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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Uninaßgebliches

ausgedrückt werden. In Wahrheit dauerte von 1848 bis 1870 das Regiment
der Gesetzlosigkeit, der Polizeilicher Unterdrückung jeder freiern Regung, der wirt¬
schaftlichen Lähmung um. Nun denke man sich einmal ans, wie ein solcher Priester¬
staat den Anforderungen unsrer Zeit hätte Herr werden sollen: den nationalen und
sozialen Bewegungen, der Wirtschaftspolitik, dein stürmischen Verlangen nach un¬
abhängiger Rechtspflege, dem Anarchismus, den Wechselfällen der auswärtigen
Politik und des Parteilebens, um denen so diele klerikale Parlameutsparteien ganz
Enropas beteiligt sind. Stockungen und Wirrnisse wären an der Tagesordnung
gewesen; die besten Freunde der päpstlichen Kirche hätten ihren Kummer darau
gehabt. Daß es, sogar heute noch, wo doch das weltliche Italien von mannig¬
fachen Fehlgriffen und Mißgeschicken heimgesucht worden ist, keine Bevölkerung gibt,
die dem weltlichen Regiment des Papstes abgesagter gegenübersteht, als die stadt-
römische, ist doch ein vielsagender Umstand. Wie wäre das päpstliche Regiment
in den hinter uns liegenden drei Jahrzehnten wohl dieser Schwierigkeiten Herr
geworden?

Im Stillen werden die wärmsten Anhänger des Papstes den Tag segnen,
der ihn von der Last der weltlichen Negierung befreit hat. Die Kirche wurde
nun auf ihre geistliche Macht allein beschränkt, und sie hat damit einen Aufschwung
erfahren, wie er in ihrer fast nennzehnhuudertjährigen Geschichte zu deu größte"
Seltenheiten gehört. Mau kaun vielleicht nur heranziehn: die erste Entwicklung
nach dem Sturz des Heidentums; die Kräftigung der Päpstlichen Gewalt durch
Karl den Großen; die Abstellung der Greuel durch Kaiser Heinrich den Dritten,
womit das Papsttum alsbald den Siegeslauf vou Gregor dem siebenten bis zu
den Bezwingern der Hohenstaufen begann; endlich den Sieg der Gegenreformation.
In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhuudeuts hat das Papsttum einen
ähnlichen Aufschwung erlebt -- vorbehaltlich allerdings der Entwicklung auch der
entgegenstehenden Mächte, die wir schou berührt haben, und unter denen die Macht
der freien Forschung so allgewaltig sein wird, daß kein Papsttum dagegen auf¬
kommen kann.

Wir haben es hier aber nicht mit Prophezeiungen, sondern mit den Tatsachen
der Geschichte zu tun. Da tritt nun ausschlaggebend der große Unterschied in dem
Kirchenregiment Pius des Neunten und Leos des Dreizehnter hervor. Der ge¬
meinsame Boden des Jesuitismus hinderte diese Verschiedenheit nicht, denn beider
Ziel war dasselbe. Der Geist des Jesuitismns beherrschte den einen wie den
andern Mann, ja er hatte längst die Übermacht über die ganze Kirche gewonnen.
Auch das hätten wir als ein wichtiges Vorkommnis in der Kirchengeschichte an¬
führen können, daß sich im achtzehnten Jahrhundert der kirchliche Geist stark ab¬
schwächte, sodaß in der zweiten Hälfte der Papst mehr der Wnhlmonarch eines
kleinen Staats als das Haupt einer großen Kirche war. Die Revolution ent¬
wickelte jedoch die Religiosität, der Völker wieder, und in diesem Zuge der Zeit
stellte Pius der Siebente 1814 den Jesuitenorden wieder her. In seiner rast¬
losen Arbeit gelang es diesem allmählich, alle freiern Richtungen zu unterdrücken.
Am Vatikanischen Hofe herrschte er unbedingt, sodnß er das Dogma der unbefleckten
Empfängnis Muria und 1870 das der Unfehlbarkeit des Papstes durchsetzen konnte.
Bei diesem ereignete sich die letzte Kirchenspaltung, die die Geschichte bis jetzt kennt.
Aber nur ein Splitter blieb der Altkatholizismus, trotzdem daß er von hervor¬
ragenden Männern wie Döllinger und Friedrich geführt wurde. Der Jesuiten¬
orden hatte die Zügel schon fest in der Hand.

