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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache

wonach die Pfahlbürger "mit den Stadtpfählen . . . nichts zu schaffen gehabt
haben können" (S. 96), hat dann Zeumer auch die Etymologie des Wortes
in Einklang zu bringen versucht, indem er, anknüpfend um die wahrscheinlich
ursprüngliche Form xg.1- oder dg.1hol-A(;r, den ersten Bestandteil des Ausdrucks
von dem althochdeutscher lMo, Mo (in Zusammensetzungen auch denke, pg.1g
oder dg.1, x^l) mit der Bedeutung "Schlechtigkeit, Bosheit, Tücke, Verderben,
Falschheit, falsch" herleitet (S. 98 mit Hinweis auf die althochd. Verbindungen:
böten-g-t, ^ der falsche, tückische Rat, dg-total ^ die falsche, schlechte Tat,
dalcuuuncl -- der falsche, ungetreue Vormund und das heutige "Ballast,"
wohl ^ unechte, uneigentliche Ladung), Daneben wird übrigens auch noch eine
andre, aber nahe verwandte Etymologie (Ableitung von einem Adjektiv vent oder
lÄ, das "in Loiuxosltis die gleiche Bedeutung "falsch" gehabt hat") zur Wahl
gestellt (S. 99 u. Anm. 1). In beiden Fällen ergibt sich aber für die Pfahl¬
bürger dieselbe -- auch schon den mittelalterlichen Quellen geläufig gewesene --
Bedeutung: "falsche," d.h. unechte, nicht wirkliche, nur scheinbare Bürger, "Loki
eivos," wie sie in einer Klageschrift des Erzbischofs Günther von Magdeburg gegen
den Rat der Stadt vom 2. April 1432 genannt werden, oder "es-ux donrAsoi's,"
wie sie in einer alten französischen Übersetzung einer Urkunde Karls des Vierten
von 1365 heißen (s. S. 101 u. Anm. 1 mit Hinweis auf die Analogie des
französischen lÄulzourg' -- Msus tiur^us) im Gegensatze zu den echten, den
wirklichen, in der in Frage stehenden Stadt selbst wohnenden Bürgern.

Welche Erklärung man nun mich dem Worte geben mag, jedenfalls läßt
sich wohl aus der Tatsache, daß es in der Neuzeit ausschließlich zur Charakteri¬
sierung eines Kleinstädters mit "altfränkischen" Manieren und beschränktem
Gesichtskreis, kurz für einen richtigen "Philister" verwandt wird, leicht ein
Rückschluß darauf ziehn, daß die Vollbürger einst mit überlegnem Stolze ans
jene rechtlich tiefer stehenden Genossen hinabgeschaut haben müssen.

Auch die heute ungefähr in demselben Sinne gebrauchten Ausdrücke "Spie߬
bürger" (burschikos: "Spießer") und "Schildbürger" hatten beide ehemals
nichts Lächerliches und spöttisches an sich, sofern man nämlich darunter die
Bürger wird verstehn dürfen, die für die Verteidigung der Stadt gegen ihre
Feinde mit Spieß und Schild bewaffnet waren (vgl. das heute noch tiefer
gesunkne "Spießgeselle," ursprünglich -- Waffengenosse). Sie forderten erst
den Spott heraus, als sie auch später uoch mit schwerfälliger Zähigkeit an der
veralteten Art kriegerischer Ausrüstung festhielten, zu einer Zeit, wo außerhalb
der Stadtwälle schon die Feuerwaffen weite Verbreitung gefunden hatten.
Jedoch ist diese Auslegung der beiden Bezeichnungen nicht ganz unbestritten,
und namentlich wird für die Schildbürger von vielen die Herleitung von dem
Städtchen Schilda bevorzugt, von dessen Bewohnern im Volksmunde (besonders
auf Grund des sogenannten "Lalenbuchs," 1597) allerhand Torheiten erzählt
werden, sodaß sie'in den Ruf besondrer geistiger Beschränktheit geraten sind,
ähnlich wie im Altertum die -- durch Wieland in die Literatur eingeführten --
Abderiten oder ihre modernen Leidensgeführten, die Schöppcnstedter, Buxtehuder,
oder wie sonst noch in den einzelnen Gegenden unsers Vaterlandes die "Kräh-
winkler" bezeichnet werden mögen.

Von jeher hat in den dentschen Städten das Handwerk, von dem wir
"och heute sagen, es habe einen "goldnen Boden," in Blüte gestanden. Aber
eifrig wachten'in alter Zeit auch die Meister darüber, daß niemand ihnen "ins
Handwerk pfusche," d. h. als nicht zur Gilde, Zunft oder Innung gehörendes
Mitglied das gleiche Gewerbe ausübe. Wer sich dieses herausnahm, der mußte
gewärtigen, daß auf ihn als sogenannten "Böhnhasen" oder "Dachhasen"
Jagd gemacht wurde; denn so 'nannte man die Verfolgung der unzünftigen
Handwerker, ganz besonders der Schneider, die heimlich in ihren Kämmerchen
unter dem Dachboden (Bühne, übt. boSn, boons, bon, tous) zu arbeiten ge-


