verschiedne Bestandteile zusammengewürfelt hatten, bewirkten, daß er seine Kraft an weit auseinanderliegenden Punkten zersplitterte, statt sie in einer bestimmten Richtung zu sammeln. Anders Rußland. Erst Ende des siebzehnten Jahr¬ hunderts trat es in den Kreis der europäischen Staaten. Ohne alle traditio¬ nellen Beziehungen zum Abendlande hatte es das Glück, zu diesem für seine ganze Zukunft wichtigen Zeitpunkt einen Mann an seiner Spitze zu finden, der mit einem klaren Blick und mit einer keinerlei Bedenken lernenden Rück¬ sichtslosigkeit seinem Lande den Weg zu einer allbeherrschender Stellung zeigte. Mau belächelt heute das apokryphe Testament Peters des Großen, aber man sollte nicht vergessen, mit welcher eisernen Folgerichtigkeit die russische Diplo¬ matie an dem wirklichen Testament Peters festgehalten hat, sowohl was die Mittel, als auch was den Zweck anlangt.
Peters äußere Politik strebte drei großen Zielen zu. Die Ostsee und das Schwarze Meer waren für ihn die beiden Endpunkte der Linie, auf die ge¬ stützt er durch Vernichtung Polens mit den europäischen Staaten in innige Fühlung zu kommen und sie zu beherrschen suchte. Am klarsten faßte diese Idee als den gesamten Inhalt der russischen Politik allerdings viel später in einer aus dem Jahre 1814 stammenden Denkschrift der damalige russische Ge¬ sandte in Paris Pozzo ti Borgo zusammen: "Die Vernichtung Polens als einer politischen Macht macht den Inhalt fast der ganzen russischen Geschichte aus; der Plan der Vergrößerung auf Kosten der Türkei war nur rein territorial, und ich wage zu sagen, sekundär, verglichen mit dem, was an der Westgrenze vorgegangen ist. Die Eroberung Polens ist hauptsächlich unter¬ nommen worden, die Beziehungen der russischen Nation zu dem übrigen Europa zu vervielfältigen und ihr ein weites Feld anzuweisen, einen edlern Schauplatz, auf dem sie ihre Fähigkeiten üben, ihrem Stolz, ihren Leiden¬ schaften, ihren Interessen genügen könne." -- Peter dem Großen war es nicht beschieden, sich am Ziele seiner Wünsche zu sehen -- wie reichte auch ein Lebensalter dazu aus --, er hatte jedoch tüchtig vorgearbeitet. Als er starb, stand Nußland schon um der Ostsee, und auch der für ihn sonst so un¬ glückliche Türkenkrieg fand in dem 1720 geschlossenen russisch-türkischen Ver¬ trage ein für Rußland sehr befriedigendes Nachspiel. Asow blieb zwar den Türken, aber der zwölfte Artikel des Vertrags enthielt Bestimmungen, die für Rußland mehr wert waren. Der Zur versprach dort, sich vom polnischen Ge¬ biete nie etwas anzueignen, noch sich in die Verfassung Polens einzumischen; da aber Nußland und der Türkei daran gelegen sein müsse, daß der Krone Polens nicht Souveränität und Erbrecht beigelegt werde, so vereinigen sie sich, die Rechte, Privilegien und Verfassung dieses Staates aufrecht zu erhalten, mithin nach ihrem eignen Interesse eventuell mit Waffengewalt zu verhindern, daß die Krone Polens Souveränität und Erbfolge erhalte, die Rechte und Verfassungen der Republik verletzt und ihr Gebiet irgendwie geteilt werde. -- Peter der Große, der schon in den Jahren 1712 und 1713 mit Wien erfolglos über eine Teilung Polens verhandelt hatte, leitete mit diesem Vertrage diese Teilung ein, indem er den Bestand Polens unter die Garantie Rußlands und der Türkei stellte, jedoch unter Bedingungen, die die innern Voraussetzungen
Vie orientalische Hrage
verschiedne Bestandteile zusammengewürfelt hatten, bewirkten, daß er seine Kraft an weit auseinanderliegenden Punkten zersplitterte, statt sie in einer bestimmten Richtung zu sammeln. Anders Rußland. Erst Ende des siebzehnten Jahr¬ hunderts trat es in den Kreis der europäischen Staaten. Ohne alle traditio¬ nellen Beziehungen zum Abendlande hatte es das Glück, zu diesem für seine ganze Zukunft wichtigen Zeitpunkt einen Mann an seiner Spitze zu finden, der mit einem klaren Blick und mit einer keinerlei Bedenken lernenden Rück¬ sichtslosigkeit seinem Lande den Weg zu einer allbeherrschender Stellung zeigte. Mau belächelt heute das apokryphe Testament Peters des Großen, aber man sollte nicht vergessen, mit welcher eisernen Folgerichtigkeit die russische Diplo¬ matie an dem wirklichen Testament Peters festgehalten hat, sowohl was die Mittel, als auch was den Zweck anlangt.
