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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache

warte, so noch im achtzehnten Jahrhundert, z. B, bei Justus Möser in seinen
"Patriotischen Phantasien." In manchen Gegenden aber, besonders im Bereiche
des Mischen und des westfälischen Rechts, verengerte sich andrerseits der Aus¬
druck zu einem juristischen tsrimQus welmiizus zunächst für die städtische Erb¬
leihe, dann auch weiter für städtische Grundstücke, speziell Zinsländcreieu, und
endlich für den von Weichbildgütern zu zahlenden Wertzins oder überhaupt für
Rente von städtischen Grundstücken. Für Lübeck hat man z. B. die "Wiebolds-
renten" noch in einer Verordnung vom Jahre 1848 nachgewiesen. Bis in die
Gegenwart hinein hat sich dagegen von allen ältern Bedeutungen nur die des
Stadtbezirks (Stadtgemeindegebiets) -- und zwar als ein Ausdruck der täglichen
Umgangssprache -- erhalten, sodciß man etwa bei der Rückkehr von einem weitern
Spaziergang vor die Tore der Stadt zu seinem Begleiter sagen kann, man merke
es an dem regern Verkehr ans dem Wege, daß man sich wieder dem "Weich -
bilde der Stadt" nähere. Da zur Zeit unsrer Altvordern die Stadttore bei
einbrechender Dunkelheit geschlossen zu werden pflegten -- eine Sitte, die sich
übrigens sogar in größern Städten vereinzelt bis weit ins neunzehnte Jahr¬
hundert hinein erhalten hat --, so tat man damals gut daran, sich auf Exkursionen
außerhalb der Stadtmauern rechtzeitig an diesen Vorgang zu erinnern, um "noch
vor Toresschluß" wieder zurück zu sein und nicht noch eine besondre Gebühr
für den Einlaß entrichten zu müssen. Heute haben die meisten Städte wohl
überhaupt keine eigentlichen Tore mehr, die Redensart aber lebt zur Bezeichnung
eines zwar noch rechtzeitig, jedoch im letzten Augenblick erfolgenden Erscheinens
("in elfter Stunde") im Volksmnnde weiter.

Auch an die ehemals viel tiefer greifende Bedeutung des städtischen Bürger¬
rechts und seiner Arten hat unsre Sprache manche Erinnerung bewahrt, so zu¬
nächst in dem Worte "Pfahlbürger" (ahd. u. mutt. puMur^ersöf, oder
viüvurAsrsöj oder -dorAsrssj, palv-, xal- oder KgloorAgr, alae. xlig.1- oder
xiübur^rijij), das im Laufe der Zeiten eine auffällige Begriffsveränderung durch¬
gemacht hat. Bis vor kurzem verstanden Rechtshistoriker und Sprachforscher
unter dieser Bezeichnung -- die sich zuerst in der von König Heinrich dein Siebenten
1231 zu Worms entlassenen Loustiwtio in tavorern xrineixuin (Z 10; Avr. Ssim.,
(Horst. II, x. 419) findet -- in ziemlicher Übereinstimmung die ohne die vollen
Rechte der eigentlichen Stadtbürger unter dem Schutze einer Stadt lebenden
Vorstüdter, die ihren Namen daher erhalten haben sollten, daß sie eben vor den
Stadtmauern, "außerhalb der Pfähle" der Stadtbefestigung oder Stadtgrenzen,
wenn auch "dicht bei denselben" wohnten. Diese im achtzehnten Jahrhundert
(besonders durch Haltaus, Klossariuin ^"riNÄuivum roodii asvi, 1758) auf¬
gestellte und seitdem herrschend gebliebne Ansicht ist nun aber kürzlich von Karl
