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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Alis der Jugendzeit

schweig. In dem ehemals hannoversch-lünebitrgischeic Amte Ahldcn liegt el" Dörfchen
immens Bosse, das eine recht armselige Sandbüchse sein soll. Ob wir damit zu¬
sammenhangen, weiß ich nicht. Ein Offizier von Bosse in Hannover hat mir aber
einmal erzählt, daß nach den Überlieferungen seiner Familie alle Bosses aus dem
Nraunschweigischen stammten. Das ist auch mir nicht unwahrscheinlich. Unser
Zweig der Familie stammt nach den Angaben meines seligen Vaters aus dem Dorfe
Walbeck bei Weferlingen oder ans dem benachbarten Schöningen bei Helmstedt,
und das weist also auch uns stark genug auf den braunschweigischen Ursprung hin.
Die Zurückführung des Namens Bosse ans Büchse oder Busse ist aber nicht un¬
bestritten. Als ich im Jahre 18L4 zum mündlichen Vortrag einmal mehrere
Tage in Friedrichsruh war, kam das Gespräch bei Tische auch auf deu Ursprung
unsrer Familiennamen, und ich teilte die vermutliche Zurückführung unsers Namens
Bosse auf Büchse mit. Fürst Bismarck, der sich früher mit solchen Dingen, wie
er sagte, viel beschäftigt hatte, wies diese Etymologie als völlig unrichtig zurück.
Er erklärte es für unzweifelhaft, daß die Namen Bosse oder Busse nichts andres
seien als volkstümliche Diminutivformen (Koseformen) des Vornamens Burghard
(Borghard, Borchert), der im Vvlksmunde in Buse und dann weiter in Busse oder
Bosse (vergleiche auch deu Familiennamen Boshard) umgewandelt sei. Diese Er¬
klärung gefiel mir gut, wenn ich auch ihre Richtigkeit nicht kontrollieren kann. Für
diese Auffassung des Fürsten Bismarck spricht aber, daß in der Geschichte des Stifts
Quedlinburg ein Ritter Bosse von Ditfnrth als stiftischer Lehnsvasall vorkommt.
Es ist wohl kaum zweifelhaft, daß Bosse hier -- ursprünglich wenigstens -- der
Vorname gewesen ist.


2. Die Vaterstadt

Ich bin am 12. Juli 1832 in Quedlinburg geboren und am 12. August
desselben Jahres in der evangelischen Markt- oder Benedtktigemeinde dort getauft
worden. Die herrlich am Fuße des Unterharzes, nur eine Meile von der granitnen
Pforte des Bodetals inmitten einer lieblichen und fruchtbaren Landschaft malerisch
liegende, schöne alte Kaiserstadt ist mir fest an das Herz gewachsen. Ihre auf
einer besondern geschichtlichen Entwicklung beruhende Art ist nicht ohne Einfluß ans
mein Leben geblieben. Ich habe mich immer als Quedlinburger gefühlt, und mit
dankbarer Treue werde ich meiner Vaterstadt zugetan bleiben bis ins Grab.

Quedlinburg ist eine Schöpfung König Heinrichs des Ersten, des Vogelstellers
und Städtegründers. Das auf hohem Sandsteinfelsen von ihm erbaute stattliche
Schloß überragt mit der schönen, großen, romanischen Kirche die vieltürmige Stadt.
Heinrich und seine Gemahlin Mathilde sind in der noch hente wohl erhaltnen
Krhpta unter der Schloßkirche begraben, und ihre Gräber sind dort noch jetzt zu
sehen. Ziemlich dicht unter dem Schlosse heißt eine städtische Straße anch heute
uoch der Finkenherd. Nach der wenn auch uicht geschichtlich beglaubigten, so doch
auch nicht widerlegten Sage soll hier der Ort gewesen sein, wo Herzog Eberhard
von Franken, der Bruder des Königs Konrad, dem Sachsenherzoge Heinrich, den
er beim Vogelfang in der Nähe des Harzes traf, die Nachricht von dessen Wahl
zum deutschen König überbracht hat. Geschichtlich unterliegt es keinem Zweifel, daß
Heinrich auf Veranlassung seiner Gemahlin neben der Burg über dem Dorfe
Quitungen an der Bode ein Kloster oder Stift gegründet und "begiftet" hat,
dessen Glieder, Frauen aus edeln Geschlechtern, dort, frei von strengern Kloster¬
gelübden, ihren Unterhalt finden und dabei die Freiheit haben sollte", das Stift
wieder zu verlassen und sogar, wenn es ihnen beliebte, zu heiraten. Unter den
Ottonen wurde dieses Stift weiter ausgebant und reich dotiert. Schon Otto der
Große erklärte diese Stiftung urkundlich für ein freies, dem Kaiser unmittelbar
nnterworfncs Stift, dessen Kapitnlarinnen die Freiheit hatten, sich ihre Äbtissin
selbst zu wählen, und zwar so, daß diese niemand als dem Kaiser selbst und
dessen Nachfolgern zu gehorchen hatte und kein König oder Bischof irgend eine
persönliche Leistung von ihr sollte fordern dürfen. Daraus entwickelte sich dann


