Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus der Jugendzeit

dringen konnten. Rings um die Stadt zog sich ein Kranz großer, blühender
Gärten, zu denen die alten allmählich in Gärten verwandelten Stadtgraben ge¬
hörten. Dazu die mitten durch die Stadt fließende Vode mit ihren zahlreichen
Mühlen, während ein andrer Arm des Flusses in weitem Bogen die Stadt um-
floß. Und endlich die Nähe des schönen Harzes, und vor diesem die gigantischen
Geschiebe der sogenannten Teufelsmauer. Man kann sich in der Tat kaum eine
Landschaft deuten, deren natürlicher Zauber stärker auf das Gemüt der Jngend
wirken könnte als diese.

Bald nach dem Aufhören des stiftischen Kleinstaats war die französische In-
vasion gekommen. Quedlinburg war dem neuen Königreich Westfalen einverleibt
worden, und die Regierung des Königs Jerome hatte nichts eiligeres zu tun ge¬
habt, als die reichen Stiftsgüter zu parzellieren und sie einzeln gegen bares Geld
zu verkaufen. Ju Quedlinburg hatte sich nnter den stiftischen Zoll- und Steuer¬
verhältnissen die Branntweinbrennerei zu einem blühenden Industriezweig entwickelt.
Fast in jedem fünften Hanse war damals eine Brennerei. Neben dieser Spiritus¬
industrie bestanden einige Tuchfabriken, und an der die Stadt durchfließenden Bove
hatten sich Gerbereien und Färbereien etabliert. Zahlreiche große Mühlen inner¬
halb und außerhalb der Stadt machten gute Geschäfte, und so erklärt es sich, daß
die meist Ackerbau treibenden Bürger durchschnittlich zu Wohlstand gekommen waren,
und daß Quedlinburg nicht ohne Grund weit und breit als eine reiche Stadt galt.
Als die westfälische Negierung die Stiftsgnter verkaufte, nahmen die Bürger, was
sie an barem Gelde irgend flüssig machen konnten, und kauften damit die früher
stiftischen Gärten, Güter und Äcker zu wahren Spottpreisen. Auch mein Großvater
hatte auf diese Weise in der Quedlinburger und der benachbarten, gleichfalls stiftisch
gewesenen Ditfurter Feldmark einen ansehnlichen Grundbesitz erworben. Während
der Kriegszeiten florierte begreiflicherweise das Brennereigeschäft, und so gelang es
den Bürgern, den Besitz ihrer der westfälischen Regierung abgekauften Grundstücke
während der Kriegs- und der danach folgenden knappen Fahre zu halten. Nach
den Befreiungskriegen wurde Quedlinburg wieder preußisch. Die preußische Re¬
gierung erkannte die Verkäufe der Stiftsgüter als giltig an, der Wert des Grund¬
besitzes stieg später ganz bedeutend, und so geschah es, daß eine Anzahl Quedlin¬
burger Bürgerfmniltcn zu sehr beträchtlichem Wohlstande gelangte. Das gilt much
von meinem Großvater Johann Andreas Bosse.

Mau sollte meinen, die Quedlinburger hätten hiernach allen Grund gehabt,
gut preußisch zu sein. Jetzt sind sie es auch, und offiziell waren sie es auch in
meiner Jugendzeit. Es ist mir aber, als ich ein Knabe war, oft genug aufgefallen,
wie kühl die Quedlinburger Bürger, wenn sie nnter sich waren, den preußischen
Verhältnissen gegenüberstanden. Für sie war die gute alte Zeit die stiftische Zeit.
Wenn sie davon erzählten, wurden sie warm und konnten sogar begeisterte Worte
finden. Erklärlich genug. Leute mit einigermaßen engem Gesichtskreise kommen
immer wieder darauf zurück, die Vergangenheit auf Kosten der Gegenwart zu über¬
schätzen. Das ist und war bet den Verhältnisse" Quedlinburgs psychologisch ganz
verständlich. Die Strammheit des preußischen Dienstes, ein gewisses Maß bureau¬
kratischer Rücksichtslosigkeit, die Preußischen Steuerverhältnisse, das alles wich von
der bequemen und mit einem starken bürgerlichen Selbstbewußtsein empfundnen
Behaglichkeit der stiftischen Zeit nicht wenig ab. Bürgermeister und Rat hatten
der Äbtissin gegenüber von jeher ein nicht geringes Maß von Selbständigkeit be¬
ansprucht und auch durchgesetzt. Sie hatten das alles als eiuen aparten Vorzug,
als eine Art Würde empfunden, die sie vor den Nachbarstädten voraus hatten.
