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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Niimaßgcbliches

Wie eine Vision steigt nur unter diesen Eindrücken die Erinnerung an die Ritter des
Aristophanes auf. Da wird in Athen demi Volkstribunen Kleon, dem Gerber ans
Paphlagouieu, der die schlechten Instinkte seiner mit dem allgemeinen Stimm¬
recht ausgestatteten Athener zu sammeln und zu leiten versteht, der edle Wurst¬
händler von der zurückgedrängten Gegenpartei entgegengestellt. Wahre Schmutz-
schlachten führen sie auf vor dem gekitzelten Demos. Und schließlich siegt der,
dessen Stimme am längsten vorhielt und am lautesten dröhnte. Er verspricht seinem
"Demoslein," dem "Wählerlein" von damals, alles was der andre für sich in An¬
spruch nimmt, im Superlativ. So siegt der Wnrsthändler über den Gerber, und
er siegt auch nicht. Das Wählerlein laßt sich alles gern gefallen und freut sich
an den fetten Bissen auf Unkosten andrer, weil es meint, seinen Vorteil dabei zu
finden. Und dann bleibt ja noch immer Zeit, falls auch der Wursthändler un¬
bequem wird, ihn ebenso bei der nächsten Abstimmung zu beseitigen, wie den alten
Volkstyrannen, den Gerber. Aber endlich der glücklich Erwählte selbst, der die Majorität
auf sich vereinigte, nachdem er sich durch alle Unbilden, Zumutungen, Quälereien des
Wahlkampfs durchgearbeitet hat? Lord Beaconsfield sagte, wie er von neuem Minister¬
präsident geworden war: "So bin ich einmal wieder den fettigen Mast hinaufge¬
klettert." Man versteht diese aus Genugtuung und Ekel gemischte Stimmung.

Nun, so weit wie die Athener sind wir noch nicht, und doch steht es übel
genug. Was für eine Vertretung des deutschen Volks, seiner Kultur, seiner Wissen¬
schaft, seiner Frömmigkeit, seiner nationalen Güter und Beklemmungen zeitigt das
allgemeine gleiche Wahlrecht, das jeden Deutschen mit dem fünfundzwanzigsten
Lebensjahre für fähig erklärt, Wohl und Wehe des Vaterlands mithandelnd zu be¬
stimmen? Wenn im Wettrennen der Sieger seine Mitkämpfer um die Länge einer
Pferdeuase schlägt und deshalb den Gewinn allein davonträgt, so mag das hin¬
gehn. Schön ist diese Art der Entscheidung auch nicht. Aber wenn im Staats¬
leben die Zahl, nicht der Wert, wenn nicht die persönliche Bedeutung und Leistung,
sondern nur die Quautitcit deu Ausschlag gibt für die Zusammensetzung der Körper¬
schaft, die die großen Güter unsrer Macht und Weltstellung Pflegen soll, der
Körperschaft, in der sich ebenso die so verschiednen Interessen wie auch die Intelli¬
genz unsers deutschen Volks widerspiegeln sollen, entspricht das den Bedürfnissen
eines Kulturvolks, das etwas auf sich zu halten das Recht hat? Muß man nicht
fordern, daß alle die, die hierfür mitwirken, unbeschadet aller Verschiedenheit von
Stand oder Arbeit, wirklich einsichtige, vaterlandsliebende, reife Männer sind?
Man muß es fordern. Aber an wen ist diese Forderung zu richten? An die Ge¬
samtheit? An die aufgeregten Massen? Was diese anlangt, behält Talbot alle¬
zeit Recht: "Unsinn, du siegst." Oder an die Staatslenker? Revolutionen von
oben und von unter sind allemal unheilvoll. Nein, jeder Wähler muß diese
Forderung an sich selbst richten, damit er es bewähre, daß auch im Staatsleben
nur durch Opfer und durch Selbstverleugnung das Wohl des Ganzen gefördert
werden kann. Denn trotz aller Torheit und Ungerechtigkeit der direkten und ge¬
heimen Wahl bleibt es eine offne Frage, ob es eine andre Form des Wahlrechts
gibt, die zuverlässig vor Ungerechtigkeiten zu schützen vermag. Wer die Politik des
Aristoteles liest, sieht mit steigender Überraschung, daß in der Tat schon im Alter¬
tum jede mögliche Verfassungsform durchgeprobt ist, Monarchie und Demokratie,
Tyrannis und Oligarchie, Sozialismus und Patriarchismus und so weiter. Keine
ist die beste, aber jede Verfassung wirkt segensreich, die von mutigen, weisen und
H. sittlichen Männern zur Geltung gebracht und in Geltung erhalten wird.


Die aufsteigende Macht der katholischen Kirche.

