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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Die orientalische Frage

andrerseits dadurch aber auch Österreich gezwungen wurde, an dem polnischen
Geschäfte teilzunehmen, das, wie man heute weiß, einen sehr zweifelhaften Ge¬
winn abwarf, nach der damaligen Sachlage aber die österreichische Politik in
der verhängnisvollsten Weise lähmte. Durch den Wettbewerb Österreichs und
Preußens in der polnischen Frage wurde der zwischen beiden Staaten schon
vorhcmdne Gegensatz in der deutschen Frage verschärft und beide in einer An¬
gelegenheit festgehalten, deren Fäden Rußland in der Hand hatte, und zwar
gerade zu einer Zeit, wo sich Umwälzungen vorbereiteten, denen allein durch
ein preußisch-deutsches Einvernehmen hätte vorgebeugt werden können.

Nach der zusammenfassenden Darstellung der Ereignisse des Revolntions-
zeitalters durch Heinrich von Sybel ist es klar geworden, daß der Bonapar-
tismus in Frankreich seine Existenz der polnischen Frage verdankt. Militärisch
wären Preußen und Österreich imstande gewesen, die Angriffe der französischen
Revolution zurückzuweisen, wenn nicht die Politik Rußlands die Widerstands¬
fähigkeit der beide" Staaten gebrochen hatte. In Wien, noch weniger aber
in Berlin vermochte die von Frankreich her drohende Gefahr die Kabinette
nicht von der polnischen Beute abzulenken, diesem Danaergeschenk Rußlands,
das zunächst Preußen mit dem Frieden von Tilsit und Österreich mit dem von
Wien, beide aber trotz des Sturzes Napoleons mit einer länger als ein halbes
Jahrhundert dauernden Unterordnung unter Rußlands Führung bezahlten, die
bei aller Unzulänglichkeit des Nusseutums im Militärischen und in der Kultur
ihm den entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung der orientalischen Frage
sicherte.

Schon kurz nach dem Tode Peters des Großen, wo dessen Entwürfe in
voller Entwicklung begriffen waren, kam die aktive Orientpolitik Österreichs
zum Stehen. Nach dem Frieden von Pasfnrowitz (1717), wo Österreich ein
Stück der Walachei zugesprochen wurde, war Prinz Eugen gestorben, und der
Friede von Belgrad (1739) zog die Linie, über die Österreich bis auf die
jüngste Zeit nicht mehr dauernd hinausgegangen ist. Zum erstenmal war schon
kurz vor dem Frieden von Belgrad auf dem Kongresse von Namicrow (1736)
der Wettbewerb Österreichs und Rußlands in der orientalischen Frage deutlich
zum Ausdruck gekommen. Österreich forderte damals die Erweiterung seiner
Grenzen in der Moldau und der Walachei bis an die Dumbowitza, in Serbien
bis an den Lond, einschließlich Widdin und Biban, und Novi in Bosnien,
während Rußland die Abtretung der Krim und des Kuban, die Unabhängig¬
keit der Moldau und der Walachei unter russischem Schutze, sowie die freie
russische Schiffahrt im Schwarzen Meere und in den Dardanellen begehrt
hatte. Da Österreich im Feldzuge unglücklich war, Nußland aber damals den
Boden der orientalischen Frage mit fremden Kühen zu pflügen liebte, wurde
aus diesen hochfliegenden Plänen nichts. Immerhin verblieb Asow den Russen,
und bald kam durch Katharina auch das polnische Teilungsgeschäft in Fluß,
Die Großmächte wurden ohne Ausnahme in den Bannkreis der konsequenten,
ihrer Zwecke durchaus bewußten russischen Politik gezogen. Die nordische
Großmacht Skandinavien war vernichtet, Österreich und Preußen waren tödlich
miteinander verfeindet, durch die Teilnahme nu der Teilung Polens jedoch in


Die orientalische Frage

andrerseits dadurch aber auch Österreich gezwungen wurde, an dem polnischen
Geschäfte teilzunehmen, das, wie man heute weiß, einen sehr zweifelhaften Ge¬
winn abwarf, nach der damaligen Sachlage aber die österreichische Politik in
der verhängnisvollsten Weise lähmte. Durch den Wettbewerb Österreichs und
Preußens in der polnischen Frage wurde der zwischen beiden Staaten schon
vorhcmdne Gegensatz in der deutschen Frage verschärft und beide in einer An¬
gelegenheit festgehalten, deren Fäden Rußland in der Hand hatte, und zwar
gerade zu einer Zeit, wo sich Umwälzungen vorbereiteten, denen allein durch
ein preußisch-deutsches Einvernehmen hätte vorgebeugt werden können.

Nach der zusammenfassenden Darstellung der Ereignisse des Revolntions-
zeitalters durch Heinrich von Sybel ist es klar geworden, daß der Bonapar-
tismus in Frankreich seine Existenz der polnischen Frage verdankt. Militärisch
wären Preußen und Österreich imstande gewesen, die Angriffe der französischen
Revolution zurückzuweisen, wenn nicht die Politik Rußlands die Widerstands¬
fähigkeit der beide» Staaten gebrochen hatte. In Wien, noch weniger aber
in Berlin vermochte die von Frankreich her drohende Gefahr die Kabinette
nicht von der polnischen Beute abzulenken, diesem Danaergeschenk Rußlands,
das zunächst Preußen mit dem Frieden von Tilsit und Österreich mit dem von
Wien, beide aber trotz des Sturzes Napoleons mit einer länger als ein halbes
Jahrhundert dauernden Unterordnung unter Rußlands Führung bezahlten, die
bei aller Unzulänglichkeit des Nusseutums im Militärischen und in der Kultur
ihm den entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung der orientalischen Frage
sicherte.

