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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Der Marquis von Marigny

sich in seinen Kleidern festsetzte, als bedürfe es mich eines Mittels, ihn, die Ent¬
würdigung seiner Person fortwährend vor Augen oder, richtiger, vor die Nase zu
fuhren', war es, was die Empfindungen des alten Herrn verletzte, es war vielmehr
das Geld, das er für seine Dienstleistungen empfing -- zwar ein ansehnliches
Honorar, der Leistungen würdig, aber doch ein Geld, das für Marignys Begriffe
unangenehmer roch als übergekochte Snueeu, angebrannte Braten und schlecht-
gewordne Fische.

Seltsam genug war die Art, wie der Marauis den Weg zu deu kurfürst¬
lichen Fleischtöpfen gefunden hatte. Eines Tages war vom Mainzer Hofe ein
Kurier eingetroffen, der Serenissimns als freundnachbarliches Geschenk einen Korb
Broccoli überbrachte -- eine Art italienischen Kohls, der bei den vornehmen
deutscheu Rompilgern, die ihn ans der Tafel römischer Eminenzen vorgefunden
hatten, als das köstlichste aller Gemüse galt. Nun hatte sich der Kücheugärtncr
der Kurmainzischen Durchlaucht Broecolisamen zu verschaffen gewußt und dank des
milden rheinischen Klimas eine so reiche Ernte erzielt, daß man in der erfreulichen
Lage war, von dem Überfluß noch Präsente an befreundete Höfe zu machen. Der
Kohl war in Koblenz angekommen, aber dem Begleitschreiben hatte jede Angabe
darüber gefehlt, wie das Gericht zuzubereiten sei. Begreiflicherweise herrschte in
der Hofküche die größte Verlegenheit, umsomehr, als Clemens Wenzeslaus schon
am ersten Tage nach der Ankunft der Sendung seiner Verwunderung darüber
Ausdruck gegeben hatte, daß der Broccoli noch nicht auf der Tafel erschienen sei. Was
tun? Der Oberstküchenmcister verschloß sich in seine Bibliothek und zog sämtliche
Kochbücher zu Rate. Umsonst! Uuter dem Stichwort Broccoli war nichts zu finden.

Der Ungnade seines Gebieters gewärtig machte er seinem Ärger in der
Küche Luft. Küchenmeister, Bratenspicker, Pastetenbäcker und die übrigen Kücheu-
benmten münden mit roten Köpfen durcheinander und flehten zu allen Heiligen,
sie möchten ein Wunder tuu und so bald wie möglich das Rezept vom Himmel
fallen lassen. Umsonst! Die Heiligen schienen sich selbst nicht ans die Broccoli-
zubereitnng zu verstehn. Die Aufregung wuchs. Da entsann sich der Kapnunen-
stopfer Schickhausen des alten französischen Herrn, der bei der Wittib Haßlacher
wohnte und auf die neueste Pariser Art zu kochen wußte. Vielleicht kannte der
den italienischen Kohl. Schickhausen machte seinem nächsten Vorgesetzten, dem
Bratenmeister Siepers, vou seiner Vermutung Mitteilung, dieser eilte mit der
frohen Botschaft zum Oberbratenmeister Klcudgen, dieser zum Küchenmeister Weiß
und dieser wieder zum Oberstküchenmeister Winninger, der sich sofort in seine Uni¬
form warf und in einer Hofkntsche schleunigst zum "Englischen Gruß" fuhr, wo
er den Marauis von Marigny zum Glück antraf. Der alte Herr empfing ihn
mit der grandiosen Gelassenheit, mit der der Oberpriester des delphischen Apollo
die Abgesandten fremder Könige zu empfangen pflegte.

Natürlich kenne er Broccoli. Aber sagen, wie er zubereitet werde? Das
sei unmöglich. So etwas ließe sich nicht mit Worten beschreiben. Wenn es dem
Oberstküchenmeister recht sei, so wolle er mitkommen und den Kohl kochen -- aus
Gefälligkeit gegen feine Kurfürstliche Durchlaucht, die ja der Oheim des Königs
von Frankreich sei. Aber sagen, wie es gemacht werde -- das ginge uicht. Mit
der Kochkunst sei es wie mit dem Geigenspiel: man müsse es im Handgelenk
haben. Ein Locntelli oder Nardini könne schließlich ja auch sagen, wie er den
Bogen halte und die Saiten greife, aber nachmachen würde es ihnen deshalb doch
keiner. Das mußte der Oberstküchenmeister zugeben, obwohl er weder Locatelli
noch Nardini gehört hatte. Aber er besaß einen ähnlich hohen Begriff von der
Kochkunst wie Marigny und wußte dessen Gründe zu würdigen. Und so fand der
französische Edelmann denn Einlaß in die Hofküche.

Wie Diamanten unter Bergkristalleu, so leuchteten von nun an in der Speise¬
folge der kurfürstliche" Tafel die Gerichte hervor, die den Stempel von Marignys
Genius trugen.


