Lothringen im Osten samt einer unzerstörbaren Rcvanchelust in der österreichischen Monarchie zu schaffen, und es dieser zu überlassen, sich mit den aufstrebenden nationalen Bestrebungen des Tschechentums auseinanderzusetzen, das sich im Herzen der mitteleuropäischen Lande niedergelassen hat und nach eigner Ver¬ sicherung entschlossen ist, sich nicht mit den deutschen Stämmen zu vereinigen, sondern als "Pfahl im deutschen Fleische" in bewußter Feindschaft mit seinen Nachbarn weiterzuleben. Das schließt nicht aus, daß gerade die böhmischen Angelegenheiten ein dringlicher Gegenstand aller Erwägungen über die Zukunft des deutschen Volkstums bleiben. Daß Deutschland dem deutscheu Einschlag in der Habsburgischen Monarchie eine besondre Aufmerksamkeit zuwendet, ist natürlich, das Gegenteil würde überraschend sein. Aber etwas weiteres als den Ausdruck des Mitgefühls des deutscheu Volkes mit den Schicksalen der Deutschen in Österreich darf man darin nicht sehen, umsomehr als für absehbare Zeit kein deutscher Vorteil zu erkennen ist, um derentwillen man wünschen könnte, daß die österreichisch-ungarische Monarchie aufhöre zu bestehn.
Nicht eine deutsche Frage an sich, sondern eigentlich eine Frage der innern Politik Deutschlands ist das heutige Wirrsal in Österreich geworden, denn in Wahrheit geht die Frage nach der Zukunft nicht bloß das deutsche Volkstum an, sondern sie berührt in demselben Maße den Slawismus. So gerecht soll man schon sein, das anzuerkennen. Aber der einfachste Egoismus muß den Reichsdeutschen nahelegen, das österreichische Problem von dem Standpunkte der eigensten Lebensinteressen zu betrachten, und deshalb handelt es sich dabei um eine Frage der innern deutschen Politik, nicht der äußern. Das kann gerade wegen der Wirkung auf die österreichischen Verhältnisse nicht scharf genug betont werden, denn dort gehn unberechtigtes Mißtrauen gegen vermeintlich reichs- dentsche Anschläge in dem einen Lager und wahnsinnig ausschweifende Hoff¬ nungen auf deutsche Hilfe in dem andern wild durcheinander. Die slawisch¬ feudale Clique tut so oder glaubt vielleicht wirklich, daß Deutschland nichts sehnlicher verlange als die Beschleunigung des scheinbaren Zersetzungsprozesses, damit es seine "protestantische" Hand auf die Gebiete bis zur Adria legen könne. Die sonderbaren Schwärmer von der deutsch-radikalen Richtung bilden sich dasselbe ein, aber nicht aus Furcht, sondern in der zitternden Erwartung, daß ihnen die Reichsdeutschen wegen der unerträglichen Wirren und "Notstünde" an ihrer Grenze beispringen und sie aus ihrem Staatsverbande aus irgend welchen nationalen Gründen loslösen müßten. Beide vermögen nicht einzusehen, daß es auch einen großpolitischen Standpunkt gibt, vou dem aus die nationalen Wirren in Österreich doch nur einem "Sturme im Glase Wasser" -- wenn auch einem etwas großen -- gleichen, von dem aus überschaut werden kann, °aß sich die Nationen und die Natiönchen in Österreich, nachdem sie sich genugsam gezankt haben, wieder vertragen werden, und daß das alles nicht an Höhe hinanreicht, von der aus die Fragen der Großmacht- und Weltpolitik entschieden werden müssen. Bei dein weit verbreiteten Mangel an praktischem und Sinn, bei der krankhaften Sucht, alles nach vorübergehenden Wallungen u höchstens nach den Sätzen des Privatrechts zu beurteilen, sowie bei der Irrigkeit, sich in die Machtverhältnisse großer Reiche und Zwergstaaten,
Böhmen
