Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Der Kampf um den Weltmarkt schicke der europäischen Völker ein. Handel und Industrie überließ es andern Wie wenig hat dagegen Italien, dem man gewöhnlich die Stelle des ersten Nur wir Deutschen strebten nach der Weltherrschaft. Der deutsche König Der Kampf um den Weltmarkt schicke der europäischen Völker ein. Handel und Industrie überließ es andern Wie wenig hat dagegen Italien, dem man gewöhnlich die Stelle des ersten Nur wir Deutschen strebten nach der Weltherrschaft. Der deutsche König <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0015" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241229"/> <fw type="header" place="top"> Der Kampf um den Weltmarkt</fw><lb/> <p xml:id="ID_28" prev="#ID_27"> schicke der europäischen Völker ein. Handel und Industrie überließ es andern<lb/> Völkern, es sandte keine Söhne aus, fremde Landstrecken zu kolonisieren; es<lb/> lebte fernab still für sich auf seinem Eiland. Der große Staat, der die Ge¬<lb/> schicke des Mittelalters bestimmt hat, ist Deutschland gewesen, »ud ebenso, wie<lb/> wir unhistorisch die Engländer betrachten, ebenso unhistorisch denken wir über<lb/> unser eignes Volk. Unsre Größe, unser Schicksal liegt im Mittelalter. Eng¬<lb/> land ist dagegen der ausgeprägteste Staat der Neuzeit geworden. Wir Deutschen<lb/> leiten mit der Völkerwanderung das Mittelalter ein, und mit der Reformation<lb/> klingt es aus. Wir haben mit dein Schwert, mit der Pflugschar, mit dem<lb/> Handwerkszeug in jahrhundertelangem Kämpfen unsern heutigen Kulturboden<lb/> geschaffen und uoch weit darüber hinaus Vorposten ausgesandt. Der Ansturm<lb/> von Slawen, Hunnen und Türken ist an der deutschen Macht gescheitert. „Ziehen<lb/> wir eine Linie, die vom Kieler Hafen die Swentine entlang nach Bismarcks<lb/> Sachsenwald lief, von dort die Elbe hinauf bis zur Saalemündung, diesen<lb/> Fluß aufwärts bis zum Einlauf der Schwärzn, denn hinüber übers Gebirge<lb/> in die Bamberger Gegend und weiter zum Böhmerwalde, an diesem entlang<lb/> zur Donau und südwestlich über die Dauern ins Pustertal, da wo die Ge¬<lb/> wässer der Etsch und der Drau sich scheiden. Alles, was vou Deutschen heu¬<lb/> tigentags östlich dieser Linie wohnt, und das ist fast die Hälfte der ge¬<lb/> schloffen znsammensitzenden, für die preußische Monarchie die volle Hälfte, ver¬<lb/> dankt seine Heimat der Kolonisation des Mittelalters" (Dietrich Schäfer).</p><lb/> <p xml:id="ID_29"> Wie wenig hat dagegen Italien, dem man gewöhnlich die Stelle des ersten<lb/> Staats während des Mittelalters zubilligt, für sein Volkstum geleistet. Es hat<lb/> seine Herrschaft über die griechischen Inseln, über die Küsten Jstriens und<lb/> Dalmcitiens nicht halten können. Es hat auch sein Sprachgebiet nicht wesent¬<lb/> lich zu erweitern vermocht. Und während der Italiener auf seiner alten Halb¬<lb/> insel gebannt blieb, breitete Deutschland seine Volksmacht aus!</p><lb/> <p xml:id="ID_30" next="#ID_31"> Nur wir Deutschen strebten nach der Weltherrschaft. Der deutsche König<lb/> wurde Kaiser des heiligen römischen Reichs. Wir allein strebten danach, das<lb/> Imperium der römischen Cäsaren in ein germanisches Imperium Mitteleuropas<lb/> zu verwandeln. Kein andres Volk, weder das italienische, noch das franzö¬<lb/> sische, noch das englische, machte uns den Platz um die Weltherrschaft in<lb/> Europa streitig, und wenn der deutsche Aar auch in vergeblichem Fluge die<lb/> Weltherrschaft angestrebt hat, so ist es doch immer zu allen Zeiten das Streben<lb/> an sich gewesen, das die Menschheit groß gemacht hat. Auch innerlich ent¬<lb/> wickelte sich unser Volk während des Mittelalters zu wirtschaftlich hoher Blüte.<lb/> Wieviel mächtiger ist die Hansa mit ihrer Seemacht, mit ihren Stapelplützen,<lb/> dem Stahlhof in London, den Geschäftskontoren von Gotenbnrg bis Riga<lb/> gegenüber der Seeherrschaft, die Venedig und Genua ausübten! Aus rein<lb/> ländlichen Verhältnissen entwickelte sich auf breiter gesunder Grundlage eine<lb/> hohe städtische Kultur. Kein andrer europäischer Staat zählt so viele und so<lb/> volkreiche Städte während des Mittelalters wie Deutschland. Und als der<lb/> italienische Staatsmann Machiavelli Deutschland und Frankreich bereiste, da<lb/> zeichnete er in sein Tagebuch ein, daß von allen Ländern, die er gesehen<lb/> habe, in Deutschland der größte bürgerliche Wohlstand herrsche. Im Vergleich</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0015]
