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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Die orientalische Frage

Friede für das Schwarze Meer auferlegt hatte; Bismarck lieh ihm dabei seine
tatkräftigste Unterstützung, zwischen Berlin und Petersburg bestand eine durch
das persönliche Verhältnis der beiden Kaiser verstärkte Übereinstimmung,
und doch kann man schon fühlen, daß das Vorhandensein eines Deutschen
Reichs an sich ans die russische Eroberungspolitik hemmend zu wirken be¬
ginnt. -- In Rußland wirft man heute noch dein Fürsten Undank und Mi߬
gunst gegen Rußland vor; mit Unrecht. Bismarck wollte die Erhaltung des
europäischen Friedens, weil das neue Deutschland dessen zu seiner Kon-
solidierung bedürfte; dadurch kam seiue Politik allerdings in einen gewissen
Gegensatz zu der traditionellen Rußlands; er war bereit, Rußlands Pläne in
jeder Weise zu fördern, aber nur so weit, als sie den Frieden nicht gefährdeten
und damit den deutschen Interessen nicht zuwiderliefen. Die Zeit, wo sich
preußische Minister ihre Instruktionen aus dem russischen Hotel in Berlin
holten, war allerdings vorüber. Bismarck war für ein Zusnmmengehn mit
Rußland, aber wie der alte Metternich einmal sagte, daß nichts nützlicher sei
als das Bündnis zwischen dem Meuschen und dem Pferd, man aber der
Mensch und nicht das Pferd sein müsse, so war auch Bismarck sich dessen
bewußt, daß Deutschland bei einem Zusammenwirken mit Rußland nur dann
nicht der leidende Teil, daß es nur dann imstande sein würde, deu euro¬
päischen Frieden gegen die revolutionären Traditionen Peters des Großen zu
sichern, wenn die Europa mitten durchschneidende Linie von Kiel uach Trieft
von einer im guten Sinne konservativen Politik beherrscht würde. Daß Bis¬
marck das Zeitalter der Revolutionen gut kannte und ihre bewegenden Kräfte
und die Bedingungen ihrer Erfolge richtig einschätzte, beweist seine Haltung
am Ausgang des preußisch-österreichischen Krieges.' Ans seinen "Gedanken
und Erinnerungen" ist bekannt geworden, mit welcher Energie er sich damals
allem widersetzte, was bei dem österreichischen Hof unnötig einen Stachel der
Demütigung und Verbitterung hätte zurücklassen können, denn schon damals
rechnete Bismarck mit einem deutsch-österreichischen Bündnisse, das ganz in
anderm Sinne als die Heilige Allianz eine revolutionäre Entwicklung -- die
la acht immer die Jakobinermütze tragen muß -- hiutanhnlten sollte. Zum
aktenmäßigen Ausdruck kam dieser Gedanke Bismarcks zuerst in der vom
^4. April 1867 datierten Depesche an Herrn von Werther, die auch schon die
erste Skizze des Defcnsivbündnisses in Verbindung mit der orientalischen Frage
ausweist. Beust trat damals dazwischen. Aber schon von Versailles ans
(Dezember 1870) nahm Bismarck den Plan wieder ans und kam durch die
^alserzusammenkunft in Ischl dem Ziel auch näher. Unterstützt wurde er
^aber durch die Einsicht der damals in Ungarn maßgebenden Kreise. Die
^vue hatte mit den Magyaren Frieden geschlossen und Ungarn seine staats¬
rechtliche Selbständigkeit im Rahmen einer dualistischen Verfassung wieder-
_ , en. Daß diese sich einlebe, war die erste Sorge der ungarischen Staats-
Au"!^' bedurften sie aber des Friedens. Andrassy, der damals das
^is ^"^ " ^er leitete, ging deshalb bereitwillig auf die Pläne
tur^"?^ ""d ein Bündnis der drei Kaiser schien das beste Mittel zu
^ -^erwirklichnng zu sein, da es voraussichtlich auf das Verlangen Nuß-'