Zeumer (in seinen "Studien zu den Reichsgcseken des dreizehnten Jahrhunderts,"
in der Zeitschr. der Savigny-Stiftg. für Nechtsgesch., Germ. Abtlg., Bd. XXIII,
1902, S. 61 ff-, Kap. II: "Pfahlbürger," S. 87 ff.) als "überaus gezwungen
und wunderlich" angefochten worden, zumal da es ihr an einer Begründung
in den Quellen gänzlich fehle. In diesen sei nämlich bis zum vierzehnten und
fünfzehnten Jahrhundert (so z. B. in der Goldner Bulle von 1356, Kap. 16)
der Ausdruck "Pfahlbürger" allgemein für vives nein resiäerckss (so ausdrücklich
unter andern? in den Wormser Beschlüssen von 1254, Z 14; Nein. (Zorro., Ooust. II,
x. 583) gebraucht worden, d. h. für "Untertanen von Fürsten und Herren, welche
das Bürgerrecht einer Stadt erwerben, aber an ihrem bisherigen Wohnsitze im
herrschaftlichen Territorium verbleiben und nur die Freiheiten' und Rechte dieser
Stadt ihren Herren gegenüber in Anspruch nehmen, um diesen die schuldigen
Leistungen zu entziehn" (ni. a. O. S 95). Solche "Ausbürger" konnten "in
landesherrlichen Städten, Dörfern oder Landen wohnen; nur als Vorstüdter
der Stadt, deren Bürgerrecht sie erworben haben, sind sie" -- wenigstens in
der ältern Zeit -- gerade "nicht zu denken" (S. 95). Mit dieser Tatsache.


Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache

warte, so noch im achtzehnten Jahrhundert, z. B, bei Justus Möser in seinen
„Patriotischen Phantasien." In manchen Gegenden aber, besonders im Bereiche
des Mischen und des westfälischen Rechts, verengerte sich andrerseits der Aus¬
druck zu einem juristischen tsrimQus welmiizus zunächst für die städtische Erb¬
leihe, dann auch weiter für städtische Grundstücke, speziell Zinsländcreieu, und
endlich für den von Weichbildgütern zu zahlenden Wertzins oder überhaupt für
Rente von städtischen Grundstücken. Für Lübeck hat man z. B. die „Wiebolds-
renten" noch in einer Verordnung vom Jahre 1848 nachgewiesen. Bis in die
Gegenwart hinein hat sich dagegen von allen ältern Bedeutungen nur die des
Stadtbezirks (Stadtgemeindegebiets) — und zwar als ein Ausdruck der täglichen
Umgangssprache — erhalten, sodciß man etwa bei der Rückkehr von einem weitern
Spaziergang vor die Tore der Stadt zu seinem Begleiter sagen kann, man merke
es an dem regern Verkehr ans dem Wege, daß man sich wieder dem „Weich -
bilde der Stadt" nähere. Da zur Zeit unsrer Altvordern die Stadttore bei
einbrechender Dunkelheit geschlossen zu werden pflegten — eine Sitte, die sich
übrigens sogar in größern Städten vereinzelt bis weit ins neunzehnte Jahr¬
hundert hinein erhalten hat —, so tat man damals gut daran, sich auf Exkursionen
außerhalb der Stadtmauern rechtzeitig an diesen Vorgang zu erinnern, um „noch
vor Toresschluß" wieder zurück zu sein und nicht noch eine besondre Gebühr
für den Einlaß entrichten zu müssen. Heute haben die meisten Städte wohl
überhaupt keine eigentlichen Tore mehr, die Redensart aber lebt zur Bezeichnung
eines zwar noch rechtzeitig, jedoch im letzten Augenblick erfolgenden Erscheinens
(„in elfter Stunde") im Volksmnnde weiter.

