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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Lkkehard der Erste von Se. Gallen und das Maltharilied

waltung des Klosterguts und die Verteilung der Almosen oblag, diesem oftmals
Vorwürfe über seine Verschwendung machte, worauf sich dann der Abt auf
den Dekan Ekkehard als seinen Freund und Helfershelfer im Wohltu" zu be¬
rufen pflegte.

Ekkehards Name ist auch mit der oft nacherzählten Anekdote von dem Land¬
streicher verknüpft, der, indem er sich lahm stellte, die Gastlichkeit des Klosters
in Anspruch nahm. Ihm wurde auf Ekkehards Geheiß ein warmes Bad be¬
reitet, und da ihm das Wasser zu heiß war, so schrie er laut in seiner welschen
Sprache: el milli, pinel gst, oalä sse, worauf der Diener, der das Bad zurichtete,
in der Meinung, der Fremde sei ein Deutscher und beklage sich über die Kälte
des Wassers -- aber auch nicht ohne einen Zusatz von Bosheit, weil er sich
ärgerte, daß er den dicken Kerl auf seinem Rücken in das Badezimmer hatte
schleppen müssen --, heißes Wasser herbeitrug und solches in Strömen in die
Badewanne goß. Da sprang der Fremde, seine Lähmung vergessend, aus der
Wanne heraus und suchte, der Tür zueilend, das Weite, während der Diener,
da er den Betrug erkannt hatte, dem Fliehenden nachsprang und ihm mit
einem halbglüheuden Holzhasen, das er dem Feuer entrisse" hatte, ungezählte
Streiche aufmaß. Von dem Lärm herbeigerufen erschien dann Ekkehard, wehrte
dem Wütenden und ließ den betrügerischen Schelm laufen. Vier Neffen hat
Ekkehard dem Kloster zugeführt, darunter Ekkehard den Zweiten, der die Herzogin
Hadwig im Lateinischen unterrichtet hat -- dann ist "der edle Weinstock, der
solche Schößlinge entsandte, selbst in guter Reife am Tage des heiligen Felix
(14. Januar 973) eingeherbstet worden." Groß war die Klage um den aller¬
seits verehrten Mann. Weinend ging Juno, Ekkehards Nachfolger im Dekanat
und später des Klosters Abt, als der Leichnam auf der Bahre lag, beiseite
und rief laut: "Sieh, Herr, und betrachte, wen du so eingeherbstet hast."

Das ist so ziemlich alles, was wir von dem Leben Ekkehards wissen, der
den Namen seines Klosters so berühmt gemacht hat. Auch von seinen Dich¬
tungen ist nicht alles erhalten: seine Hhmneu und Sequenzen sind verschollen,
dagegen strahlt sein 'Wg.Ittmriu" nanu tortis noch heute in unvergänglichen
Glanz und ist seit Scheffels Ekkehard auch in der kleinsten Bücherei zu finden.
In den Schulen wird Ekkehards Name neben dem. seines Zeitgenossen, des
großen Königs aus dem Sachsenstmnmc, genannt, und in jedem Handbuch der
Literaturgeschichte steht zu lesen, daß Ekkehard von Se. Gallen den Waltharius
in der Jugend gedichtet hat. So ist es, der Waltharius ist kein Werk des
reifern Alters, sondern ans der Schulbank verfaßt, ein clediwni vu^i^'o, mie
man sich in der Klostcrsprache ausdrückte. Ein Exemplar dieses Gedichts ge¬
langte wenig Jahre vor oder nach Ekkehards Tode nach Straßburg, es
wurde dem Bischof Erchcnnbald übersandt mit eiuer in lateinischen Hexametern
abgefaßten Widmung, als deren Verfasser sich Geraldus nennt, ohne jedoch
von seiner Persönlichkeit etwas andres anzugeben, als daß er ein er^Ms
xkevÄwr, d. h. ein alter sündhafter Mann, und ein esrtus eoräs vt üclolls
g-lumnuL, d. h. in der Sprache des Mittelalters ein treuer und ergebner Diener
seines hochmächtigen Gönners sei. Ekkehards Name wird in der Widmung
gar nicht genannt, und so hat man denn schon früh angenommen, der Ver-


Lkkehard der Erste von Se. Gallen und das Maltharilied

waltung des Klosterguts und die Verteilung der Almosen oblag, diesem oftmals
Vorwürfe über seine Verschwendung machte, worauf sich dann der Abt auf
den Dekan Ekkehard als seinen Freund und Helfershelfer im Wohltu» zu be¬
rufen pflegte.

