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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Das französische Bayreuth

Alleinherrschende werden, weil die beiden strittigen Ansichten einander beständig
bekämpfen. Unaufhörlich wird die Menschheit hin- und hergeworfen zwischen
den beiden Extremen: Weltverachtung und Verweltlichung, Gehorsam und Auf¬
lehnung gegen die Kirche. Dieses unruhige Hin- und Herschwanken ist eben
ein kennzeichnendes Merkmal des Mittelnlters. Die Menschheit gibt sich bald
der zügellosesten Sinnlichkeit hin, bald wieder tut sie schwere Buße, und der
Übergang aus einen: Extrem ins andre geschieht oft ganz unvermittelt. Einmal
hält der Kaiser dem Papste den Steigbügel, bald darauf zieht er das Schwert,
um ihn zu verjagen. ^5 ^g.)




Das französische Vayreuth
und die klassischen Festvorstellungen im römischen Theater
Schoen von in

> n ihrer Eigentümlichkeit und literarischen Bedeutung ist die Stadt
Orange eine in Frankreich einzig dastehende Kunststätte. Alles
scheint sich hier zu verbinden, aus der altberühmten Ortschaft einen
Samuel- und Mittelpunkt aller Verehrer der antiken Kunst und
Poesie, aller Liebhaber der languo et'vo und der provenzalischen
Literatur zu macheu. Keine südfranzösische Stadt hat bedeutendere Denkmäler
der römischen Baukunst auszuweisen, als die Hauptstadt des frühern Fürsten¬
tums Oranien, dessen Name uoch in dem großen preußischen Königstitel er¬
wähnt wird. Seit der furchtbaren Niederlage der Teutonen in dieser Gegend
hat fast jedes Jahrhundert in Orange seiue besondern Spuren zurückgelassen-
Am Eingänge der Stadt erhebt sich der prächtig geschmückte Triumphbogen,
der uns mit seinen Trophäen und Gallierschlachtcu, mit seinen gefangnen Bar¬
baren und Gladiatorcnkümpfeu, mit seinen Speeren, Schilden, Dreizacken und
Waffen aller Art Galliens Eroberung ins Gedächtnis zurückruft. Weiter
zeigen uns die neuentdeckten Trümmer eines ungeheuern Zirkus, wie es die
alten Römer verstanden haben, den unterdrückten Völkerschaften die gewünschten
Belustigungen zu verschaffen. Die zahlreiche" Erinnerungen an den Grafen
Naimbaud den Zweiten, der im Jahre 1099 vor Antiochin fiel, und an seiue
gebildete Tochter, die die Hanptviertel wieder aufbauen ließ, führen uns ins
graue Mittelalter zurück. Die altehrlvürdige, im elften und zwölften Jahr¬
hundert erbaute Kathedrale mit ihrem stark beschädigten Portal zeugt von der
Wut der Religionskriege, und hoch oben auf dem steilen Berge, der Orange
beherrscht, beweisen die sogenannten ()rövo-(ü"mir")-Rinnen des Nassnuischen
Schlosses, daß die Soldaten Ludwigs des Vierzehnten nicht nur in der Pfalz
Verwüstungen angerichtet haben.



") Die Bewohner der Stadt Orange wollten durch diesen Namen ihre" Unwillen aus¬
drücken, als das großartige, von dem beliebten Moril! von Nassau erbaute Schloß auf Befehl
des Roi-Lowit geschleift wurde.
Das französische Bayreuth

Alleinherrschende werden, weil die beiden strittigen Ansichten einander beständig
bekämpfen. Unaufhörlich wird die Menschheit hin- und hergeworfen zwischen
den beiden Extremen: Weltverachtung und Verweltlichung, Gehorsam und Auf¬
lehnung gegen die Kirche. Dieses unruhige Hin- und Herschwanken ist eben
ein kennzeichnendes Merkmal des Mittelnlters. Die Menschheit gibt sich bald
der zügellosesten Sinnlichkeit hin, bald wieder tut sie schwere Buße, und der
Übergang aus einen: Extrem ins andre geschieht oft ganz unvermittelt. Einmal
hält der Kaiser dem Papste den Steigbügel, bald darauf zieht er das Schwert,
um ihn zu verjagen. ^5 ^g.)




Das französische Vayreuth
und die klassischen Festvorstellungen im römischen Theater
Schoen von in