Und wenn das auch im achtzehnten Jahrhundert nnr noch wenig materielle Be¬
deutung gehabt haben mag, so hatten sich doch gewisse Formen erhalten, die um
die alte Bürgerherrlichkeit erinnerten. Schon daß Bürgermeister und Rat zu der
fürstliche" Laudesherriu in einem uumittelbnreu Verhältnis standen, daß diese mit
der Pröpstin, Dekcmissin und deren Damen in der Stadt lebten und verkehrten,


Aus der Jugendzeit

dringen konnten. Rings um die Stadt zog sich ein Kranz großer, blühender
Gärten, zu denen die alten allmählich in Gärten verwandelten Stadtgraben ge¬
hörten. Dazu die mitten durch die Stadt fließende Vode mit ihren zahlreichen
Mühlen, während ein andrer Arm des Flusses in weitem Bogen die Stadt um-
floß. Und endlich die Nähe des schönen Harzes, und vor diesem die gigantischen
Geschiebe der sogenannten Teufelsmauer. Man kann sich in der Tat kaum eine
Landschaft deuten, deren natürlicher Zauber stärker auf das Gemüt der Jngend
wirken könnte als diese.

Bald nach dem Aufhören des stiftischen Kleinstaats war die französische In-
vasion gekommen. Quedlinburg war dem neuen Königreich Westfalen einverleibt
worden, und die Regierung des Königs Jerome hatte nichts eiligeres zu tun ge¬
habt, als die reichen Stiftsgüter zu parzellieren und sie einzeln gegen bares Geld
zu verkaufen. Ju Quedlinburg hatte sich nnter den stiftischen Zoll- und Steuer¬
verhältnissen die Branntweinbrennerei zu einem blühenden Industriezweig entwickelt.
Fast in jedem fünften Hanse war damals eine Brennerei. Neben dieser Spiritus¬
industrie bestanden einige Tuchfabriken, und an der die Stadt durchfließenden Bove
hatten sich Gerbereien und Färbereien etabliert. Zahlreiche große Mühlen inner¬
halb und außerhalb der Stadt machten gute Geschäfte, und so erklärt es sich, daß
die meist Ackerbau treibenden Bürger durchschnittlich zu Wohlstand gekommen waren,
und daß Quedlinburg nicht ohne Grund weit und breit als eine reiche Stadt galt.
Als die westfälische Negierung die Stiftsgnter verkaufte, nahmen die Bürger, was
sie an barem Gelde irgend flüssig machen konnten, und kauften damit die früher
stiftischen Gärten, Güter und Äcker zu wahren Spottpreisen. Auch mein Großvater
hatte auf diese Weise in der Quedlinburger und der benachbarten, gleichfalls stiftisch
gewesenen Ditfurter Feldmark einen ansehnlichen Grundbesitz erworben. Während
der Kriegszeiten florierte begreiflicherweise das Brennereigeschäft, und so gelang es
den Bürgern, den Besitz ihrer der westfälischen Regierung abgekauften Grundstücke
während der Kriegs- und der danach folgenden knappen Fahre zu halten. Nach
den Befreiungskriegen wurde Quedlinburg wieder preußisch. Die preußische Re¬
gierung erkannte die Verkäufe der Stiftsgüter als giltig an, der Wert des Grund¬
besitzes stieg später ganz bedeutend, und so geschah es, daß eine Anzahl Quedlin¬
burger Bürgerfmniltcn zu sehr beträchtlichem Wohlstande gelangte. Das gilt much
von meinem Großvater Johann Andreas Bosse.

Mau sollte meinen, die Quedlinburger hätten hiernach allen Grund gehabt,
gut preußisch zu sein. Jetzt sind sie es auch, und offiziell waren sie es auch in
meiner Jugendzeit. Es ist mir aber, als ich ein Knabe war, oft genug aufgefallen,
wie kühl die Quedlinburger Bürger, wenn sie nnter sich waren, den preußischen
Verhältnissen gegenüberstanden. Für sie war die gute alte Zeit die stiftische Zeit.
