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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Lkkehard der Erste von Se. Gallen und das Waltharilied

denn der Zeitpunkt gekommen zu sein, wo es gerechtfertigt ist, auch einem
größern Kreise über den Stand dieser Forschungen zu berichten. Vorausgehn
mag aber das Lebensbild Ekkehards selbst, soweit sich ein solches ans der
Überlieferung gewinnen läßt. Denn wenig uur ist es, was wir von Ekkehard
wissen, dieses wenige aber finden wir in den L!g.8us iric>iiÄ8wrii 8. (Z^tu, die
von dem letzten der vier dem Kloster Se. Gallen als Schüler und Brüder an¬
gehörenden Ekkeharde in der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts aufgezeichnet
worden sind. Ist auch diese Chronik keineswegs frei von Irrtümern, namentlich
da, wo sie den Nahmen der eigentlichen Klostergeschichte verläßt, so ist sie doch
für die Kulturgeschichte eine unschätzbare Quelle und da, wo es sich um die
Person des ersten Ekkehards handelt, im ganzen ein zuverlässiger Führer.

In der jetzt zum Kanton Se. Gallen gehörenden Grafschaft Toggenburg,
die man, wenn nicht sonst woher, doch aus Schillers Gedicht "Der Graf von
Toggenburg" wenigstens dem Namen nach kennt, liegt in dem Tal, das von
der rauschenden Thur durchflossen wird, das begüterte Kirchdorf Jonswil.
Eine Viertelstunde davon sieht man auf hoher Felswand die spärlichen Trümmer
einer Burg. Diese Burg -- Jonswil genannt, wie das benachbarte Dorf --
gehörte von alters her dem angesehenen Geschlechte, dem der Dichter Ekkehard
entstammte. Hier hatte im Anfang des zehnten Jahrhunderts Othar seinen Sitz,
der Bruder des aus der Geschichte des Klosters Se. Gallen wohlbekannten Rollers,
den man den Stammler oder den Heiligen nannte -- als Landgraf gebot er
mächtig im Lande, wußte auch das ihm zugefalluc Erbgut durch Erwerbung
anstoßender Lündereie" zu mehren. Nach seinem Tode fiel der Besitz, da
direkte Erben nicht vorhanden waren, an eine Verwandte namens Kerhildis,
und als diese den Beschluß gefaßt hatte, der Welt zu entsagen, und sich nach
dem Beispiel der heiligen Wiborad und andrer in die Einsamkeit einer Büßer¬
zelle zurückzog, um hier ihre Tage zu beschließen, legte das Kloster Se. Gallen
die Hand auf das Erbe, uicht ohne allerlei Streit mit Seitenverwandten der
Verstorbnen, die nähere Ansprüche auf das Besitztum zu haben glaubten. Die
Einkünfte des Gutes Jonswil aber wurden bald durch eine Stiftung zur Auf¬
besserung der täglichen Mahlzeiten im Kloster bestimmt, und es heißt, daß
Ekkehard diese Bestimmung getroffen habe, sei es, daß ihm als einem Ver¬
wandten der Kerhildis wirklich ein Teil des Erbes zugefallen war, sei es, daß
er als Dekan im Namen des Klosters handelte. Das ist das erstemal, daß
Nur in den Annalen des Klosters Näheres von Ekkehard lesen. Bedeutender
trat er später hervor, als unter dem Regiment des Abtes Kraloh (942 bis 958)
das Kloster von schweren Wirren heimgesucht wurde. Aber um dies klar zu
machen, ist es nötig, etwas weiter auszuholen.

