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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Der Marquis von Marigny

weißen abgemagerten Hand über die Stirn und sagte zu der Alten gewandt mit
irrem Lächeln:

Ich habe wohl lange geschlafen, nicht wahr, Schwester Celestine? Buch dünkt,
Sie sind uni ein halbes Jahrhundert älter geworden. Wie viele Runzeln Sie jetzt
haben! Aber freuen Sie sich dessen -- jetzt werden Ihnen die jungen Herren
keine sündigen Blicke mehr zuwerfen, wenn Sie am Tage Corpus Domini neben
dein Baldachin der Mutter Oberin die geweihte Kerze tragen.

Jetzt fiel ihr Blick auf deu Leibmedikus, der ihre Hund ergriffen hatte und
sie durch sanftes Streicheln zu beruhigen suchte.

Ich hätte Sie kaum wieder erkannt, armer Henri, wenn Ihre alte Zärtlichkeit
Sie nicht verraten hätte. Wie müssen Sie in all den Jahren gelitten haben!
Armer, armer Freund! Ich fürchte, Sie haben nicht die Kraft gehabt, die ein-
geschlagne Straße wieder zu verlassen. So finster kann nnr el" Mensch blicken, der
Menschenleben sonder Zahl auf dem Gewissen hat! -- Lassen Sie meine Hand los,
Henri, mir graut bei Ihrer Berührung!

Die Wendung, die die Anrede der Kranken an den vermeintliche!: Freund
jetzt nahm, schien den alten Arzt ein wenig peinlich anzumnteu. Er ließ Marguerites
Hund los und trat etliche Schritte zurück. Man muß auf dergleichen Hallucina¬
tionen bis zu einem gewissen Grade eingehn, bemerkte er leise zu der Wittib. Wider¬
spruch regt die Kranken auf. Und mit dem überzeugendsten Tone, der ihm zu
Gebote stand, sagte er dann zu der sich ängstlich in die Polster des Sessels
Schmiegenden:

Es freut mich, wertgeschätzte Demoiselle, daß Sie in mir Ihren Freund er¬
kennen. Aber was den Namen anbelangt, so sind Sie ans dem Holzwege, wenn
Sie glauben, ich hieße Henri. Johann Gottlieb -- so stehts im Kirchenbuche zu
Weinböhla in Kursachsen, und anders hat mich auch noch niemand genannt. Also,
wenn ich bitten darf, nennen Sie mich in Zukunft much so. Und mit den Menschen¬
leben ists auch nicht gar so schlimm -- sterben muß jeder schließlich, und allwissend
ist auch ein kurfürstlicher Leibmedikus nicht. Man tut eben, was man vermag.
Und nun legen Sie sich gefälligst wieder in Ihr Bett und träumen Sie von recht
angenehmen Dingen, zum Exempel von neuen Coiffüren und seidnen Bändern, und
wenn wieder jemand kommt, der Ihren Herrn Vater ein wenig mit dem Degen
kitzeln will, so sagen Sie ihm getrost, der Geheimrat Haupt hätte dergleichen un¬
ziemliche Divertissements auf das strengste verboten.

Nach dieser Beruhigungsrede führte der Arzt unter Beihilfe der Wittib Marguerite
in den Alkoven zurück und bettete sie, wie eine Mutter ihr Kind, auf ihr Lager.

Der Anfall ist vorüber, wer weiß, ob sie den nächsten übersteht, bemerkte der
Leibmedikus, als ihm Madame Haßlacher die Treppe hiuableuchtete.

Glauben der Herr Geheimderat, daß Demoiselle zu leiden hat, ich meine, daß
sie Schmerzen hat?

Ganz entsetzliche Schmerzen. Oder denkt Sie vielleicht, dieses Zittern, diese
verzerrten Züge, dieses Wimmern, Stöhnen und Schreien seien Anzeichen von über¬
großem Wohlbehagen?

Die Haustür schloß sich hinter dem Jünger Äskulaps, und die Wittib stieg
laugsam wieder zum Krankenzimmer hinauf. Auf jedem Treppenabsatz machte sie
halt, putzte mit einer Haarnadel bedächtig den Docht ihrer zinnernen Lampe und
starrte, ehe sie weiter ging, noch eine Weile in das knisternde Manchen, als ver¬
möchte sie dort eine Antwort zu lesen auf die Frage, die ihr Inneres bewegte.
Und es schien wirklich, als ob das qualmende Orakel ihr eine Weisung erteilt hätte,
denn plötzlich eilte sie mit dem Ausdruck von Entschlossenheit die letzten Stufen
empor, befestigte die Lampe auf dem Vorsaal an einem Nagel und trat leise in
das "Atelier" ihres Seligen.

