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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Die mittelalterliche Religionsanschauung und ihre Beziehungen zur Gegenwart

storben war, wurde Graf Apponyi Kammerpräsident, und Horanszky, für den
Hcgedues Platz machen mußte, erhielt das wenig verheißungsvolle Handels¬
ministerium. Herr von Szell hatte darin Erfahrungen, denn er hatte schon
dem klugen Dr. Kaizl seinerzeit mit der sogenannten Szellschen Klausel in der
Dauer des Bankstatuts nachgeben müssen und stand jetzt in den Zolltarif-
und Ausgleichsverhandlnngen dem ihm weit überlegnen Ministerpräsidenten
Dr. von Körber gegenüber, der früher selbst Handelsminister gewesen war.
Mochte Horanszky, dem man die Verantwortung für die etwaigen Mißerfolge
zuschieben konnte, den verhängnisvollen Posten übernehmen. Horausky starb
übrigens nach wenig Monaten. Wenn aber Szell gemeint haben sollte, das;
er den Grafen Appouyi auf dem verhältnismüßig neutralen Posten des
Kammerpräsidenten "kaltgestellt" habe, so sollte er bald aus seiner Täuschung
gerissen werden. Er hatte ja auch geglaubt, daß es nur der Auflösung der
Nationalpartei und des Eintritts ihrer Mitglieder in die Regierungspartei
bedürfe, sie auch für ihr Programm zu gewinnen, während sich Graf Apponyi
und Horanszky in der Erinnerung an die Vereinigung der Tiszagrnppe mit
der Decikpartei der Erwartung hingegeben hatten, daß es ihnen durch die
Vereinigung möglich sein werde, ihr Programm auf die Regierungspartei zu
übertragen. Sie hatten richtiger kalkuliere, der radikalere Flügel eiuer Partei
pflegt ja in den meisten Füllen die Oberhand zu gewinnen.

(Schluß folgt)




Die mittelalterliche Religionsanschauung und ihre
Beziehungen zur Gegenwart

"le Bedeutung des Mittelalters für den Fortschritt der Mensch¬
heit im allgemeinen wurde und wird gewöhnlich sehr verschieden
beurteilt. Während der selbstgefällige Rationalismus des acht¬
zehnten Jahrhunderts über die "Nacht des Mittelnlters" vor-
Inehm lächelte und diese wichtige Periode der Weltgeschichte, in
der sich germanische Kraft mit der Innigkeit und Gemütstiefe des Christentums
vermählte, als Zeit finstern Aberglaubens betrachtete, fanden die Romantiker
des neunzehnten Jahrhunderts in ihrer schwärmerischen Vorliebe für das
Mittelalter nicht Worte genug, dessen dichterische Schütze, poetische Lebens¬
auffassung, Frömmigkeit, Gemüts tiefe usw. zu preisen. Seitdem man sich
einerseits von dem "gottverlassenen Vernnnftkultus" des achtzehnten Jahr¬
hunderts emanzipiert hat und andrerseits ans der romantischen Phantasie-
beranschuug in der Kindheit des neunzehnten Jahrhunderts erwacht ist, ist die
nüchterne Beobachtung und Kritik auf dem Gebiete der historischen Forschung,
die jede Zeitperiode als Glied eines großen Entwicklungsprozesses auffaßt und
beurteilt, zu ihrem Rechte gekommen und hat besonders den langen Zeitraum
vom Untergang der antiken Kultur bis zum Anbruch der "neuen Zeit" zum


Die mittelalterliche Religionsanschauung und ihre Beziehungen zur Gegenwart

storben war, wurde Graf Apponyi Kammerpräsident, und Horanszky, für den
Hcgedues Platz machen mußte, erhielt das wenig verheißungsvolle Handels¬
ministerium. Herr von Szell hatte darin Erfahrungen, denn er hatte schon
dem klugen Dr. Kaizl seinerzeit mit der sogenannten Szellschen Klausel in der
Dauer des Bankstatuts nachgeben müssen und stand jetzt in den Zolltarif-
und Ausgleichsverhandlnngen dem ihm weit überlegnen Ministerpräsidenten
Dr. von Körber gegenüber, der früher selbst Handelsminister gewesen war.
Mochte Horanszky, dem man die Verantwortung für die etwaigen Mißerfolge
zuschieben konnte, den verhängnisvollen Posten übernehmen. Horausky starb
übrigens nach wenig Monaten. Wenn aber Szell gemeint haben sollte, das;
er den Grafen Appouyi auf dem verhältnismüßig neutralen Posten des
Kammerpräsidenten „kaltgestellt" habe, so sollte er bald aus seiner Täuschung
gerissen werden. Er hatte ja auch geglaubt, daß es nur der Auflösung der
Nationalpartei und des Eintritts ihrer Mitglieder in die Regierungspartei
bedürfe, sie auch für ihr Programm zu gewinnen, während sich Graf Apponyi
und Horanszky in der Erinnerung an die Vereinigung der Tiszagrnppe mit
der Decikpartei der Erwartung hingegeben hatten, daß es ihnen durch die
Vereinigung möglich sein werde, ihr Programm auf die Regierungspartei zu
übertragen. Sie hatten richtiger kalkuliere, der radikalere Flügel eiuer Partei
pflegt ja in den meisten Füllen die Oberhand zu gewinnen.

