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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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vor dem kein Mensch seiner Umgebung mehr sicher war. Die Belgrader Mörder-
bcmde hat ein ganzes Herrscherhaus mitsamt seinem Anhange ausgerottet. Diese
Offiziere waren zugleich eidbrüchige Verräter an ihrem Kriegsherrn und verfuhren
mit eener feigen Brutalität ohne gleichen, wohlbewaffnete Männer gegen einige
wehrlose, in der Nacht überfnllne Menschen, darunter eine Frau! Mau muß die
schlimmsten Erinnerungen der türkischen, byzantinischen und altrömischen Geschichte
heranziehn, wenn man etwas ähnliches finden will, aber Türken und Römer standen
außerhalb des Kreises der christlichen Kultur, und byzantinische Kaisermörder handelten
gewöhnlich in einer schrecklichen Zwangslage, die jede Schonung eines unfähigen
Herrschers unmöglich machte.

Von alledem war in Belgrad nicht die Rede, so begreiflich die Abneigung
der Armee gegen den uumilitärischeu König und ihre Erbitterung gegen den
törichten Thrvnfolgeplan der Königin Draga gewesen sei", so sehr das alles zu
einer Änderung der Regierung gedrängt haben mag. Und was für ein Volk, das
die Schlächterei dieser Schreckensnacht mit Befriedigung und Jubel, mit Musik und
Fahnen begrüßte! Was für eine Regierung, die den Königsmord in ihrer ersten
Proklamation kaltblütig als eine Art von berechtigter, nur etwas unregelmäßiger
Exekution behandelte! Wie die ganze Tat, so ist auch das serbische Volk aus dem
Rahmen der europäischen Gesittung hinausgetreten; barbarisch war die Tat und
barbarisch ist das Volk, das sie unternahm oder billigte, und zwar nicht stillschweigend,
sondern amtlich durch seine gesetzliche Vertretung! Es hat damit den Mord und
die Militärrevolte aus Zweckmäßigkeitsgründen unter die erlaubten politischen Mittel
dieses kulturstolzen zwanzigsten Jahrhunderts wieder eingeführt. Etwas andres als
die Zweckmäßigkeit wagen doch sogar die Serben nicht zur Rechtfertigung anzuführen,
auch für die Ausrottung der ganzen Verwandtschaft und der vornehmsten Anhänger
des Königs nicht, deun "vereinfacht" hat dieses radikale Verfahren die Lage aller¬
dings sehr. Wir werden also darnnf gefaßt sein müssen, daß man in Serbien
demnächst auch Parteigegner in dieser Weise ans dem Wege räumt, damit die Lage
"vereinfacht" werde, und vielleicht macht diese Praxis auch anderwärts Schule.

Überhaupt die Zuwirft! Es ist doch mehr als naiv, wenn die Serben und
neben ihnen auch die Russen zu glauben behaupten, aus der entsetzlichen Bluttat
könne eine glückliche Zukunft für Serbien erblühn. Die Gesetze der bürgerliche"
Moral gelten allerdings nicht unbedingt für die Politik, wo der Gegensatz zwischen
dem positiven Recht und dem lebendigen Bedürfnis eines Volks den Staatsmann
nicht selten in schweren Pflichtenkonflikt hineintreibe, aber die Lehre von der Be¬
rechtigung des politischen Meuchelmords ist heute auf die Anarchisten beschränkt;
eine politische Partei, die ihn übt, negiert wie sie den Staat, denn sie verstößt
gegen seinen obersten Zweck, der ein sittlicher ist. Und wie sollen sich die Kame¬
raden dieser eidbrüchigen Offiziere, wie ihre Soldaten künftig zu ihnen stellen?
Wenn sie diese Verräter und Mörder unter sich dulden, so machen sie sich moralisch
zu ihren Mitschuldigen, und tun sie das nicht, so kommt die Spaltung in die
Armee, die ohne Zucht und Treue überall zu einer bewaffneten Bande entartet.
Und wie soll sich der neuerwählte König Peter Karagevrgiewitsch, wie es scheint,
ein welterfahrner und entschlossener Mann, zu diesem Heere stellen, wie kann er
ihm vertrauen? Wird er es wagen können, die Urheber des Königsmords zu be¬
strafe", wie der Zar es fordert, oder wenigstens zu entfernen und somit der sitt¬
lichen Empfindung eine Art Genugtuung zu geben? Und wenn er das nicht kann,
dann muß er durch die Tat doch stillschweigend billigen, was er in Worten gebrand¬
markt hat. Klüger und glücklicher als die Obrenowitfch steht er durch seine Gemahlin
Zorka von Montenegro nicht nur mit dieser kleinen Dynastie, sondern auch mit dem
italienischen Königshause in verwandtschaftlichen Beziehungen, und das mag ihm
einen gewissen Anhalt geben, aber er ist eben tatsächlich auch nur ein König von
Volkes Gnaden, obwohl er sich in seiner Proklamation nach Napoleonischen Vor¬
bilde auch als "von Gottes Gnaden" bezeichnet, und er wird sich eine sehr denio-


