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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Lkkehard der Erste von Se. Gallen und das IValtharilied

Ekkehard stand. Die andern waren Roller, wegen seiner Strenge das Pfeffer¬
korn zubenannt, Gerald, der eifrige, langjährige Lehrer an der Klosterschule,
und der nachmalige Abt Burkhard der Erste. Diese ließen den Bischof in die
Kirche des Klosters ein, indem sie ihn baten, zu den Verhandlungen auch
Amalung, Ekkehards Bruder, zuziehn zu dürfen, der, wiewohl ein Laie, doch
wegen seiner Gottesfurcht bei den Brüdern in besondern^ Ansehen stand und
als welterfahrner, beredter Mann von gewinnendem Wesen als der berufenste
Mittler erschien. Nach längerer Verhandlung kam die Aussöhnung mit vsrüa
und Bruderkuß zustande: Kraloh wird vom Bischof auf den Stuhl des heiligen
Benedikt gesetzt, dann wirft er sich weinend, um Verzeihung zu erflehen, nach
bekannter Klostersitte zu Boden, seinem Beispiel folgen der Bischof und die
anwesenden Brüder. Es war, sagt der Berichterstatter, nach dem Anschein zu
sehen, daß der heilige Geist sein Werk treibe. Amalnng aber stimmte mit
seiner wohlklingenden Stimme die Sequenz an: Lob sei dir, getreuer Gott,
und führte sie, indem die übrigen einfielen, zu Ende. Nur Viktor hatte an
diesen Werken der Liebe und Eintracht kein Gefallen. Wütend stürmte er, als
er den verhaßten Abt auf seinem Sitze sah, aus dem Saal, aber auch ihn
wußte der Bischof durch klugen Zuspruch zu besänftige".

Freilich nur für den Augenblick. Der Groll fraß weiter in seinem Herzen
und brachte bald neues Unheil über das Kloster. Unfähig, das Leben unter
dem Regiment des alten Abtes zu ertragen, erbat er sich Urlaub von seinem
Dekan, um sich nach Pfäfers zu seinem Oheim Enzilin zu begeben, der in¬
zwischen die dortige Abtei erlangt hatte, und entweder hier dauernd zu bleiben
oder mit dein Abt Ränke gegen den gemeinsamen Widersacher in Se. Gallen
zu spinnen. Das erfuhr Kraloh und gab die Weisung, daß bewaffnete Dienst¬
leute des Klosters dem Fliehenden unterwegs auflauern und ihn mit Gewalt
in das Kloster zurückführen sollten. In dem Handgemenge, das sich bei der
Ausführung des Gebots entspann, traf Viktor den Führer der Reisigen so
heftig mit einer Keule, daß dieser halbtot vom Pferde sank, wurde dann aber
von dessen Begleitern ergriffen und von der wütenden Schar geblendet. An
ihrem Führer und dessen Wasserträger nahmen die Verwandten des Geblen¬
deten bald blutige Rache; in: Kloster aber erhob sich, als die Sache bekannt
geworden war, von nettem der allgemeine Unwille gegen Kraloh, dem man
die Hauptschuld an der Untat beimaß; und da auch die aufgebrachten Verwandten
Viktors ihn mit ihrer Rache bedrohten, konnte er nicht mehr wagen, das
Kloster ohne den Schutz Bewaffneter zu verlassen. Zwar erbot er sich, durch
einen feierlichen Eid am Altar des heiligen Gallus seine Unschuld zu bekräf¬
tigen, aber die Sache wurde einstweilen vertagt, und "och ehe er den Nei-
nigungseid leisten konnte, starb er, von beständiger Angst vor Nachstellungen
gepeinigt, in dem benachbarten Herisau, wohin er sich zurückgezogen hatte,
weil er sich im Kloster nicht mehr sicher fühlte. Als König Otto sein Ab¬
leben erfuhr, soll er gesagt haben: So ist denn der Blender seiner Mönche
gestorben! Ist die Äußerung wahr, so beweist sie, daß Ottos Abneigung gegen
den Abt auch damals noch nicht geschwunden war, aber aus seinem ganzen
Verhalten muß man auch entnehmen, daß ihm die Zucht in den Klöstern nicht


Lkkehard der Erste von Se. Gallen und das IValtharilied

Ekkehard stand. Die andern waren Roller, wegen seiner Strenge das Pfeffer¬
korn zubenannt, Gerald, der eifrige, langjährige Lehrer an der Klosterschule,
und der nachmalige Abt Burkhard der Erste. Diese ließen den Bischof in die
Kirche des Klosters ein, indem sie ihn baten, zu den Verhandlungen auch
Amalung, Ekkehards Bruder, zuziehn zu dürfen, der, wiewohl ein Laie, doch
wegen seiner Gottesfurcht bei den Brüdern in besondern^ Ansehen stand und
als welterfahrner, beredter Mann von gewinnendem Wesen als der berufenste
Mittler erschien. Nach längerer Verhandlung kam die Aussöhnung mit vsrüa
und Bruderkuß zustande: Kraloh wird vom Bischof auf den Stuhl des heiligen
Benedikt gesetzt, dann wirft er sich weinend, um Verzeihung zu erflehen, nach
bekannter Klostersitte zu Boden, seinem Beispiel folgen der Bischof und die
anwesenden Brüder. Es war, sagt der Berichterstatter, nach dem Anschein zu
sehen, daß der heilige Geist sein Werk treibe. Amalnng aber stimmte mit
seiner wohlklingenden Stimme die Sequenz an: Lob sei dir, getreuer Gott,
und führte sie, indem die übrigen einfielen, zu Ende. Nur Viktor hatte an
diesen Werken der Liebe und Eintracht kein Gefallen. Wütend stürmte er, als
er den verhaßten Abt auf seinem Sitze sah, aus dem Saal, aber auch ihn
wußte der Bischof durch klugen Zuspruch zu besänftige».

Freilich nur für den Augenblick. Der Groll fraß weiter in seinem Herzen
und brachte bald neues Unheil über das Kloster. Unfähig, das Leben unter
dem Regiment des alten Abtes zu ertragen, erbat er sich Urlaub von seinem
Dekan, um sich nach Pfäfers zu seinem Oheim Enzilin zu begeben, der in¬
zwischen die dortige Abtei erlangt hatte, und entweder hier dauernd zu bleiben
oder mit dein Abt Ränke gegen den gemeinsamen Widersacher in Se. Gallen
zu spinnen. Das erfuhr Kraloh und gab die Weisung, daß bewaffnete Dienst¬
leute des Klosters dem Fliehenden unterwegs auflauern und ihn mit Gewalt
in das Kloster zurückführen sollten. In dem Handgemenge, das sich bei der
Ausführung des Gebots entspann, traf Viktor den Führer der Reisigen so
heftig mit einer Keule, daß dieser halbtot vom Pferde sank, wurde dann aber
von dessen Begleitern ergriffen und von der wütenden Schar geblendet. An
ihrem Führer und dessen Wasserträger nahmen die Verwandten des Geblen¬
deten bald blutige Rache; in: Kloster aber erhob sich, als die Sache bekannt
geworden war, von nettem der allgemeine Unwille gegen Kraloh, dem man
die Hauptschuld an der Untat beimaß; und da auch die aufgebrachten Verwandten
Viktors ihn mit ihrer Rache bedrohten, konnte er nicht mehr wagen, das
Kloster ohne den Schutz Bewaffneter zu verlassen. Zwar erbot er sich, durch
einen feierlichen Eid am Altar des heiligen Gallus seine Unschuld zu bekräf¬
tigen, aber die Sache wurde einstweilen vertagt, und »och ehe er den Nei-
nigungseid leisten konnte, starb er, von beständiger Angst vor Nachstellungen
gepeinigt, in dem benachbarten Herisau, wohin er sich zurückgezogen hatte,
weil er sich im Kloster nicht mehr sicher fühlte. Als König Otto sein Ab¬
leben erfuhr, soll er gesagt haben: So ist denn der Blender seiner Mönche
gestorben! Ist die Äußerung wahr, so beweist sie, daß Ottos Abneigung gegen
den Abt auch damals noch nicht geschwunden war, aber aus seinem ganzen
Verhalten muß man auch entnehmen, daß ihm die Zucht in den Klöstern nicht


