Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Leipziger Theaterplauderei hat der Dichter dem Leipziger Melchthal so recht auf den Leib geschrieben: nun Stehe, stehe, mich aus meinem Herzen! Nun, ertrunken, oder wie Goethe sich kräftiger ausdrückt, ersoffen sind wir ja Für die sogenannte Tagung und den Schwur, vielleicht die schönste und wirkungs¬ Man kann bei Inszenierungen wie bei andern Dingen schon einmal daneben Das im Hintergründe hinter einem Felsen angezündete Feuer mag wegen der Leipziger Theaterplauderei hat der Dichter dem Leipziger Melchthal so recht auf den Leib geschrieben: nun Stehe, stehe, mich aus meinem Herzen! Nun, ertrunken, oder wie Goethe sich kräftiger ausdrückt, ersoffen sind wir ja Für die sogenannte Tagung und den Schwur, vielleicht die schönste und wirkungs¬ Man kann bei Inszenierungen wie bei andern Dingen schon einmal daneben Das im Hintergründe hinter einem Felsen angezündete Feuer mag wegen der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0108" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241322"/> <fw type="header" place="top"> Leipziger Theaterplauderei</fw><lb/> <p xml:id="ID_452" prev="#ID_451"> hat der Dichter dem Leipziger Melchthal so recht auf den Leib geschrieben: nun<lb/> konnte Arnold mit Fug und Recht nach Herzenslust ins Zeug gehn. Wie gern hätte<lb/> ich ihn wie den Großvezierssohn, den unglücklichen Bräutigam der Prinzessin Badrul-<lb/> budur, durch eiuen Genius kaltstellen lassen, und wie kam der verzweifelte Angstschrei<lb/> des Zauberlehrlings:</p><lb/> <quote> Stehe, stehe,<lb/> Denn wir haben<lb/> Deiner Gaben<lb/> Vollgemessen!</quote><lb/> <p xml:id="ID_453"> mich aus meinem Herzen!</p><lb/> <p xml:id="ID_454"> Nun, ertrunken, oder wie Goethe sich kräftiger ausdrückt, ersoffen sind wir ja<lb/> schließlich ebensowenig wie der Zauberlehrling, aber es war nahe genug daran, und<lb/> wer weiß, was geschehn wäre, wenn Walter Fürst und der würdige Pfarrer, der<lb/> fromme Diener Gottes, nicht gerade noch zur rechten Zeit mit den übrigen Armem<lb/> die Felsen herabgestiegen wären und uns gerettet hätten.</p><lb/> <p xml:id="ID_455"> Für die sogenannte Tagung und den Schwur, vielleicht die schönste und wirkungs¬<lb/> vollste Szene dieser Art, die je geschrieben worden ist, wird nun freilich die Teilung<lb/> der Bühne in zwei dnrch die schiefe Ebne mehr getrennte als verbundne Hälften<lb/> von ungleicher Höhe sehr unbequem, und eine Handlung, die eigentlich schon an und<lb/> für sich auf jeder Bühne ein Bild von ergreifender Wirkung geben müßte, wird in<lb/> Leipzig auf das sonderbarste — man kann wirklich nicht anders sagen als — ver¬<lb/> ballhornt. Die Weisung des Dichters, daß die beiden Unterwaldner Landleute ein<lb/> Feuer in der Mitte des Platzes anzünden sollen, hat offenbar die Bedeutung, daß<lb/> dieses weder rechts noch links, sondern in der Mitte, also dem Souffleurkasten gegen¬<lb/> über sein soll; auch daß der Ring als Halb- und nicht als geschlossener Kreis zu<lb/> denken ist, versteht sich von selbst, da man in solchen Fällen immer die Rücksicht be¬<lb/> obachtet, daß kein bei einer Handlung als sprechende oder handelnde Hauptperson<lb/> beteiligter Schauspieler dem Publikum den Rücken zukehre. Statt daß