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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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gehn läßt. Die Maßregeln, die ein im Vordergrund der Bühne angebrachtes, frei
brennendes Feuer erheischt, sind einfachster Art. Wenn die beiden Unterwaldner,
die Melchthal ausgeschickt hat, mit dem zusammengerafften Reisholz zurückkehren,
stellen sich die Eidgenossen, die zur Hand sind, in möglichst dichtem Knäuel so auf,
daß das Publikum das Aufsteigen des Feuerkasteus aus der Versenkung nicht gewahr
wird. Wenn sie wieder zur Seite treten, ist der Hokuspokus gemacht. Das nur
aus Gasflammen bestehende Feuer brennt lichterloh zwischen angeblich dürren, in
Wirklichkeit aus Eisen nachgebildeten Reisholz, und da weder der Landmnmnnn,
noch der Pfarrer, noch die übrigen anwesenden Männer leichte, wie Lampenschirme
abstehende Gazeröckchen tragen, so ist von Gefahr nicht die Rede. Will man ein
Übriges tun, so läßt man aus ein paar ebenfalls durch die Versenkung mit heraus-
gekommnen Röhren gewaltige Massen Wasserdampfes aufsteigen, die das Bild be¬
leben, indem die sich rauchartig fortwälzenden Schwaden bald diesen, bald jenen Teil
der unbeweglich stehenden Gruppe halb verschleiern oder ganz unsichtbar machen.
Sie rufen wirklich die Täuschung hervor, als rauche ein im Freien brennendes Reis¬
holzfeuer, während die bloßen Gasfeuer ohne Rauch etwas Zahmes, nicht der Wirk¬
lichkeit Ähnliches haben, das einen wie ein mißlungner Versuch anmutet.

Die Leipziger Regie hat die für deu Schluß des Akts gegebne Weisung des
Dichters, daß die leere Szene noch eine Zeit lang offenbleiben und das Schauspiel
der aufgehenden Sonne über den Eisgebirgen zeigen solle, so aufgefaßt, daß sie
die Sonne hinter dem Mythenstein aufgehn läßt, und darin hat sie, wenn man
die Lage des Rutil in Erwägung zieht, vollkommen recht. Aber daß sie uns keine
Gelegenheit gibt, das sogenannte Vorglühen oder mit andern Worten das den
Sonnenaufgang ankündigende Erglühen der höchsten in großer Entfernung seitwärts
stehenden und nach Osten schauenden Bergriesen zu bewundern, wahrend doch Reding
ausdrücklich sagt:


-- Doch seht, indes wir nächtlich hier noch tagen,
Stellt auf den höchsten Bergen schon der Morgen
Die glühnde Hochwände aus --

ist ein neuer Beweis, daß sie sich gerade die schönsten und wirklich großartigsten
Effekte entgehn läßt, wenn deren Erzielung mit mehr als gewöhnlichen Schwierig¬
keiten verbunden ist. Jedenfalls darf Reding, wenn das Publikum kein Vorglühn
gewahr wird, weil keins da ist, bei den eben angeführten Worten die Augen nicht
zu dem See wenden, denn warum sollte er, wie der Affe mit der magischem Laterne,
in der kein Licht brannte, uns von Dingen vorsabeln dürfen, wonach wir uus ver¬
geblich die Augen ausgucken? Er muß sich vielmehr dem Zuschauerraum zuwenden;
Man kann dann bei etwas gutem Willen vermuten, daß er das Erscheinen der
glühenden Hvchwcicht über uns, in der dem See entgegengesetzten Richtung wahr¬
genommen habe.

Wer im Angesicht der höchsten Schweizer Berge, z. B. auf dem Gorner Grat
oder der Fnucille, wirklich schönen Sonnenaufgängen beigewohnt hat, und solche sind
bekanntlich selten genug, weiß, daß der Anblick an überirdischer Schönheit die meisten
andern als großartig und wirkungsvoll bekannten Naturschauspiele übertrifft, uicht
bloß wegen des durchsichtigen, intensiv rubinroten Leuchtens der von den Strahlen
des aufsteigenden Souuenballs so früh getroffnen höchsten Spitzen, sondern auch
deshalb, weil diese Spitzen, die man vorher in der Morgendämmerung überhaupt
nicht gewahr geworden war, nach und nach wie Zaubergebilde mit einer Farbenglut,
die sich von Sekunde zu Sekunde steigert, aus den Nebelschleiern hervortreten.