Der Kampf um den Weltmarkt
schicke der europäischen Völker ein. Handel und Industrie überließ es andern
Völkern, es sandte keine Söhne aus, fremde Landstrecken zu kolonisieren; es
lebte fernab still für sich auf seinem Eiland. Der große Staat, der die Ge¬
schicke des Mittelalters bestimmt hat, ist Deutschland gewesen, »ud ebenso, wie
wir unhistorisch die Engländer betrachten, ebenso unhistorisch denken wir über
unser eignes Volk. Unsre Größe, unser Schicksal liegt im Mittelalter. Eng¬
land ist dagegen der ausgeprägteste Staat der Neuzeit geworden. Wir Deutschen
leiten mit der Völkerwanderung das Mittelalter ein, und mit der Reformation
klingt es aus. Wir haben mit dein Schwert, mit der Pflugschar, mit dem
Handwerkszeug in jahrhundertelangem Kämpfen unsern heutigen Kulturboden
geschaffen und uoch weit darüber hinaus Vorposten ausgesandt. Der Ansturm
von Slawen, Hunnen und Türken ist an der deutschen Macht gescheitert. „Ziehen
wir eine Linie, die vom Kieler Hafen die Swentine entlang nach Bismarcks
Sachsenwald lief, von dort die Elbe hinauf bis zur Saalemündung, diesen
Fluß aufwärts bis zum Einlauf der Schwärzn, denn hinüber übers Gebirge
in die Bamberger Gegend und weiter zum Böhmerwalde, an diesem entlang
zur Donau und südwestlich über die Dauern ins Pustertal, da wo die Ge¬
wässer der Etsch und der Drau sich scheiden. Alles, was vou Deutschen heu¬
tigentags östlich dieser Linie wohnt, und das ist fast die Hälfte der ge¬
schloffen znsammensitzenden, für die preußische Monarchie die volle Hälfte, ver¬
dankt seine Heimat der Kolonisation des Mittelalters" (Dietrich Schäfer).
Wie wenig hat dagegen Italien, dem man gewöhnlich die Stelle des ersten
Staats während des Mittelalters zubilligt, für sein Volkstum geleistet. Es hat
seine Herrschaft über die griechischen Inseln, über die Küsten Jstriens und
Dalmcitiens nicht halten können. Es hat auch sein Sprachgebiet nicht wesent¬
lich zu erweitern vermocht. Und während der Italiener auf seiner alten Halb¬
insel gebannt blieb, breitete Deutschland seine Volksmacht aus!
Nur wir Deutschen strebten nach der Weltherrschaft. Der deutsche König
wurde Kaiser des heiligen römischen Reichs. Wir allein strebten danach, das
Imperium der römischen Cäsaren in ein germanisches Imperium Mitteleuropas
zu verwandeln. Kein andres Volk, weder das italienische, noch das franzö¬
sische, noch das englische, machte uns den Platz um die Weltherrschaft in
Europa streitig, und wenn der deutsche Aar auch in vergeblichem Fluge die
Weltherrschaft angestrebt hat, so ist es doch immer zu allen Zeiten das Streben
an sich gewesen, das die Menschheit groß gemacht hat. Auch innerlich ent¬
wickelte sich unser Volk während des Mittelalters zu wirtschaftlich hoher Blüte.
Wieviel mächtiger ist die Hansa mit ihrer Seemacht, mit ihren Stapelplützen,
dem Stahlhof in London, den Geschäftskontoren von Gotenbnrg bis Riga
gegenüber der Seeherrschaft, die Venedig und Genua ausübten! Aus rein
ländlichen Verhältnissen entwickelte sich auf breiter gesunder Grundlage eine
hohe städtische Kultur. Kein andrer europäischer Staat zählt so viele und so
volkreiche Städte während des Mittelalters wie Deutschland. Und als der
italienische Staatsmann Machiavelli Deutschland und Frankreich bereiste, da
zeichnete er in sein Tagebuch ein, daß von allen Ländern, die er gesehen
habe, in Deutschland der größte bürgerliche Wohlstand herrsche. Im Vergleich
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