Wenn sie davon erzählten, wurden sie warm und konnten sogar begeisterte Worte
finden. Erklärlich genug. Leute mit einigermaßen engem Gesichtskreise kommen
immer wieder darauf zurück, die Vergangenheit auf Kosten der Gegenwart zu über¬
schätzen. Das ist und war bet den Verhältnisse» Quedlinburgs psychologisch ganz
verständlich. Die Strammheit des preußischen Dienstes, ein gewisses Maß bureau¬
kratischer Rücksichtslosigkeit, die Preußischen Steuerverhältnisse, das alles wich von
der bequemen und mit einem starken bürgerlichen Selbstbewußtsein empfundnen
Behaglichkeit der stiftischen Zeit nicht wenig ab. Bürgermeister und Rat hatten
der Äbtissin gegenüber von jeher ein nicht geringes Maß von Selbständigkeit be¬
ansprucht und auch durchgesetzt. Sie hatten das alles als eiuen aparten Vorzug,
als eine Art Würde empfunden, die sie vor den Nachbarstädten voraus hatten.
Und wenn das auch im achtzehnten Jahrhundert nnr noch wenig materielle Be¬
deutung gehabt haben mag, so hatten sich doch gewisse Formen erhalten, die um
die alte Bürgerherrlichkeit erinnerten. Schon daß Bürgermeister und Rat zu der
fürstliche« Laudesherriu in einem uumittelbnreu Verhältnis standen, daß diese mit
der Pröpstin, Dekcmissin und deren Damen in der Stadt lebten und verkehrten,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0171" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241385"/>
            <fw type="header" place="top"> Aus der Jugendzeit</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_695" prev="#ID_694"> dringen konnten. Rings um die Stadt zog sich ein Kranz großer, blühender<lb/>
Gärten, zu denen die alten allmählich in Gärten verwandelten Stadtgraben ge¬<lb/>
hörten. Dazu die mitten durch die Stadt fließende Vode mit ihren zahlreichen<lb/>
Mühlen, während ein andrer Arm des Flusses in weitem Bogen die Stadt um-<lb/>
floß. Und endlich die Nähe des schönen Harzes, und vor diesem die gigantischen<lb/>
Geschiebe der sogenannten Teufelsmauer. Man kann sich in der Tat kaum eine<lb/>
Landschaft deuten, deren natürlicher Zauber stärker auf das Gemüt der Jngend<lb/>
wirken könnte als diese.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_696"> Bald nach dem Aufhören des stiftischen Kleinstaats war die französische In-<lb/>
vasion gekommen. Quedlinburg war dem neuen Königreich Westfalen einverleibt<lb/>
worden, und die Regierung des Königs Jerome hatte nichts eiligeres zu tun ge¬<lb/>
habt, als die reichen Stiftsgüter zu parzellieren und sie einzeln gegen bares Geld<lb/>
zu verkaufen. Ju Quedlinburg hatte sich nnter den stiftischen Zoll- und Steuer¬<lb/>
verhältnissen die Branntweinbrennerei zu einem blühenden Industriezweig entwickelt.<lb/>
Fast in jedem fünften Hanse war damals eine Brennerei. Neben dieser Spiritus¬<lb/>
industrie bestanden einige Tuchfabriken, und an der die Stadt durchfließenden Bove<lb/>
hatten sich Gerbereien und Färbereien etabliert. Zahlreiche große Mühlen inner¬<lb/>
halb und außerhalb der Stadt machten gute Geschäfte, und so erklärt es sich, daß<lb/>
die meist Ackerbau treibenden Bürger durchschnittlich zu Wohlstand gekommen waren,<lb/>
und daß Quedlinburg nicht ohne Grund weit und breit als eine reiche Stadt galt.<lb/>
Als die westfälische Negierung die Stiftsgnter verkaufte, nahmen die Bürger, was<lb/>
sie an barem Gelde irgend flüssig machen konnten, und kauften damit die früher<lb/>
stiftischen Gärten, Güter und Äcker zu wahren Spottpreisen. Auch mein Großvater<lb/>
hatte auf diese Weise in der Quedlinburger und der benachbarten, gleichfalls stiftisch<lb/>