Die Kranke lag mit weitgeöffneten Angen im Bett und zupfte mechanisch an
einem Zipfel ihrer Decke. Madame Haßlacher hatte sich, nachdem sie den Sessel


Der Marquis von Marigny

weißen abgemagerten Hand über die Stirn und sagte zu der Alten gewandt mit
irrem Lächeln:

Ich habe wohl lange geschlafen, nicht wahr, Schwester Celestine? Buch dünkt,
Sie sind uni ein halbes Jahrhundert älter geworden. Wie viele Runzeln Sie jetzt
haben! Aber freuen Sie sich dessen — jetzt werden Ihnen die jungen Herren
keine sündigen Blicke mehr zuwerfen, wenn Sie am Tage Corpus Domini neben
dein Baldachin der Mutter Oberin die geweihte Kerze tragen.

Jetzt fiel ihr Blick auf deu Leibmedikus, der ihre Hund ergriffen hatte und
sie durch sanftes Streicheln zu beruhigen suchte.

Ich hätte Sie kaum wieder erkannt, armer Henri, wenn Ihre alte Zärtlichkeit
Sie nicht verraten hätte. Wie müssen Sie in all den Jahren gelitten haben!
Armer, armer Freund! Ich fürchte, Sie haben nicht die Kraft gehabt, die ein-
geschlagne Straße wieder zu verlassen. So finster kann nnr el» Mensch blicken, der
Menschenleben sonder Zahl auf dem Gewissen hat! — Lassen Sie meine Hand los,
Henri, mir graut bei Ihrer Berührung!

Die Wendung, die die Anrede der Kranken an den vermeintliche!: Freund
jetzt nahm, schien den alten Arzt ein wenig peinlich anzumnteu. Er ließ Marguerites
Hund los und trat etliche Schritte zurück. Man muß auf dergleichen Hallucina¬
tionen bis zu einem gewissen Grade eingehn, bemerkte er leise zu der Wittib. Wider¬
spruch regt die Kranken auf. Und mit dem überzeugendsten Tone, der ihm zu
Gebote stand, sagte er dann zu der sich ängstlich in die Polster des Sessels
Schmiegenden:

Es freut mich, wertgeschätzte Demoiselle, daß Sie in mir Ihren Freund er¬
kennen. Aber was den Namen anbelangt, so sind Sie ans dem Holzwege, wenn
Sie glauben, ich hieße Henri. Johann Gottlieb — so stehts im Kirchenbuche zu
Weinböhla in Kursachsen, und anders hat mich auch noch niemand genannt. Also,
wenn ich bitten darf, nennen Sie mich in Zukunft much so. Und mit den Menschen¬
leben ists auch nicht gar so schlimm — sterben muß jeder schließlich, und allwissend
ist auch ein kurfürstlicher Leibmedikus nicht. Man tut eben, was man vermag.
Und nun legen Sie sich gefälligst wieder in Ihr Bett und träumen Sie von recht
angenehmen Dingen, zum Exempel von neuen Coiffüren und seidnen Bändern, und
wenn wieder jemand kommt, der Ihren Herrn Vater ein wenig mit dem Degen
kitzeln will, so sagen Sie ihm getrost, der Geheimrat Haupt hätte dergleichen un¬
ziemliche Divertissements auf das strengste verboten.

Nach dieser Beruhigungsrede führte der Arzt unter Beihilfe der Wittib Marguerite
in den Alkoven zurück und bettete sie, wie eine Mutter ihr Kind, auf ihr Lager.

Der Anfall ist vorüber, wer weiß, ob sie den nächsten übersteht, bemerkte der
Leibmedikus, als ihm Madame Haßlacher die Treppe hiuableuchtete.

Glauben der Herr Geheimderat, daß Demoiselle zu leiden hat, ich meine, daß
sie Schmerzen hat?

Ganz entsetzliche Schmerzen. Oder denkt Sie vielleicht, dieses Zittern, diese
verzerrten Züge, dieses Wimmern, Stöhnen und Schreien seien Anzeichen von über¬
großem Wohlbehagen?

Die Haustür schloß sich hinter dem Jünger Äskulaps, und die Wittib stieg
laugsam wieder zum Krankenzimmer hinauf. Auf jedem Treppenabsatz machte sie
halt, putzte mit einer Haarnadel bedächtig den Docht ihrer zinnernen Lampe und
starrte, ehe sie weiter ging, noch eine Weile in das knisternde Manchen, als ver¬
möchte sie dort eine Antwort zu lesen auf die Frage, die ihr Inneres bewegte.
Und es schien wirklich, als ob das qualmende Orakel ihr eine Weisung erteilt hätte,
denn plötzlich eilte sie mit dem Ausdruck von Entschlossenheit die letzten Stufen
empor, befestigte die Lampe auf dem Vorsaal an einem Nagel und trat leise in
das „Atelier" ihres Seligen.

Die Kranke lag mit weitgeöffneten Angen im Bett und zupfte mechanisch an
einem Zipfel ihrer Decke. Madame Haßlacher hatte sich, nachdem sie den Sessel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/680>, abgerufen am 28.07.2024.