Greuzbote" III 1908 13
Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache

wonach die Pfahlbürger „mit den Stadtpfählen . . . nichts zu schaffen gehabt
haben können" (S. 96), hat dann Zeumer auch die Etymologie des Wortes
in Einklang zu bringen versucht, indem er, anknüpfend um die wahrscheinlich
ursprüngliche Form xg.1- oder dg.1hol-A(;r, den ersten Bestandteil des Ausdrucks
von dem althochdeutscher lMo, Mo (in Zusammensetzungen auch denke, pg.1g
oder dg.1, x^l) mit der Bedeutung „Schlechtigkeit, Bosheit, Tücke, Verderben,
Falschheit, falsch" herleitet (S. 98 mit Hinweis auf die althochd. Verbindungen:
böten-g-t, ^ der falsche, tückische Rat, dg-total ^ die falsche, schlechte Tat,
dalcuuuncl — der falsche, ungetreue Vormund und das heutige „Ballast,"
wohl ^ unechte, uneigentliche Ladung), Daneben wird übrigens auch noch eine
andre, aber nahe verwandte Etymologie (Ableitung von einem Adjektiv vent oder
lÄ, das „in Loiuxosltis die gleiche Bedeutung »falsch« gehabt hat") zur Wahl
gestellt (S. 99 u. Anm. 1). In beiden Fällen ergibt sich aber für die Pfahl¬
bürger dieselbe — auch schon den mittelalterlichen Quellen geläufig gewesene —
Bedeutung: „falsche," d.h. unechte, nicht wirkliche, nur scheinbare Bürger, „Loki
eivos," wie sie in einer Klageschrift des Erzbischofs Günther von Magdeburg gegen
den Rat der Stadt vom 2. April 1432 genannt werden, oder „es-ux donrAsoi's,"
wie sie in einer alten französischen Übersetzung einer Urkunde Karls des Vierten
von 1365 heißen (s. S. 101 u. Anm. 1 mit Hinweis auf die Analogie des
französischen lÄulzourg' — Msus tiur^us) im Gegensatze zu den echten, den
wirklichen, in der in Frage stehenden Stadt selbst wohnenden Bürgern.

Welche Erklärung man nun mich dem Worte geben mag, jedenfalls läßt
sich wohl aus der Tatsache, daß es in der Neuzeit ausschließlich zur Charakteri¬
sierung eines Kleinstädters mit „altfränkischen" Manieren und beschränktem
Gesichtskreis, kurz für einen richtigen „Philister" verwandt wird, leicht ein
Rückschluß darauf ziehn, daß die Vollbürger einst mit überlegnem Stolze ans
jene rechtlich tiefer stehenden Genossen hinabgeschaut haben müssen.

Auch die heute ungefähr in demselben Sinne gebrauchten Ausdrücke „Spie߬
bürger" (burschikos: „Spießer") und „Schildbürger" hatten beide ehemals
nichts Lächerliches und spöttisches an sich, sofern man nämlich darunter die
Bürger wird verstehn dürfen, die für die Verteidigung der Stadt gegen ihre
Feinde mit Spieß und Schild bewaffnet waren (vgl. das heute noch tiefer
gesunkne „Spießgeselle," ursprünglich — Waffengenosse). Sie forderten erst
den Spott heraus, als sie auch später uoch mit schwerfälliger Zähigkeit an der
veralteten Art kriegerischer Ausrüstung festhielten, zu einer Zeit, wo außerhalb
der Stadtwälle schon die Feuerwaffen weite Verbreitung gefunden hatten.
Jedoch ist diese Auslegung der beiden Bezeichnungen nicht ganz unbestritten,
und namentlich wird für die Schildbürger von vielen die Herleitung von dem
Städtchen Schilda bevorzugt, von dessen Bewohnern im Volksmunde (besonders
auf Grund des sogenannten „Lalenbuchs," 1597) allerhand Torheiten erzählt
werden, sodaß sie'in den Ruf besondrer geistiger Beschränktheit geraten sind,
ähnlich wie im Altertum die — durch Wieland in die Literatur eingeführten —
Abderiten oder ihre modernen Leidensgeführten, die Schöppcnstedter, Buxtehuder,
oder wie sonst noch in den einzelnen Gegenden unsers Vaterlandes die „Kräh-
winkler" bezeichnet werden mögen.

Von jeher hat in den dentschen Städten das Handwerk, von dem wir
»och heute sagen, es habe einen „goldnen Boden," in Blüte gestanden. Aber
eifrig wachten'in alter Zeit auch die Meister darüber, daß niemand ihnen „ins
Handwerk pfusche," d. h. als nicht zur Gilde, Zunft oder Innung gehörendes
Mitglied das gleiche Gewerbe ausübe. Wer sich dieses herausnahm, der mußte
gewärtigen, daß auf ihn als sogenannten „Böhnhasen" oder „Dachhasen"
Jagd gemacht wurde; denn so 'nannte man die Verfolgung der unzünftigen
Handwerker, ganz besonders der Schneider, die heimlich in ihren Kämmerchen
unter dem Dachboden (Bühne, übt. boSn, boons, bon, tous) zu arbeiten ge-