Ekkehards Name ist auch mit der oft nacherzählten Anekdote von dem Land¬
streicher verknüpft, der, indem er sich lahm stellte, die Gastlichkeit des Klosters
in Anspruch nahm. Ihm wurde auf Ekkehards Geheiß ein warmes Bad be¬
reitet, und da ihm das Wasser zu heiß war, so schrie er laut in seiner welschen
Sprache: el milli, pinel gst, oalä sse, worauf der Diener, der das Bad zurichtete,
in der Meinung, der Fremde sei ein Deutscher und beklage sich über die Kälte
des Wassers — aber auch nicht ohne einen Zusatz von Bosheit, weil er sich
ärgerte, daß er den dicken Kerl auf seinem Rücken in das Badezimmer hatte
schleppen müssen —, heißes Wasser herbeitrug und solches in Strömen in die
Badewanne goß. Da sprang der Fremde, seine Lähmung vergessend, aus der
Wanne heraus und suchte, der Tür zueilend, das Weite, während der Diener,
da er den Betrug erkannt hatte, dem Fliehenden nachsprang und ihm mit
einem halbglüheuden Holzhasen, das er dem Feuer entrisse» hatte, ungezählte
Streiche aufmaß. Von dem Lärm herbeigerufen erschien dann Ekkehard, wehrte
dem Wütenden und ließ den betrügerischen Schelm laufen. Vier Neffen hat
Ekkehard dem Kloster zugeführt, darunter Ekkehard den Zweiten, der die Herzogin
Hadwig im Lateinischen unterrichtet hat — dann ist „der edle Weinstock, der
solche Schößlinge entsandte, selbst in guter Reife am Tage des heiligen Felix
(14. Januar 973) eingeherbstet worden." Groß war die Klage um den aller¬
seits verehrten Mann. Weinend ging Juno, Ekkehards Nachfolger im Dekanat
und später des Klosters Abt, als der Leichnam auf der Bahre lag, beiseite
und rief laut: „Sieh, Herr, und betrachte, wen du so eingeherbstet hast."

Das ist so ziemlich alles, was wir von dem Leben Ekkehards wissen, der
den Namen seines Klosters so berühmt gemacht hat. Auch von seinen Dich¬
tungen ist nicht alles erhalten: seine Hhmneu und Sequenzen sind verschollen,
dagegen strahlt sein 'Wg.Ittmriu» nanu tortis noch heute in unvergänglichen
Glanz und ist seit Scheffels Ekkehard auch in der kleinsten Bücherei zu finden.
In den Schulen wird Ekkehards Name neben dem. seines Zeitgenossen, des
großen Königs aus dem Sachsenstmnmc, genannt, und in jedem Handbuch der
Literaturgeschichte steht zu lesen, daß Ekkehard von Se. Gallen den Waltharius
in der Jugend gedichtet hat. So ist es, der Waltharius ist kein Werk des
reifern Alters, sondern ans der Schulbank verfaßt, ein clediwni vu^i^'o, mie
man sich in der Klostcrsprache ausdrückte. Ein Exemplar dieses Gedichts ge¬
langte wenig Jahre vor oder nach Ekkehards Tode nach Straßburg, es
wurde dem Bischof Erchcnnbald übersandt mit eiuer in lateinischen Hexametern
abgefaßten Widmung, als deren Verfasser sich Geraldus nennt, ohne jedoch
von seiner Persönlichkeit etwas andres anzugeben, als daß er ein er^Ms
xkevÄwr, d. h. ein alter sündhafter Mann, und ein esrtus eoräs vt üclolls
g-lumnuL, d. h. in der Sprache des Mittelalters ein treuer und ergebner Diener
seines hochmächtigen Gönners sei. Ekkehards Name wird in der Widmung
gar nicht genannt, und so hat man denn schon früh angenommen, der Ver-