Schon kurz nach dem Tode Peters des Großen, wo dessen Entwürfe in
voller Entwicklung begriffen waren, kam die aktive Orientpolitik Österreichs
zum Stehen. Nach dem Frieden von Pasfnrowitz (1717), wo Österreich ein
Stück der Walachei zugesprochen wurde, war Prinz Eugen gestorben, und der
Friede von Belgrad (1739) zog die Linie, über die Österreich bis auf die
jüngste Zeit nicht mehr dauernd hinausgegangen ist. Zum erstenmal war schon
kurz vor dem Frieden von Belgrad auf dem Kongresse von Namicrow (1736)
der Wettbewerb Österreichs und Rußlands in der orientalischen Frage deutlich
zum Ausdruck gekommen. Österreich forderte damals die Erweiterung seiner
Grenzen in der Moldau und der Walachei bis an die Dumbowitza, in Serbien
bis an den Lond, einschließlich Widdin und Biban, und Novi in Bosnien,
während Rußland die Abtretung der Krim und des Kuban, die Unabhängig¬
keit der Moldau und der Walachei unter russischem Schutze, sowie die freie
russische Schiffahrt im Schwarzen Meere und in den Dardanellen begehrt
hatte. Da Österreich im Feldzuge unglücklich war, Nußland aber damals den
Boden der orientalischen Frage mit fremden Kühen zu pflügen liebte, wurde
aus diesen hochfliegenden Plänen nichts. Immerhin verblieb Asow den Russen,
und bald kam durch Katharina auch das polnische Teilungsgeschäft in Fluß,
Die Großmächte wurden ohne Ausnahme in den Bannkreis der konsequenten,
ihrer Zwecke durchaus bewußten russischen Politik gezogen. Die nordische
Großmacht Skandinavien war vernichtet, Österreich und Preußen waren tödlich
miteinander verfeindet, durch die Teilnahme nu der Teilung Polens jedoch in


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[0142] Die orientalische Frage andrerseits dadurch aber auch Österreich gezwungen wurde, an dem polnischen Geschäfte teilzunehmen, das, wie man heute weiß, einen sehr zweifelhaften Ge¬ winn abwarf, nach der damaligen Sachlage aber die österreichische Politik in der verhängnisvollsten Weise lähmte. Durch den Wettbewerb Österreichs und Preußens in der polnischen Frage wurde der zwischen beiden Staaten schon vorhcmdne Gegensatz in der deutschen Frage verschärft und beide in einer An¬ gelegenheit festgehalten, deren Fäden Rußland in der Hand hatte, und zwar gerade zu einer Zeit, wo sich Umwälzungen vorbereiteten, denen allein durch ein preußisch-deutsches Einvernehmen hätte vorgebeugt werden können. Nach der zusammenfassenden Darstellung der Ereignisse des Revolntions- zeitalters durch Heinrich von Sybel ist es klar geworden, daß der Bonapar- tismus in Frankreich seine Existenz der polnischen Frage verdankt. Militärisch wären Preußen und Österreich imstande gewesen, die Angriffe der französischen Revolution zurückzuweisen, wenn nicht die Politik Rußlands die Widerstands¬ fähigkeit der beide» Staaten gebrochen hatte. In Wien, noch weniger aber in Berlin vermochte die von Frankreich her drohende Gefahr die Kabinette nicht von der polnischen Beute abzulenken, diesem Danaergeschenk Rußlands, das zunächst Preußen mit dem Frieden von Tilsit und Österreich mit dem von Wien, beide aber trotz des Sturzes Napoleons mit einer länger als ein halbes Jahrhundert dauernden Unterordnung unter Rußlands Führung bezahlten, die bei aller Unzulänglichkeit des Nusseutums im Militärischen und in der Kultur ihm den entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung der orientalischen Frage sicherte. Schon kurz nach dem Tode Peters des Großen, wo dessen Entwürfe in voller Entwicklung begriffen waren, kam die aktive Orientpolitik Österreichs zum Stehen. Nach dem Frieden von Pasfnrowitz (1717), wo Österreich ein Stück der Walachei zugesprochen wurde, war Prinz Eugen gestorben, und der Friede von Belgrad (1739) zog die Linie, über die Österreich bis auf die jüngste Zeit nicht mehr dauernd hinausgegangen ist. Zum erstenmal war schon kurz vor dem Frieden von Belgrad auf dem Kongresse von Namicrow (1736) der Wettbewerb Österreichs und Rußlands in der orientalischen Frage deutlich zum Ausdruck gekommen. Österreich forderte damals die Erweiterung seiner Grenzen in der Moldau und der Walachei bis an die Dumbowitza, in Serbien bis an den Lond, einschließlich Widdin und Biban, und Novi in Bosnien, während Rußland die Abtretung der Krim und des Kuban, die Unabhängig¬ keit der Moldau und der Walachei unter russischem Schutze, sowie die freie russische Schiffahrt im Schwarzen Meere und in den Dardanellen begehrt hatte. Da Österreich im Feldzuge unglücklich war, Nußland aber damals den Boden der orientalischen Frage mit fremden Kühen zu pflügen liebte, wurde aus diesen hochfliegenden Plänen nichts. Immerhin verblieb Asow den Russen, und bald kam durch Katharina auch das polnische Teilungsgeschäft in Fluß, Die Großmächte wurden ohne Ausnahme in den Bannkreis der konsequenten, ihrer Zwecke durchaus bewußten russischen Politik gezogen. Die nordische Großmacht Skandinavien war vernichtet, Österreich und Preußen waren tödlich miteinander verfeindet, durch die Teilnahme nu der Teilung Polens jedoch in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/142>, abgerufen am 01.09.2024.