Alis der Jugendzeit

schweig. In dem ehemals hannoversch-lünebitrgischeic Amte Ahldcn liegt el» Dörfchen
immens Bosse, das eine recht armselige Sandbüchse sein soll. Ob wir damit zu¬
sammenhangen, weiß ich nicht. Ein Offizier von Bosse in Hannover hat mir aber
einmal erzählt, daß nach den Überlieferungen seiner Familie alle Bosses aus dem
Nraunschweigischen stammten. Das ist auch mir nicht unwahrscheinlich. Unser
Zweig der Familie stammt nach den Angaben meines seligen Vaters aus dem Dorfe
Walbeck bei Weferlingen oder ans dem benachbarten Schöningen bei Helmstedt,
und das weist also auch uns stark genug auf den braunschweigischen Ursprung hin.
Die Zurückführung des Namens Bosse ans Büchse oder Busse ist aber nicht un¬
bestritten. Als ich im Jahre 18L4 zum mündlichen Vortrag einmal mehrere
Tage in Friedrichsruh war, kam das Gespräch bei Tische auch auf deu Ursprung
unsrer Familiennamen, und ich teilte die vermutliche Zurückführung unsers Namens
Bosse auf Büchse mit. Fürst Bismarck, der sich früher mit solchen Dingen, wie
er sagte, viel beschäftigt hatte, wies diese Etymologie als völlig unrichtig zurück.
Er erklärte es für unzweifelhaft, daß die Namen Bosse oder Busse nichts andres
seien als volkstümliche Diminutivformen (Koseformen) des Vornamens Burghard
(Borghard, Borchert), der im Vvlksmunde in Buse und dann weiter in Busse oder
Bosse (vergleiche auch deu Familiennamen Boshard) umgewandelt sei. Diese Er¬
klärung gefiel mir gut, wenn ich auch ihre Richtigkeit nicht kontrollieren kann. Für
diese Auffassung des Fürsten Bismarck spricht aber, daß in der Geschichte des Stifts
Quedlinburg ein Ritter Bosse von Ditfnrth als stiftischer Lehnsvasall vorkommt.
Es ist wohl kaum zweifelhaft, daß Bosse hier — ursprünglich wenigstens — der
Vorname gewesen ist.


2. Die Vaterstadt

Ich bin am 12. Juli 1832 in Quedlinburg geboren und am 12. August
desselben Jahres in der evangelischen Markt- oder Benedtktigemeinde dort getauft
worden. Die herrlich am Fuße des Unterharzes, nur eine Meile von der granitnen
Pforte des Bodetals inmitten einer lieblichen und fruchtbaren Landschaft malerisch
liegende, schöne alte Kaiserstadt ist mir fest an das Herz gewachsen. Ihre auf
einer besondern geschichtlichen Entwicklung beruhende Art ist nicht ohne Einfluß ans
mein Leben geblieben. Ich habe mich immer als Quedlinburger gefühlt, und mit
dankbarer Treue werde ich meiner Vaterstadt zugetan bleiben bis ins Grab.

Quedlinburg ist eine Schöpfung König Heinrichs des Ersten, des Vogelstellers
und Städtegründers. Das auf hohem Sandsteinfelsen von ihm erbaute stattliche
Schloß überragt mit der schönen, großen, romanischen Kirche die vieltürmige Stadt.
Heinrich und seine Gemahlin Mathilde sind in der noch hente wohl erhaltnen
Krhpta unter der Schloßkirche begraben, und ihre Gräber sind dort noch jetzt zu
sehen. Ziemlich dicht unter dem Schlosse heißt eine städtische Straße anch heute
uoch der Finkenherd. Nach der wenn auch uicht geschichtlich beglaubigten, so doch
auch nicht widerlegten Sage soll hier der Ort gewesen sein, wo Herzog Eberhard
von Franken, der Bruder des Königs Konrad, dem Sachsenherzoge Heinrich, den
er beim Vogelfang in der Nähe des Harzes traf, die Nachricht von dessen Wahl
zum deutschen König überbracht hat. Geschichtlich unterliegt es keinem Zweifel, daß
Heinrich auf Veranlassung seiner Gemahlin neben der Burg über dem Dorfe
Quitungen an der Bode ein Kloster oder Stift gegründet und „begiftet" hat,
dessen Glieder, Frauen aus edeln Geschlechtern, dort, frei von strengern Kloster¬
gelübden, ihren Unterhalt finden und dabei die Freiheit haben sollte», das Stift
wieder zu verlassen und sogar, wenn es ihnen beliebte, zu heiraten. Unter den
Ottonen wurde dieses Stift weiter ausgebant und reich dotiert. Schon Otto der
Große erklärte diese Stiftung urkundlich für ein freies, dem Kaiser unmittelbar
nnterworfncs Stift, dessen Kapitnlarinnen die Freiheit hatten, sich ihre Äbtissin
selbst zu wählen, und zwar so, daß diese niemand als dem Kaiser selbst und
dessen Nachfolgern zu gehorchen hatte und kein König oder Bischof irgend eine
persönliche Leistung von ihr sollte fordern dürfen. Daraus entwickelte sich dann


