Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer hgentieu deutschen Sprache vorwärts bringen und in behagliche Vermögensverhältnisse gelangen. Einst Eine große Rolle hat im deutschen Besitz- und Eigentumsrecht von jeher Da Eigentum und Besitz allemal zuerst im Hirtenleben beginnen, ja Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer hgentieu deutschen Sprache vorwärts bringen und in behagliche Vermögensverhältnisse gelangen. Einst Eine große Rolle hat im deutschen Besitz- und Eigentumsrecht von jeher Da Eigentum und Besitz allemal zuerst im Hirtenleben beginnen, ja <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0243" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241457"/> <fw type="header" place="top"> Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer hgentieu deutschen Sprache</fw><lb/> <p xml:id="ID_961" prev="#ID_960"> vorwärts bringen und in behagliche Vermögensverhältnisse gelangen. Einst<lb/> wurden nämlich die Landübertragungen nach einem uralten Brauche der indo¬<lb/> germanischen Völker bei uns durch Übergabe einer Hand voll Erde oder auch<lb/> einer ganzen Erdscholle, in die meist ein Zweig gesteckt war (mit „Nasen und<lb/> Zweige" mit „dort unÄ tvvigo"), vollzogen, zum Zeichen dafür, daß der Boden mit<lb/> allem, was auf ihm gewachsen ist, dem neuen Erwerberzu eigen gehören sollte.<lb/> Da nun der hierbei verwandte Zweig in der Regel ein frischer oder „grüner"<lb/> war, so hat sich dann wohl auf Grund dieser Feierlichkeit allmählich die erweiterte<lb/> Bedeutung der oben erwähnten Redensart gebildet. Später wurde wohl nicht<lb/> selten die Erdscholle auf die Kaufnrkunde oder umgekehrt diese auf jene gelegt,<lb/> un, dann vom Käufer von der Erde aufgehoben oder „aufgenommen" zu werden,<lb/> wie dies auch bei Urkunden über andre Rechtsvorgänge ganz allgemein bei den<lb/> Germanen üblich gewesen ist. Mit dieser symbolischen Handlung bei der „oarws<lb/> traMio" hängen aber die uns hente noch ganz geläufigen Verbindungen „eine<lb/> Urkunde (oder ein Protokoll, ein Inventar, Geld usw.) „aufnehmen" zweifels¬<lb/> ohne zusammen (vgl. auch das verwandte „Protest erheben," z. B. im<lb/> Wechselrecht).</p><lb/> <p xml:id="ID_962"> Eine große Rolle hat im deutschen Besitz- und Eigentumsrecht von jeher<lb/> das in älterer Zeit auch sonst noch (z. B. bei der Brandweise und bei der<lb/> Berufung eines Gerichtstages) sehr beliebte Symbol des Hammers (ahd. dawar,<lb/> altnord. nairmrr ^ Fels) gespielt, dem man als Waffe des Wettergottes Thor<lb/> oder Donar eine heiligende Kraft zuschrieb. Wie einst durch den Hammerwurf<lb/> die Grenzen des Eigentums an Grund und Boden bestimmt werden konnten,<lb/> so gilt der Hammer schlag auch als Bekräftigungszeichcn für den rechtsgiltigen<lb/> Übergang des Eigentums einer Sache an den Meistbietenden, das bekanntlich<lb/> bis in unsre Tage — ebenso wie die drei Hammerschläge bei Grundstein¬<lb/> legungen — in Übung geblieben ist. Kein Wunder also, daß auch nach unserm<lb/> Sprachgebrauch noch heute ein schlecht verwaltetes Besitztum „unter den<lb/> Hammer kommen" kann und dann in die Hände eines andern übergeht, dem<lb/> „der Zuschlag erteilt" ist (daher auch das Zeitwort „zuschlagen," vielleicht auch<lb/> „aufschlagen" für „den Preis erhöhen"). Aus einer zur Entscheidung von Besitz-<lb/> ftreitigkciten üblich gewesenen Rechtssitte stammt endlich noch die, Wohl erst später<lb/> ans den Kampf übertragne Redewendung „den kürzern ziehen" für „unter¬<lb/> liegen," die als eine der vielen sogenannten Ellipsen unsrer Umgangssprache<lb/> gar manchem Ausländer wohl schon Kopfzerbrechen bereitet haben dürfte. Sie<lb/> erklärt sich aber nicht allzu schwer aus dem altgermanischen Brauche des Lvseus.<lb/> Um den rechtmäßigen Besitzer festzustellen, ließ man die Streitenden zwei Gras¬<lb/> halme oder Holzstückchen einem Dritten aus der Hand ziehen. Wer dabei dann<lb/> „den kürzeren (nämlich: Halm) zog," der hatte verloren.</p><lb/> <p xml:id="ID_963" next="#ID_964"> Da Eigentum und Besitz allemal zuerst im Hirtenleben beginnen, ja<lb/> „Besitz" in den ältesten Zeiten geradezu identisch mit „Herde" gewesen ist,<lb/> so erklärt es sich, daß man auch später, als sich die wirtschaftlichen Verhältnisse<lb/> in Deutschland schon geändert hatten, noch an Ausdrücken zur Bezeichnung des<lb/> Besitzes, namentlich des Grundbesitzes, festgehalten hat, die an die frühern<lb/> Kulturepochen erinnern. So ist z. B. nach der herrschenden Ansicht das in<lb/> Deutschland etwa seit dein elften Jahrhundert auftretende, wenn auch wohl<lb/> nicht auf eigentlich deutschem Boden entstandne mittellateiuische Wort lsucluin<lb/> (keacluin) zur Bezeichnung des Lehnguts (bönökoiuin) abzuleiten von wo (got.<lb/> wllu, ahd. Mu, Vieh; vgl. das en'gi. dös, Lohn, Trinkgeld, Schulgeld) und<lb/> "et (-- Gut, Besitz; vgl. „Allod," alae. -llloclis, Moelium, ahd. al-na, eigentl.<lb/> ^anzbesitz, dann freier Besitz, freies Eigentum im Gegensatze zum Lehn) und<lb/> hat demnach ursprünglich nichts andres als „Besitz an Vieh" bedeutet. Nun<lb/> waren aber wohl in der Regel die „Lehnsherrn" Eigentümer größerer Ländereien,<lb/> '"w vermögende und vornehme Leute oder galten wenigstens dafür in den Augen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0243]
Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer hgentieu deutschen Sprache
vorwärts bringen und in behagliche Vermögensverhältnisse gelangen. Einst
wurden nämlich die Landübertragungen nach einem uralten Brauche der indo¬
germanischen Völker bei uns durch Übergabe einer Hand voll Erde oder auch
einer ganzen Erdscholle, in die meist ein Zweig gesteckt war (mit „Nasen und
Zweige" mit „dort unÄ tvvigo"), vollzogen, zum Zeichen dafür, daß der Boden mit
allem, was auf ihm gewachsen ist, dem neuen Erwerberzu eigen gehören sollte.