Wenn sich nach dieser Richtung hin eine Regie mit der szenischen Weisung des
Dichters dadurch nbzufindeu glaubt, daß sie hinter einem Gebirgszüge, der Tages-
beleuchtuug darstellt und deshalb mit allen Details gemalt ist, ein erdiges Morgen¬
rot aufziehn läßt -- von glühn oder leuchten ist ganz und gar nicht die Rede --,
so ist sie zwar formell im Rechte, denn ein schwacher Versuch, uns einen vom Morgen¬
rot gefärbten Himmel zu vergegenwärtigen, hat sie ja gemacht, aber deu Vorwurf,


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gehn läßt. Die Maßregeln, die ein im Vordergrund der Bühne angebrachtes, frei
brennendes Feuer erheischt, sind einfachster Art. Wenn die beiden Unterwaldner,
die Melchthal ausgeschickt hat, mit dem zusammengerafften Reisholz zurückkehren,
stellen sich die Eidgenossen, die zur Hand sind, in möglichst dichtem Knäuel so auf,
daß das Publikum das Aufsteigen des Feuerkasteus aus der Versenkung nicht gewahr
wird. Wenn sie wieder zur Seite treten, ist der Hokuspokus gemacht. Das nur
aus Gasflammen bestehende Feuer brennt lichterloh zwischen angeblich dürren, in
Wirklichkeit aus Eisen nachgebildeten Reisholz, und da weder der Landmnmnnn,
noch der Pfarrer, noch die übrigen anwesenden Männer leichte, wie Lampenschirme
abstehende Gazeröckchen tragen, so ist von Gefahr nicht die Rede. Will man ein
Übriges tun, so läßt man aus ein paar ebenfalls durch die Versenkung mit heraus-
gekommnen Röhren gewaltige Massen Wasserdampfes aufsteigen, die das Bild be¬
leben, indem die sich rauchartig fortwälzenden Schwaden bald diesen, bald jenen Teil
der unbeweglich stehenden Gruppe halb verschleiern oder ganz unsichtbar machen.
Sie rufen wirklich die Täuschung hervor, als rauche ein im Freien brennendes Reis¬
holzfeuer, während die bloßen Gasfeuer ohne Rauch etwas Zahmes, nicht der Wirk¬
lichkeit Ähnliches haben, das einen wie ein mißlungner Versuch anmutet.

Die Leipziger Regie hat die für deu Schluß des Akts gegebne Weisung des
Dichters, daß die leere Szene noch eine Zeit lang offenbleiben und das Schauspiel
der aufgehenden Sonne über den Eisgebirgen zeigen solle, so aufgefaßt, daß sie
die Sonne hinter dem Mythenstein aufgehn läßt, und darin hat sie, wenn man
die Lage des Rutil in Erwägung zieht, vollkommen recht. Aber daß sie uns keine
Gelegenheit gibt, das sogenannte Vorglühen oder mit andern Worten das den
Sonnenaufgang ankündigende Erglühen der höchsten in großer Entfernung seitwärts
stehenden und nach Osten schauenden Bergriesen zu bewundern, wahrend doch Reding
ausdrücklich sagt:


— Doch seht, indes wir nächtlich hier noch tagen,
Stellt auf den höchsten Bergen schon der Morgen
Die glühnde Hochwände aus —

ist ein neuer Beweis, daß sie sich gerade die schönsten und wirklich großartigsten
Effekte entgehn läßt, wenn deren Erzielung mit mehr als gewöhnlichen Schwierig¬
keiten verbunden ist. Jedenfalls darf Reding, wenn das Publikum kein Vorglühn
gewahr wird, weil keins da ist, bei den eben angeführten Worten die Augen nicht
zu dem See wenden, denn warum sollte er, wie der Affe mit der magischem Laterne,
in der kein Licht brannte, uns von Dingen vorsabeln dürfen, wonach wir uus ver¬
geblich die Augen ausgucken? Er muß sich vielmehr dem Zuschauerraum zuwenden;
Man kann dann bei etwas gutem Willen vermuten, daß er das Erscheinen der
glühenden Hvchwcicht über uns, in der dem See entgegengesetzten Richtung wahr¬
genommen habe.

Wer im Angesicht der höchsten Schweizer Berge, z. B. auf dem Gorner Grat
oder der Fnucille, wirklich schönen Sonnenaufgängen beigewohnt hat, und solche sind
bekanntlich selten genug, weiß, daß der Anblick an überirdischer Schönheit die meisten
andern als großartig und wirkungsvoll bekannten Naturschauspiele übertrifft, uicht
bloß wegen des durchsichtigen, intensiv rubinroten Leuchtens der von den Strahlen
des aufsteigenden Souuenballs so früh getroffnen höchsten Spitzen, sondern auch
deshalb, weil diese Spitzen, die man vorher in der Morgendämmerung überhaupt
nicht gewahr geworden war, nach und nach wie Zaubergebilde mit einer Farbenglut,
die sich von Sekunde zu Sekunde steigert, aus den Nebelschleiern hervortreten.

