Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Die Krisis in Ungar" Partei, Horcmszky, war zum Handelsminister ernannt worden, und sofort ver¬ Man konnte uun bald erkennen, wohin die ganze Geschichte gehn sollte. Grenzboten III 1903 28
Die Krisis in Ungar» Partei, Horcmszky, war zum Handelsminister ernannt worden, und sofort ver¬ Man konnte uun bald erkennen, wohin die ganze Geschichte gehn sollte. Grenzboten III 1903 28
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0225" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241439"/> <fw type="header" place="top"> Die Krisis in Ungar»</fw><lb/> <p xml:id="ID_913" prev="#ID_912"> Partei, Horcmszky, war zum Handelsminister ernannt worden, und sofort ver¬<lb/> lautete, der Honvcdminister, Feldzeugmeister Baron Fejervary, der seit Jahren<lb/> im Amte war, wolle seinen Rücktritt nehmen, weil er uicht mit Horcmszky in<lb/> einem Kabinett sitzen wolle. Es bedürfte der größten Anstrengungen und Ver¬<lb/> mittlungsversuche Szclls, sowie endlich eines äußerst gnädigen Handschreibens<lb/> des Monarchen, Fejervary im Amte zu erhalten und keine verfrühte Krise<lb/> heraufzubeschwören. Baron Fejervary ist ein treuer Monarchist und unbedingter<lb/> Vertreter des Ausgleichs von 1867. Daß sein Vorgehn nicht der Persönlich¬<lb/> keit, sondern allein den politischen Ansichten Hvranszkys galt, bewies er, als<lb/> wenig Wochen darauf Horauszky auf dem Totenbette lag. Ein neuer Licht¬<lb/> strahl blitzte auf, als Graf Appouyi die schon erwähnte Rede am 20. Mai<lb/> in Jaszbereuyi hielt, in der er sich so entschieden für Szell und gegen Öster¬<lb/> reich in der Ausgleichs- und Zolltarifangelegenheit aussprnch. Die Rede ent¬<lb/> hielt aber auch den merkwürdigen Satz, daß man von Herrn von Szell nichts<lb/> für den Ausgleich zu fürchten brauche, da er ihn als einen Mann kenne, der<lb/> sein einmal gegebnes Wort uuter allen Umstünden halte. Die an dem Grafen<lb/> Apponyi sonst nie beobachtete Art eines solchen Hervortretens und die osten¬<lb/> tative Betonung vor etwa vierzig anwesenden Abgeordneten, unter denen auch<lb/> Kossuthiauer waren, daß Herr von Szell ein Mann von Wort sei, machten<lb/> es ziemlich zweifellos, daß Graf Appouyi den Ministerpräsidenten vor aller<lb/> Welt an Zusagen erinnern wollte, die er seinerzeit gegeben hatte. Man hat<lb/> nie gehört, daß Graf Apponyi und seine Parteigenossen bei ihrem Eintreten<lb/> in die Regierungspartei auf ihr besondres staatsrechtliches Programm ver¬<lb/> zichtet hätten, ja man weiß nicht einmal, auf welcher Grundlage die Ver¬<lb/> schmelzung zustande gekommen ist. Es war aber zu verschiednen malen von<lb/> staatsrechtlichen Zusagen die Rede, die Szell gegeben haben sollte. Uuter<lb/> diesen Umständen wurde der eigentümliche Vorfall von Jasberenyi in ma߬<lb/> gebenden Kreisen sehr bemerkt.</p><lb/> <p xml:id="ID_914" next="#ID_915"> Man konnte uun bald erkennen, wohin die ganze Geschichte gehn sollte.<lb/> Natürlich stand die Kossnthpartei im Vordertreffen und begann ihre Agitation<lb/> gegen die gemeinsame Armee mit Kundgebungen gegen die Kaiserhymne. Neben<lb/> der allgemeinen Abneigung gegen alles Osterreichische wird in Ungarn gegen<lb/> diese eingewandt, sie sei 1849 bei der Erschießung der ungarischen Rebellen<lb/> gespielt worden, Ums ja an und für sich schon sehr unwahrscheinlich ist; auch<lb/> sängen die „Schwaben" danach ihr Lied „Deutschland, Deutschland über alles."<lb/> Man will eben eine besondre ungarische Hymne durchsetzen, wie mau ja auch<lb/> regelmäßig gegen die schwarzgelben Fahnen der kommandierender Generale<lb/> demonstriert. An: tollsten gebärdete man sich bei der Feier des hundert¬<lb/> jährigen Geburtstages Ludwig Kossuths am 19. September, an der übrigens<lb/> die Regierung nicht teilnahm; bei der Matthias Corvin-Feier in Klausenburg,<lb/> wo Erzherzog Joseph anwesend war, wurde die Volkshymne durch das Kossuth-<lb/> ^led und die ungarische Hymne übertönt. Der Kossntyianer Nessi lobte am<lb/> andern Tage im Abgeordnetenhause die Klansenburgcr Jugend dafür, und<lb/> Ministerpräsident vou Szell fügte beschwichtigend hinzu, in dem Spielen der<lb/> ^niserhymne beim Empfang eines Erzherzogs läge keine gegen Ungarn ge-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1903 28</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0225]