> n ihrer Eigentümlichkeit und literarischen Bedeutung ist die Stadt
Orange eine in Frankreich einzig dastehende Kunststätte. Alles
scheint sich hier zu verbinden, aus der altberühmten Ortschaft einen
Samuel- und Mittelpunkt aller Verehrer der antiken Kunst und
Poesie, aller Liebhaber der languo et'vo und der provenzalischen
Literatur zu macheu. Keine südfranzösische Stadt hat bedeutendere Denkmäler
der römischen Baukunst auszuweisen, als die Hauptstadt des frühern Fürsten¬
tums Oranien, dessen Name uoch in dem großen preußischen Königstitel er¬
wähnt wird. Seit der furchtbaren Niederlage der Teutonen in dieser Gegend
hat fast jedes Jahrhundert in Orange seiue besondern Spuren zurückgelassen-
Am Eingänge der Stadt erhebt sich der prächtig geschmückte Triumphbogen,
der uns mit seinen Trophäen und Gallierschlachtcu, mit seinen gefangnen Bar¬
baren und Gladiatorcnkümpfeu, mit seinen Speeren, Schilden, Dreizacken und
Waffen aller Art Galliens Eroberung ins Gedächtnis zurückruft. Weiter
zeigen uns die neuentdeckten Trümmer eines ungeheuern Zirkus, wie es die
alten Römer verstanden haben, den unterdrückten Völkerschaften die gewünschten
Belustigungen zu verschaffen. Die zahlreiche» Erinnerungen an den Grafen
Naimbaud den Zweiten, der im Jahre 1099 vor Antiochin fiel, und an seiue
gebildete Tochter, die die Hanptviertel wieder aufbauen ließ, führen uns ins
graue Mittelalter zurück. Die altehrlvürdige, im elften und zwölften Jahr¬
hundert erbaute Kathedrale mit ihrem stark beschädigten Portal zeugt von der
Wut der Religionskriege, und hoch oben auf dem steilen Berge, der Orange
beherrscht, beweisen die sogenannten ()rövo-(ü«mir")-Rinnen des Nassnuischen
Schlosses, daß die Soldaten Ludwigs des Vierzehnten nicht nur in der Pfalz
Verwüstungen angerichtet haben.



") Die Bewohner der Stadt Orange wollten durch diesen Namen ihre» Unwillen aus¬
drücken, als das großartige, von dem beliebten Moril! von Nassau erbaute Schloß auf Befehl
des Roi-Lowit geschleift wurde.
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[0160] Das französische Bayreuth Alleinherrschende werden, weil die beiden strittigen Ansichten einander beständig bekämpfen. Unaufhörlich wird die Menschheit hin- und hergeworfen zwischen den beiden Extremen: Weltverachtung und Verweltlichung, Gehorsam und Auf¬ lehnung gegen die Kirche. Dieses unruhige Hin- und Herschwanken ist eben ein kennzeichnendes Merkmal des Mittelnlters. Die Menschheit gibt sich bald der zügellosesten Sinnlichkeit hin, bald wieder tut sie schwere Buße, und der Übergang aus einen: Extrem ins andre geschieht oft ganz unvermittelt. Einmal hält der Kaiser dem Papste den Steigbügel, bald darauf zieht er das Schwert, um ihn zu verjagen. ^5 ^g.) Das französische Vayreuth und die klassischen Festvorstellungen im römischen Theater Schoen von in > n ihrer Eigentümlichkeit und literarischen Bedeutung ist die Stadt Orange eine in Frankreich einzig dastehende Kunststätte. Alles scheint sich hier zu verbinden, aus der altberühmten Ortschaft einen Samuel- und Mittelpunkt aller Verehrer der antiken Kunst und Poesie, aller Liebhaber der languo et'vo und der provenzalischen Literatur zu macheu. Keine südfranzösische Stadt hat bedeutendere Denkmäler der römischen Baukunst auszuweisen, als die Hauptstadt des frühern Fürsten¬ tums Oranien, dessen Name uoch in dem großen preußischen Königstitel er¬ wähnt wird. Seit der furchtbaren Niederlage der Teutonen in dieser Gegend hat fast jedes Jahrhundert in Orange seiue besondern Spuren zurückgelassen- Am Eingänge der Stadt erhebt sich der prächtig geschmückte Triumphbogen, der uns mit seinen Trophäen und Gallierschlachtcu, mit seinen gefangnen Bar¬ baren und Gladiatorcnkümpfeu, mit seinen Speeren, Schilden, Dreizacken und Waffen aller Art Galliens Eroberung ins Gedächtnis zurückruft. Weiter zeigen uns die neuentdeckten Trümmer eines ungeheuern Zirkus, wie es die alten Römer verstanden haben, den unterdrückten Völkerschaften die gewünschten Belustigungen zu verschaffen. Die zahlreiche» Erinnerungen an den Grafen Naimbaud den Zweiten, der im Jahre 1099 vor Antiochin fiel, und an seiue gebildete Tochter, die die Hanptviertel wieder aufbauen ließ, führen uns ins graue Mittelalter zurück. Die altehrlvürdige, im elften und zwölften Jahr¬ hundert erbaute Kathedrale mit ihrem stark beschädigten Portal zeugt von der Wut der Religionskriege, und hoch oben auf dem steilen Berge, der Orange beherrscht, beweisen die sogenannten ()rövo-(ü«mir")-Rinnen des Nassnuischen Schlosses, daß die Soldaten Ludwigs des Vierzehnten nicht nur in der Pfalz Verwüstungen angerichtet haben. ") Die Bewohner der Stadt Orange wollten durch diesen Namen ihre» Unwillen aus¬ drücken, als das großartige, von dem beliebten Moril! von Nassau erbaute Schloß auf Befehl des Roi-Lowit geschleift wurde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/160>, abgerufen am 29.11.2024.