Grenzboten II IWiZ l04
Der Marquis von Marigny

sich in seinen Kleidern festsetzte, als bedürfe es mich eines Mittels, ihn, die Ent¬
würdigung seiner Person fortwährend vor Augen oder, richtiger, vor die Nase zu
fuhren', war es, was die Empfindungen des alten Herrn verletzte, es war vielmehr
das Geld, das er für seine Dienstleistungen empfing — zwar ein ansehnliches
Honorar, der Leistungen würdig, aber doch ein Geld, das für Marignys Begriffe
unangenehmer roch als übergekochte Snueeu, angebrannte Braten und schlecht-
gewordne Fische.

Seltsam genug war die Art, wie der Marauis den Weg zu deu kurfürst¬
lichen Fleischtöpfen gefunden hatte. Eines Tages war vom Mainzer Hofe ein
Kurier eingetroffen, der Serenissimns als freundnachbarliches Geschenk einen Korb
Broccoli überbrachte — eine Art italienischen Kohls, der bei den vornehmen
deutscheu Rompilgern, die ihn ans der Tafel römischer Eminenzen vorgefunden
hatten, als das köstlichste aller Gemüse galt. Nun hatte sich der Kücheugärtncr
der Kurmainzischen Durchlaucht Broecolisamen zu verschaffen gewußt und dank des
milden rheinischen Klimas eine so reiche Ernte erzielt, daß man in der erfreulichen
Lage war, von dem Überfluß noch Präsente an befreundete Höfe zu machen. Der
Kohl war in Koblenz angekommen, aber dem Begleitschreiben hatte jede Angabe
darüber gefehlt, wie das Gericht zuzubereiten sei. Begreiflicherweise herrschte in
der Hofküche die größte Verlegenheit, umsomehr, als Clemens Wenzeslaus schon
am ersten Tage nach der Ankunft der Sendung seiner Verwunderung darüber
Ausdruck gegeben hatte, daß der Broccoli noch nicht auf der Tafel erschienen sei. Was
tun? Der Oberstküchenmcister verschloß sich in seine Bibliothek und zog sämtliche
Kochbücher zu Rate. Umsonst! Uuter dem Stichwort Broccoli war nichts zu finden.

Der Ungnade seines Gebieters gewärtig machte er seinem Ärger in der
Küche Luft. Küchenmeister, Bratenspicker, Pastetenbäcker und die übrigen Kücheu-
benmten münden mit roten Köpfen durcheinander und flehten zu allen Heiligen,
sie möchten ein Wunder tuu und so bald wie möglich das Rezept vom Himmel
fallen lassen. Umsonst! Die Heiligen schienen sich selbst nicht ans die Broccoli-
zubereitnng zu verstehn. Die Aufregung wuchs. Da entsann sich der Kapnunen-
stopfer Schickhausen des alten französischen Herrn, der bei der Wittib Haßlacher
wohnte und auf die neueste Pariser Art zu kochen wußte. Vielleicht kannte der
den italienischen Kohl. Schickhausen machte seinem nächsten Vorgesetzten, dem
Bratenmeister Siepers, vou seiner Vermutung Mitteilung, dieser eilte mit der
frohen Botschaft zum Oberbratenmeister Klcudgen, dieser zum Küchenmeister Weiß
und dieser wieder zum Oberstküchenmeister Winninger, der sich sofort in seine Uni¬
form warf und in einer Hofkntsche schleunigst zum „Englischen Gruß" fuhr, wo
er den Marauis von Marigny zum Glück antraf. Der alte Herr empfing ihn
mit der grandiosen Gelassenheit, mit der der Oberpriester des delphischen Apollo
die Abgesandten fremder Könige zu empfangen pflegte.

Natürlich kenne er Broccoli. Aber sagen, wie er zubereitet werde? Das
sei unmöglich. So etwas ließe sich nicht mit Worten beschreiben. Wenn es dem
Oberstküchenmeister recht sei, so wolle er mitkommen und den Kohl kochen — aus
Gefälligkeit gegen feine Kurfürstliche Durchlaucht, die ja der Oheim des Königs
von Frankreich sei. Aber sagen, wie es gemacht werde — das ginge uicht. Mit
der Kochkunst sei es wie mit dem Geigenspiel: man müsse es im Handgelenk
haben. Ein Locntelli oder Nardini könne schließlich ja auch sagen, wie er den
Bogen halte und die Saiten greife, aber nachmachen würde es ihnen deshalb doch
keiner. Das mußte der Oberstküchenmeister zugeben, obwohl er weder Locatelli
noch Nardini gehört hatte. Aber er besaß einen ähnlich hohen Begriff von der
Kochkunst wie Marigny und wußte dessen Gründe zu würdigen. Und so fand der
französische Edelmann denn Einlaß in die Hofküche.

Wie Diamanten unter Bergkristalleu, so leuchteten von nun an in der Speise¬
folge der kurfürstliche» Tafel die Gerichte hervor, die den Stempel von Marignys
Genius trugen.