Ob die Kirche wahrend der sieben Jahre von der Besetzung Roms durch
die Italiener (20. September 1870) bis zum Tode Pius des Neunten (7. Fe¬
bruar 1878) nach dem Wunsche der Jesuiten regiert ist, kann man weder bejahen
noch verneinen. Gekämpft hat der Orden damals leidenschaftlich für den Papst;
ein Gegensatz gegen den polternden, scheltenden Greis, der sein Anathema so fleißig
anwandte, ist nie hervorgetreten. Aber vielleicht wurde deu klugen, welterfahrnen


Maßgebliches und Uninaßgebliches

ausgedrückt werden. In Wahrheit dauerte von 1848 bis 1870 das Regiment
der Gesetzlosigkeit, der Polizeilicher Unterdrückung jeder freiern Regung, der wirt¬
schaftlichen Lähmung um. Nun denke man sich einmal ans, wie ein solcher Priester¬
staat den Anforderungen unsrer Zeit hätte Herr werden sollen: den nationalen und
sozialen Bewegungen, der Wirtschaftspolitik, dein stürmischen Verlangen nach un¬
abhängiger Rechtspflege, dem Anarchismus, den Wechselfällen der auswärtigen
Politik und des Parteilebens, um denen so diele klerikale Parlameutsparteien ganz
Enropas beteiligt sind. Stockungen und Wirrnisse wären an der Tagesordnung
gewesen; die besten Freunde der päpstlichen Kirche hätten ihren Kummer darau
gehabt. Daß es, sogar heute noch, wo doch das weltliche Italien von mannig¬
fachen Fehlgriffen und Mißgeschicken heimgesucht worden ist, keine Bevölkerung gibt,
die dem weltlichen Regiment des Papstes abgesagter gegenübersteht, als die stadt-
römische, ist doch ein vielsagender Umstand. Wie wäre das päpstliche Regiment
in den hinter uns liegenden drei Jahrzehnten wohl dieser Schwierigkeiten Herr
geworden?

Im Stillen werden die wärmsten Anhänger des Papstes den Tag segnen,
der ihn von der Last der weltlichen Negierung befreit hat. Die Kirche wurde
nun auf ihre geistliche Macht allein beschränkt, und sie hat damit einen Aufschwung
erfahren, wie er in ihrer fast nennzehnhuudertjährigen Geschichte zu deu größte»
Seltenheiten gehört. Mau kaun vielleicht nur heranziehn: die erste Entwicklung
nach dem Sturz des Heidentums; die Kräftigung der Päpstlichen Gewalt durch
Karl den Großen; die Abstellung der Greuel durch Kaiser Heinrich den Dritten,
womit das Papsttum alsbald den Siegeslauf vou Gregor dem siebenten bis zu
den Bezwingern der Hohenstaufen begann; endlich den Sieg der Gegenreformation.
In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhuudeuts hat das Papsttum einen
ähnlichen Aufschwung erlebt — vorbehaltlich allerdings der Entwicklung auch der
entgegenstehenden Mächte, die wir schou berührt haben, und unter denen die Macht
der freien Forschung so allgewaltig sein wird, daß kein Papsttum dagegen auf¬
kommen kann.

Wir haben es hier aber nicht mit Prophezeiungen, sondern mit den Tatsachen
der Geschichte zu tun. Da tritt nun ausschlaggebend der große Unterschied in dem
Kirchenregiment Pius des Neunten und Leos des Dreizehnter hervor. Der ge¬
meinsame Boden des Jesuitismus hinderte diese Verschiedenheit nicht, denn beider
Ziel war dasselbe. Der Geist des Jesuitismns beherrschte den einen wie den
andern Mann, ja er hatte längst die Übermacht über die ganze Kirche gewonnen.
Auch das hätten wir als ein wichtiges Vorkommnis in der Kirchengeschichte an¬
führen können, daß sich im achtzehnten Jahrhundert der kirchliche Geist stark ab¬
schwächte, sodaß in der zweiten Hälfte der Papst mehr der Wnhlmonarch eines
kleinen Staats als das Haupt einer großen Kirche war. Die Revolution ent¬
wickelte jedoch die Religiosität, der Völker wieder, und in diesem Zuge der Zeit
stellte Pius der Siebente 1814 den Jesuitenorden wieder her. In seiner rast¬
losen Arbeit gelang es diesem allmählich, alle freiern Richtungen zu unterdrücken.
Am Vatikanischen Hofe herrschte er unbedingt, sodnß er das Dogma der unbefleckten
Empfängnis Muria und 1870 das der Unfehlbarkeit des Papstes durchsetzen konnte.
Bei diesem ereignete sich die letzte Kirchenspaltung, die die Geschichte bis jetzt kennt.
Aber nur ein Splitter blieb der Altkatholizismus, trotzdem daß er von hervor¬
ragenden Männern wie Döllinger und Friedrich geführt wurde. Der Jesuiten¬
orden hatte die Zügel schon fest in der Hand.

