstlerische Beziehung gebracht werden müsse; Donatello hat sich sowohl die Dvmsünger- cmporc wie die von San Lorenzo mit singenden Sängern erfüllt gedacht. Mit dieser und der vielstimmig, in alter Weise oft unharmonisch quellenden Fülle ihres Gesanges verträgt sich der ausgelassene Puttenreigen, den er auf den vier Feldern der Domsängerempore dahinwirbeln läßt; das vornehmste Gefäß eines Sängerchors seiner Intention aber hat er erst in der Empore in San Lorenzo gegeben, die, rein architektonisch gehalten, wirklich leer sein will, wenn sie leer ist, nur ein schöner Balkon, der aus der Gesamtarchitektur nicht durch seine das Auge aufs einzelne ziehende Behandlung herausfallen darf. Und wieviel feiner war die Einteilung in fünf Felder als in vier — halbieren und wieder halbieren war Handwerkskunst —, ein wieviel vornehmeres Raumgefühl verraten die breiten Zwischenglieder gegenüber den schmälern im Dom oder gar dem unmittelbaren Aneinanderquetschen je zweier Säulen zwischen den Putteugruppen der Prateser Außenkanzel! Um dieselbe Zeit, zwischen 1433 und 1443, gestaltete Donatello die Me- dieisakristei derselben Lorenzokirche im Auftrage der Medici zu einem ganzen Museum seiner Kunst aus. Giovanni d'Averando, der Ahne des großen Ge- Grenzboton 1903 III 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/297>, abgerufen am 22.11.2024.