Lothringen im Osten samt einer unzerstörbaren Rcvanchelust in der österreichischen Monarchie zu schaffen, und es dieser zu überlassen, sich mit den aufstrebenden nationalen Bestrebungen des Tschechentums auseinanderzusetzen, das sich im Herzen der mitteleuropäischen Lande niedergelassen hat und nach eigner Ver¬ sicherung entschlossen ist, sich nicht mit den deutschen Stämmen zu vereinigen, sondern als „Pfahl im deutschen Fleische" in bewußter Feindschaft mit seinen Nachbarn weiterzuleben. Das schließt nicht aus, daß gerade die böhmischen Angelegenheiten ein dringlicher Gegenstand aller Erwägungen über die Zukunft des deutschen Volkstums bleiben. Daß Deutschland dem deutscheu Einschlag in der Habsburgischen Monarchie eine besondre Aufmerksamkeit zuwendet, ist natürlich, das Gegenteil würde überraschend sein. Aber etwas weiteres als den Ausdruck des Mitgefühls des deutscheu Volkes mit den Schicksalen der Deutschen in Österreich darf man darin nicht sehen, umsomehr als für absehbare Zeit kein deutscher Vorteil zu erkennen ist, um derentwillen man wünschen könnte, daß die österreichisch-ungarische Monarchie aufhöre zu bestehn.
Nicht eine deutsche Frage an sich, sondern eigentlich eine Frage der innern Politik Deutschlands ist das heutige Wirrsal in Österreich geworden, denn in Wahrheit geht die Frage nach der Zukunft nicht bloß das deutsche Volkstum an, sondern sie berührt in demselben Maße den Slawismus. So gerecht soll man schon sein, das anzuerkennen. Aber der einfachste Egoismus muß den Reichsdeutschen nahelegen, das österreichische Problem von dem Standpunkte der eigensten Lebensinteressen zu betrachten, und deshalb handelt es sich dabei um eine Frage der innern deutschen Politik, nicht der äußern. Das kann gerade wegen der Wirkung auf die österreichischen Verhältnisse nicht scharf genug betont werden, denn dort gehn unberechtigtes Mißtrauen gegen vermeintlich reichs- dentsche Anschläge in dem einen Lager und wahnsinnig ausschweifende Hoff¬ nungen auf deutsche Hilfe in dem andern wild durcheinander. Die slawisch¬ feudale Clique tut so oder glaubt vielleicht wirklich, daß Deutschland nichts sehnlicher verlange als die Beschleunigung des scheinbaren Zersetzungsprozesses, damit es seine „protestantische" Hand auf die Gebiete bis zur Adria legen könne. Die sonderbaren Schwärmer von der deutsch-radikalen Richtung bilden sich dasselbe ein, aber nicht aus Furcht, sondern in der zitternden Erwartung, daß ihnen die Reichsdeutschen wegen der unerträglichen Wirren und „Notstünde" an ihrer Grenze beispringen und sie aus ihrem Staatsverbande aus irgend welchen nationalen Gründen loslösen müßten. Beide vermögen nicht einzusehen, daß es auch einen großpolitischen Standpunkt gibt, vou dem aus die nationalen Wirren in Österreich doch nur einem „Sturme im Glase Wasser" — wenn auch einem etwas großen — gleichen, von dem aus überschaut werden kann, °aß sich die Nationen und die Natiönchen in Österreich, nachdem sie sich genugsam gezankt haben, wieder vertragen werden, und daß das alles nicht an Höhe hinanreicht, von der aus die Fragen der Großmacht- und Weltpolitik entschieden werden müssen. Bei dein weit verbreiteten Mangel an praktischem und Sinn, bei der krankhaften Sucht, alles nach vorübergehenden Wallungen u höchstens nach den Sätzen des Privatrechts zu beurteilen, sowie bei der Irrigkeit, sich in die Machtverhältnisse großer Reiche und Zwergstaaten,
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Böhmen
Lothringen im Osten samt einer unzerstörbaren Rcvanchelust in der österreichischen