Grenzboten II IWiZ l04
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[0809] Der Marquis von Marigny sich in seinen Kleidern festsetzte, als bedürfe es mich eines Mittels, ihn, die Ent¬ würdigung seiner Person fortwährend vor Augen oder, richtiger, vor die Nase zu fuhren', war es, was die Empfindungen des alten Herrn verletzte, es war vielmehr das Geld, das er für seine Dienstleistungen empfing — zwar ein ansehnliches Honorar, der Leistungen würdig, aber doch ein Geld, das für Marignys Begriffe unangenehmer roch als übergekochte Snueeu, angebrannte Braten und schlecht- gewordne Fische. Seltsam genug war die Art, wie der Marauis den Weg zu deu kurfürst¬ lichen Fleischtöpfen gefunden hatte. Eines Tages war vom Mainzer Hofe ein Kurier eingetroffen, der Serenissimns als freundnachbarliches Geschenk einen Korb Broccoli überbrachte — eine Art italienischen Kohls, der bei den vornehmen deutscheu Rompilgern, die ihn ans der Tafel römischer Eminenzen vorgefunden hatten, als das köstlichste aller Gemüse galt. Nun hatte sich der Kücheugärtncr der Kurmainzischen Durchlaucht Broecolisamen zu verschaffen gewußt und dank des milden rheinischen Klimas eine so reiche Ernte erzielt, daß man in der erfreulichen Lage war, von dem Überfluß noch Präsente an befreundete Höfe zu machen. Der Kohl war in Koblenz angekommen, aber dem Begleitschreiben hatte jede Angabe darüber gefehlt, wie das Gericht zuzubereiten sei. Begreiflicherweise herrschte in der Hofküche die größte Verlegenheit, umsomehr, als Clemens Wenzeslaus schon am ersten Tage nach der Ankunft der Sendung seiner Verwunderung darüber Ausdruck gegeben hatte, daß der Broccoli noch nicht auf der Tafel erschienen sei. Was tun? Der Oberstküchenmcister verschloß sich in seine Bibliothek und zog sämtliche Kochbücher zu Rate. Umsonst! Uuter dem Stichwort Broccoli war nichts zu finden. Der Ungnade seines Gebieters gewärtig machte er seinem Ärger in der Küche Luft. Küchenmeister, Bratenspicker, Pastetenbäcker und die übrigen Kücheu- benmten münden mit roten Köpfen durcheinander und flehten zu allen Heiligen, sie möchten ein Wunder tuu und so bald wie möglich das Rezept vom Himmel fallen lassen. Umsonst! Die Heiligen schienen sich selbst nicht ans die Broccoli- zubereitnng zu verstehn. Die Aufregung wuchs. Da entsann sich der Kapnunen- stopfer Schickhausen des alten französischen Herrn, der bei der Wittib Haßlacher wohnte und auf die neueste Pariser Art zu kochen wußte. Vielleicht kannte der den italienischen Kohl. Schickhausen machte seinem nächsten Vorgesetzten, dem Bratenmeister Siepers, vou seiner Vermutung Mitteilung, dieser eilte mit der frohen Botschaft zum Oberbratenmeister Klcudgen, dieser zum Küchenmeister Weiß und dieser wieder zum Oberstküchenmeister Winninger, der sich sofort in seine Uni¬ form warf und in einer Hofkntsche schleunigst zum „Englischen Gruß" fuhr, wo er den Marauis von Marigny zum Glück antraf. Der alte Herr empfing ihn mit der grandiosen Gelassenheit, mit der der Oberpriester des delphischen Apollo die Abgesandten fremder Könige zu empfangen pflegte. Natürlich kenne er Broccoli. Aber sagen, wie er zubereitet werde? Das sei unmöglich. So etwas ließe sich nicht mit Worten beschreiben. Wenn es dem Oberstküchenmeister recht sei, so wolle er mitkommen und den Kohl kochen — aus Gefälligkeit gegen feine Kurfürstliche Durchlaucht, die ja der Oheim des Königs von Frankreich sei. Aber sagen, wie es gemacht werde — das ginge uicht. Mit der Kochkunst sei es wie mit dem Geigenspiel: man müsse es im Handgelenk haben. Ein Locntelli oder Nardini könne schließlich ja auch sagen, wie er den Bogen halte und die Saiten greife, aber nachmachen würde es ihnen deshalb doch keiner. Das mußte der Oberstküchenmeister zugeben, obwohl er weder Locatelli noch Nardini gehört hatte. Aber er besaß einen ähnlich hohen Begriff von der Kochkunst wie Marigny und wußte dessen Gründe zu würdigen. Und so fand der französische Edelmann denn Einlaß in die Hofküche. Wie Diamanten unter Bergkristalleu, so leuchteten von nun an in der Speise¬ folge der kurfürstliche» Tafel die Gerichte hervor, die den Stempel von Marignys Genius trugen. Grenzboten II IWiZ l04

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/809>, abgerufen am 23.07.2024.