(Schluß folgt)




Die mittelalterliche Religionsanschauung und ihre
Beziehungen zur Gegenwart

»le Bedeutung des Mittelalters für den Fortschritt der Mensch¬
heit im allgemeinen wurde und wird gewöhnlich sehr verschieden
beurteilt. Während der selbstgefällige Rationalismus des acht¬
zehnten Jahrhunderts über die „Nacht des Mittelnlters" vor-
Inehm lächelte und diese wichtige Periode der Weltgeschichte, in
der sich germanische Kraft mit der Innigkeit und Gemütstiefe des Christentums
vermählte, als Zeit finstern Aberglaubens betrachtete, fanden die Romantiker
des neunzehnten Jahrhunderts in ihrer schwärmerischen Vorliebe für das
Mittelalter nicht Worte genug, dessen dichterische Schütze, poetische Lebens¬
auffassung, Frömmigkeit, Gemüts tiefe usw. zu preisen. Seitdem man sich
einerseits von dem „gottverlassenen Vernnnftkultus" des achtzehnten Jahr¬
hunderts emanzipiert hat und andrerseits ans der romantischen Phantasie-
beranschuug in der Kindheit des neunzehnten Jahrhunderts erwacht ist, ist die
nüchterne Beobachtung und Kritik auf dem Gebiete der historischen Forschung,
die jede Zeitperiode als Glied eines großen Entwicklungsprozesses auffaßt und
beurteilt, zu ihrem Rechte gekommen und hat besonders den langen Zeitraum
vom Untergang der antiken Kultur bis zum Anbruch der „neuen Zeit" zum


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[0152] Die mittelalterliche Religionsanschauung und ihre Beziehungen zur Gegenwart storben war, wurde Graf Apponyi Kammerpräsident, und Horanszky, für den Hcgedues Platz machen mußte, erhielt das wenig verheißungsvolle Handels¬ ministerium. Herr von Szell hatte darin Erfahrungen, denn er hatte schon dem klugen Dr. Kaizl seinerzeit mit der sogenannten Szellschen Klausel in der Dauer des Bankstatuts nachgeben müssen und stand jetzt in den Zolltarif- und Ausgleichsverhandlnngen dem ihm weit überlegnen Ministerpräsidenten Dr. von Körber gegenüber, der früher selbst Handelsminister gewesen war. Mochte Horanszky, dem man die Verantwortung für die etwaigen Mißerfolge zuschieben konnte, den verhängnisvollen Posten übernehmen. Horausky starb übrigens nach wenig Monaten. Wenn aber Szell gemeint haben sollte, das; er den Grafen Appouyi auf dem verhältnismüßig neutralen Posten des Kammerpräsidenten „kaltgestellt" habe, so sollte er bald aus seiner Täuschung gerissen werden. Er hatte ja auch geglaubt, daß es nur der Auflösung der Nationalpartei und des Eintritts ihrer Mitglieder in die Regierungspartei bedürfe, sie auch für ihr Programm zu gewinnen, während sich Graf Apponyi und Horanszky in der Erinnerung an die Vereinigung der Tiszagrnppe mit der Decikpartei der Erwartung hingegeben hatten, daß es ihnen durch die Vereinigung möglich sein werde, ihr Programm auf die Regierungspartei zu übertragen. Sie hatten richtiger kalkuliere, der radikalere Flügel eiuer Partei pflegt ja in den meisten Füllen die Oberhand zu gewinnen. (Schluß folgt) Die mittelalterliche Religionsanschauung und ihre Beziehungen zur Gegenwart »le Bedeutung des Mittelalters für den Fortschritt der Mensch¬ heit im allgemeinen wurde und wird gewöhnlich sehr verschieden beurteilt. Während der selbstgefällige Rationalismus des acht¬ zehnten Jahrhunderts über die „Nacht des Mittelnlters" vor- Inehm lächelte und diese wichtige Periode der Weltgeschichte, in der sich germanische Kraft mit der Innigkeit und Gemütstiefe des Christentums vermählte, als Zeit finstern Aberglaubens betrachtete, fanden die Romantiker des neunzehnten Jahrhunderts in ihrer schwärmerischen Vorliebe für das Mittelalter nicht Worte genug, dessen dichterische Schütze, poetische Lebens¬ auffassung, Frömmigkeit, Gemüts tiefe usw. zu preisen. Seitdem man sich einerseits von dem „gottverlassenen Vernnnftkultus" des achtzehnten Jahr¬ hunderts emanzipiert hat und andrerseits ans der romantischen Phantasie- beranschuug in der Kindheit des neunzehnten Jahrhunderts erwacht ist, ist die nüchterne Beobachtung und Kritik auf dem Gebiete der historischen Forschung, die jede Zeitperiode als Glied eines großen Entwicklungsprozesses auffaßt und beurteilt, zu ihrem Rechte gekommen und hat besonders den langen Zeitraum vom Untergang der antiken Kultur bis zum Anbruch der „neuen Zeit" zum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/152>, abgerufen am 30.11.2024.