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[0168] Alis der Jugendzeit schweig. In dem ehemals hannoversch-lünebitrgischeic Amte Ahldcn liegt el» Dörfchen immens Bosse, das eine recht armselige Sandbüchse sein soll. Ob wir damit zu¬ sammenhangen, weiß ich nicht. Ein Offizier von Bosse in Hannover hat mir aber einmal erzählt, daß nach den Überlieferungen seiner Familie alle Bosses aus dem Nraunschweigischen stammten. Das ist auch mir nicht unwahrscheinlich. Unser Zweig der Familie stammt nach den Angaben meines seligen Vaters aus dem Dorfe Walbeck bei Weferlingen oder ans dem benachbarten Schöningen bei Helmstedt, und das weist also auch uns stark genug auf den braunschweigischen Ursprung hin. Die Zurückführung des Namens Bosse ans Büchse oder Busse ist aber nicht un¬ bestritten. Als ich im Jahre 18L4 zum mündlichen Vortrag einmal mehrere Tage in Friedrichsruh war, kam das Gespräch bei Tische auch auf deu Ursprung unsrer Familiennamen, und ich teilte die vermutliche Zurückführung unsers Namens Bosse auf Büchse mit. Fürst Bismarck, der sich früher mit solchen Dingen, wie er sagte, viel beschäftigt hatte, wies diese Etymologie als völlig unrichtig zurück. Er erklärte es für unzweifelhaft, daß die Namen Bosse oder Busse nichts andres seien als volkstümliche Diminutivformen (Koseformen) des Vornamens Burghard (Borghard, Borchert), der im Vvlksmunde in Buse und dann weiter in Busse oder Bosse (vergleiche auch deu Familiennamen Boshard) umgewandelt sei. Diese Er¬ klärung gefiel mir gut, wenn ich auch ihre Richtigkeit nicht kontrollieren kann. Für diese Auffassung des Fürsten Bismarck spricht aber, daß in der Geschichte des Stifts Quedlinburg ein Ritter Bosse von Ditfnrth als stiftischer Lehnsvasall vorkommt. Es ist wohl kaum zweifelhaft, daß Bosse hier — ursprünglich wenigstens — der Vorname gewesen ist. 2. Die Vaterstadt Ich bin am 12. Juli 1832 in Quedlinburg geboren und am 12. August desselben Jahres in der evangelischen Markt- oder Benedtktigemeinde dort getauft worden. Die herrlich am Fuße des Unterharzes, nur eine Meile von der granitnen Pforte des Bodetals inmitten einer lieblichen und fruchtbaren Landschaft malerisch liegende, schöne alte Kaiserstadt ist mir fest an das Herz gewachsen. Ihre auf einer besondern geschichtlichen Entwicklung beruhende Art ist nicht ohne Einfluß ans mein Leben geblieben. Ich habe mich immer als Quedlinburger gefühlt, und mit dankbarer Treue werde ich meiner Vaterstadt zugetan bleiben bis ins Grab. Quedlinburg ist eine Schöpfung König Heinrichs des Ersten, des Vogelstellers und Städtegründers. Das auf hohem Sandsteinfelsen von ihm erbaute stattliche Schloß überragt mit der schönen, großen, romanischen Kirche die vieltürmige Stadt. Heinrich und seine Gemahlin Mathilde sind in der noch hente wohl erhaltnen Krhpta unter der Schloßkirche begraben, und ihre Gräber sind dort noch jetzt zu sehen. Ziemlich dicht unter dem Schlosse heißt eine städtische Straße anch heute uoch der Finkenherd. Nach der wenn auch uicht geschichtlich beglaubigten, so doch auch nicht widerlegten Sage soll hier der Ort gewesen sein, wo Herzog Eberhard von Franken, der Bruder des Königs Konrad, dem Sachsenherzoge Heinrich, den er beim Vogelfang in der Nähe des Harzes traf, die Nachricht von dessen Wahl zum deutschen König überbracht hat. Geschichtlich unterliegt es keinem Zweifel, daß Heinrich auf Veranlassung seiner Gemahlin neben der Burg über dem Dorfe Quitungen an der Bode ein Kloster oder Stift gegründet und „begiftet" hat, dessen Glieder, Frauen aus edeln Geschlechtern, dort, frei von strengern Kloster¬ gelübden, ihren Unterhalt finden und dabei die Freiheit haben sollte», das Stift wieder zu verlassen und sogar, wenn es ihnen beliebte, zu heiraten. Unter den Ottonen wurde dieses Stift weiter ausgebant und reich dotiert. Schon Otto der Große erklärte diese Stiftung urkundlich für ein freies, dem Kaiser unmittelbar nnterworfncs Stift, dessen Kapitnlarinnen die Freiheit hatten, sich ihre Äbtissin selbst zu wählen, und zwar so, daß diese niemand als dem Kaiser selbst und dessen Nachfolgern zu gehorchen hatte und kein König oder Bischof irgend eine persönliche Leistung von ihr sollte fordern dürfen. Daraus entwickelte sich dann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/168>, abgerufen am 24.11.2024.