Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.Villa Glori Briefe an die Ihrigen und auf Wunsch auch mit Lektüre; für Ferrari und Lästig waren nun freilich die Bekehrungsversuche der geistlichen Herren. Grenzboten >l 190" l01
Villa Glori Briefe an die Ihrigen und auf Wunsch auch mit Lektüre; für Ferrari und Lästig waren nun freilich die Bekehrungsversuche der geistlichen Herren. Grenzboten >l 190» l01
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0785" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241167"/> <fw type="header" place="top"> Villa Glori</fw><lb/> <p xml:id="ID_3612" prev="#ID_3611"> Briefe an die Ihrigen und auf Wunsch auch mit Lektüre; für Ferrari und<lb/> Colloredo übernahm sein Hans sogar die Besorgung der Wüsche. Ebenso<lb/> machten General Kanzler, der päpstliche Kriegsminister, mit seiner Frau, einer<lb/> gebornen Römerin, in deren Begleitung gewöhnlich eine große blonde Eng¬<lb/> länderin, Mrs. Stone, eine eifrige und rührige Anhängerin des Papsts, war,<lb/> und der Geueral Zappi, der Stadtkommandant von Rom, durch dessen Hände<lb/> die Briefe der Gefangnen gingen, ihnen oft Besuch. Freilich trat dabei der<lb/> Gegensatz der Anschauungen zuweilen hervor. General Zappi bemerkte einmal<lb/> spöttisch °zu Ferrari, als er sah, daß dieser W. Scotts Kenilworth las: „Ah, ein<lb/> Roman! In euern Ideen ist in der Tat viel Romantik und sehr wenig Ge¬<lb/> schichte; das ist Poesie, aber euch fehlt die Prosa. Ihr habt geglaubt, hierher<lb/> zu kommen, um Revolution zu machen, habt gemeint, daß sich Rom wie ein<lb/> Mann erheben würde. Nichts von alledem; auch ihr habt das konstatiert.<lb/> Nicht einmal Viterbo hat sich gerührt. Ihr habt mit euern eignen Auge»<lb/> von den Monti Parivli aus gesehen, daß sich das ewige Rom nicht rührt."<lb/> An demselben Morgen kam Monsiguore Franz Xaver de Mcrodc, Großalmosenier<lb/> des Papstes, ein langer, hagerer, ernster Herr, ein Belgier, und fragte Collo¬<lb/> redo, was sie eigentlich in Rom gewollt hätten. „Die Revolution dorthin tragen,"<lb/> antwortete dieser. „Und wieviele wart ihr?" „Achtundsiebzig." „Narren, die man<lb/> einsperren müßte!" rief Merode aus und brach in lautes Gelächter aus, indem er<lb/> ihm einen leichten Schlag auf die Stirn gab, „liebenswürdige Narren!" Aber<lb/> er schickte dem vermeintlichen Grafen freundlich einen neuen Klemmer, da er<lb/> ihm den alten heruntergerissen und zerbrochen hatte, worauf ihm Colloredo<lb/> ebenso höflich die Trümmer des alten Glases als sein wohlerworbnes Eigentum<lb/> zur Verfügung stellte.</p><lb/> <p xml:id="ID_3613" next="#ID_3614"> Lästig waren nun freilich die Bekehrungsversuche der geistlichen Herren.<lb/> Sie meinten es ja alle herzlich gut, sie hatten Mitleid mit den armen Sündern,<lb/> die so frevelhaft die Hand gegen die Kirche erhoben hatten, sie wollten sie<lb/> so gern absolvieren zu ihrem eignen Seelenheil und zum Ruhm, der Kirche.<lb/> Aber sie fanden kein Entgegenkommen, denn die Beichte hätte jedem die Ver¬<lb/> pflichtung auferlegt, seine Handlungsweise zu bereuen, seine Überzeugung zu<lb/> verleugnen, und das wollte keiner. Auch Moruzzi. dessen schwere Unterlcibs-<lb/> wunde sich als tödlich erwies und ihn schrecklich quälte, verschied schon am<lb/> Morgen des 28. Oktobers, ohne die Absolution empfangen zu haben. Er war<lb/> der erste, den die kleine Gesellschaft verlor; kurz danach wurden mehrere,<lb/> darunter Cairoli, zum großen Leidwesen der zurückbleibenden Genossen, aus<lb/> dem Lazarett entfernt und in Einzelhaft gebracht. Die Bekehrungsversuche<lb/> eifriger Priester dauerten inzwischen fort; auch Rosenkränze, Medaillen und<lb/> Traktätchen sollten dazu mitwirken- Besonders bemühten sich ein Geheimkäminerer,<lb/> Monsignore Talbot, ein Abkömmling der bekannten irisch-katholischen Familie,<lb/> der Ordensgeneral der Dominikaner oder Karmeliter und der Kardinal<lb/> Merode, der es ganz besonders auf Colloredo abgesehen hatte. Wurde doch<lb/> dieser sogar von einem römischen Künstler, dein Professor Luceardi, einem<lb/> Freunde des Hauses Ferrari, der dem gefangnen Freiwilligen im Auftrage seiner<lb/> besorgten Mutter Geld übermittelte, sich aber zugleich für Colloredo als Sohn</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten >l 190» l01</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0785]