nun die drei¬<lb/> unddreißig Eidgenossen, die auf des Pfarrers Rat zu einem Landsgemeindcntag zu¬<lb/> sammentreten, möglichst weit vorn einen großen, nach dem Publikum zu offnen Halb¬<lb/> kreis um das Feuer bilden und so beraten, indem der Sprechende jedesmal ein paar<lb/> Schritte vor, oder wie es in den vom Dichter gegebnen szenischen Weisungen heißt,<lb/> in den Ring tritt, ist in Leipzig das Feuer ganz hinten auf der Erhöhung hinter<lb/> einem Felsen angezündet, der Ammann und die Hauptsprecher stehn ganz im Hinter¬<lb/> grund, und im Vordergrund — hier sträubt sich die Feder — lagert ein Teil der<lb/> Landsgemeindemitglieder in malerischen Stellungen, als wenn es sich um Zigeuner<lb/> handelte, die sich, hier und dort zwischen Gebüsch und Felsen zerstreut, eilt Rezitativ<lb/> mit Kavatine Vorsingen ließen und sich nach Absingung eines mit Schmiedehammern<lb/> begleiteten Wanderchors zum Ausbruch und zum Weiterziehn anschicken würden.</p><lb/> <p xml:id="ID_456"> Man kann bei Inszenierungen wie bei andern Dingen schon einmal daneben<lb/> greifen, aber doch nicht so. Oder ist es der Regie ganz entgangen, daß es sich um<lb/> dreiunddreißig ernste, seßhafte und entschlossene Männer handelt, die unter alther¬<lb/> gebrachter Förmlichkeit einen Ring gebildet haben und in eine Beratung eingetreten<lb/> sind, deren Ergebnis, wie jeder von ihnen einsehen muß, über den Untergang oder<lb/> die Befreiung des Landes, über Leben und Tod des Einzelnen entscheiden wird?<lb/> Still und ernst wie Männer, die nur ein Gedanke, ein Gefühl beseelt, werden sie<lb/> der eine neben dem andern gestanden haben, eher an Bildsäulen als an ermüdete<lb/> und des Ausruhens bedürftige Wandrer erinnernd. Sich in einem solchen Augenblick<lb/> hinzulegen, würde nicht bloß gegen den Brauch Erwachsener jedes Landes verstoßen<lb/> haben, es würde ihnen auch schon an und für sich so wenig in den Sinn gekommen<lb/> sein, wie einen Schottisch zu tanzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_457" next="#ID_458"> Das im Hintergründe hinter einem Felsen angezündete Feuer mag wegen der<lb/> dadurch vermiednen Feuersgefnhr sehr lobenswert sein, aber das ändert nichts an<lb/> dem Umstände, daß man sich, wenn man das Feuer verbirgt und weit zurück verlegt,<lb/> eine vom Dichter weislich herbeigeführte Gelegenheit zu malerischer Wirkung ent-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0108]
Leipziger Theaterplauderei
hat der Dichter dem Leipziger Melchthal so recht auf den Leib geschrieben: nun
konnte Arnold mit Fug und Recht nach Herzenslust ins Zeug gehn. Wie gern hätte
ich ihn wie den Großvezierssohn, den unglücklichen Bräutigam der Prinzessin Badrul-
budur, durch eiuen Genius kaltstellen lassen, und wie kam der verzweifelte Angstschrei
des Zauberlehrlings:
Stehe, stehe,
Denn wir haben
Deiner Gaben
Vollgemessen!
mich aus meinem Herzen!
Nun, ertrunken, oder wie Goethe sich kräftiger ausdrückt, ersoffen sind wir ja
schließlich ebensowenig wie der Zauberlehrling, aber es war nahe genug daran, und
wer weiß, was geschehn wäre, wenn Walter Fürst und der würdige Pfarrer, der
fromme Diener Gottes, nicht gerade noch zur rechten Zeit mit den übrigen Armem
die Felsen herabgestiegen wären und uns gerettet hätten.