Da nun der hierbei verwandte Zweig in der Regel ein frischer oder „grüner"
war, so hat sich dann wohl auf Grund dieser Feierlichkeit allmählich die erweiterte
Bedeutung der oben erwähnten Redensart gebildet. Später wurde wohl nicht
selten die Erdscholle auf die Kaufnrkunde oder umgekehrt diese auf jene gelegt,
un, dann vom Käufer von der Erde aufgehoben oder „aufgenommen" zu werden,
wie dies auch bei Urkunden über andre Rechtsvorgänge ganz allgemein bei den
Germanen üblich gewesen ist. Mit dieser symbolischen Handlung bei der „oarws
traMio" hängen aber die uns hente noch ganz geläufigen Verbindungen „eine
Urkunde (oder ein Protokoll, ein Inventar, Geld usw.) „aufnehmen" zweifels¬
ohne zusammen (vgl. auch das verwandte „Protest erheben," z. B. im
Wechselrecht).
Eine große Rolle hat im deutschen Besitz- und Eigentumsrecht von jeher
das in älterer Zeit auch sonst noch (z. B. bei der Brandweise und bei der
Berufung eines Gerichtstages) sehr beliebte Symbol des Hammers (ahd. dawar,
altnord. nairmrr ^ Fels) gespielt, dem man als Waffe des Wettergottes Thor
oder Donar eine heiligende Kraft zuschrieb. Wie einst durch den Hammerwurf
die Grenzen des Eigentums an Grund und Boden bestimmt werden konnten,
so gilt der Hammer schlag auch als Bekräftigungszeichcn für den rechtsgiltigen
Übergang des Eigentums einer Sache an den Meistbietenden, das bekanntlich
bis in unsre Tage — ebenso wie die drei Hammerschläge bei Grundstein¬
legungen — in Übung geblieben ist. Kein Wunder also, daß auch nach unserm
Sprachgebrauch noch heute ein schlecht verwaltetes Besitztum „unter den
Hammer kommen" kann und dann in die Hände eines andern übergeht, dem
„der Zuschlag erteilt" ist (daher auch das Zeitwort „zuschlagen," vielleicht auch
„aufschlagen" für „den Preis erhöhen"). Aus einer zur Entscheidung von Besitz-
ftreitigkciten üblich gewesenen Rechtssitte stammt endlich noch die, Wohl erst später
ans den Kampf übertragne Redewendung „den kürzern ziehen" für „unter¬
liegen," die als eine der vielen sogenannten Ellipsen unsrer Umgangssprache
gar manchem Ausländer wohl schon Kopfzerbrechen bereitet haben dürfte. Sie
erklärt sich aber nicht allzu schwer aus dem altgermanischen Brauche des Lvseus.
Um den rechtmäßigen Besitzer festzustellen, ließ man die Streitenden zwei Gras¬
halme oder Holzstückchen einem Dritten aus der Hand ziehen. Wer dabei dann
„den kürzeren (nämlich: Halm) zog," der hatte verloren.
Da Eigentum und Besitz allemal zuerst im Hirtenleben beginnen, ja
„Besitz" in den ältesten Zeiten geradezu identisch mit „Herde" gewesen ist,
so erklärt es sich, daß man auch später, als sich die wirtschaftlichen Verhältnisse
in Deutschland schon geändert hatten, noch an Ausdrücken zur Bezeichnung des
Besitzes, namentlich des Grundbesitzes, festgehalten hat, die an die frühern
Kulturepochen erinnern. So ist z. B. nach der herrschenden Ansicht das in
Deutschland etwa seit dein elften Jahrhundert auftretende, wenn auch wohl
nicht auf eigentlich deutschem Boden entstandne mittellateiuische Wort lsucluin
(keacluin) zur Bezeichnung des Lehnguts (bönökoiuin) abzuleiten von wo (got.
wllu, ahd. Mu, Vieh; vgl. das en'gi. dös, Lohn, Trinkgeld, Schulgeld) und
"et (-- Gut, Besitz; vgl. „Allod," alae. -llloclis, Moelium, ahd. al-na, eigentl.
^anzbesitz, dann freier Besitz, freies Eigentum im Gegensatze zum Lehn) und
hat demnach ursprünglich nichts andres als „Besitz an Vieh" bedeutet. Nun
waren aber wohl in der Regel die „Lehnsherrn" Eigentümer größerer Ländereien,
'"w vermögende und vornehme Leute oder galten wenigstens dafür in den Augen
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