Wenn man heute
die Phalanx überschaut, die in allen Ländern Europas und Amerikas den Geboten
des vatikanischen Generalstabs folgt, so unterschätzt man leicht, wie viel von dem
imponierender Eindruck auf die so staunenswert entwickelte telegraphische und brief¬
liche Berichterstattung kommt, die uns zum Zuschauer jedes politischen Vorgangs


Maßgebliches und Niimaßgcbliches

Wie eine Vision steigt nur unter diesen Eindrücken die Erinnerung an die Ritter des
Aristophanes auf. Da wird in Athen demi Volkstribunen Kleon, dem Gerber ans
Paphlagouieu, der die schlechten Instinkte seiner mit dem allgemeinen Stimm¬
recht ausgestatteten Athener zu sammeln und zu leiten versteht, der edle Wurst¬
händler von der zurückgedrängten Gegenpartei entgegengestellt. Wahre Schmutz-
schlachten führen sie auf vor dem gekitzelten Demos. Und schließlich siegt der,
dessen Stimme am längsten vorhielt und am lautesten dröhnte. Er verspricht seinem
„Demoslein," dem „Wählerlein" von damals, alles was der andre für sich in An¬
spruch nimmt, im Superlativ. So siegt der Wnrsthändler über den Gerber, und
er siegt auch nicht. Das Wählerlein laßt sich alles gern gefallen und freut sich
an den fetten Bissen auf Unkosten andrer, weil es meint, seinen Vorteil dabei zu
finden. Und dann bleibt ja noch immer Zeit, falls auch der Wursthändler un¬
bequem wird, ihn ebenso bei der nächsten Abstimmung zu beseitigen, wie den alten
Volkstyrannen, den Gerber. Aber endlich der glücklich Erwählte selbst, der die Majorität
auf sich vereinigte, nachdem er sich durch alle Unbilden, Zumutungen, Quälereien des
Wahlkampfs durchgearbeitet hat? Lord Beaconsfield sagte, wie er von neuem Minister¬
präsident geworden war: „So bin ich einmal wieder den fettigen Mast hinaufge¬
klettert." Man versteht diese aus Genugtuung und Ekel gemischte Stimmung.

Nun, so weit wie die Athener sind wir noch nicht, und doch steht es übel
genug. Was für eine Vertretung des deutschen Volks, seiner Kultur, seiner Wissen¬
schaft, seiner Frömmigkeit, seiner nationalen Güter und Beklemmungen zeitigt das
allgemeine gleiche Wahlrecht, das jeden Deutschen mit dem fünfundzwanzigsten
Lebensjahre für fähig erklärt, Wohl und Wehe des Vaterlands mithandelnd zu be¬
stimmen? Wenn im Wettrennen der Sieger seine Mitkämpfer um die Länge einer
Pferdeuase schlägt und deshalb den Gewinn allein davonträgt, so mag das hin¬
gehn. Schön ist diese Art der Entscheidung auch nicht. Aber wenn im Staats¬
leben die Zahl, nicht der Wert, wenn nicht die persönliche Bedeutung und Leistung,
sondern nur die Quautitcit deu Ausschlag gibt für die Zusammensetzung der Körper¬
schaft, die die großen Güter unsrer Macht und Weltstellung Pflegen soll, der
Körperschaft, in der sich ebenso die so verschiednen Interessen wie auch die Intelli¬
genz unsers deutschen Volks widerspiegeln sollen, entspricht das den Bedürfnissen
eines Kulturvolks, das etwas auf sich zu halten das Recht hat? Muß man nicht
fordern, daß alle die, die hierfür mitwirken, unbeschadet aller Verschiedenheit von
Stand oder Arbeit, wirklich einsichtige, vaterlandsliebende, reife Männer sind?
Man muß es fordern. Aber an wen ist diese Forderung zu richten? An die Ge¬
samtheit? An die aufgeregten Massen? Was diese anlangt, behält Talbot alle¬
zeit Recht: „Unsinn, du siegst." Oder an die Staatslenker? Revolutionen von
oben und von unter sind allemal unheilvoll. Nein, jeder Wähler muß diese
Forderung an sich selbst richten, damit er es bewähre, daß auch im Staatsleben
nur durch Opfer und durch Selbstverleugnung das Wohl des Ganzen gefördert
werden kann. Denn trotz aller Torheit und Ungerechtigkeit der direkten und ge¬
heimen Wahl bleibt es eine offne Frage, ob es eine andre Form des Wahlrechts
gibt, die zuverlässig vor Ungerechtigkeiten zu schützen vermag. Wer die Politik des
Aristoteles liest, sieht mit steigender Überraschung, daß in der Tat schon im Alter¬
tum jede mögliche Verfassungsform durchgeprobt ist, Monarchie und Demokratie,
Tyrannis und Oligarchie, Sozialismus und Patriarchismus und so weiter. Keine
ist die beste, aber jede Verfassung wirkt segensreich, die von mutigen, weisen und
H. sittlichen Männern zur Geltung gebracht und in Geltung erhalten wird.


Die aufsteigende Macht der katholischen Kirche.

