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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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cLkkehard der <Lrste von Se. Gallon und das Waltharilied

Vergleicht man aber diese Schilderungen mit den zerstreuten Angaben,
die sich über den Schauplatz der Kämpfe im Waltharilied finden, so erkennt
man leicht, daß die Ähnlichkeit nur gering ist. Die Stellen des Gedichts er¬
geben etwa folgendes Bild. Eine enge Schlucht wird gebildet von zwei nahe¬
steheichen, aber sich treffenden Felsen, die sich auf einem Plateau erhebe", das
nur eng ist, aber doch soviel Raum gewährt, daß einige Pferde dort weiden,
auch ein Reiter mit seinem Roß sich zum Kampfe tummeln kann. Kräuter
und allerlei Gestrüpp sprießen reichlich aus dem Nasen hervor, auch ein paar
Bäume haben dort Platz. Von der Felsplatte hat man eine weite Aussicht
in das vorliegende Gelände, aber nnr ein einziger, schmaler Pfad führt auf
die Höhe, der jedoch von einem Rosse beschritten werden kaun. Aber der
elsässische Wasgenstein sieht doch wesentlich anders ans; hier wird die Schlucht
uicht von überhängenden Felsen gebildet wie im Gedicht, sondern es ist ein
Felsenspalt, der in die Tiefe geht, der vorliegende Raum, auf dem die Kämpfe
hätten stattfinden müssen, ist viel zu eng, die Aussicht versperrt, und für einen
Angriff zu Roß der Aufstieg viel zu steil und unwegsam. Trotz dieser Ver¬
schiedenheiten hat man sich zu der Meinung verleiten lassen, daß Ekkehard
mit seiner Schilderung die bezeichnete Örtlichkeit im Sinne gehabt habe, ja
man hat wohl gar geglaubt, er habe die Stelle selbst aufgesucht und in
Augenschein genommen. Oder wenn dies anch nicht der Fall sei, so habe er
doch (diese Ansicht hat Scheffel vertreten) Mitteilungen erhalten ans dem
Kloster Weißenburg, das mit den beiden Klöstern am Bodensee durch innige
Bande der earitg-L und trAtsririws verknüpft war. Näher der Wahrheit wird
man jedoch kommen, wenn man annimmt, daß in der Sage, die Ekkehard
kannte, eine Felsschlucht im Wasgenwald erwähnt war, wo sich die Fliehenden
bargen, in deren Nähe die Kämpfe sich abspielten, daß aber die Einzelheiten
der Örtlichkeit von Ekkehard nach Eindrücken, die seine Heimat ihm bieten
konnte, erfunden und ausgemalt sind.")

Es ist natürlich, daß die hier vorgetragnen Ansichten nicht allgemeinen
Beifall gefunden haben. Gleichwohl sind die Gegensätze, die die neue Lehre
von der alten trennt, keineswegs uuüberbrückbar, jn in wesentlichen Punkten
-- namentlich in der Stellung Ekkehards zum Virgil -- ist volle Einhelligkeit
vorhanden. In der Walthariusfrage ist eine Lösung möglich und erreichbar, und
es steht nicht so schlimm wie mit dem berühmten Streit um die Nibelungen¬
handschriften, von dessen UnVersöhnlichkeit seinerzeit Hans Hoffmann in der
Novelle "Die Handschrift ^ und 0" ein tragikomisches Bild entworfen hat.


F. llnntze



Wer sich über alle diese Dinge genauer zu unterrichten wünscht, sei hiermit vermiesen
auf Althof: Das Waltharilied. Leipzig, Dietrichsche Verlagsbuchhandlung, 1902.
cLkkehard der <Lrste von Se. Gallon und das Waltharilied

Vergleicht man aber diese Schilderungen mit den zerstreuten Angaben,
die sich über den Schauplatz der Kämpfe im Waltharilied finden, so erkennt
man leicht, daß die Ähnlichkeit nur gering ist. Die Stellen des Gedichts er¬
geben etwa folgendes Bild. Eine enge Schlucht wird gebildet von zwei nahe¬
steheichen, aber sich treffenden Felsen, die sich auf einem Plateau erhebe«, das
nur eng ist, aber doch soviel Raum gewährt, daß einige Pferde dort weiden,
auch ein Reiter mit seinem Roß sich zum Kampfe tummeln kann. Kräuter
und allerlei Gestrüpp sprießen reichlich aus dem Nasen hervor, auch ein paar
Bäume haben dort Platz. Von der Felsplatte hat man eine weite Aussicht
in das vorliegende Gelände, aber nnr ein einziger, schmaler Pfad führt auf
die Höhe, der jedoch von einem Rosse beschritten werden kaun. Aber der
elsässische Wasgenstein sieht doch wesentlich anders ans; hier wird die Schlucht
uicht von überhängenden Felsen gebildet wie im Gedicht, sondern es ist ein
Felsenspalt, der in die Tiefe geht, der vorliegende Raum, auf dem die Kämpfe
hätten stattfinden müssen, ist viel zu eng, die Aussicht versperrt, und für einen
Angriff zu Roß der Aufstieg viel zu steil und unwegsam. Trotz dieser Ver¬
schiedenheiten hat man sich zu der Meinung verleiten lassen, daß Ekkehard
mit seiner Schilderung die bezeichnete Örtlichkeit im Sinne gehabt habe, ja
man hat wohl gar geglaubt, er habe die Stelle selbst aufgesucht und in
Augenschein genommen. Oder wenn dies anch nicht der Fall sei, so habe er
doch (diese Ansicht hat Scheffel vertreten) Mitteilungen erhalten ans dem
Kloster Weißenburg, das mit den beiden Klöstern am Bodensee durch innige
Bande der earitg-L und trAtsririws verknüpft war. Näher der Wahrheit wird
man jedoch kommen, wenn man annimmt, daß in der Sage, die Ekkehard
kannte, eine Felsschlucht im Wasgenwald erwähnt war, wo sich die Fliehenden
bargen, in deren Nähe die Kämpfe sich abspielten, daß aber die Einzelheiten
der Örtlichkeit von Ekkehard nach Eindrücken, die seine Heimat ihm bieten
konnte, erfunden und ausgemalt sind.")

Es ist natürlich, daß die hier vorgetragnen Ansichten nicht allgemeinen
Beifall gefunden haben. Gleichwohl sind die Gegensätze, die die neue Lehre
von der alten trennt, keineswegs uuüberbrückbar, jn in wesentlichen Punkten
— namentlich in der Stellung Ekkehards zum Virgil — ist volle Einhelligkeit
vorhanden. In der Walthariusfrage ist eine Lösung möglich und erreichbar, und
es steht nicht so schlimm wie mit dem berühmten Streit um die Nibelungen¬
handschriften, von dessen UnVersöhnlichkeit seinerzeit Hans Hoffmann in der
Novelle „Die Handschrift ^ und 0" ein tragikomisches Bild entworfen hat.


F. llnntze



Wer sich über alle diese Dinge genauer zu unterrichten wünscht, sei hiermit vermiesen
auf Althof: Das Waltharilied. Leipzig, Dietrichsche Verlagsbuchhandlung, 1902.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/296>, abgerufen am 01.09.2024.