Für die sogenannte Tagung und den Schwur, vielleicht die schönste und wirkungs¬
vollste Szene dieser Art, die je geschrieben worden ist, wird nun freilich die Teilung
der Bühne in zwei dnrch die schiefe Ebne mehr getrennte als verbundne Hälften
von ungleicher Höhe sehr unbequem, und eine Handlung, die eigentlich schon an und
für sich auf jeder Bühne ein Bild von ergreifender Wirkung geben müßte, wird in
Leipzig auf das sonderbarste — man kann wirklich nicht anders sagen als — ver¬
ballhornt. Die Weisung des Dichters, daß die beiden Unterwaldner Landleute ein
Feuer in der Mitte des Platzes anzünden sollen, hat offenbar die Bedeutung, daß
dieses weder rechts noch links, sondern in der Mitte, also dem Souffleurkasten gegen¬
über sein soll; auch daß der Ring als Halb- und nicht als geschlossener Kreis zu
denken ist, versteht sich von selbst, da man in solchen Fällen immer die Rücksicht be¬
obachtet, daß kein bei einer Handlung als sprechende oder handelnde Hauptperson
beteiligter Schauspieler dem Publikum den Rücken zukehre. Statt daß nun die drei¬
unddreißig Eidgenossen, die auf des Pfarrers Rat zu einem Landsgemeindcntag zu¬
sammentreten, möglichst weit vorn einen großen, nach dem Publikum zu offnen Halb¬
kreis um das Feuer bilden und so beraten, indem der Sprechende jedesmal ein paar
Schritte vor, oder wie es in den vom Dichter gegebnen szenischen Weisungen heißt,
in den Ring tritt, ist in Leipzig das Feuer ganz hinten auf der Erhöhung hinter
einem Felsen angezündet, der Ammann und die Hauptsprecher stehn ganz im Hinter¬
grund, und im Vordergrund — hier sträubt sich die Feder — lagert ein Teil der
Landsgemeindemitglieder in malerischen Stellungen, als wenn es sich um Zigeuner
handelte, die sich, hier und dort zwischen Gebüsch und Felsen zerstreut, eilt Rezitativ
mit Kavatine Vorsingen ließen und sich nach Absingung eines mit Schmiedehammern
begleiteten Wanderchors zum Ausbruch und zum Weiterziehn anschicken würden.
Man kann bei Inszenierungen wie bei andern Dingen schon einmal daneben
greifen, aber doch nicht so. Oder ist es der Regie ganz entgangen, daß es sich um
dreiunddreißig ernste, seßhafte und entschlossene Männer handelt, die unter alther¬
gebrachter Förmlichkeit einen Ring gebildet haben und in eine Beratung eingetreten
sind, deren Ergebnis, wie jeder von ihnen einsehen muß, über den Untergang oder
die Befreiung des Landes, über Leben und Tod des Einzelnen entscheiden wird?
Still und ernst wie Männer, die nur ein Gedanke, ein Gefühl beseelt, werden sie
der eine neben dem andern gestanden haben, eher an Bildsäulen als an ermüdete
und des Ausruhens bedürftige Wandrer erinnernd. Sich in einem solchen Augenblick
hinzulegen, würde nicht bloß gegen den Brauch Erwachsener jedes Landes verstoßen
haben, es würde ihnen auch schon an und für sich so wenig in den Sinn gekommen
sein, wie einen Schottisch zu tanzen.
Das im Hintergründe hinter einem Felsen angezündete Feuer mag wegen der
dadurch vermiednen Feuersgefnhr sehr lobenswert sein, aber das ändert nichts an
dem Umstände, daß man sich, wenn man das Feuer verbirgt und weit zurück verlegt,
eine vom Dichter weislich herbeigeführte Gelegenheit zu malerischer Wirkung ent-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |