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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Lkkchard der Lrste von Se. Gallen und das Waltharilied

altdeutsches Gedicht oder eine Prosaerzühlung (woran man ebenfalls ohne
triftige Gründe gedacht hat) bei seiner Arbeit benutzt und ins Lateinische
übertragen, was in aller Welt Hütte ihn veranlassen sollen, Motive zu streichen
und neue herbeizuziehn, bald uach diesem, bald nach jenem Modell -- in der
Gegenwart wie in der Vergangenheit -- Nmschnn zu halten, kurz anstatt des
echten ein verfälschtes Bild von der Zeit der Völkerwanderung zu geben?
Natürlich, die Grundlinien waren ihm vorgezeichnet, ans der Luft kann
er den Grundstock der Dichtung uicht gegriffen haben. Hat Ekkehard auch kein
Gedicht gekannt, das die Walthersage behandelte, so ist ihm, sei es in Se. Gallen
oder schon auf dem heimatlichen Gute, die Sage mutmaßlich durch die Erzählung
eines Klosterbruders oder wandernder Spielleute bekannt geworden.

Wie dem aber auch sei, jedenfalls haben wir jetzt Grund zu der Behauptung,
daß Ekkehard den alten Stoff neu belebt, geordnet und unter Benutzung
dichterischer Vorbilder frei gestaltet und die einzelnen Szenen selbständig aus¬
geführt hat. Das ist die Ansicht, die neuerdings wieder einer der ältesten
und bewährtesten Forscher auf diesem Gebiete vertreten hat. Unterstützt wird
diese Hypothese durch die erst neulich aufgestellte, nicht unbegründete Ver¬
mutung, auch die Namen der Kämpfer am Wasgenstein seien uicht sagenecht,
sondern erst von Ekkehard erfunden worden. Dann trifft freilich der von
W. Hertz herrührende Vergleich des Walthariliedes mit einem Germanen ans
der Zeit der Völkerwanderung, der mit römischen Beutestücken behängen ist,
nicht mehr zu: es gleicht eher einem Deutschen aus Ekkehards Zeit, der
römischen Panzer und Waffenschmuck augelegt hat, und während er öffentlich
am Tage zum Christengott betet, des Nachts heimlich unter der Eiche Donars
das Noßopfer schlachtet.

Und so erscheint denn auch die Frage uach dem Schauplatz der Kämpfe
in neuer Beleuchtung. Diesen Platz hat Jakob Grimm auf dem Dvnnou gesucht,
einer mehr als tausend Meter hohen Felsenkuppe, die in der Nähe der Eisen¬
werke von Framont nicht weit von dem Städtchen Schirmeck auf der Grenze
vom Elsaß und von Lothringen an einem Seitental der Breusch liegt. Aber
längst hat man erkannt, daß dies ein Irrtum ist. Dann hat man bekanntlich an
den Felsen gedacht, der an der von Weißenburg nach Bieses führenden Straße
am Fuße des Maimont in der Nähe des Dorfes Obersteinbach liegt. Das
ist der im Mittelalter vou einer Burg gekrönte Wasichcnstein oder Wasgen¬
stein, auch Wassenstein, wo das Geschlecht der Wasichensteiner hauste, das sich
später in zwei Linien spaltete und am Ende des Mittelalters ausstnrb. Die
Örtlichkeit ist von A. Becker in Westermanns Monatsheften (1885) anschaulich
geschildert worden. Aber auch Scheffel hat den Wasgenstein in ein paar
schönen Versen kurz also gezeichnet:


Lkkchard der Lrste von Se. Gallen und das Waltharilied

altdeutsches Gedicht oder eine Prosaerzühlung (woran man ebenfalls ohne
triftige Gründe gedacht hat) bei seiner Arbeit benutzt und ins Lateinische
übertragen, was in aller Welt Hütte ihn veranlassen sollen, Motive zu streichen
und neue herbeizuziehn, bald uach diesem, bald nach jenem Modell — in der
Gegenwart wie in der Vergangenheit — Nmschnn zu halten, kurz anstatt des
echten ein verfälschtes Bild von der Zeit der Völkerwanderung zu geben?
Natürlich, die Grundlinien waren ihm vorgezeichnet, ans der Luft kann
er den Grundstock der Dichtung uicht gegriffen haben. Hat Ekkehard auch kein
Gedicht gekannt, das die Walthersage behandelte, so ist ihm, sei es in Se. Gallen
oder schon auf dem heimatlichen Gute, die Sage mutmaßlich durch die Erzählung
eines Klosterbruders oder wandernder Spielleute bekannt geworden.

Wie dem aber auch sei, jedenfalls haben wir jetzt Grund zu der Behauptung,
daß Ekkehard den alten Stoff neu belebt, geordnet und unter Benutzung
dichterischer Vorbilder frei gestaltet und die einzelnen Szenen selbständig aus¬
geführt hat. Das ist die Ansicht, die neuerdings wieder einer der ältesten
und bewährtesten Forscher auf diesem Gebiete vertreten hat. Unterstützt wird
diese Hypothese durch die erst neulich aufgestellte, nicht unbegründete Ver¬
mutung, auch die Namen der Kämpfer am Wasgenstein seien uicht sagenecht,
sondern erst von Ekkehard erfunden worden. Dann trifft freilich der von
W. Hertz herrührende Vergleich des Walthariliedes mit einem Germanen ans
der Zeit der Völkerwanderung, der mit römischen Beutestücken behängen ist,
nicht mehr zu: es gleicht eher einem Deutschen aus Ekkehards Zeit, der
römischen Panzer und Waffenschmuck augelegt hat, und während er öffentlich
am Tage zum Christengott betet, des Nachts heimlich unter der Eiche Donars
das Noßopfer schlachtet.

Und so erscheint denn auch die Frage uach dem Schauplatz der Kämpfe
in neuer Beleuchtung. Diesen Platz hat Jakob Grimm auf dem Dvnnou gesucht,
einer mehr als tausend Meter hohen Felsenkuppe, die in der Nähe der Eisen¬
werke von Framont nicht weit von dem Städtchen Schirmeck auf der Grenze
vom Elsaß und von Lothringen an einem Seitental der Breusch liegt. Aber
längst hat man erkannt, daß dies ein Irrtum ist. Dann hat man bekanntlich an
den Felsen gedacht, der an der von Weißenburg nach Bieses führenden Straße
am Fuße des Maimont in der Nähe des Dorfes Obersteinbach liegt. Das
ist der im Mittelalter vou einer Burg gekrönte Wasichcnstein oder Wasgen¬
stein, auch Wassenstein, wo das Geschlecht der Wasichensteiner hauste, das sich
später in zwei Linien spaltete und am Ende des Mittelalters ausstnrb. Die
Örtlichkeit ist von A. Becker in Westermanns Monatsheften (1885) anschaulich
geschildert worden. Aber auch Scheffel hat den Wasgenstein in ein paar
schönen Versen kurz also gezeichnet:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/295>, abgerufen am 01.09.2024.