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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Ekkehard der Erste von Se. Gallen und das waltharilied

allzusehr am .Herzen lag. Übrigens scheint auch Ekkehards Darstellung der
ganzen Angelegenheit nicht ganz unparteiisch zu sein: was Kraloh gegen Viktor
unternommen hat, war doch eigentlich nicht mehr, als seine Amtspflicht gebot,
und daß der Überfall so blutige Folgen hatte, nicht seine Schuld. Aber Ekke-
hard der Vierte war ein entschiedncr Gegner der Clnniacensischen Reform, die
zu seiner Zeit auch in den deutsche" Klöstern eifrig betrieben wurde, und es
scheint fast, als ob er seine Abneigung gegen die auf die Erneuerung der alten
strengen Klosterzucht gerichteten Bewegung auch auf deren Vorläufer übertrage"
hat. Wie dem aber auch sein mag, immerhin gewahrt die oben erzählte Epi¬
sode aus der Geschichte Se. Gallens einen lehrreichen Einblick in die Ver¬
hältnisse des Klosters und ist ein denkwürdiges Zeit- und Sittenbild.

Der unglückliche Viktor aber wurde vou dem Arzt des Klosters, Notker
Pfefferkorn, geheilt und erhielt später von dem Bischof Erchambald von Stra߬
burg (965 bis 991) einen Ruf, die Schule des Domstifts zu leiten. Er
hat auch hier viele Jahre lang erfolgreich gewirkt und die Schule zu hoher
Blüte gebracht, nach Erchambalds Tode aber begab er sich in die Einsamkeit
der Vogesen, bezog in der Nähe des "Langen Meeres" (I^nZsmsr) bei
der sogenannten Schlucht (eine Gegeud, die heute wieder von unzähligen
Reisenden aufgesucht wird) eine durch den Tod ihres Inhabers frei gewordne
Klause und beschloß als Einsiedler seine Tage, von der umwohnenden Be¬
völkerung als Heiliger verehrt. Sein Grabmal hat der Erzähler dieser Vor¬
fälle. Ekkehard der Vierte, dort mit eignen Augen gesehen. Im Jahre 1830
aber ist in der Einsiedlerkapelle bei Gerardmer ein Gewölbe geöffnet und
darin ein Skelett, umschlungen von der eisernen Bußkctte der Se. Galterer
Venediktinermönche, gefunden worden.

Kurz vor seinem Ende hatte Kraloh Ekkehard den Ersten zu seinem Nachfolger
bestellt. Dieser übernahm deshalb nach dem Ableben des Abts unter Zustimmung
aller Brüder die Verwaltung der Abtei, in der sichern Erwartung, daß der König
die Wahl bestätigen würde. Aber noch ehe die Sache erledigt werden konnte, hatte
er einen Unfall, der seine und der Brüder Hoffnung vereitelte. Auf dem Glatteis
stürzte er, als er ausreiten wollte, vor dem Tore des Klosters mit dem Pferd
und brach das Schienbein. Der Bruch heilte schlecht, sodaß er zeitlebens
lahm blieb. Infolgedessen wurde Burkhard, ein Verwandter des Königs
(nicht zu verwechseln mit seinem Namensvetter, der später als Knabe die in
den Og.su" so hübsch erzählte Unterredung mit der Herzogin Hadwig auf dem
Hohentwiel hatte), zum Inhaber der höchsten Würde des Klosters erkoren und
von Otto bestätigt.'

Trotzdem blieb Ekkehards Einfluß ungeschmälert. Mit Erlaubnis und
Unterstützung des neuen Abtes errichtete er eine Kapelle und stattete diese mit
den Reliquien des Täufers Johannes ans, die er, als er vor Jahren in Rom
^ille, vom Papst Johannes dem Zwölften, dessen besondrer Liebling er war.
ins Geschenk erhalten hatte; durch ihre,: Aublick war er selbst, da er in der
Oberstadt am Fieber krank danieder lag, gerettet worden. Seine Milde und
Freigebigkeit waren im Kloster bekannt und gerühmt, auch deu Abt soll er in
"chem Sinne beeinflußt haben, sodnß der Kämmerer niedere, dem die Ver-