Greuzbote» III 1908 13
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[0105] Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache wonach die Pfahlbürger „mit den Stadtpfählen . . . nichts zu schaffen gehabt haben können" (S. 96), hat dann Zeumer auch die Etymologie des Wortes in Einklang zu bringen versucht, indem er, anknüpfend um die wahrscheinlich ursprüngliche Form xg.1- oder dg.1hol-A(;r, den ersten Bestandteil des Ausdrucks von dem althochdeutscher lMo, Mo (in Zusammensetzungen auch denke, pg.1g oder dg.1, x^l) mit der Bedeutung „Schlechtigkeit, Bosheit, Tücke, Verderben, Falschheit, falsch" herleitet (S. 98 mit Hinweis auf die althochd. Verbindungen: böten-g-t, ^ der falsche, tückische Rat, dg-total ^ die falsche, schlechte Tat, dalcuuuncl — der falsche, ungetreue Vormund und das heutige „Ballast," wohl ^ unechte, uneigentliche Ladung), Daneben wird übrigens auch noch eine andre, aber nahe verwandte Etymologie (Ableitung von einem Adjektiv vent oder lÄ, das „in Loiuxosltis die gleiche Bedeutung »falsch« gehabt hat") zur Wahl gestellt (S. 99 u. Anm. 1). In beiden Fällen ergibt sich aber für die Pfahl¬ bürger dieselbe — auch schon den mittelalterlichen Quellen geläufig gewesene — Bedeutung: „falsche," d.h. unechte, nicht wirkliche, nur scheinbare Bürger, „Loki eivos," wie sie in einer Klageschrift des Erzbischofs Günther von Magdeburg gegen den Rat der Stadt vom 2. April 1432 genannt werden, oder „es-ux donrAsoi's," wie sie in einer alten französischen Übersetzung einer Urkunde Karls des Vierten von 1365 heißen (s. S. 101 u. Anm. 1 mit Hinweis auf die Analogie des französischen lÄulzourg' — Msus tiur^us) im Gegensatze zu den echten, den wirklichen, in der in Frage stehenden Stadt selbst wohnenden Bürgern. Welche Erklärung man nun mich dem Worte geben mag, jedenfalls läßt sich wohl aus der Tatsache, daß es in der Neuzeit ausschließlich zur Charakteri¬ sierung eines Kleinstädters mit „altfränkischen" Manieren und beschränktem Gesichtskreis, kurz für einen richtigen „Philister" verwandt wird, leicht ein Rückschluß darauf ziehn, daß die Vollbürger einst mit überlegnem Stolze ans jene rechtlich tiefer stehenden Genossen hinabgeschaut haben müssen. Auch die heute ungefähr in demselben Sinne gebrauchten Ausdrücke „Spie߬ bürger" (burschikos: „Spießer") und „Schildbürger" hatten beide ehemals nichts Lächerliches und spöttisches an sich, sofern man nämlich darunter die Bürger wird verstehn dürfen, die für die Verteidigung der Stadt gegen ihre Feinde mit Spieß und Schild bewaffnet waren (vgl. das heute noch tiefer gesunkne „Spießgeselle," ursprünglich — Waffengenosse). Sie forderten erst den Spott heraus, als sie auch später uoch mit schwerfälliger Zähigkeit an der veralteten Art kriegerischer Ausrüstung festhielten, zu einer Zeit, wo außerhalb der Stadtwälle schon die Feuerwaffen weite Verbreitung gefunden hatten. Jedoch ist diese Auslegung der beiden Bezeichnungen nicht ganz unbestritten, und namentlich wird für die Schildbürger von vielen die Herleitung von dem Städtchen Schilda bevorzugt, von dessen Bewohnern im Volksmunde (besonders auf Grund des sogenannten „Lalenbuchs," 1597) allerhand Torheiten erzählt werden, sodaß sie'in den Ruf besondrer geistiger Beschränktheit geraten sind, ähnlich wie im Altertum die — durch Wieland in die Literatur eingeführten — Abderiten oder ihre modernen Leidensgeführten, die Schöppcnstedter, Buxtehuder, oder wie sonst noch in den einzelnen Gegenden unsers Vaterlandes die „Kräh- winkler" bezeichnet werden mögen. Von jeher hat in den dentschen Städten das Handwerk, von dem wir »och heute sagen, es habe einen „goldnen Boden," in Blüte gestanden. Aber eifrig wachten'in alter Zeit auch die Meister darüber, daß niemand ihnen „ins Handwerk pfusche," d. h. als nicht zur Gilde, Zunft oder Innung gehörendes Mitglied das gleiche Gewerbe ausübe. Wer sich dieses herausnahm, der mußte gewärtigen, daß auf ihn als sogenannten „Böhnhasen" oder „Dachhasen" Jagd gemacht wurde; denn so 'nannte man die Verfolgung der unzünftigen Handwerker, ganz besonders der Schneider, die heimlich in ihren Kämmerchen unter dem Dachboden (Bühne, übt. boSn, boons, bon, tous) zu arbeiten ge- Greuzbote» III 1908 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/105>, abgerufen am 25.11.2024.