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[0288] Lkkehard der Erste von Se. Gallen und das IValtharilied Ekkehard stand. Die andern waren Roller, wegen seiner Strenge das Pfeffer¬ korn zubenannt, Gerald, der eifrige, langjährige Lehrer an der Klosterschule, und der nachmalige Abt Burkhard der Erste. Diese ließen den Bischof in die Kirche des Klosters ein, indem sie ihn baten, zu den Verhandlungen auch Amalung, Ekkehards Bruder, zuziehn zu dürfen, der, wiewohl ein Laie, doch wegen seiner Gottesfurcht bei den Brüdern in besondern^ Ansehen stand und als welterfahrner, beredter Mann von gewinnendem Wesen als der berufenste Mittler erschien. Nach längerer Verhandlung kam die Aussöhnung mit vsrüa und Bruderkuß zustande: Kraloh wird vom Bischof auf den Stuhl des heiligen Benedikt gesetzt, dann wirft er sich weinend, um Verzeihung zu erflehen, nach bekannter Klostersitte zu Boden, seinem Beispiel folgen der Bischof und die anwesenden Brüder. Es war, sagt der Berichterstatter, nach dem Anschein zu sehen, daß der heilige Geist sein Werk treibe. Amalnng aber stimmte mit seiner wohlklingenden Stimme die Sequenz an: Lob sei dir, getreuer Gott, und führte sie, indem die übrigen einfielen, zu Ende. Nur Viktor hatte an diesen Werken der Liebe und Eintracht kein Gefallen. Wütend stürmte er, als er den verhaßten Abt auf seinem Sitze sah, aus dem Saal, aber auch ihn wußte der Bischof durch klugen Zuspruch zu besänftige». Freilich nur für den Augenblick. Der Groll fraß weiter in seinem Herzen und brachte bald neues Unheil über das Kloster. Unfähig, das Leben unter dem Regiment des alten Abtes zu ertragen, erbat er sich Urlaub von seinem Dekan, um sich nach Pfäfers zu seinem Oheim Enzilin zu begeben, der in¬ zwischen die dortige Abtei erlangt hatte, und entweder hier dauernd zu bleiben oder mit dein Abt Ränke gegen den gemeinsamen Widersacher in Se. Gallen zu spinnen. Das erfuhr Kraloh und gab die Weisung, daß bewaffnete Dienst¬ leute des Klosters dem Fliehenden unterwegs auflauern und ihn mit Gewalt in das Kloster zurückführen sollten. In dem Handgemenge, das sich bei der Ausführung des Gebots entspann, traf Viktor den Führer der Reisigen so heftig mit einer Keule, daß dieser halbtot vom Pferde sank, wurde dann aber von dessen Begleitern ergriffen und von der wütenden Schar geblendet. An ihrem Führer und dessen Wasserträger nahmen die Verwandten des Geblen¬ deten bald blutige Rache; in: Kloster aber erhob sich, als die Sache bekannt geworden war, von nettem der allgemeine Unwille gegen Kraloh, dem man die Hauptschuld an der Untat beimaß; und da auch die aufgebrachten Verwandten Viktors ihn mit ihrer Rache bedrohten, konnte er nicht mehr wagen, das Kloster ohne den Schutz Bewaffneter zu verlassen. Zwar erbot er sich, durch einen feierlichen Eid am Altar des heiligen Gallus seine Unschuld zu bekräf¬ tigen, aber die Sache wurde einstweilen vertagt, und »och ehe er den Nei- nigungseid leisten konnte, starb er, von beständiger Angst vor Nachstellungen gepeinigt, in dem benachbarten Herisau, wohin er sich zurückgezogen hatte, weil er sich im Kloster nicht mehr sicher fühlte. Als König Otto sein Ab¬ leben erfuhr, soll er gesagt haben: So ist denn der Blender seiner Mönche gestorben! Ist die Äußerung wahr, so beweist sie, daß Ottos Abneigung gegen den Abt auch damals noch nicht geschwunden war, aber aus seinem ganzen Verhalten muß man auch entnehmen, daß ihm die Zucht in den Klöstern nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/288>, abgerufen am 26.11.2024.