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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Kunstbetrachtungen

ir versteh" darunter die Behandlung der an das Leben der
Gegenwart gerichteten Fragen, die Erörterungen darüber, was
an der heutigen Kunst richtig und gut sei und was nicht, aber
auch, wie weit das Publikum mit seinem Urteil Recht habe, und
wie weit es in seinem Geschmack noch berichtigt und von denen,
die es besser verstehn, belehrt oder, wie man jetzt mit Vorliebe sagt, erzogen
Werden müsse. Sowohl Künstler wie Schriftgelehrte beteiligen sich an diesem
Geschäft, die Gelehrten entweder in einfach praktischer und allgemein ver¬
ständlicher Weise, oder mit einer ästhetischen Schulterminologie, deren An¬
wendung in dem Leser das angenehm befriedigende Gefühl erweckt, daß er
höher genommen wird, indem man von so großen und schweren Dingen zu
ihm redet, als würeu sie seine Nachmittagslcktüre. Das starke Anwachsen dieser
Art Literatur ist jn für die Sache, um die es sich dabei handelt, wohl kein
günstiges Symptom, denn in schaffensfreudigen und mit Erfolg arbeitenden
Zeiträumen haben die Menschen zu solche" Betrachtungen in der Regel keine
Zeit; es zeigt aber jedenfalls, daß das allgemeine Interesse an diesen Fragen
noch nicht befriedigt ist, und so werden unsern Lesern einige Bemerkungen im
Anschluß an die letzten dieser Schriften willkommen sein- Wir beginnen mit
Zwei Künstlern.

Hermann Muthesius spricht über das Thema: "Stilarchitektur und Bau-
kunst. Wandlungen der Architektur im neunzehnten Jahrhundert und ihr heutiger
Standpunkt" (Mülheim a. d. Ruhr, K. Schimmelpfeng). Nach seinein Werke
über die modernen englischen Predigtkirchen hatten wir erwartet, er würde hier
bose uus nicht gerade sympathischen Vorbilder des Weilern in Empfehlung
bringe", und wir fühlten uns auf das angenehmste überrascht, als wir statt
^sser eine interessante, lebendig geschriebne Abhandlung über den heutigen
Stand der Architektur in Deutschland zu lesen bekamen, ohne Überschätzung
der modernen Anfänge, ohne Voreingenommenheit für eine Richtung, ruhig
und objektiv, mit weitem Blick für die Möglichkeiten. Das in seiner Ver¬
standesarbeit große neunzehnte Jahrhundert nennt er mit Recht das nntunst-
lensche Jahrhundert. Die Vergangenheit unsrer westlichen (europäischen) Kultur
Zeigt uns zwei Glanzperioden, das griechische Altertum, von dessen Kunst auch
das römische Reich gelebt hat, und das nordische Mittelalter. Die italienische
Renaissance stellt er in der Skulptur und der Malerei gebührend hoch, ihre
Architektur jedoch sei "ein bloßes Abbild einer bessern Originaltunst," das
"r seiner Gesamtleistung von einem einzigen Kolosseum oder Pantheon über¬
schattet und erdrückt werde. Die Renaissance, meint er weiter, brachte i" die
gleichmäßig geschichteten Volksklasse" des Mittelalters eine gesellschaftliche




Kunstbetrachtungen

ir versteh» darunter die Behandlung der an das Leben der
Gegenwart gerichteten Fragen, die Erörterungen darüber, was
an der heutigen Kunst richtig und gut sei und was nicht, aber
auch, wie weit das Publikum mit seinem Urteil Recht habe, und
wie weit es in seinem Geschmack noch berichtigt und von denen,
die es besser verstehn, belehrt oder, wie man jetzt mit Vorliebe sagt, erzogen
Werden müsse. Sowohl Künstler wie Schriftgelehrte beteiligen sich an diesem
Geschäft, die Gelehrten entweder in einfach praktischer und allgemein ver¬
ständlicher Weise, oder mit einer ästhetischen Schulterminologie, deren An¬
wendung in dem Leser das angenehm befriedigende Gefühl erweckt, daß er
höher genommen wird, indem man von so großen und schweren Dingen zu
ihm redet, als würeu sie seine Nachmittagslcktüre. Das starke Anwachsen dieser
Art Literatur ist jn für die Sache, um die es sich dabei handelt, wohl kein
günstiges Symptom, denn in schaffensfreudigen und mit Erfolg arbeitenden
Zeiträumen haben die Menschen zu solche» Betrachtungen in der Regel keine
Zeit; es zeigt aber jedenfalls, daß das allgemeine Interesse an diesen Fragen
noch nicht befriedigt ist, und so werden unsern Lesern einige Bemerkungen im
Anschluß an die letzten dieser Schriften willkommen sein- Wir beginnen mit
Zwei Künstlern.