Peters äußere Politik strebte drei großen Zielen zu. Die Ostsee und das Schwarze Meer waren für ihn die beiden Endpunkte der Linie, auf die ge¬ stützt er durch Vernichtung Polens mit den europäischen Staaten in innige Fühlung zu kommen und sie zu beherrschen suchte. Am klarsten faßte diese Idee als den gesamten Inhalt der russischen Politik allerdings viel später in einer aus dem Jahre 1814 stammenden Denkschrift der damalige russische Ge¬ sandte in Paris Pozzo ti Borgo zusammen: „Die Vernichtung Polens als einer politischen Macht macht den Inhalt fast der ganzen russischen Geschichte aus; der Plan der Vergrößerung auf Kosten der Türkei war nur rein territorial, und ich wage zu sagen, sekundär, verglichen mit dem, was an der Westgrenze vorgegangen ist. Die Eroberung Polens ist hauptsächlich unter¬ nommen worden, die Beziehungen der russischen Nation zu dem übrigen Europa zu vervielfältigen und ihr ein weites Feld anzuweisen, einen edlern Schauplatz, auf dem sie ihre Fähigkeiten üben, ihrem Stolz, ihren Leiden¬ schaften, ihren Interessen genügen könne." — Peter dem Großen war es nicht beschieden, sich am Ziele seiner Wünsche zu sehen — wie reichte auch ein Lebensalter dazu aus —, er hatte jedoch tüchtig vorgearbeitet. Als er starb, stand Nußland schon um der Ostsee, und auch der für ihn sonst so un¬ glückliche Türkenkrieg fand in dem 1720 geschlossenen russisch-türkischen Ver¬ trage ein für Rußland sehr befriedigendes Nachspiel. Asow blieb zwar den Türken, aber der zwölfte Artikel des Vertrags enthielt Bestimmungen, die für Rußland mehr wert waren. Der Zur versprach dort, sich vom polnischen Ge¬ biete nie etwas anzueignen, noch sich in die Verfassung Polens einzumischen; da aber Nußland und der Türkei daran gelegen sein müsse, daß der Krone Polens nicht Souveränität und Erbrecht beigelegt werde, so vereinigen sie sich, die Rechte, Privilegien und Verfassung dieses Staates aufrecht zu erhalten, mithin nach ihrem eignen Interesse eventuell mit Waffengewalt zu verhindern, daß die Krone Polens Souveränität und Erbfolge erhalte, die Rechte und Verfassungen der Republik verletzt und ihr Gebiet irgendwie geteilt werde. — Peter der Große, der schon in den Jahren 1712 und 1713 mit Wien erfolglos über eine Teilung Polens verhandelt hatte, leitete mit diesem Vertrage diese Teilung ein, indem er den Bestand Polens unter die Garantie Rußlands und der Türkei stellte, jedoch unter Bedingungen, die die innern Voraussetzungen
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verschiedne Bestandteile zusammengewürfelt hatten, bewirkten, daß er seine Kraft
an weit auseinanderliegenden Punkten zersplitterte, statt sie in einer bestimmten
Richtung zu sammeln. Anders Rußland. Erst Ende des siebzehnten Jahr¬
hunderts trat es in den Kreis der europäischen Staaten. Ohne alle traditio¬
nellen Beziehungen zum Abendlande hatte es das Glück, zu diesem für seine
ganze Zukunft wichtigen Zeitpunkt einen Mann an seiner Spitze zu finden,
der mit einem klaren Blick und mit einer keinerlei Bedenken lernenden Rück¬
sichtslosigkeit seinem Lande den Weg zu einer allbeherrschender Stellung zeigte.