Ob die Kirche wahrend der sieben Jahre von der Besetzung Roms durch
die Italiener (20. September 1870) bis zum Tode Pius des Neunten (7. Fe¬
bruar 1878) nach dem Wunsche der Jesuiten regiert ist, kann man weder bejahen
noch verneinen. Gekämpft hat der Orden damals leidenschaftlich für den Papst;
ein Gegensatz gegen den polternden, scheltenden Greis, der sein Anathema so fleißig
anwandte, ist nie hervorgetreten. Aber vielleicht wurde deu klugen, welterfahrnen


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[0190] Maßgebliches und Uninaßgebliches ausgedrückt werden. In Wahrheit dauerte von 1848 bis 1870 das Regiment der Gesetzlosigkeit, der Polizeilicher Unterdrückung jeder freiern Regung, der wirt¬ schaftlichen Lähmung um. Nun denke man sich einmal ans, wie ein solcher Priester¬ staat den Anforderungen unsrer Zeit hätte Herr werden sollen: den nationalen und sozialen Bewegungen, der Wirtschaftspolitik, dein stürmischen Verlangen nach un¬ abhängiger Rechtspflege, dem Anarchismus, den Wechselfällen der auswärtigen Politik und des Parteilebens, um denen so diele klerikale Parlameutsparteien ganz Enropas beteiligt sind. Stockungen und Wirrnisse wären an der Tagesordnung gewesen; die besten Freunde der päpstlichen Kirche hätten ihren Kummer darau gehabt. Daß es, sogar heute noch, wo doch das weltliche Italien von mannig¬ fachen Fehlgriffen und Mißgeschicken heimgesucht worden ist, keine Bevölkerung gibt, die dem weltlichen Regiment des Papstes abgesagter gegenübersteht, als die stadt- römische, ist doch ein vielsagender Umstand. Wie wäre das päpstliche Regiment in den hinter uns liegenden drei Jahrzehnten wohl dieser Schwierigkeiten Herr geworden? Im Stillen werden die wärmsten Anhänger des Papstes den Tag segnen, der ihn von der Last der weltlichen Negierung befreit hat. Die Kirche wurde nun auf ihre geistliche Macht allein beschränkt, und sie hat damit einen Aufschwung erfahren, wie er in ihrer fast nennzehnhuudertjährigen Geschichte zu deu größte» Seltenheiten gehört. Mau kaun vielleicht nur heranziehn: die erste Entwicklung nach dem Sturz des Heidentums; die Kräftigung der Päpstlichen Gewalt durch Karl den Großen; die Abstellung der Greuel durch Kaiser Heinrich den Dritten, womit das Papsttum alsbald den Siegeslauf vou Gregor dem siebenten bis zu den Bezwingern der Hohenstaufen begann; endlich den Sieg der Gegenreformation. In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhuudeuts hat das Papsttum einen ähnlichen Aufschwung erlebt — vorbehaltlich allerdings der Entwicklung auch der entgegenstehenden Mächte, die wir schou berührt haben, und unter denen die Macht der freien Forschung so allgewaltig sein wird, daß kein Papsttum dagegen auf¬ kommen kann. Wir haben es hier aber nicht mit Prophezeiungen, sondern mit den Tatsachen der Geschichte zu tun. Da tritt nun ausschlaggebend der große Unterschied in dem Kirchenregiment Pius des Neunten und Leos des Dreizehnter hervor. Der ge¬ meinsame Boden des Jesuitismus hinderte diese Verschiedenheit nicht, denn beider Ziel war dasselbe. Der Geist des Jesuitismns beherrschte den einen wie den andern Mann, ja er hatte längst die Übermacht über die ganze Kirche gewonnen. Auch das hätten wir als ein wichtiges Vorkommnis in der Kirchengeschichte an¬ führen können, daß sich im achtzehnten Jahrhundert der kirchliche Geist stark ab¬ schwächte, sodaß in der zweiten Hälfte der Papst mehr der Wnhlmonarch eines kleinen Staats als das Haupt einer großen Kirche war. Die Revolution ent¬ wickelte jedoch die Religiosität, der Völker wieder, und in diesem Zuge der Zeit stellte Pius der Siebente 1814 den Jesuitenorden wieder her. In seiner rast¬ losen Arbeit gelang es diesem allmählich, alle freiern Richtungen zu unterdrücken. Am Vatikanischen Hofe herrschte er unbedingt, sodnß er das Dogma der unbefleckten Empfängnis Muria und 1870 das der Unfehlbarkeit des Papstes durchsetzen konnte. Bei diesem ereignete sich die letzte Kirchenspaltung, die die Geschichte bis jetzt kennt. Aber nur ein Splitter blieb der Altkatholizismus, trotzdem daß er von hervor¬ ragenden Männern wie Döllinger und Friedrich geführt wurde. Der Jesuiten¬ orden hatte die Zügel schon fest in der Hand. Ob die Kirche wahrend der sieben Jahre von der Besetzung Roms durch die Italiener (20. September 1870) bis zum Tode Pius des Neunten (7. Fe¬ bruar 1878) nach dem Wunsche der Jesuiten regiert ist, kann man weder bejahen noch verneinen. Gekämpft hat der Orden damals leidenschaftlich für den Papst; ein Gegensatz gegen den polternden, scheltenden Greis, der sein Anathema so fleißig anwandte, ist nie hervorgetreten. Aber vielleicht wurde deu klugen, welterfahrnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/190>, abgerufen am 25.11.2024.