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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Der Kampf um den Weltmarkt

zu Deutschland erschien ihm Frankreich als ein armes Land. Noch um die
Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, als die Grundlagen, auf denen sich
die deutsche Macht entwickelt hatte, zu wanken begannen, haben wir noch
die größten Bankiers gehabt, die die Welt bis jetzt gekannt hat: die Fugger.
Mit deutschem Gelde haben die Könige Spaniens ihre Kriege geführt. Wir,
nicht Italien, nicht England waren damals die große kapitalausleihende
Nation.

Am Ausgang des Mittelalters traten wir von der politischen Schaubühne
ab. Der Plan des Weltimperiums zerstob, unser Volk zerfiel in kleine, inner¬
lich zerspalten? Staaten; unser Wohlstand ging zurück, unsre Gesittung und
Kultur ließ nach, andre Nationen gewannen einen kaum einzuholenden Vor-
sprung. Und doch beruht auch hier alles, was die neue Zeit geleistet hat,
was ihr die sittlichen und moralischen Grundlagen gegeben hat, auf deutscher
Kraft. Aus deutschem Gemütsleben, aus deutschen! Freiheitsdrang entsprang
die Reformation. Es ist das letzte große Wort, das wir gesprochen haben,
und es hat umgestaltend auf Europa eingewirkt. Gerade England und die
Vereinigten Staaten kann man sich ohne protestantischen Geist nicht denken;
gerade der ist es, der den Einzelnen mündig gemacht hat, der dem Volke die
Schwungkraft und die Tatkraft gegeben hat, die wir an ihnen bewundern.
Alle großen Erfolge englischer Kultur, die große Geistesarbeit, die sie für uns
alle geleistet haben, gründen sich in ihren tiefsten Wurzeln in dein von
Deutschland ausgegcmguen Protestantismus.

Aber für unser deutsches Volk reiften die Früchte nicht. Das Schicksal
wandte sich gegen uns. Die Nation trennte sich in zwei große Lager, die in
der gegenseitigen Bekämpfung, in der Entfremdung der einzelnen Volksgenossen
ihre Aufgabe sahen, und Deutschland hörte um auf, der große führende Staat
zu sein.

Die Geschicke Europas bewegen sich vom sechzehnten Jahrhundert ab um
die Frage: Welcher Staat wird die Erbschaft von Deutschland und dem ihm
im Schicksal ähnlichen Italien antreten? Wer wird die Vormachtstellung in
Europa erringen? Zugleich aber taucht ein neues Problem auf, das sich mit
diesen? ersten verquickt und dadurch die Erkenntnis der politischen Vorgänge
außerordentlich erschwert. Kühne Seefahrer hatten Amerika erreicht, den See¬
weg uach Indien gefunden. Eine neue Welt wurde entdeckt; die sich dienstbar
zu machen, sie der europäischen Kultur anzugliedern, war von nun ab die
große Aufgabe, die den europäischen Völkern gestellt war. Es galt nun, nicht
nur im politischen Kampfe die Vormachtstellung in Europa zu erringen, es
galt auch die Seeherrschaft zu gewinnen.

Deutschland, das seine Vormachtstellung in Europa hatte aufgeben müssen,
konnte sich auch nicht an dem Kampfe um die Seeherrschaft beteilige". Man
hat oft behauptet, daß die westeuropäischen Länder, weil sie Amerika näher
als Italien und Deutschland lügen, einen natürlichen Vorsprung vor diesen
beiden Länder" gehabt hätten; das heißt aber, das Vergangne mit neuzeit¬
lichen Augen ansehen. Bei der Segelschiffahrt, die allein vom sechzehnten bis
zum neunzehnten Jahrhundert in Betracht kommt, spielte die Frage, ob ein Schiff


Der Kampf um den Weltmarkt

zu Deutschland erschien ihm Frankreich als ein armes Land. Noch um die
Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, als die Grundlagen, auf denen sich
die deutsche Macht entwickelt hatte, zu wanken begannen, haben wir noch
die größten Bankiers gehabt, die die Welt bis jetzt gekannt hat: die Fugger.
Mit deutschem Gelde haben die Könige Spaniens ihre Kriege geführt. Wir,
nicht Italien, nicht England waren damals die große kapitalausleihende
Nation.

Am Ausgang des Mittelalters traten wir von der politischen Schaubühne
ab. Der Plan des Weltimperiums zerstob, unser Volk zerfiel in kleine, inner¬
lich zerspalten? Staaten; unser Wohlstand ging zurück, unsre Gesittung und
Kultur ließ nach, andre Nationen gewannen einen kaum einzuholenden Vor-
sprung. Und doch beruht auch hier alles, was die neue Zeit geleistet hat,
was ihr die sittlichen und moralischen Grundlagen gegeben hat, auf deutscher
Kraft. Aus deutschem Gemütsleben, aus deutschen! Freiheitsdrang entsprang
die Reformation. Es ist das letzte große Wort, das wir gesprochen haben,
und es hat umgestaltend auf Europa eingewirkt. Gerade England und die
Vereinigten Staaten kann man sich ohne protestantischen Geist nicht denken;
gerade der ist es, der den Einzelnen mündig gemacht hat, der dem Volke die
Schwungkraft und die Tatkraft gegeben hat, die wir an ihnen bewundern.
Alle großen Erfolge englischer Kultur, die große Geistesarbeit, die sie für uns
alle geleistet haben, gründen sich in ihren tiefsten Wurzeln in dein von
Deutschland ausgegcmguen Protestantismus.

Aber für unser deutsches Volk reiften die Früchte nicht. Das Schicksal
wandte sich gegen uns. Die Nation trennte sich in zwei große Lager, die in
der gegenseitigen Bekämpfung, in der Entfremdung der einzelnen Volksgenossen
ihre Aufgabe sahen, und Deutschland hörte um auf, der große führende Staat
zu sein.

Die Geschicke Europas bewegen sich vom sechzehnten Jahrhundert ab um
die Frage: Welcher Staat wird die Erbschaft von Deutschland und dem ihm
im Schicksal ähnlichen Italien antreten? Wer wird die Vormachtstellung in
Europa erringen? Zugleich aber taucht ein neues Problem auf, das sich mit
diesen? ersten verquickt und dadurch die Erkenntnis der politischen Vorgänge
außerordentlich erschwert. Kühne Seefahrer hatten Amerika erreicht, den See¬
weg uach Indien gefunden. Eine neue Welt wurde entdeckt; die sich dienstbar
zu machen, sie der europäischen Kultur anzugliedern, war von nun ab die
große Aufgabe, die den europäischen Völkern gestellt war. Es galt nun, nicht
nur im politischen Kampfe die Vormachtstellung in Europa zu erringen, es
galt auch die Seeherrschaft zu gewinnen.

Deutschland, das seine Vormachtstellung in Europa hatte aufgeben müssen,
konnte sich auch nicht an dem Kampfe um die Seeherrschaft beteilige«. Man
hat oft behauptet, daß die westeuropäischen Länder, weil sie Amerika näher
als Italien und Deutschland lügen, einen natürlichen Vorsprung vor diesen
beiden Länder» gehabt hätten; das heißt aber, das Vergangne mit neuzeit¬
lichen Augen ansehen. Bei der Segelschiffahrt, die allein vom sechzehnten bis
zum neunzehnten Jahrhundert in Betracht kommt, spielte die Frage, ob ein Schiff


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/16>, abgerufen am 25.11.2024.