vor dem kein Mensch seiner Umgebung mehr sicher war. Die Belgrader Mörder-
bcmde hat ein ganzes Herrscherhaus mitsamt seinem Anhange ausgerottet. Diese
Offiziere waren zugleich eidbrüchige Verräter an ihrem Kriegsherrn und verfuhren
mit eener feigen Brutalität ohne gleichen, wohlbewaffnete Männer gegen einige
wehrlose, in der Nacht überfnllne Menschen, darunter eine Frau! Mau muß die
schlimmsten Erinnerungen der türkischen, byzantinischen und altrömischen Geschichte
heranziehn, wenn man etwas ähnliches finden will, aber Türken und Römer standen
außerhalb des Kreises der christlichen Kultur, und byzantinische Kaisermörder handelten
gewöhnlich in einer schrecklichen Zwangslage, die jede Schonung eines unfähigen
Herrschers unmöglich machte.

Von alledem war in Belgrad nicht die Rede, so begreiflich die Abneigung
der Armee gegen den uumilitärischeu König und ihre Erbitterung gegen den
törichten Thrvnfolgeplan der Königin Draga gewesen sei», so sehr das alles zu
einer Änderung der Regierung gedrängt haben mag. Und was für ein Volk, das
die Schlächterei dieser Schreckensnacht mit Befriedigung und Jubel, mit Musik und
Fahnen begrüßte! Was für eine Regierung, die den Königsmord in ihrer ersten
Proklamation kaltblütig als eine Art von berechtigter, nur etwas unregelmäßiger
Exekution behandelte! Wie die ganze Tat, so ist auch das serbische Volk aus dem
Rahmen der europäischen Gesittung hinausgetreten; barbarisch war die Tat und
barbarisch ist das Volk, das sie unternahm oder billigte, und zwar nicht stillschweigend,
sondern amtlich durch seine gesetzliche Vertretung! Es hat damit den Mord und
die Militärrevolte aus Zweckmäßigkeitsgründen unter die erlaubten politischen Mittel
dieses kulturstolzen zwanzigsten Jahrhunderts wieder eingeführt. Etwas andres als
die Zweckmäßigkeit wagen doch sogar die Serben nicht zur Rechtfertigung anzuführen,
auch für die Ausrottung der ganzen Verwandtschaft und der vornehmsten Anhänger
des Königs nicht, deun „vereinfacht" hat dieses radikale Verfahren die Lage aller¬
dings sehr. Wir werden also darnnf gefaßt sein müssen, daß man in Serbien
demnächst auch Parteigegner in dieser Weise ans dem Wege räumt, damit die Lage
„vereinfacht" werde, und vielleicht macht diese Praxis auch anderwärts Schule.

Überhaupt die Zuwirft! Es ist doch mehr als naiv, wenn die Serben und
neben ihnen auch die Russen zu glauben behaupten, aus der entsetzlichen Bluttat
könne eine glückliche Zukunft für Serbien erblühn. Die Gesetze der bürgerliche»
Moral gelten allerdings nicht unbedingt für die Politik, wo der Gegensatz zwischen
dem positiven Recht und dem lebendigen Bedürfnis eines Volks den Staatsmann
nicht selten in schweren Pflichtenkonflikt hineintreibe, aber die Lehre von der Be¬
rechtigung des politischen Meuchelmords ist heute auf die Anarchisten beschränkt;
eine politische Partei, die ihn übt, negiert wie sie den Staat, denn sie verstößt
gegen seinen obersten Zweck, der ein sittlicher ist. Und wie sollen sich die Kame¬
raden dieser eidbrüchigen Offiziere, wie ihre Soldaten künftig zu ihnen stellen?
Wenn sie diese Verräter und Mörder unter sich dulden, so machen sie sich moralisch
zu ihren Mitschuldigen, und tun sie das nicht, so kommt die Spaltung in die
Armee, die ohne Zucht und Treue überall zu einer bewaffneten Bande entartet.
Und wie soll sich der neuerwählte König Peter Karagevrgiewitsch, wie es scheint,
ein welterfahrner und entschlossener Mann, zu diesem Heere stellen, wie kann er
ihm vertrauen? Wird er es wagen können, die Urheber des Königsmords zu be¬
strafe«, wie der Zar es fordert, oder wenigstens zu entfernen und somit der sitt¬
lichen Empfindung eine Art Genugtuung zu geben? Und wenn er das nicht kann,
dann muß er durch die Tat doch stillschweigend billigen, was er in Worten gebrand¬
markt hat. Klüger und glücklicher als die Obrenowitfch steht er durch seine Gemahlin
Zorka von Montenegro nicht nur mit dieser kleinen Dynastie, sondern auch mit dem
italienischen Königshause in verwandtschaftlichen Beziehungen, und das mag ihm
einen gewissen Anhalt geben, aber er ist eben tatsächlich auch nur ein König von
Volkes Gnaden, obwohl er sich in seiner Proklamation nach Napoleonischen Vor¬
bilde auch als „von Gottes Gnaden" bezeichnet, und er wird sich eine sehr denio-