Villa Glori
Briefe an die Ihrigen und auf Wunsch auch mit Lektüre; für Ferrari und
Colloredo übernahm sein Hans sogar die Besorgung der Wüsche. Ebenso
machten General Kanzler, der päpstliche Kriegsminister, mit seiner Frau, einer
gebornen Römerin, in deren Begleitung gewöhnlich eine große blonde Eng¬
länderin, Mrs. Stone, eine eifrige und rührige Anhängerin des Papsts, war,
und der Geueral Zappi, der Stadtkommandant von Rom, durch dessen Hände
die Briefe der Gefangnen gingen, ihnen oft Besuch. Freilich trat dabei der
Gegensatz der Anschauungen zuweilen hervor. General Zappi bemerkte einmal
spöttisch °zu Ferrari, als er sah, daß dieser W. Scotts Kenilworth las: „Ah, ein
Roman! In euern Ideen ist in der Tat viel Romantik und sehr wenig Ge¬
schichte; das ist Poesie, aber euch fehlt die Prosa. Ihr habt geglaubt, hierher
zu kommen, um Revolution zu machen, habt gemeint, daß sich Rom wie ein
Mann erheben würde. Nichts von alledem; auch ihr habt das konstatiert.
Nicht einmal Viterbo hat sich gerührt. Ihr habt mit euern eignen Auge»
von den Monti Parivli aus gesehen, daß sich das ewige Rom nicht rührt."
An demselben Morgen kam Monsiguore Franz Xaver de Mcrodc, Großalmosenier
des Papstes, ein langer, hagerer, ernster Herr, ein Belgier, und fragte Collo¬
redo, was sie eigentlich in Rom gewollt hätten. „Die Revolution dorthin tragen,"
antwortete dieser. „Und wieviele wart ihr?" „Achtundsiebzig." „Narren, die man
einsperren müßte!" rief Merode aus und brach in lautes Gelächter aus, indem er
ihm einen leichten Schlag auf die Stirn gab, „liebenswürdige Narren!" Aber
er schickte dem vermeintlichen Grafen freundlich einen neuen Klemmer, da er
ihm den alten heruntergerissen und zerbrochen hatte, worauf ihm Colloredo
ebenso höflich die Trümmer des alten Glases als sein wohlerworbnes Eigentum
zur Verfügung stellte.
Lästig waren nun freilich die Bekehrungsversuche der geistlichen Herren.
Sie meinten es ja alle herzlich gut, sie hatten Mitleid mit den armen Sündern,
die so frevelhaft die Hand gegen die Kirche erhoben hatten, sie wollten sie
so gern absolvieren zu ihrem eignen Seelenheil und zum Ruhm, der Kirche.
Aber sie fanden kein Entgegenkommen, denn die Beichte hätte jedem die Ver¬
pflichtung auferlegt, seine Handlungsweise zu bereuen, seine Überzeugung zu
verleugnen, und das wollte keiner. Auch Moruzzi. dessen schwere Unterlcibs-
wunde sich als tödlich erwies und ihn schrecklich quälte, verschied schon am
Morgen des 28. Oktobers, ohne die Absolution empfangen zu haben. Er war
der erste, den die kleine Gesellschaft verlor; kurz danach wurden mehrere,
darunter Cairoli, zum großen Leidwesen der zurückbleibenden Genossen, aus
dem Lazarett entfernt und in Einzelhaft gebracht. Die Bekehrungsversuche
eifriger Priester dauerten inzwischen fort; auch Rosenkränze, Medaillen und
Traktätchen sollten dazu mitwirken- Besonders bemühten sich ein Geheimkäminerer,
Monsignore Talbot, ein Abkömmling der bekannten irisch-katholischen Familie,
der Ordensgeneral der Dominikaner oder Karmeliter und der Kardinal
Merode, der es ganz besonders auf Colloredo abgesehen hatte. Wurde doch
dieser sogar von einem römischen Künstler, dein Professor Luceardi, einem
Freunde des Hauses Ferrari, der dem gefangnen Freiwilligen im Auftrage seiner
besorgten Mutter Geld übermittelte, sich aber zugleich für Colloredo als Sohn
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