Wenn man heute
die Phalanx überschaut, die in allen Ländern Europas und Amerikas den Geboten
des vatikanischen Generalstabs folgt, so unterschätzt man leicht, wie viel von dem
imponierender Eindruck auf die so staunenswert entwickelte telegraphische und brief¬
liche Berichterstattung kommt, die uns zum Zuschauer jedes politischen Vorgangs


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[0188] Maßgebliches und Niimaßgcbliches Wie eine Vision steigt nur unter diesen Eindrücken die Erinnerung an die Ritter des Aristophanes auf. Da wird in Athen demi Volkstribunen Kleon, dem Gerber ans Paphlagouieu, der die schlechten Instinkte seiner mit dem allgemeinen Stimm¬ recht ausgestatteten Athener zu sammeln und zu leiten versteht, der edle Wurst¬ händler von der zurückgedrängten Gegenpartei entgegengestellt. Wahre Schmutz- schlachten führen sie auf vor dem gekitzelten Demos. Und schließlich siegt der, dessen Stimme am längsten vorhielt und am lautesten dröhnte. Er verspricht seinem „Demoslein," dem „Wählerlein" von damals, alles was der andre für sich in An¬ spruch nimmt, im Superlativ. So siegt der Wnrsthändler über den Gerber, und er siegt auch nicht. Das Wählerlein laßt sich alles gern gefallen und freut sich an den fetten Bissen auf Unkosten andrer, weil es meint, seinen Vorteil dabei zu finden. Und dann bleibt ja noch immer Zeit, falls auch der Wursthändler un¬ bequem wird, ihn ebenso bei der nächsten Abstimmung zu beseitigen, wie den alten Volkstyrannen, den Gerber. Aber endlich der glücklich Erwählte selbst, der die Majorität auf sich vereinigte, nachdem er sich durch alle Unbilden, Zumutungen, Quälereien des Wahlkampfs durchgearbeitet hat? Lord Beaconsfield sagte, wie er von neuem Minister¬ präsident geworden war: „So bin ich einmal wieder den fettigen Mast hinaufge¬ klettert." Man versteht diese aus Genugtuung und Ekel gemischte Stimmung. Nun, so weit wie die Athener sind wir noch nicht, und doch steht es übel genug. Was für eine Vertretung des deutschen Volks, seiner Kultur, seiner Wissen¬ schaft, seiner Frömmigkeit, seiner nationalen Güter und Beklemmungen zeitigt das allgemeine gleiche Wahlrecht, das jeden Deutschen mit dem fünfundzwanzigsten Lebensjahre für fähig erklärt, Wohl und Wehe des Vaterlands mithandelnd zu be¬ stimmen? Wenn im Wettrennen der Sieger seine Mitkämpfer um die Länge einer Pferdeuase schlägt und deshalb den Gewinn allein davonträgt, so mag das hin¬ gehn. Schön ist diese Art der Entscheidung auch nicht. Aber wenn im Staats¬ leben die Zahl, nicht der Wert, wenn nicht die persönliche Bedeutung und Leistung, sondern nur die Quautitcit deu Ausschlag gibt für die Zusammensetzung der Körper¬ schaft, die die großen Güter unsrer Macht und Weltstellung Pflegen soll, der Körperschaft, in der sich ebenso die so verschiednen Interessen wie auch die Intelli¬ genz unsers deutschen Volks widerspiegeln sollen, entspricht das den Bedürfnissen eines Kulturvolks, das etwas auf sich zu halten das Recht hat? Muß man nicht fordern, daß alle die, die hierfür mitwirken, unbeschadet aller Verschiedenheit von Stand oder Arbeit, wirklich einsichtige, vaterlandsliebende, reife Männer sind? Man muß es fordern. Aber an wen ist diese Forderung zu richten? An die Ge¬ samtheit? An die aufgeregten Massen? Was diese anlangt, behält Talbot alle¬ zeit Recht: „Unsinn, du siegst." Oder an die Staatslenker? Revolutionen von oben und von unter sind allemal unheilvoll. Nein, jeder Wähler muß diese Forderung an sich selbst richten, damit er es bewähre, daß auch im Staatsleben nur durch Opfer und durch Selbstverleugnung das Wohl des Ganzen gefördert werden kann. Denn trotz aller Torheit und Ungerechtigkeit der direkten und ge¬ heimen Wahl bleibt es eine offne Frage, ob es eine andre Form des Wahlrechts gibt, die zuverlässig vor Ungerechtigkeiten zu schützen vermag. Wer die Politik des Aristoteles liest, sieht mit steigender Überraschung, daß in der Tat schon im Alter¬ tum jede mögliche Verfassungsform durchgeprobt ist, Monarchie und Demokratie, Tyrannis und Oligarchie, Sozialismus und Patriarchismus und so weiter. Keine ist die beste, aber jede Verfassung wirkt segensreich, die von mutigen, weisen und H. sittlichen Männern zur Geltung gebracht und in Geltung erhalten wird. Die aufsteigende Macht der katholischen Kirche. Wenn man heute die Phalanx überschaut, die in allen Ländern Europas und Amerikas den Geboten des vatikanischen Generalstabs folgt, so unterschätzt man leicht, wie viel von dem imponierender Eindruck auf die so staunenswert entwickelte telegraphische und brief¬ liche Berichterstattung kommt, die uns zum Zuschauer jedes politischen Vorgangs

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/188>, abgerufen am 22.11.2024.