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[0816] vor dem kein Mensch seiner Umgebung mehr sicher war. Die Belgrader Mörder- bcmde hat ein ganzes Herrscherhaus mitsamt seinem Anhange ausgerottet. Diese Offiziere waren zugleich eidbrüchige Verräter an ihrem Kriegsherrn und verfuhren mit eener feigen Brutalität ohne gleichen, wohlbewaffnete Männer gegen einige wehrlose, in der Nacht überfnllne Menschen, darunter eine Frau! Mau muß die schlimmsten Erinnerungen der türkischen, byzantinischen und altrömischen Geschichte heranziehn, wenn man etwas ähnliches finden will, aber Türken und Römer standen außerhalb des Kreises der christlichen Kultur, und byzantinische Kaisermörder handelten gewöhnlich in einer schrecklichen Zwangslage, die jede Schonung eines unfähigen Herrschers unmöglich machte. Von alledem war in Belgrad nicht die Rede, so begreiflich die Abneigung der Armee gegen den uumilitärischeu König und ihre Erbitterung gegen den törichten Thrvnfolgeplan der Königin Draga gewesen sei», so sehr das alles zu einer Änderung der Regierung gedrängt haben mag. Und was für ein Volk, das die Schlächterei dieser Schreckensnacht mit Befriedigung und Jubel, mit Musik und Fahnen begrüßte! Was für eine Regierung, die den Königsmord in ihrer ersten Proklamation kaltblütig als eine Art von berechtigter, nur etwas unregelmäßiger Exekution behandelte! Wie die ganze Tat, so ist auch das serbische Volk aus dem Rahmen der europäischen Gesittung hinausgetreten; barbarisch war die Tat und barbarisch ist das Volk, das sie unternahm oder billigte, und zwar nicht stillschweigend, sondern amtlich durch seine gesetzliche Vertretung! Es hat damit den Mord und die Militärrevolte aus Zweckmäßigkeitsgründen unter die erlaubten politischen Mittel dieses kulturstolzen zwanzigsten Jahrhunderts wieder eingeführt. Etwas andres als die Zweckmäßigkeit wagen doch sogar die Serben nicht zur Rechtfertigung anzuführen, auch für die Ausrottung der ganzen Verwandtschaft und der vornehmsten Anhänger des Königs nicht, deun „vereinfacht" hat dieses radikale Verfahren die Lage aller¬ dings sehr. Wir werden also darnnf gefaßt sein müssen, daß man in Serbien demnächst auch Parteigegner in dieser Weise ans dem Wege räumt, damit die Lage „vereinfacht" werde, und vielleicht macht diese Praxis auch anderwärts Schule. Überhaupt die Zuwirft! Es ist doch mehr als naiv, wenn die Serben und neben ihnen auch die Russen zu glauben behaupten, aus der entsetzlichen Bluttat könne eine glückliche Zukunft für Serbien erblühn. Die Gesetze der bürgerliche» Moral gelten allerdings nicht unbedingt für die Politik, wo der Gegensatz zwischen dem positiven Recht und dem lebendigen Bedürfnis eines Volks den Staatsmann nicht selten in schweren Pflichtenkonflikt hineintreibe, aber die Lehre von der Be¬ rechtigung des politischen Meuchelmords ist heute auf die Anarchisten beschränkt; eine politische Partei, die ihn übt, negiert wie sie den Staat, denn sie verstößt gegen seinen obersten Zweck, der ein sittlicher ist. Und wie sollen sich die Kame¬ raden dieser eidbrüchigen Offiziere, wie ihre Soldaten künftig zu ihnen stellen? Wenn sie diese Verräter und Mörder unter sich dulden, so machen sie sich moralisch zu ihren Mitschuldigen, und tun sie das nicht, so kommt die Spaltung in die Armee, die ohne Zucht und Treue überall zu einer bewaffneten Bande entartet. Und wie soll sich der neuerwählte König Peter Karagevrgiewitsch, wie es scheint, ein welterfahrner und entschlossener Mann, zu diesem Heere stellen, wie kann er ihm vertrauen? Wird er es wagen können, die Urheber des Königsmords zu be¬ strafe«, wie der Zar es fordert, oder wenigstens zu entfernen und somit der sitt¬ lichen Empfindung eine Art Genugtuung zu geben? Und wenn er das nicht kann, dann muß er durch die Tat doch stillschweigend billigen, was er in Worten gebrand¬ markt hat. Klüger und glücklicher als die Obrenowitfch steht er durch seine Gemahlin Zorka von Montenegro nicht nur mit dieser kleinen Dynastie, sondern auch mit dem italienischen Königshause in verwandtschaftlichen Beziehungen, und das mag ihm einen gewissen Anhalt geben, aber er ist eben tatsächlich auch nur ein König von Volkes Gnaden, obwohl er sich in seiner Proklamation nach Napoleonischen Vor¬ bilde auch als „von Gottes Gnaden" bezeichnet, und er wird sich eine sehr denio-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/816>, abgerufen am 22.07.2024.