Mau belächelt heute das apokryphe Testament Peters des Großen, aber man
sollte nicht vergessen, mit welcher eisernen Folgerichtigkeit die russische Diplo¬
matie an dem wirklichen Testament Peters festgehalten hat, sowohl was die
Mittel, als auch was den Zweck anlangt.
Peters äußere Politik strebte drei großen Zielen zu. Die Ostsee und das
Schwarze Meer waren für ihn die beiden Endpunkte der Linie, auf die ge¬
stützt er durch Vernichtung Polens mit den europäischen Staaten in innige
Fühlung zu kommen und sie zu beherrschen suchte. Am klarsten faßte diese
Idee als den gesamten Inhalt der russischen Politik allerdings viel später in
einer aus dem Jahre 1814 stammenden Denkschrift der damalige russische Ge¬
sandte in Paris Pozzo ti Borgo zusammen: „Die Vernichtung Polens als
einer politischen Macht macht den Inhalt fast der ganzen russischen Geschichte
aus; der Plan der Vergrößerung auf Kosten der Türkei war nur rein
territorial, und ich wage zu sagen, sekundär, verglichen mit dem, was an der
Westgrenze vorgegangen ist. Die Eroberung Polens ist hauptsächlich unter¬
nommen worden, die Beziehungen der russischen Nation zu dem übrigen
Europa zu vervielfältigen und ihr ein weites Feld anzuweisen, einen edlern
Schauplatz, auf dem sie ihre Fähigkeiten üben, ihrem Stolz, ihren Leiden¬
schaften, ihren Interessen genügen könne." — Peter dem Großen war es
nicht beschieden, sich am Ziele seiner Wünsche zu sehen — wie reichte auch
ein Lebensalter dazu aus —, er hatte jedoch tüchtig vorgearbeitet. Als er
starb, stand Nußland schon um der Ostsee, und auch der für ihn sonst so un¬
glückliche Türkenkrieg fand in dem 1720 geschlossenen russisch-türkischen Ver¬
trage ein für Rußland sehr befriedigendes Nachspiel. Asow blieb zwar den
Türken, aber der zwölfte Artikel des Vertrags enthielt Bestimmungen, die für
Rußland mehr wert waren. Der Zur versprach dort, sich vom polnischen Ge¬
biete nie etwas anzueignen, noch sich in die Verfassung Polens einzumischen;
da aber Nußland und der Türkei daran gelegen sein müsse, daß der Krone
Polens nicht Souveränität und Erbrecht beigelegt werde, so vereinigen sie sich,
die Rechte, Privilegien und Verfassung dieses Staates aufrecht zu erhalten,
mithin nach ihrem eignen Interesse eventuell mit Waffengewalt zu verhindern,
daß die Krone Polens Souveränität und Erbfolge erhalte, die Rechte und
Verfassungen der Republik verletzt und ihr Gebiet irgendwie geteilt werde. —
Peter der Große, der schon in den Jahren 1712 und 1713 mit Wien erfolglos
über eine Teilung Polens verhandelt hatte, leitete mit diesem Vertrage diese
Teilung ein, indem er den Bestand Polens unter die Garantie Rußlands und
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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/140>, abgerufen am 22.11.2024.
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