gewesenen Ditfurter Feldmark einen ansehnlichen Grundbesitz erworben. Während<lb/>
der Kriegszeiten florierte begreiflicherweise das Brennereigeschäft, und so gelang es<lb/>
den Bürgern, den Besitz ihrer der westfälischen Regierung abgekauften Grundstücke<lb/>
während der Kriegs- und der danach folgenden knappen Fahre zu halten. Nach<lb/>
den Befreiungskriegen wurde Quedlinburg wieder preußisch. Die preußische Re¬<lb/>
gierung erkannte die Verkäufe der Stiftsgüter als giltig an, der Wert des Grund¬<lb/>
besitzes stieg später ganz bedeutend, und so geschah es, daß eine Anzahl Quedlin¬<lb/>
burger Bürgerfmniltcn zu sehr beträchtlichem Wohlstande gelangte. Das gilt much<lb/>
von meinem Großvater Johann Andreas Bosse.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_697" next="#ID_698"> Mau sollte meinen, die Quedlinburger hätten hiernach allen Grund gehabt,<lb/>
gut preußisch zu sein. Jetzt sind sie es auch, und offiziell waren sie es auch in<lb/>
meiner Jugendzeit. Es ist mir aber, als ich ein Knabe war, oft genug aufgefallen,<lb/>
wie kühl die Quedlinburger Bürger, wenn sie nnter sich waren, den preußischen<lb/>
Verhältnissen gegenüberstanden. Für sie war die gute alte Zeit die stiftische Zeit.<lb/>
Wenn sie davon erzählten, wurden sie warm und konnten sogar begeisterte Worte<lb/>
finden. Erklärlich genug. Leute mit einigermaßen engem Gesichtskreise kommen<lb/>
immer wieder darauf zurück, die Vergangenheit auf Kosten der Gegenwart zu über¬<lb/>
schätzen. Das ist und war bet den Verhältnisse» Quedlinburgs psychologisch ganz<lb/>
verständlich. Die Strammheit des preußischen Dienstes, ein gewisses Maß bureau¬<lb/>
kratischer Rücksichtslosigkeit, die Preußischen Steuerverhältnisse, das alles wich von<lb/>
der bequemen und mit einem starken bürgerlichen Selbstbewußtsein empfundnen<lb/>
Behaglichkeit der stiftischen Zeit nicht wenig ab. Bürgermeister und Rat hatten<lb/>
der Äbtissin gegenüber von jeher ein nicht geringes Maß von Selbständigkeit be¬<lb/>
ansprucht und auch durchgesetzt. Sie hatten das alles als eiuen aparten Vorzug,<lb/>
als eine Art Würde empfunden, die sie vor den Nachbarstädten voraus hatten.<lb/>
Und wenn das auch im achtzehnten Jahrhundert nnr noch wenig materielle Be¬<lb/>
deutung gehabt haben mag, so hatten sich doch gewisse Formen erhalten, die um<lb/>
die alte Bürgerherrlichkeit erinnerten. Schon daß Bürgermeister und Rat zu der<lb/>
fürstliche« Laudesherriu in einem uumittelbnreu Verhältnis standen, daß diese mit<lb/>
der Pröpstin, Dekcmissin und deren Damen in der Stadt lebten und verkehrten,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0171] Aus der Jugendzeit dringen konnten. Rings um die Stadt zog sich ein Kranz großer, blühender Gärten, zu denen die alten allmählich in Gärten verwandelten Stadtgraben ge¬ hörten. Dazu die mitten durch die Stadt fließende Vode mit ihren zahlreichen Mühlen, während ein andrer Arm des Flusses in weitem Bogen die Stadt um- floß. Und endlich die Nähe des schönen Harzes, und vor diesem die gigantischen Geschiebe der sogenannten Teufelsmauer. Man kann sich in der Tat kaum eine Landschaft deuten, deren natürlicher Zauber stärker auf das Gemüt der Jngend wirken könnte als diese. Bald nach dem Aufhören des stiftischen Kleinstaats war die französische In- vasion gekommen. Quedlinburg war dem neuen Königreich Westfalen einverleibt worden, und die Regierung des Königs Jerome hatte nichts eiligeres zu tun ge¬ habt, als die reichen Stiftsgüter zu