Nach der gewaltigen Feuersbrunst, die im Jahre 937 fast alle Gebäude
des Klosters in Asche gelegt hatte, war die Zucht unter den Brüdern, da
der strengere Zusammenhalt fehlte, in starken Verfall geraten. Dein suchte
Kraloh als Vorsteher des Klosters nach Kräften zu wehren, ohne jedoch bei
den verwöhnten Schäflein die erwünschte Gegenliebe zu finden. Unter den
Mönchen des Klosters war damals ein gewisser Viktor, der aus dem welschen
Graubünden stammte, der Sprößling eines vornehmen Geschlechts, wegen


Lkkehard der Erste von Se. Gallen und das Waltharilied

denn der Zeitpunkt gekommen zu sein, wo es gerechtfertigt ist, auch einem
größern Kreise über den Stand dieser Forschungen zu berichten. Vorausgehn
mag aber das Lebensbild Ekkehards selbst, soweit sich ein solches ans der
Überlieferung gewinnen läßt. Denn wenig uur ist es, was wir von Ekkehard
wissen, dieses wenige aber finden wir in den L!g.8us iric>iiÄ8wrii 8. (Z^tu, die
von dem letzten der vier dem Kloster Se. Gallen als Schüler und Brüder an¬
gehörenden Ekkeharde in der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts aufgezeichnet
worden sind. Ist auch diese Chronik keineswegs frei von Irrtümern, namentlich
da, wo sie den Nahmen der eigentlichen Klostergeschichte verläßt, so ist sie doch
für die Kulturgeschichte eine unschätzbare Quelle und da, wo es sich um die
Person des ersten Ekkehards handelt, im ganzen ein zuverlässiger Führer.

In der jetzt zum Kanton Se. Gallen gehörenden Grafschaft Toggenburg,
die man, wenn nicht sonst woher, doch aus Schillers Gedicht „Der Graf von
Toggenburg" wenigstens dem Namen nach kennt, liegt in dem Tal, das von
der rauschenden Thur durchflossen wird, das begüterte Kirchdorf Jonswil.
Eine Viertelstunde davon sieht man auf hoher Felswand die spärlichen Trümmer
einer Burg. Diese Burg — Jonswil genannt, wie das benachbarte Dorf —
gehörte von alters her dem angesehenen Geschlechte, dem der Dichter Ekkehard
entstammte. Hier hatte im Anfang des zehnten Jahrhunderts Othar seinen Sitz,
der Bruder des aus der Geschichte des Klosters Se. Gallen wohlbekannten Rollers,
den man den Stammler oder den Heiligen nannte — als Landgraf gebot er
mächtig im Lande, wußte auch das ihm zugefalluc Erbgut durch Erwerbung
anstoßender Lündereie» zu mehren. Nach seinem Tode fiel der Besitz, da
direkte Erben nicht vorhanden waren, an eine Verwandte namens Kerhildis,
und als diese den Beschluß gefaßt hatte, der Welt zu entsagen, und sich nach
dem Beispiel der heiligen Wiborad und andrer in die Einsamkeit einer Büßer¬
zelle zurückzog, um hier ihre Tage zu beschließen, legte das Kloster Se. Gallen
die Hand auf das Erbe, uicht ohne allerlei Streit mit Seitenverwandten der
Verstorbnen, die nähere Ansprüche auf das Besitztum zu haben glaubten. Die
Einkünfte des Gutes Jonswil aber wurden bald durch eine Stiftung zur Auf¬
besserung der täglichen Mahlzeiten im Kloster bestimmt, und es heißt, daß
Ekkehard diese Bestimmung getroffen habe, sei es, daß ihm als einem Ver¬
wandten der Kerhildis wirklich ein Teil des Erbes zugefallen war, sei es, daß
er als Dekan im Namen des Klosters handelte. Das ist das erstemal, daß
Nur in den Annalen des Klosters Näheres von Ekkehard lesen. Bedeutender
trat er später hervor, als unter dem Regiment des Abtes Kraloh (942 bis 958)
das Kloster von schweren Wirren heimgesucht wurde. Aber um dies klar zu
machen, ist es nötig, etwas weiter auszuholen.