Auch an die ehemals viel tiefer greifende Bedeutung des städtischen Bürger¬
rechts und seiner Arten hat unsre Sprache manche Erinnerung bewahrt, so zu¬
nächst in dem Worte „Pfahlbürger" (ahd. u. mutt. puMur^ersöf, oder
viüvurAsrsöj oder -dorAsrssj, palv-, xal- oder KgloorAgr, alae. xlig.1- oder
xiübur^rijij), das im Laufe der Zeiten eine auffällige Begriffsveränderung durch¬
gemacht hat. Bis vor kurzem verstanden Rechtshistoriker und Sprachforscher
unter dieser Bezeichnung — die sich zuerst in der von König Heinrich dein Siebenten
1231 zu Worms entlassenen Loustiwtio in tavorern xrineixuin (Z 10; Avr. Ssim.,
(Horst. II, x. 419) findet — in ziemlicher Übereinstimmung die ohne die vollen
Rechte der eigentlichen Stadtbürger unter dem Schutze einer Stadt lebenden
Vorstüdter, die ihren Namen daher erhalten haben sollten, daß sie eben vor den
Stadtmauern, „außerhalb der Pfähle" der Stadtbefestigung oder Stadtgrenzen,
wenn auch „dicht bei denselben" wohnten. Diese im achtzehnten Jahrhundert
(besonders durch Haltaus, Klossariuin ^«riNÄuivum roodii asvi, 1758) auf¬
gestellte und seitdem herrschend gebliebne Ansicht ist nun aber kürzlich von Karl
Zeumer (in seinen „Studien zu den Reichsgcseken des dreizehnten Jahrhunderts,"
in der Zeitschr. der Savigny-Stiftg. für Nechtsgesch., Germ. Abtlg., Bd. XXIII,
1902, S. 61 ff-, Kap. II: „Pfahlbürger," S. 87 ff.) als „überaus gezwungen
und wunderlich" angefochten worden, zumal da es ihr an einer Begründung
in den Quellen gänzlich fehle. In diesen sei nämlich bis zum vierzehnten und
fünfzehnten Jahrhundert (so z. B. in der Goldner Bulle von 1356, Kap. 16)
der Ausdruck „Pfahlbürger" allgemein für vives nein resiäerckss (so ausdrücklich
unter andern? in den Wormser Beschlüssen von 1254, Z 14; Nein. (Zorro., Ooust. II,
x. 583) gebraucht worden, d. h. für „Untertanen von Fürsten und Herren, welche
das Bürgerrecht einer Stadt erwerben, aber an ihrem bisherigen Wohnsitze im
herrschaftlichen Territorium verbleiben und nur die Freiheiten' und Rechte dieser
Stadt ihren Herren gegenüber in Anspruch nehmen, um diesen die schuldigen
Leistungen zu entziehn" (ni. a. O. S 95). Solche „Ausbürger" konnten „in
landesherrlichen Städten, Dörfern oder Landen wohnen; nur als Vorstüdter
der Stadt, deren Bürgerrecht sie erworben haben, sind sie" — wenigstens in
der ältern Zeit — gerade „nicht zu denken" (S. 95). Mit dieser Tatsache.


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[0104] Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache warte, so noch im achtzehnten Jahrhundert, z. B, bei Justus Möser in seinen „Patriotischen Phantasien." In manchen Gegenden aber, besonders im Bereiche des Mischen und des westfälischen Rechts, verengerte sich andrerseits der Aus¬ druck zu einem juristischen tsrimQus welmiizus zunächst für die städtische Erb¬ leihe, dann auch weiter für städtische Grundstücke, speziell Zinsländcreieu, und endlich für den von Weichbildgütern zu zahlenden Wertzins oder überhaupt für Rente von städtischen Grundstücken. Für Lübeck hat man z. B. die „Wiebolds- renten" noch in einer Verordnung vom Jahre 1848 nachgewiesen. Bis in die Gegenwart hinein hat sich dagegen von allen ältern Bedeutungen nur die des Stadtbezirks (Stadtgemeindegebiets) — und zwar als ein Ausdruck der täglichen Umgangssprache — erhalten, sodciß man etwa bei der Rückkehr von einem weitern Spaziergang