Wenn sich nach dieser Richtung hin eine Regie mit der szenischen Weisung des
Dichters dadurch nbzufindeu glaubt, daß sie hinter einem Gebirgszüge, der Tages-
beleuchtuug darstellt und deshalb mit allen Details gemalt ist, ein erdiges Morgen¬
rot aufziehn läßt — von glühn oder leuchten ist ganz und gar nicht die Rede —,
so ist sie zwar formell im Rechte, denn ein schwacher Versuch, uns einen vom Morgen¬
rot gefärbten Himmel zu vergegenwärtigen, hat sie ja gemacht, aber deu Vorwurf,


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[0109] L einiger Theaterplai > derei gehn läßt. Die Maßregeln, die ein im Vordergrund der Bühne angebrachtes, frei brennendes Feuer erheischt, sind einfachster Art. Wenn die beiden Unterwaldner, die Melchthal ausgeschickt hat, mit dem zusammengerafften Reisholz zurückkehren, stellen sich die Eidgenossen, die zur Hand sind, in möglichst dichtem Knäuel so auf, daß das Publikum das Aufsteigen des Feuerkasteus aus der Versenkung nicht gewahr wird. Wenn sie wieder zur Seite treten, ist der Hokuspokus gemacht. Das nur aus Gasflammen bestehende Feuer brennt lichterloh zwischen angeblich dürren, in Wirklichkeit aus Eisen nachgebildeten Reisholz, und da weder der Landmnmnnn, noch der Pfarrer, noch die übrigen anwesenden Männer leichte, wie Lampenschirme abstehende Gazeröckchen tragen, so ist von Gefahr nicht die Rede. Will man ein Übriges tun, so läßt man aus ein paar ebenfalls durch die Versenkung mit heraus- gekommnen Röhren gewaltige Massen Wasserdampfes aufsteigen, die das Bild be¬ leben, indem die sich rauchartig fortwälzenden Schwaden bald diesen, bald jenen Teil der unbeweglich stehenden Gruppe halb verschleiern oder ganz unsichtbar machen. Sie rufen wirklich die Täuschung hervor, als rauche ein im Freien brennendes Reis¬ holzfeuer, während die bloßen Gasfeuer ohne Rauch etwas Zahmes, nicht der Wirk¬ lichkeit Ähnliches haben, das einen wie ein mißlungner Versuch anmutet. Die Leipziger Regie hat die für deu Schluß des Akts gegebne Weisung des Dichters, daß die leere Szene noch eine Zeit lang offenbleiben und das Schauspiel der aufgehenden Sonne über den Eisgebirgen zeigen solle, so aufgefaßt, daß sie die Sonne hinter dem Mythenstein aufgehn läßt, und darin hat sie, wenn man die Lage des Rutil in Erwägung zieht, vollkommen recht. Aber daß sie uns keine Gelegenheit gibt, das sogenannte Vorglühen oder mit andern Worten das den Sonnenaufgang ankündigende Erglühen der höchsten in großer Entfernung seitwärts stehenden und nach Osten schauenden Bergriesen zu bewundern, wahrend doch Reding ausdrücklich sagt: — Doch seht, indes wir nächtlich hier noch tagen, Stellt auf den höchsten Bergen schon der Morgen Die glühnde Hochwände aus — ist ein neuer Beweis, daß sie sich gerade die schönsten und wirklich großartigsten Effekte entgehn läßt, wenn deren Erzielung mit mehr als gewöhnlichen Schwierig¬ keiten verbunden ist. Jedenfalls darf Reding, wenn das Publikum kein Vorglühn gewahr wird, weil keins da ist, bei den eben angeführten Worten die Augen nicht zu dem See wenden, denn warum sollte er, wie der Affe mit der magischem Laterne, in der kein Licht brannte, uns von Dingen vorsabeln dürfen, wonach wir uus ver¬ geblich die Augen ausgucken? Er muß sich vielmehr dem Zuschauerraum zuwenden; Man kann dann bei etwas gutem Willen vermuten, daß er das Erscheinen der glühenden Hvchwcicht über uns, in der dem See entgegengesetzten Richtung wahr¬ genommen habe. Wer im Angesicht der höchsten Schweizer Berge, z. B. auf dem Gorner Grat oder der Fnucille, wirklich schönen Sonnenaufgängen beigewohnt hat, und solche sind bekanntlich selten genug, weiß, daß der Anblick an überirdischer Schönheit die meisten andern als großartig und wirkungsvoll bekannten Naturschauspiele übertrifft, uicht bloß wegen des durchsichtigen, intensiv rubinroten Leuchtens der von den Strahlen des aufsteigenden Souuenballs so früh getroffnen höchsten Spitzen, sondern auch deshalb, weil diese Spitzen, die man vorher in der Morgendämmerung überhaupt nicht gewahr geworden war, nach und nach wie Zaubergebilde mit einer Farbenglut, die sich von Sekunde zu Sekunde steigert, aus den Nebelschleiern hervortreten. Wenn sich nach dieser Richtung hin eine Regie mit der szenischen Weisung des Dichters dadurch nbzufindeu glaubt, daß sie hinter einem Gebirgszüge, der Tages- beleuchtuug darstellt und deshalb mit allen Details gemalt ist, ein erdiges Morgen¬ rot aufziehn läßt — von glühn oder leuchten ist ganz und gar nicht die Rede —, so ist sie zwar formell im Rechte, denn ein schwacher Versuch, uns einen vom Morgen¬ rot gefärbten Himmel zu vergegenwärtigen, hat sie ja gemacht, aber deu Vorwurf,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/109>, abgerufen am 01.09.2024.