Nach der gewaltigen Feuersbrunst, die im Jahre 937 fast alle Gebäude
des Klosters in Asche gelegt hatte, war die Zucht unter den Brüdern, da
der strengere Zusammenhalt fehlte, in starken Verfall geraten. Dein suchte
Kraloh als Vorsteher des Klosters nach Kräften zu wehren, ohne jedoch bei
den verwöhnten Schäflein die erwünschte Gegenliebe zu finden. Unter den
Mönchen des Klosters war damals ein gewisser Viktor, der aus dem welschen
Graubünden stammte, der Sprößling eines vornehmen Geschlechts, wegen


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[0286] Lkkehard der Erste von Se. Gallen und das Waltharilied denn der Zeitpunkt gekommen zu sein, wo es gerechtfertigt ist, auch einem größern Kreise über den Stand dieser Forschungen zu berichten. Vorausgehn mag aber das Lebensbild Ekkehards selbst, soweit sich ein solches ans der Überlieferung gewinnen läßt. Denn wenig uur ist es, was wir von Ekkehard wissen, dieses wenige aber finden wir in den L!g.8us iric>iiÄ8wrii 8. (Z^tu, die von dem letzten der vier dem Kloster Se. Gallen als Schüler und Brüder an¬ gehörenden Ekkeharde in der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts aufgezeichnet worden sind. Ist auch diese Chronik keineswegs frei von Irrtümern, namentlich da, wo sie den Nahmen der eigentlichen Klostergeschichte verläßt, so ist sie doch für die Kulturgeschichte eine unschätzbare Quelle und da, wo es sich um die Person des ersten Ekkehards handelt, im ganzen ein zuverlässiger Führer. In der jetzt zum Kanton Se. Gallen gehörenden Grafschaft Toggenburg, die man, wenn nicht sonst woher, doch aus Schillers Gedicht „Der Graf von Toggenburg" wenigstens dem Namen nach kennt, liegt in dem Tal, das von der rauschenden Thur durchflossen wird, das begüterte Kirchdorf Jonswil. Eine Viertelstunde davon sieht man auf hoher Felswand die spärlichen Trümmer einer Burg. Diese Burg — Jonswil genannt, wie das benachbarte Dorf — gehörte von alters her dem angesehenen Geschlechte, dem der Dichter Ekkehard entstammte. Hier hatte im Anfang des zehnten Jahrhunderts Othar seinen Sitz, der Bruder des aus der Geschichte des Klosters Se. Gallen wohlbekannten Rollers, den man den Stammler oder den Heiligen nannte — als Landgraf gebot er mächtig im Lande, wußte auch das ihm zugefalluc Erbgut durch Erwerbung anstoßender Lündereie» zu mehren. Nach seinem Tode fiel der Besitz, da direkte Erben nicht vorhanden waren, an eine Verwandte namens Kerhildis, und als diese den Beschluß gefaßt hatte, der Welt zu entsagen, und sich nach dem Beispiel der heiligen Wiborad und andrer in die Einsamkeit einer Büßer¬ zelle zurückzog, um hier ihre Tage zu beschließen, legte das Kloster Se. Gallen die Hand auf das Erbe, uicht ohne allerlei Streit mit Seitenverwandten der Verstorbnen, die nähere Ansprüche auf das Besitztum zu haben glaubten. Die Einkünfte des Gutes Jonswil aber wurden bald durch eine Stiftung zur Auf¬ besserung der täglichen Mahlzeiten im Kloster bestimmt, und es heißt, daß Ekkehard diese Bestimmung getroffen habe, sei es, daß ihm als einem Ver¬ wandten der Kerhildis wirklich ein Teil des Erbes zugefallen war, sei es, daß er als Dekan im Namen des Klosters handelte. Das ist das erstemal, daß Nur in den Annalen des Klosters Näheres von Ekkehard lesen. Bedeutender trat er später hervor, als unter dem Regiment des Abtes Kraloh (942 bis 958) das Kloster von schweren Wirren heimgesucht wurde. Aber um dies klar zu machen, ist es nötig, etwas weiter auszuholen. Nach der gewaltigen Feuersbrunst, die im Jahre 937 fast alle Gebäude des Klosters in Asche gelegt hatte, war die Zucht unter den Brüdern, da der strengere Zusammenhalt fehlte, in starken Verfall geraten. Dein suchte Kraloh als Vorsteher des Klosters nach Kräften zu wehren, ohne jedoch bei den verwöhnten Schäflein die erwünschte Gegenliebe zu finden. Unter den Mönchen des Klosters war damals ein gewisser Viktor, der aus dem welschen Graubünden stammte, der Sprößling eines vornehmen Geschlechts, wegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/286>, abgerufen am 26.11.2024.