Grenzboten III 1903 36
Ekkehard der Erste von Se. Gallen und das waltharilied

allzusehr am .Herzen lag. Übrigens scheint auch Ekkehards Darstellung der
ganzen Angelegenheit nicht ganz unparteiisch zu sein: was Kraloh gegen Viktor
unternommen hat, war doch eigentlich nicht mehr, als seine Amtspflicht gebot,
und daß der Überfall so blutige Folgen hatte, nicht seine Schuld. Aber Ekke-
hard der Vierte war ein entschiedncr Gegner der Clnniacensischen Reform, die
zu seiner Zeit auch in den deutsche» Klöstern eifrig betrieben wurde, und es
scheint fast, als ob er seine Abneigung gegen die auf die Erneuerung der alten
strengen Klosterzucht gerichteten Bewegung auch auf deren Vorläufer übertrage»
hat. Wie dem aber auch sein mag, immerhin gewahrt die oben erzählte Epi¬
sode aus der Geschichte Se. Gallens einen lehrreichen Einblick in die Ver¬
hältnisse des Klosters und ist ein denkwürdiges Zeit- und Sittenbild.

Der unglückliche Viktor aber wurde vou dem Arzt des Klosters, Notker
Pfefferkorn, geheilt und erhielt später von dem Bischof Erchambald von Stra߬
burg (965 bis 991) einen Ruf, die Schule des Domstifts zu leiten. Er
hat auch hier viele Jahre lang erfolgreich gewirkt und die Schule zu hoher
Blüte gebracht, nach Erchambalds Tode aber begab er sich in die Einsamkeit
der Vogesen, bezog in der Nähe des „Langen Meeres" (I^nZsmsr) bei
der sogenannten Schlucht (eine Gegeud, die heute wieder von unzähligen
Reisenden aufgesucht wird) eine durch den Tod ihres Inhabers frei gewordne
Klause und beschloß als Einsiedler seine Tage, von der umwohnenden Be¬
völkerung als Heiliger verehrt. Sein Grabmal hat der Erzähler dieser Vor¬
fälle. Ekkehard der Vierte, dort mit eignen Augen gesehen. Im Jahre 1830
aber ist in der Einsiedlerkapelle bei Gerardmer ein Gewölbe geöffnet und
darin ein Skelett, umschlungen von der eisernen Bußkctte der Se. Galterer
Venediktinermönche, gefunden worden.

Kurz vor seinem Ende hatte Kraloh Ekkehard den Ersten zu seinem Nachfolger
bestellt. Dieser übernahm deshalb nach dem Ableben des Abts unter Zustimmung
aller Brüder die Verwaltung der Abtei, in der sichern Erwartung, daß der König
die Wahl bestätigen würde. Aber noch ehe die Sache erledigt werden konnte, hatte
er einen Unfall, der seine und der Brüder Hoffnung vereitelte. Auf dem Glatteis
stürzte er, als er ausreiten wollte, vor dem Tore des Klosters mit dem Pferd
und brach das Schienbein. Der Bruch heilte schlecht, sodaß er zeitlebens
lahm blieb. Infolgedessen wurde Burkhard, ein Verwandter des Königs
(nicht zu verwechseln mit seinem Namensvetter, der später als Knabe die in
den Og.su« so hübsch erzählte Unterredung mit der Herzogin Hadwig auf dem
Hohentwiel hatte), zum Inhaber der höchsten Würde des Klosters erkoren und
von Otto bestätigt.'

Trotzdem blieb Ekkehards Einfluß ungeschmälert. Mit Erlaubnis und
Unterstützung des neuen Abtes errichtete er eine Kapelle und stattete diese mit
den Reliquien des Täufers Johannes ans, die er, als er vor Jahren in Rom
^ille, vom Papst Johannes dem Zwölften, dessen besondrer Liebling er war.
ins Geschenk erhalten hatte; durch ihre,: Aublick war er selbst, da er in der
Oberstadt am Fieber krank danieder lag, gerettet worden. Seine Milde und
Freigebigkeit waren im Kloster bekannt und gerühmt, auch deu Abt soll er in
"chem Sinne beeinflußt haben, sodnß der Kämmerer niedere, dem die Ver-