parzellieren und sie einzeln gegen bares Geld zu verkaufen. Ju Quedlinburg hatte sich nnter den stiftischen Zoll- und Steuer¬ verhältnissen die Branntweinbrennerei zu einem blühenden Industriezweig entwickelt. Fast in jedem fünften Hanse war damals eine Brennerei. Neben dieser Spiritus¬ industrie bestanden einige Tuchfabriken, und an der die Stadt durchfließenden Bove hatten sich Gerbereien und Färbereien etabliert. Zahlreiche große Mühlen inner¬ halb und außerhalb der Stadt machten gute Geschäfte, und so erklärt es sich, daß die meist Ackerbau treibenden Bürger durchschnittlich zu Wohlstand gekommen waren, und daß Quedlinburg nicht ohne Grund weit und breit als eine reiche Stadt galt. Als die westfälische Negierung die Stiftsgnter verkaufte, nahmen die Bürger, was sie an barem Gelde irgend flüssig machen konnten, und kauften damit die früher stiftischen Gärten, Güter und Äcker zu wahren Spottpreisen. Auch mein Großvater hatte auf diese Weise in der Quedlinburger und der benachbarten, gleichfalls stiftisch gewesenen Ditfurter Feldmark einen ansehnlichen Grundbesitz erworben. Während der Kriegszeiten florierte begreiflicherweise das Brennereigeschäft, und so gelang es den Bürgern, den Besitz ihrer der westfälischen Regierung abgekauften Grundstücke während der Kriegs- und der danach folgenden knappen Fahre zu halten. Nach den Befreiungskriegen wurde Quedlinburg wieder preußisch. Die preußische Re¬ gierung erkannte die Verkäufe der Stiftsgüter als giltig an, der Wert des Grund¬ besitzes stieg später ganz bedeutend, und so geschah es, daß eine Anzahl Quedlin¬ burger Bürgerfmniltcn zu sehr beträchtlichem Wohlstande gelangte. Das gilt much von meinem Großvater Johann Andreas Bosse. Mau sollte meinen, die Quedlinburger hätten hiernach allen Grund gehabt, gut preußisch zu sein. Jetzt sind sie es auch, und offiziell waren sie es auch in meiner Jugendzeit. Es ist mir aber, als ich ein Knabe war, oft genug aufgefallen, wie kühl die Quedlinburger Bürger, wenn sie nnter sich waren, den preußischen Verhältnissen gegenüberstanden. Für sie war die gute alte Zeit die stiftische Zeit. Wenn sie davon erzählten, wurden sie warm und konnten sogar begeisterte Worte finden. Erklärlich genug. Leute mit einigermaßen engem Gesichtskreise kommen immer wieder darauf zurück, die Vergangenheit auf Kosten der Gegenwart zu über¬ schätzen. Das ist und war bet den Verhältnisse» Quedlinburgs psychologisch ganz verständlich. Die Strammheit des preußischen Dienstes, ein gewisses Maß bureau¬ kratischer Rücksichtslosigkeit, die Preußischen Steuerverhältnisse, das alles wich von der bequemen und mit einem starken bürgerlichen Selbstbewußtsein empfundnen Behaglichkeit der stiftischen Zeit nicht wenig ab. Bürgermeister und Rat hatten der Äbtissin gegenüber von jeher ein nicht geringes Maß von Selbständigkeit be¬ ansprucht und auch durchgesetzt. Sie hatten das alles als eiuen aparten Vorzug, als eine Art Würde empfunden, die sie vor den Nachbarstädten voraus hatten. Und wenn das auch im achtzehnten Jahrhundert nnr noch wenig materielle Be¬ deutung gehabt haben mag, so hatten sich doch gewisse Formen erhalten, die um die alte Bürgerherrlichkeit erinnerten. Schon daß Bürgermeister und Rat zu der fürstliche« Laudesherriu in einem uumittelbnreu Verhältnis standen, daß diese mit der Pröpstin, Dekcmissin und deren Damen in der Stadt lebten und verkehrten,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/171
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/171>, abgerufen am 01.09.2024.