Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Ser Marquis von Marigny Das Büblein Verzug, durch die ungewohnte Stimme erschreckt, die Mundwinkel Holla, kleiner Bursch, du wirst doch vor deinem Großvater keine Furcht haben? Den Sinn dieser Rede verstand das Kind freilich nicht, aber es begriff, daß Nicht wahr, mein kleiner Bursch, das gefällt dir? Die Steinchen möchtest du Diese heraldische Erörterung schien das Büblein höchlichst zu belustige". Jeden¬ Es ist unrecht von deinen Leuten, daß sie dich so allein gelassen haben, sagte Das Kind, das begriff, was die gespreizten Hände des alten Herrn zu bedeuten El, mein Bürschchen, du verstehst ja jedes Wort, fuhr Marigny fort, erfreut, Damit hob er nicht gerade allzu geschickt das Kind aus den Kissen empor, nahm Soll Großvater dir ein Liedchen singen? fragte er. Wart einmal, viel¬ Herr Guislard ritt wohl über das Feld, Als er merkte, daß er nicht weiter konnte, begann er kurz entschlossen ein Den Stab mit Bändern schön geschmückt, Ser Marquis von Marigny Das Büblein Verzug, durch die ungewohnte Stimme erschreckt, die Mundwinkel Holla, kleiner Bursch, du wirst doch vor deinem Großvater keine Furcht haben? Den Sinn dieser Rede verstand das Kind freilich nicht, aber es begriff, daß Nicht wahr, mein kleiner Bursch, das gefällt dir? Die Steinchen möchtest du Diese heraldische Erörterung schien das Büblein höchlichst zu belustige«. Jeden¬ Es ist unrecht von deinen Leuten, daß sie dich so allein gelassen haben, sagte Das Kind, das begriff, was die gespreizten Hände des alten Herrn zu bedeuten El, mein Bürschchen, du verstehst ja jedes Wort, fuhr Marigny fort, erfreut, Damit hob er nicht gerade allzu geschickt das Kind aus den Kissen empor, nahm Soll Großvater dir ein Liedchen singen? fragte er. Wart einmal, viel¬ Herr Guislard ritt wohl über das Feld, Als er merkte, daß er nicht weiter konnte, begann er kurz entschlossen ein Den Stab mit Bändern schön geschmückt, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0122" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241336"/> <fw type="header" place="top"> Ser Marquis von Marigny</fw><lb/> <p xml:id="ID_537"> Das Büblein Verzug, durch die ungewohnte Stimme erschreckt, die Mundwinkel<lb/> und zeigte Neigung zu weinen.</p><lb/> <p xml:id="ID_538"> Holla, kleiner Bursch, du wirst doch vor deinem Großvater keine Furcht haben?<lb/> redete ihm der alte Herr zu, indem er seinem Antlitz den freundlichsten Ausdruck<lb/> gab, der ihm zu Gebote stand, bedenke, mein Junge, daß du ein Mariguy bist —<lb/> morblen, du bist doch ein Marigny, wenn du auch Villeroi heißt! — »ut daß uns<lb/> Marignhs die Tränen nicht so locker sitzen. Also die Ohren straff, mein Junge,<lb/> und den Großvater ruhig angesehen, er hat noch niemals Kinder gefressen und wird<lb/> bei seinem Enkel auch nicht den Anfang machen. Verstehst du mich, Bürschchen?</p><lb/> <p xml:id="ID_539"> Den Sinn dieser Rede verstand das Kind freilich nicht, aber es begriff, daß<lb/> der fremde Mann keine bösen Absichten hatte. Und da überdies aus der Uhrtasche<lb/> seines Beinkleids Berlocken mit drei prächtigen Amethysten baumelten, die herrlich<lb/> klapperten und klirrten, wenn sie mit dem Rande des Bettkorbes in Berührung<lb/> kamen, so fand der alte Herr gar bald Gnade vor des Bübleins Augen. Die Händchen<lb/> griffen ungeschickt nach dem glitzernden Spielzeug. Marigny bemerkte es anfangs<lb/> nicht, da er mit den Neigungen kleiner Kinder nicht mehr so recht bekannt war,<lb/> dann aber erfüllte ihn dieser Beweis von erstaunlicher Klugheit mit desto größeren<lb/> Entzücken.</p><lb/> <p xml:id="ID_540"> Nicht wahr, mein kleiner Bursch, das gefällt dir? Die Steinchen möchtest du<lb/> haben? Später, mein Junge, später! Aber mit dem Petschaft darfst du ja doch nicht<lb/> siegeln, das ist das Marignysche Wappen, siehst du, eine Stadtmauer und darunter<lb/> ein steigender Widder, ihr Billerois führt drei Fische im Schilde, der Teufel weiß,<lb/> wie ihr dazu gekommen seid.</p><lb/> <p xml:id="ID_541"> Diese heraldische Erörterung schien das Büblein höchlichst zu belustige«. Jeden¬<lb/> falls lachte es laut auf und fuhr fort mit den Verlocken, die der Großvater von<lb/> der schweren Nepetieruhr losgelöst und auf die Decke des Bettchens gelegt hatte, zu<lb/> spielen.</p><lb/> <p xml:id="ID_542"> Es ist unrecht von deinen Leuten, daß sie dich so allein gelassen haben, sagte<lb/> der Marquis; wie leicht könnte dich einer stehlen. 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Wart einmal, viel¬<lb/> leicht fällt ihm eins ein.</p><lb/> <quote> Herr Guislard ritt wohl über das Feld,<lb/> Ritt heim nach seinem Schloß,<lb/> Von schwarzem Stahle war sein Schwert,<lb/> Und milchweiß war sein Roß.<lb/> Und als er kam wohl an das Tor —<lb/> La la la in la—n la la —</quote><lb/> <p xml:id="ID_547"> Als er merkte, daß er nicht weiter konnte, begann er kurz entschlossen ein<lb/> andres Lied-</p><lb/> <quote> Den Stab mit Bändern schön geschmückt,<lb/> In rosenfarbnem Kleide<lb/> Trieb Nanon jeden Sommertag<lb/> Die Schäflein auf die Weide.<lb/> Kein Mädchen war so Wohlgestalt<lb/> Im Land der Normandie,<lb/> Und werd ich hundert Jahre alt,<lb/> Nanon vergeß ich nie!</quote><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0122]
Ser Marquis von Marigny
Das Büblein Verzug, durch die ungewohnte Stimme erschreckt, die Mundwinkel
und zeigte Neigung zu weinen.