vor die Tore der Stadt zu seinem Begleiter sagen kann, man merke es an dem regern Verkehr ans dem Wege, daß man sich wieder dem „Weich - bilde der Stadt" nähere. Da zur Zeit unsrer Altvordern die Stadttore bei einbrechender Dunkelheit geschlossen zu werden pflegten — eine Sitte, die sich übrigens sogar in größern Städten vereinzelt bis weit ins neunzehnte Jahr¬ hundert hinein erhalten hat —, so tat man damals gut daran, sich auf Exkursionen außerhalb der Stadtmauern rechtzeitig an diesen Vorgang zu erinnern, um „noch vor Toresschluß" wieder zurück zu sein und nicht noch eine besondre Gebühr für den Einlaß entrichten zu müssen. Heute haben die meisten Städte wohl überhaupt keine eigentlichen Tore mehr, die Redensart aber lebt zur Bezeichnung eines zwar noch rechtzeitig, jedoch im letzten Augenblick erfolgenden Erscheinens („in elfter Stunde") im Volksmnnde weiter. Auch an die ehemals viel tiefer greifende Bedeutung des städtischen Bürger¬ rechts und seiner Arten hat unsre Sprache manche Erinnerung bewahrt, so zu¬ nächst in dem Worte „Pfahlbürger" (ahd. u. mutt. puMur^ersöf, oder viüvurAsrsöj oder -dorAsrssj, palv-, xal- oder KgloorAgr, alae. xlig.1- oder xiübur^rijij), das im Laufe der Zeiten eine auffällige Begriffsveränderung durch¬ gemacht hat. Bis vor kurzem verstanden Rechtshistoriker und Sprachforscher unter dieser Bezeichnung — die sich zuerst in der von König Heinrich dein Siebenten 1231 zu Worms entlassenen Loustiwtio in tavorern xrineixuin (Z 10; Avr. Ssim., (Horst. II, x. 419) findet — in ziemlicher Übereinstimmung die ohne die vollen Rechte der eigentlichen Stadtbürger unter dem Schutze einer Stadt lebenden Vorstüdter, die ihren Namen daher erhalten haben sollten, daß sie eben vor den Stadtmauern, „außerhalb der Pfähle" der Stadtbefestigung oder Stadtgrenzen, wenn auch „dicht bei denselben" wohnten. Diese im achtzehnten Jahrhundert (besonders durch Haltaus, Klossariuin ^«riNÄuivum roodii asvi, 1758) auf¬ gestellte und seitdem herrschend gebliebne Ansicht ist nun aber kürzlich von Karl Zeumer (in seinen „Studien zu den Reichsgcseken des dreizehnten Jahrhunderts," in der Zeitschr. der Savigny-Stiftg. für Nechtsgesch., Germ. Abtlg., Bd. XXIII, 1902, S. 61 ff-, Kap. II: „Pfahlbürger," S. 87 ff.) als „überaus gezwungen und wunderlich" angefochten worden, zumal da es ihr an einer Begründung in den Quellen gänzlich fehle. In diesen sei nämlich bis zum vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert (so z. B. in der Goldner Bulle von 1356, Kap. 16) der Ausdruck „Pfahlbürger" allgemein für vives nein resiäerckss (so ausdrücklich unter andern? in den Wormser Beschlüssen von 1254, Z 14; Nein. (Zorro., Ooust. II, x. 583) gebraucht worden, d. h. für „Untertanen von Fürsten und Herren, welche das Bürgerrecht einer Stadt erwerben, aber an ihrem bisherigen Wohnsitze im herrschaftlichen Territorium verbleiben und nur die Freiheiten' und Rechte dieser Stadt ihren Herren gegenüber in Anspruch nehmen, um diesen die schuldigen Leistungen zu entziehn" (ni. a. O. S 95). Solche „Ausbürger" konnten „in landesherrlichen Städten, Dörfern oder Landen wohnen; nur als Vorstüdter der Stadt, deren Bürgerrecht sie erworben haben, sind sie" — wenigstens in der ältern Zeit — gerade „nicht zu denken" (S. 95). Mit dieser Tatsache.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/104>, abgerufen am 25.11.2024.