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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Die orientalische Frage

zu Frieden lind Mäßigung zurückzuführen; die politische Aufgabe ließ sich nicht
richtiger ausdrücken." -- Die Gefahr schien beschworen, Rußland fand sich
isoliert, da starb Leopold, mit ihm aber der einzige deutsche Staatsmann, der
ebenso dem Genie und den Leidenschaften Katharinas wie der elementaren
Gewalt der französischen Revolution gewachsen war. Sein Todestag, der
4. Mai 1792, ist der Todestag der Hegemonie Österreichs in Deutschland;
seitdem schwang sich aber auch Rußland unaufhaltsam zu eiuer ungeahnten
Machtstellung empor, bis erst nach Jahrzehnten endlich die Lösung der deutschen
Frage und ein Vertrag genau desselben Sinnes wie der Berliner von 1792
Nußland im Westen Halt gebot.

Katharina war zum Beitritt zum Berliner Vertrag eingeladen worden;
ihre Antwort war seine Sprengung. Zunächst wich sie einer bestimmten Ant¬
wort aus, bis der Tod Leopolds sie von schwerer Sorge befreite, und die
Dinge in Paris -- die Akten über den Anteil, den die russische Diplomatie
daran hatte, sind noch nicht geschlossen -- eine kritische Wendung nahmen.
Zunächst versprach sie den polnischen "Konservativen" militärische Hilfe gegen
die Reform der Verfassung, immerhin legte aber das Bestehen des Berliner
Vertrags ihr noch einige Reserve auf, als Preußen selbst die Grundlage dieses
Vertrags zerstörte, indem es vou Österreich für seine Brnderhilfe gegen Frank¬
reich die Zustimmung zur Besetzung Danzigs und Thorrs, also gerade das
begehrte, was der Berliner Vertrag unter allen Umstündeil zu vermeiden und
zu verhindern gebot. Nun hatte Katharina freie Hand bekommen. In Wien
wurden die Berliner Vorschläge abgelehnt, darob in Berlin große Verstimmung
und Neigung, sich an Rußland anzuschließen, die von Petersburg aus eifrigst
genährt wurde, während Katharina zugleich mit Österreich über eine Verstän¬
digung unterhandelte und dadurch einen doppelten Zweck erreichte; einerseits
hielt sie hierdurch jede ernste Maßnahme Österreichs in der polnischen Frage
hintan, zu deren Lösung Katharina schon 70000 Mann über die Grenzen
geschickt hatte, andrerseits kühlte sie dadurch den Eifer Friedrich Wilhelms für
den Krieg gegen Frankreich bedeutend ab.

So wurden die zweite und die dritte Teilung Polens möglich, während
der Feldzug gegen Frankreich von vornherein aussichtslos geworden war.
Die Eifersucht Preußens und Österreichs auseinander und die dadurch verur¬
sachte Ohnmacht des deutscheu Volkes lieferte Europa deu revolutionären
Gewalten aus. Der Tod der genialen Katharina (1796) änderte daran nichts.
Ihre 34 jährige Herrschaft hatte die Ideen Peters des Großen zum unver¬
wüstlichen politischen Eigentum des Nusseutums gemacht und der russischen
Diplomatie eine Tradition gegeben, die heute noch ihre Triumphe feiert.
Nußland hatte seinen mit Österreich unternommueu Türkenkrieg durch den
Frieden von Jassy (1792) beendet, der Rußland den Besitz der Krim und
Otschakows sicherte und den Dnjester als Grenze zwischen Rußland und der
Türkei zog, während die Donaufürstentümer als "selbständiger Staat" mit einem
Fürsten griechischen Glaubens aufgerichtet werden sollten. -- Über der in Italien
siegreichen Republik war indessen das Gestirn Bonapartes aufgegangen. Sein
Aug nach Ägypten brachte Napoleon zum erstenmal mit der orientalischen


