Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache erscheinenden Redensart. Deal fast niemand wird es heute sonderlich übel nehmen, Auch zur Zeit unsrer Vorfahren war es nicht jedem vergönnt, in den Vgl. W. v. Brünneck, Zur Geschichte des Hagestolzenrechts, in der Zeitschrift der Samgnustiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung, Bd. XXII (1901), S. 1--48, besonders S. i--5 ". S. K u. Anm. 2. Grenzvoten III 1903:-!0
Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache erscheinenden Redensart. Deal fast niemand wird es heute sonderlich übel nehmen, Auch zur Zeit unsrer Vorfahren war es nicht jedem vergönnt, in den Vgl. W. v. Brünneck, Zur Geschichte des Hagestolzenrechts, in der Zeitschrift der Samgnustiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung, Bd. XXII (1901), S. 1—48, besonders S. i—5 «. S. K u. Anm. 2. Grenzvoten III 1903:-!0
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Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache
erscheinenden Redensart. Deal fast niemand wird es heute sonderlich übel nehmen,
wenn man von ihm behauptet, er habe einen Sonntagsausflug „mit Kind
und Kegel" unternommen, weil seine ganze Familie dabei beteiligt gewesen
sei, und doch wurde sich gar mancher zweifellos beleidigt fühlen, wenn ihm der
eigentliche Sinn dieser dem altdeutschen Rechte entlehnten Stabreimformel
genauer bekannt wäre. „Kegel" (ahd. auch K^Ksl, Kegelsohn), bei dem man
vielleicht an die ganz kleinen Kinder (vgl. „Krabben") zu denken geneigt
ist, bedeutete nämlich in der angeführten Wendung zunächst nichts andres als
das uneheliche Kind im Gegensatze zu dem ehelichen, das „Kvbös^incl^ (Sachsen¬
spiegel I, Art. 51, 2), d. i'. das Kind des „Kebsweibes" oder der „Kebse"
(übt. tckdikH, vllcidisii, LÜopisk, ahd. Kvbjsjkv; vgl. cmgels. oeckW, «Z)als8 —
Konkubine und Magd, nltnvrd. Kskssr ^ Sklave, woraus sich wichtige Rückschlüsse
auf die Behandlung der weiblichen Kriegsgefangnen ergeben) und hat Wohl mit
dem Kegel tinsers'Uuterhaltungsspiels von vornherein nichts zu tun gehabt.
Übrigens scheint der währe Sinn der Redensart etwa schon seit dem Ende des fünf¬
zehnten Jahrhunderts in Vergessenheit geraten zu sein. Daß er bis dahin aber
noch ziemlich allgemein bekannt war, ergibt sich ans verschiednen Zunftordnungen
aus dieser Zeit, in denen verboten wird, „Kegel" als Lehrlinge aufzunehmen.
Auch zur Zeit unsrer Vorfahren war es nicht jedem vergönnt, in den
Ehestand zu treten und eine Familie zu begründen. Wie heute so verpaßte
schon damals gar mancher die richtige Zeit und Gelegenheit dazu und wurde
ein „Hagestolz" oder, wie nur heute vorziehn zu sagen, „ein alter Junggeselle,"
worin eigentlich eine sogenannte ooutriulivtio in aclskow liegt. Dem „Hage¬
stolz" aber hat die Volksetymologie ganz besonders übel mitgespielt, indem sie ihn
in Verbindung und „Stolz" brachte und sich deshalb darunter etwa einen solchen
Mann dachte, dessen Stolz sich dagegen auflehne, das Ehejoch zu tragen. Das
Wort (ahd. Ka^nstalt jäj, später KaMKtiüt oder dgAsstult, aber schon ahd.
ImMstolis) ist jedoch abzuleiten vom althochdeutscher „lin.g-," Hag, d. h. umfriedigter,
umzäunter Grundbesitz (vgl. die Städterinnen Hagen und die vielen Ortsnamen
auf -Hag und -Hagen), und „8t.a1t" (von stellen, bestatten, got. stalclau —
besitzen), bedeutete also so viel wie „Hagbesitzer," Besitzer eiues kleinern, nicht
sehr wertvollen Gutes. Ein solches wurde — nach uralter, bei deu Bauern
bekanntlich noch heute vielfach herrschender Sitte — häufig den jungem Söhnen
einer Familie gegeben, die dann auch noch in einem Abhängigkeitsverhältnisse
zu dem durch deu Besitz des Haupthvfcs (Herrcnhofes oder auch bloß des „Hofes")
begünstigten ältestem Bruder standen und — mit Rücksicht auf ihre ganzen,
einfachern Lebcnsverhültnisse — in der Regel unverheiratet blieben. Wegen
dieses letzten Umstandes wurde dann der Ausdruck Hagestolz schou im frühen
Mittelalter schlechthin für die Unverheirateten gebraucht, während er in einer
engern, technisch-juristischen Bedeutung, nämlich für den Eheloseu, dessen Rachias;
dem erblosen Gut gleich behandelt wird und Gegenstand des namentlich von
Klöstern und Kirchen, aber auch von weltlichen Grundherrn ausgeübte« sogenannten
Heimfallrechts war, erst seit der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts, und
zwar zunächst auf dem schweizerisch-schwäbischen Rechtsgebiete, nachweisbar ist
(so z. B. in der Handfeste vom 31. Juli 1291, wonach 'der Abt zu Se. Gallen
den Bürgern der gleichnamigen Stadt das Recht von Kosemitz verlieh). In
dieser Zeck kommt übrigens das Wort auch für unverheiratete Personen weiblichen
Geschlechts („alte Jungfern") vor (so z. B. in den Rechten des Gotteshauses zu
Stein am Rhein, Ende des dreizehnten Jahrhunderts),^) während es sich nach
dem neuern Sprachgebrauch nicht nur bloß auf Männer beschränkt, sondern
Vgl. W. v. Brünneck, Zur Geschichte des Hagestolzenrechts, in der Zeitschrift der
Samgnustiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung, Bd. XXII (1901), S. 1—48,
besonders S. i—5 «. S. K u. Anm. 2.
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