^enzboten IN 1903 -z,,-
Die orientalische Frage

Friede für das Schwarze Meer auferlegt hatte; Bismarck lieh ihm dabei seine
tatkräftigste Unterstützung, zwischen Berlin und Petersburg bestand eine durch
das persönliche Verhältnis der beiden Kaiser verstärkte Übereinstimmung,
und doch kann man schon fühlen, daß das Vorhandensein eines Deutschen
Reichs an sich ans die russische Eroberungspolitik hemmend zu wirken be¬
ginnt. — In Rußland wirft man heute noch dein Fürsten Undank und Mi߬
gunst gegen Rußland vor; mit Unrecht. Bismarck wollte die Erhaltung des
europäischen Friedens, weil das neue Deutschland dessen zu seiner Kon-
solidierung bedürfte; dadurch kam seiue Politik allerdings in einen gewissen
Gegensatz zu der traditionellen Rußlands; er war bereit, Rußlands Pläne in
jeder Weise zu fördern, aber nur so weit, als sie den Frieden nicht gefährdeten
und damit den deutschen Interessen nicht zuwiderliefen. Die Zeit, wo sich
preußische Minister ihre Instruktionen aus dem russischen Hotel in Berlin
holten, war allerdings vorüber. Bismarck war für ein Zusnmmengehn mit
Rußland, aber wie der alte Metternich einmal sagte, daß nichts nützlicher sei
als das Bündnis zwischen dem Meuschen und dem Pferd, man aber der
Mensch und nicht das Pferd sein müsse, so war auch Bismarck sich dessen
bewußt, daß Deutschland bei einem Zusammenwirken mit Rußland nur dann
nicht der leidende Teil, daß es nur dann imstande sein würde, deu euro¬
päischen Frieden gegen die revolutionären Traditionen Peters des Großen zu
sichern, wenn die Europa mitten durchschneidende Linie von Kiel uach Trieft
von einer im guten Sinne konservativen Politik beherrscht würde. Daß Bis¬
marck das Zeitalter der Revolutionen gut kannte und ihre bewegenden Kräfte
und die Bedingungen ihrer Erfolge richtig einschätzte, beweist seine Haltung
am Ausgang des preußisch-österreichischen Krieges.' Ans seinen „Gedanken
und Erinnerungen" ist bekannt geworden, mit welcher Energie er sich damals
allem widersetzte, was bei dem österreichischen Hof unnötig einen Stachel der
Demütigung und Verbitterung hätte zurücklassen können, denn schon damals
rechnete Bismarck mit einem deutsch-österreichischen Bündnisse, das ganz in
anderm Sinne als die Heilige Allianz eine revolutionäre Entwicklung — die
la acht immer die Jakobinermütze tragen muß — hiutanhnlten sollte. Zum
aktenmäßigen Ausdruck kam dieser Gedanke Bismarcks zuerst in der vom
^4. April 1867 datierten Depesche an Herrn von Werther, die auch schon die
erste Skizze des Defcnsivbündnisses in Verbindung mit der orientalischen Frage
ausweist. Beust trat damals dazwischen. Aber schon von Versailles ans
(Dezember 1870) nahm Bismarck den Plan wieder ans und kam durch die
^alserzusammenkunft in Ischl dem Ziel auch näher. Unterstützt wurde er
^aber durch die Einsicht der damals in Ungarn maßgebenden Kreise. Die
^vue hatte mit den Magyaren Frieden geschlossen und Ungarn seine staats¬
rechtliche Selbständigkeit im Rahmen einer dualistischen Verfassung wieder-
_ , en. Daß diese sich einlebe, war die erste Sorge der ungarischen Staats-
Au"!^' bedurften sie aber des Friedens. Andrassy, der damals das
^is ^"^ " ^er leitete, ging deshalb bereitwillig auf die Pläne
tur^"?^ ""d ein Bündnis der drei Kaiser schien das beste Mittel zu
^ -^erwirklichnng zu sein, da es voraussichtlich auf das Verlangen Nuß-'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/281>, abgerufen am 25.11.2024.