Holla, kleiner Bursch, du wirst doch vor deinem Großvater keine Furcht haben?
redete ihm der alte Herr zu, indem er seinem Antlitz den freundlichsten Ausdruck
gab, der ihm zu Gebote stand, bedenke, mein Junge, daß du ein Mariguy bist —
morblen, du bist doch ein Marigny, wenn du auch Villeroi heißt! — »ut daß uns
Marignhs die Tränen nicht so locker sitzen. Also die Ohren straff, mein Junge,
und den Großvater ruhig angesehen, er hat noch niemals Kinder gefressen und wird
bei seinem Enkel auch nicht den Anfang machen. Verstehst du mich, Bürschchen?
Den Sinn dieser Rede verstand das Kind freilich nicht, aber es begriff, daß
der fremde Mann keine bösen Absichten hatte. Und da überdies aus der Uhrtasche
seines Beinkleids Berlocken mit drei prächtigen Amethysten baumelten, die herrlich
klapperten und klirrten, wenn sie mit dem Rande des Bettkorbes in Berührung
kamen, so fand der alte Herr gar bald Gnade vor des Bübleins Augen. Die Händchen
griffen ungeschickt nach dem glitzernden Spielzeug. Marigny bemerkte es anfangs
nicht, da er mit den Neigungen kleiner Kinder nicht mehr so recht bekannt war,
dann aber erfüllte ihn dieser Beweis von erstaunlicher Klugheit mit desto größeren
Entzücken.
Nicht wahr, mein kleiner Bursch, das gefällt dir? Die Steinchen möchtest du
haben? Später, mein Junge, später! Aber mit dem Petschaft darfst du ja doch nicht
siegeln, das ist das Marignysche Wappen, siehst du, eine Stadtmauer und darunter
ein steigender Widder, ihr Billerois führt drei Fische im Schilde, der Teufel weiß,
wie ihr dazu gekommen seid.
Diese heraldische Erörterung schien das Büblein höchlichst zu belustige«. Jeden¬
falls lachte es laut auf und fuhr fort mit den Verlocken, die der Großvater von
der schweren Nepetieruhr losgelöst und auf die Decke des Bettchens gelegt hatte, zu
spielen.
Es ist unrecht von deinen Leuten, daß sie dich so allein gelassen haben, sagte
der Marquis; wie leicht könnte dich einer stehlen. Möchtest du Wohl auf Gro߬
vaters Arm kommen?
Das Kind, das begriff, was die gespreizten Hände des alten Herrn zu bedeuten
hatten, streckte beide Ärmchen verlangend nach ihm aus.
El, mein Bürschchen, du verstehst ja jedes Wort, fuhr Marigny fort, erfreut,
daß die Verständigung mit dem Enkel so leicht von statten ging, du bist ja ein
ganz gescheiter kleiner Kerl! Von deinem Vater hast dn das auch nicht, der begreift
weit schwerer. Vierfünftel Marigny — einfünftel Villeroi!
Damit hob er nicht gerade allzu geschickt das Kind aus den Kissen empor, nahm
es auf seinen Arm und tänzelte mit ihm durch die Stube.
Soll Großvater dir ein Liedchen singen? fragte er. Wart einmal, viel¬
leicht fällt ihm eins ein.
Herr Guislard ritt wohl über das Feld,
Ritt heim nach seinem Schloß,
Von schwarzem Stahle war sein Schwert,
Und milchweiß war sein Roß.
Und als er kam wohl an das Tor —
La la la in la—n la la —
Als er merkte, daß er nicht weiter konnte, begann er kurz entschlossen ein
andres Lied-
Den Stab mit Bändern schön geschmückt,
In rosenfarbnem Kleide
Trieb Nanon jeden Sommertag
Die Schäflein auf die Weide.
Kein Mädchen war so Wohlgestalt
Im Land der Normandie,
Und werd ich hundert Jahre alt,
Nanon vergeß ich nie!
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