Grenzboten III 1903 36
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[0289] Ekkehard der Erste von Se. Gallen und das waltharilied allzusehr am .Herzen lag. Übrigens scheint auch Ekkehards Darstellung der ganzen Angelegenheit nicht ganz unparteiisch zu sein: was Kraloh gegen Viktor unternommen hat, war doch eigentlich nicht mehr, als seine Amtspflicht gebot, und daß der Überfall so blutige Folgen hatte, nicht seine Schuld. Aber Ekke- hard der Vierte war ein entschiedncr Gegner der Clnniacensischen Reform, die zu seiner Zeit auch in den deutsche» Klöstern eifrig betrieben wurde, und es scheint fast, als ob er seine Abneigung gegen die auf die Erneuerung der alten strengen Klosterzucht gerichteten Bewegung auch auf deren Vorläufer übertrage» hat. Wie dem aber auch sein mag, immerhin gewahrt die oben erzählte Epi¬ sode aus der Geschichte Se. Gallens einen lehrreichen Einblick in die Ver¬ hältnisse des Klosters und ist ein denkwürdiges Zeit- und Sittenbild. Der unglückliche Viktor aber wurde vou dem Arzt des Klosters, Notker Pfefferkorn, geheilt und erhielt später von dem Bischof Erchambald von Stra߬ burg (965 bis 991) einen Ruf, die Schule des Domstifts zu leiten. Er hat auch hier viele Jahre lang erfolgreich gewirkt und die Schule zu hoher Blüte gebracht, nach Erchambalds Tode aber begab er sich in die Einsamkeit der Vogesen, bezog in der Nähe des „Langen Meeres" (I^nZsmsr) bei der sogenannten Schlucht (eine Gegeud, die heute wieder von unzähligen Reisenden aufgesucht wird) eine durch den Tod ihres Inhabers frei gewordne Klause und beschloß als Einsiedler seine Tage, von der umwohnenden Be¬ völkerung als Heiliger verehrt. Sein Grabmal hat der Erzähler dieser Vor¬ fälle. Ekkehard der Vierte, dort mit eignen Augen gesehen. Im Jahre 1830 aber ist in der Einsiedlerkapelle bei Gerardmer ein Gewölbe geöffnet und darin ein Skelett, umschlungen von der eisernen Bußkctte der Se. Galterer Venediktinermönche, gefunden worden. Kurz vor seinem Ende hatte Kraloh Ekkehard den Ersten zu seinem Nachfolger bestellt. Dieser übernahm deshalb nach dem Ableben des Abts unter Zustimmung aller Brüder die Verwaltung der Abtei, in der sichern Erwartung, daß der König die Wahl bestätigen würde. Aber noch ehe die Sache erledigt werden konnte, hatte er einen Unfall, der seine und der Brüder Hoffnung vereitelte. Auf dem Glatteis stürzte er, als er ausreiten wollte, vor dem Tore des Klosters mit dem Pferd und brach das Schienbein. Der Bruch heilte schlecht, sodaß er zeitlebens lahm blieb. Infolgedessen wurde Burkhard, ein Verwandter des Königs (nicht zu verwechseln mit seinem Namensvetter, der später als Knabe die in den Og.su« so hübsch erzählte Unterredung mit der Herzogin Hadwig auf dem Hohentwiel hatte), zum Inhaber der höchsten Würde des Klosters erkoren und von Otto bestätigt.' Trotzdem blieb Ekkehards Einfluß ungeschmälert. Mit Erlaubnis und Unterstützung des neuen Abtes errichtete er eine Kapelle und stattete diese mit den Reliquien des Täufers Johannes ans, die er, als er vor Jahren in Rom ^ille, vom Papst Johannes dem Zwölften, dessen besondrer Liebling er war. ins Geschenk erhalten hatte; durch ihre,: Aublick war er selbst, da er in der Oberstadt am Fieber krank danieder lag, gerettet worden. Seine Milde und Freigebigkeit waren im Kloster bekannt und gerühmt, auch deu Abt soll er in "chem Sinne beeinflußt haben, sodnß der Kämmerer niedere, dem die Ver- Grenzboten III 1903 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/289>, abgerufen am 26.11.2024.