Die orientalische Frage

zu Frieden lind Mäßigung zurückzuführen; die politische Aufgabe ließ sich nicht
richtiger ausdrücken." — Die Gefahr schien beschworen, Rußland fand sich
isoliert, da starb Leopold, mit ihm aber der einzige deutsche Staatsmann, der
ebenso dem Genie und den Leidenschaften Katharinas wie der elementaren
Gewalt der französischen Revolution gewachsen war. Sein Todestag, der
4. Mai 1792, ist der Todestag der Hegemonie Österreichs in Deutschland;
seitdem schwang sich aber auch Rußland unaufhaltsam zu eiuer ungeahnten
Machtstellung empor, bis erst nach Jahrzehnten endlich die Lösung der deutschen
Frage und ein Vertrag genau desselben Sinnes wie der Berliner von 1792
Nußland im Westen Halt gebot.

Katharina war zum Beitritt zum Berliner Vertrag eingeladen worden;
ihre Antwort war seine Sprengung. Zunächst wich sie einer bestimmten Ant¬
wort aus, bis der Tod Leopolds sie von schwerer Sorge befreite, und die
Dinge in Paris — die Akten über den Anteil, den die russische Diplomatie
daran hatte, sind noch nicht geschlossen — eine kritische Wendung nahmen.
Zunächst versprach sie den polnischen „Konservativen" militärische Hilfe gegen
die Reform der Verfassung, immerhin legte aber das Bestehen des Berliner
Vertrags ihr noch einige Reserve auf, als Preußen selbst die Grundlage dieses
Vertrags zerstörte, indem es vou Österreich für seine Brnderhilfe gegen Frank¬
reich die Zustimmung zur Besetzung Danzigs und Thorrs, also gerade das
begehrte, was der Berliner Vertrag unter allen Umstündeil zu vermeiden und
zu verhindern gebot. Nun hatte Katharina freie Hand bekommen. In Wien
wurden die Berliner Vorschläge abgelehnt, darob in Berlin große Verstimmung
und Neigung, sich an Rußland anzuschließen, die von Petersburg aus eifrigst
genährt wurde, während Katharina zugleich mit Österreich über eine Verstän¬
digung unterhandelte und dadurch einen doppelten Zweck erreichte; einerseits
hielt sie hierdurch jede ernste Maßnahme Österreichs in der polnischen Frage
hintan, zu deren Lösung Katharina schon 70000 Mann über die Grenzen
geschickt hatte, andrerseits kühlte sie dadurch den Eifer Friedrich Wilhelms für
den Krieg gegen Frankreich bedeutend ab.

So wurden die zweite und die dritte Teilung Polens möglich, während
der Feldzug gegen Frankreich von vornherein aussichtslos geworden war.
Die Eifersucht Preußens und Österreichs auseinander und die dadurch verur¬
sachte Ohnmacht des deutscheu Volkes lieferte Europa deu revolutionären
Gewalten aus. Der Tod der genialen Katharina (1796) änderte daran nichts.
Ihre 34 jährige Herrschaft hatte die Ideen Peters des Großen zum unver¬
wüstlichen politischen Eigentum des Nusseutums gemacht und der russischen
Diplomatie eine Tradition gegeben, die heute noch ihre Triumphe feiert.
Nußland hatte seinen mit Österreich unternommueu Türkenkrieg durch den
Frieden von Jassy (1792) beendet, der Rußland den Besitz der Krim und
Otschakows sicherte und den Dnjester als Grenze zwischen Rußland und der
Türkei zog, während die Donaufürstentümer als „selbständiger Staat" mit einem
Fürsten griechischen Glaubens aufgerichtet werden sollten. — Über der in Italien
siegreichen Republik war indessen das Gestirn Bonapartes aufgegangen. Sein
Aug nach Ägypten brachte Napoleon zum erstenmal mit der orientalischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/213>, abgerufen am 23.11.2024.