Die Krisis in Ungar»
Partei, Horcmszky, war zum Handelsminister ernannt worden, und sofort ver¬
lautete, der Honvcdminister, Feldzeugmeister Baron Fejervary, der seit Jahren
im Amte war, wolle seinen Rücktritt nehmen, weil er uicht mit Horcmszky in
einem Kabinett sitzen wolle. Es bedürfte der größten Anstrengungen und Ver¬
mittlungsversuche Szclls, sowie endlich eines äußerst gnädigen Handschreibens
des Monarchen, Fejervary im Amte zu erhalten und keine verfrühte Krise
heraufzubeschwören. Baron Fejervary ist ein treuer Monarchist und unbedingter
Vertreter des Ausgleichs von 1867. Daß sein Vorgehn nicht der Persönlich¬
keit, sondern allein den politischen Ansichten Hvranszkys galt, bewies er, als
wenig Wochen darauf Horauszky auf dem Totenbette lag. Ein neuer Licht¬
strahl blitzte auf, als Graf Appouyi die schon erwähnte Rede am 20. Mai
in Jaszbereuyi hielt, in der er sich so entschieden für Szell und gegen Öster¬
reich in der Ausgleichs- und Zolltarifangelegenheit aussprnch. Die Rede ent¬
hielt aber auch den merkwürdigen Satz, daß man von Herrn von Szell nichts
für den Ausgleich zu fürchten brauche, da er ihn als einen Mann kenne, der
sein einmal gegebnes Wort uuter allen Umstünden halte. Die an dem Grafen
Apponyi sonst nie beobachtete Art eines solchen Hervortretens und die osten¬
tative Betonung vor etwa vierzig anwesenden Abgeordneten, unter denen auch
Kossuthiauer waren, daß Herr von Szell ein Mann von Wort sei, machten
es ziemlich zweifellos, daß Graf Appouyi den Ministerpräsidenten vor aller
Welt an Zusagen erinnern wollte, die er seinerzeit gegeben hatte. Man hat
nie gehört, daß Graf Apponyi und seine Parteigenossen bei ihrem Eintreten
in die Regierungspartei auf ihr besondres staatsrechtliches Programm ver¬
zichtet hätten, ja man weiß nicht einmal, auf welcher Grundlage die Ver¬
schmelzung zustande gekommen ist. Es war aber zu verschiednen malen von
staatsrechtlichen Zusagen die Rede, die Szell gegeben haben sollte. Uuter
diesen Umständen wurde der eigentümliche Vorfall von Jasberenyi in ma߬
gebenden Kreisen sehr bemerkt.
Man konnte uun bald erkennen, wohin die ganze Geschichte gehn sollte.
Natürlich stand die Kossnthpartei im Vordertreffen und begann ihre Agitation
gegen die gemeinsame Armee mit Kundgebungen gegen die Kaiserhymne. Neben
der allgemeinen Abneigung gegen alles Osterreichische wird in Ungarn gegen
diese eingewandt, sie sei 1849 bei der Erschießung der ungarischen Rebellen
gespielt worden, Ums ja an und für sich schon sehr unwahrscheinlich ist; auch
sängen die „Schwaben" danach ihr Lied „Deutschland, Deutschland über alles."
Man will eben eine besondre ungarische Hymne durchsetzen, wie mau ja auch
regelmäßig gegen die schwarzgelben Fahnen der kommandierender Generale
demonstriert. An: tollsten gebärdete man sich bei der Feier des hundert¬
jährigen Geburtstages Ludwig Kossuths am 19. September, an der übrigens
die Regierung nicht teilnahm; bei der Matthias Corvin-Feier in Klausenburg,
wo Erzherzog Joseph anwesend war, wurde die Volkshymne durch das Kossuth-
^led und die ungarische Hymne übertönt. Der Kossntyianer Nessi lobte am
andern Tage im Abgeordnetenhause die Klansenburgcr Jugend dafür, und
Ministerpräsident vou Szell fügte beschwichtigend hinzu, in dem Spielen der
^niserhymne beim Empfang eines Erzherzogs läge keine gegen Ungarn ge-
Grenzboten III 1903 28
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