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[0290] Lkkehard der Erste von Se. Gallen und das Maltharilied waltung des Klosterguts und die Verteilung der Almosen oblag, diesem oftmals Vorwürfe über seine Verschwendung machte, worauf sich dann der Abt auf den Dekan Ekkehard als seinen Freund und Helfershelfer im Wohltu» zu be¬ rufen pflegte. Ekkehards Name ist auch mit der oft nacherzählten Anekdote von dem Land¬ streicher verknüpft, der, indem er sich lahm stellte, die Gastlichkeit des Klosters in Anspruch nahm. Ihm wurde auf Ekkehards Geheiß ein warmes Bad be¬ reitet, und da ihm das Wasser zu heiß war, so schrie er laut in seiner welschen Sprache: el milli, pinel gst, oalä sse, worauf der Diener, der das Bad zurichtete, in der Meinung, der Fremde sei ein Deutscher und beklage sich über die Kälte des Wassers — aber auch nicht ohne einen Zusatz von Bosheit, weil er sich ärgerte, daß er den dicken Kerl auf seinem Rücken in das Badezimmer hatte schleppen müssen —, heißes Wasser herbeitrug und solches in Strömen in die Badewanne goß. Da sprang der Fremde, seine Lähmung vergessend, aus der Wanne heraus und suchte, der Tür zueilend, das Weite, während der Diener, da er den Betrug erkannt hatte, dem Fliehenden nachsprang und ihm mit einem halbglüheuden Holzhasen, das er dem Feuer entrisse» hatte, ungezählte Streiche aufmaß. Von dem Lärm herbeigerufen erschien dann Ekkehard, wehrte dem Wütenden und ließ den betrügerischen Schelm laufen. Vier Neffen hat Ekkehard dem Kloster zugeführt, darunter Ekkehard den Zweiten, der die Herzogin Hadwig im Lateinischen unterrichtet hat — dann ist „der edle Weinstock, der solche Schößlinge entsandte, selbst in guter Reife am Tage des heiligen Felix (14. Januar 973) eingeherbstet worden." Groß war die Klage um den aller¬ seits verehrten Mann. Weinend ging Juno, Ekkehards Nachfolger im Dekanat und später des Klosters Abt, als der Leichnam auf der Bahre lag, beiseite und rief laut: „Sieh, Herr, und betrachte, wen du so eingeherbstet hast." Das ist so ziemlich alles, was wir von dem Leben Ekkehards wissen, der den Namen seines Klosters so berühmt gemacht hat. Auch von seinen Dich¬ tungen ist nicht alles erhalten: seine Hhmneu und Sequenzen sind verschollen, dagegen strahlt sein 'Wg.Ittmriu» nanu tortis noch heute in unvergänglichen Glanz und ist seit Scheffels Ekkehard auch in der kleinsten Bücherei zu finden. In den Schulen wird Ekkehards Name neben dem. seines Zeitgenossen, des großen Königs aus dem Sachsenstmnmc, genannt, und in jedem Handbuch der Literaturgeschichte steht zu lesen, daß Ekkehard von Se. Gallen den Waltharius in der Jugend gedichtet hat. So ist es, der Waltharius ist kein Werk des reifern Alters, sondern ans der Schulbank verfaßt, ein clediwni vu^i^'o, mie man sich in der Klostcrsprache ausdrückte. Ein Exemplar dieses Gedichts ge¬ langte wenig Jahre vor oder nach Ekkehards Tode nach Straßburg, es wurde dem Bischof Erchcnnbald übersandt mit eiuer in lateinischen Hexametern abgefaßten Widmung, als deren Verfasser sich Geraldus nennt, ohne jedoch von seiner Persönlichkeit etwas andres anzugeben, als daß er ein er^Ms xkevÄwr, d. h. ein alter sündhafter Mann, und ein esrtus eoräs vt üclolls g-lumnuL, d. h. in der Sprache des Mittelalters ein treuer und ergebner Diener seines hochmächtigen Gönners sei. Ekkehards Name wird in der Widmung gar nicht genannt, und so hat man denn schon früh angenommen, der Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/290>, abgerufen am 26.11.2024.