Hermann Muthesius spricht über das Thema: „Stilarchitektur und Bau-
kunst. Wandlungen der Architektur im neunzehnten Jahrhundert und ihr heutiger
Standpunkt" (Mülheim a. d. Ruhr, K. Schimmelpfeng). Nach seinein Werke
über die modernen englischen Predigtkirchen hatten wir erwartet, er würde hier
bose uus nicht gerade sympathischen Vorbilder des Weilern in Empfehlung
bringe», und wir fühlten uns auf das angenehmste überrascht, als wir statt
^sser eine interessante, lebendig geschriebne Abhandlung über den heutigen
Stand der Architektur in Deutschland zu lesen bekamen, ohne Überschätzung
der modernen Anfänge, ohne Voreingenommenheit für eine Richtung, ruhig
und objektiv, mit weitem Blick für die Möglichkeiten. Das in seiner Ver¬
standesarbeit große neunzehnte Jahrhundert nennt er mit Recht das nntunst-
lensche Jahrhundert. Die Vergangenheit unsrer westlichen (europäischen) Kultur
Zeigt uns zwei Glanzperioden, das griechische Altertum, von dessen Kunst auch
das römische Reich gelebt hat, und das nordische Mittelalter. Die italienische
Renaissance stellt er in der Skulptur und der Malerei gebührend hoch, ihre
Architektur jedoch sei „ein bloßes Abbild einer bessern Originaltunst," das
"r seiner Gesamtleistung von einem einzigen Kolosseum oder Pantheon über¬
schattet und erdrückt werde. Die Renaissance, meint er weiter, brachte i» die
gleichmäßig geschichteten Volksklasse» des Mittelalters eine gesellschaftliche


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[0717] Kunstbetrachtungen ir versteh» darunter die Behandlung der an das Leben der Gegenwart gerichteten Fragen, die Erörterungen darüber, was an der heutigen Kunst richtig und gut sei und was nicht, aber auch, wie weit das Publikum mit seinem Urteil Recht habe, und wie weit es in seinem Geschmack noch berichtigt und von denen, die es besser verstehn, belehrt oder, wie man jetzt mit Vorliebe sagt, erzogen Werden müsse. Sowohl Künstler wie Schriftgelehrte beteiligen sich an diesem Geschäft, die Gelehrten entweder in einfach praktischer und allgemein ver¬ ständlicher Weise, oder mit einer ästhetischen Schulterminologie, deren An¬ wendung in dem Leser das angenehm befriedigende Gefühl erweckt, daß er höher genommen wird, indem man von so großen und schweren Dingen zu ihm redet, als würeu sie seine Nachmittagslcktüre. Das starke Anwachsen dieser Art Literatur ist jn für die Sache, um die es sich dabei handelt, wohl kein günstiges Symptom, denn in schaffensfreudigen und mit Erfolg arbeitenden Zeiträumen haben die Menschen zu solche» Betrachtungen in der Regel keine Zeit; es zeigt aber jedenfalls, daß das allgemeine Interesse an diesen Fragen noch nicht befriedigt ist, und so werden unsern Lesern einige Bemerkungen im Anschluß an die letzten dieser Schriften willkommen sein- Wir beginnen mit Zwei Künstlern. Hermann Muthesius spricht über das Thema: „Stilarchitektur und Bau- kunst. Wandlungen der Architektur im neunzehnten Jahrhundert und ihr heutiger Standpunkt" (Mülheim a. d. Ruhr, K. Schimmelpfeng). Nach seinein Werke über die modernen englischen Predigtkirchen hatten wir erwartet, er würde hier bose uus nicht gerade sympathischen Vorbilder des Weilern in Empfehlung bringe», und wir fühlten uns auf das angenehmste überrascht, als wir statt ^sser eine interessante, lebendig geschriebne Abhandlung über den heutigen Stand der Architektur in Deutschland zu lesen bekamen, ohne Überschätzung der modernen Anfänge, ohne Voreingenommenheit für eine Richtung, ruhig und objektiv, mit weitem Blick für die Möglichkeiten. Das in seiner Ver¬ standesarbeit große neunzehnte Jahrhundert nennt er mit Recht das nntunst- lensche Jahrhundert. Die Vergangenheit unsrer westlichen (europäischen) Kultur Zeigt uns zwei Glanzperioden, das griechische Altertum, von dessen Kunst auch das römische Reich gelebt hat, und das nordische Mittelalter. Die italienische Renaissance stellt er in der Skulptur und der Malerei gebührend hoch, ihre Architektur jedoch sei „ein bloßes Abbild einer bessern Originaltunst," das "r seiner Gesamtleistung von einem einzigen Kolosseum oder Pantheon über¬ schattet und erdrückt werde. Die Renaissance, meint er weiter, brachte i» die gleichmäßig geschichteten Volksklasse» des Mittelalters eine gesellschaftliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/717>, abgerufen am 26.07.2024.