Monarchie zu schaffen, und es dieser zu überlassen, sich mit den aufstrebenden
nationalen Bestrebungen des Tschechentums auseinanderzusetzen, das sich im
Herzen der mitteleuropäischen Lande niedergelassen hat und nach eigner Ver¬
sicherung entschlossen ist, sich nicht mit den deutschen Stämmen zu vereinigen,
sondern als „Pfahl im deutschen Fleische" in bewußter Feindschaft mit seinen
Nachbarn weiterzuleben. Das schließt nicht aus, daß gerade die böhmischen
Angelegenheiten ein dringlicher Gegenstand aller Erwägungen über die Zukunft
des deutschen Volkstums bleiben. Daß Deutschland dem deutscheu Einschlag
in der Habsburgischen Monarchie eine besondre Aufmerksamkeit zuwendet, ist
natürlich, das Gegenteil würde überraschend sein. Aber etwas weiteres als den
Ausdruck des Mitgefühls des deutscheu Volkes mit den Schicksalen der Deutschen
in Österreich darf man darin nicht sehen, umsomehr als für absehbare Zeit kein
deutscher Vorteil zu erkennen ist, um derentwillen man wünschen könnte, daß
die österreichisch-ungarische Monarchie aufhöre zu bestehn.
Nicht eine deutsche Frage an sich, sondern eigentlich eine Frage der innern
Politik Deutschlands ist das heutige Wirrsal in Österreich geworden, denn in
Wahrheit geht die Frage nach der Zukunft nicht bloß das deutsche Volkstum
an, sondern sie berührt in demselben Maße den Slawismus. So gerecht soll
man schon sein, das anzuerkennen. Aber der einfachste Egoismus muß den
Reichsdeutschen nahelegen, das österreichische Problem von dem Standpunkte
der eigensten Lebensinteressen zu betrachten, und deshalb handelt es sich dabei
um eine Frage der innern deutschen Politik, nicht der äußern. Das kann gerade
wegen der Wirkung auf die österreichischen Verhältnisse nicht scharf genug betont
werden, denn dort gehn unberechtigtes Mißtrauen gegen vermeintlich reichs-
dentsche Anschläge in dem einen Lager und wahnsinnig ausschweifende Hoff¬
nungen auf deutsche Hilfe in dem andern wild durcheinander. Die slawisch¬
feudale Clique tut so oder glaubt vielleicht wirklich, daß Deutschland nichts
sehnlicher verlange als die Beschleunigung des scheinbaren Zersetzungsprozesses,
damit es seine „protestantische" Hand auf die Gebiete bis zur Adria legen
könne. Die sonderbaren Schwärmer von der deutsch-radikalen Richtung bilden
sich dasselbe ein, aber nicht aus Furcht, sondern in der zitternden Erwartung,
daß ihnen die Reichsdeutschen wegen der unerträglichen Wirren und „Notstünde"
an ihrer Grenze beispringen und sie aus ihrem Staatsverbande aus irgend
welchen nationalen Gründen loslösen müßten. Beide vermögen nicht einzusehen,
daß es auch einen großpolitischen Standpunkt gibt, vou dem aus die nationalen
Wirren in Österreich doch nur einem „Sturme im Glase Wasser" — wenn
auch einem etwas großen — gleichen, von dem aus überschaut werden kann,
°aß sich die Nationen und die Natiönchen in Österreich, nachdem sie sich
genugsam gezankt haben, wieder vertragen werden, und daß das alles nicht an
Höhe hinanreicht, von der aus die Fragen der Großmacht- und Weltpolitik
entschieden werden müssen. Bei dein weit verbreiteten Mangel an praktischem
und Sinn, bei der krankhaften Sucht, alles nach vorübergehenden Wallungen
u höchstens nach den Sätzen des Privatrechts zu beurteilen, sowie bei der
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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/267>, abgerufen am 25.11.2024.
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