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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

rettung vor? Und haben wir uns seinerzeit mit Unrecht ein dem trinkfesten Ritter
begeistert? Nichts von alledem. Was Lorentzen gibt, ist die höchst anziehende
Entwicklungsgeschichte einer Sage, worin sich zwar in kleinem aber scharfem Umriß
deutsches Geistesleben abspiegelt. Die Darstellung beruht auf umfassenden und
gesichtetem Quellenmaterial und regt zu weiterer Forschung an.

Die Rvdensteinsage führt uns in den von mythologischen Erinnerungen er¬
füllten Odenwald, und zwar in die Gegend von Reichelsheim im Gersprenztale,
wo rechts der Schnellerts und links die Neunkircher Höhe das Tal beherrschen. Auf
beiden Höhen stehn Überreste vou Burgen; die Burg, die auf einem Vorsprung der
Neunkircher Hohe steht, heißt heute noch der Rodenstein. In dieser Gegend haben
im heidnischen Altertum die Götter Wodan und Donar gehaust. Über das Till hinweg
besuchten sich die Götter. Das gab allemal einen fürchterlichen Geisterzug.

So oft die Götter mit ihrem Geistergefolge durch die Luft, manchmal hart
an menschlichen Wohnungen vorüber, brausten, schreckten die Leute zusammen. Es
half nichts, daß die Mönche die heidnischen Götter für tot erklärten. Sie lebten
einfach weiter, nicht bloß ein paar Jahre, sondern viele Jahrhunderte. Sie lebten
weiter trotz Kirche und Schule, Christentum und Bildung, trotz aller Wandlungen
der Geschichte. Und sie machten sich höchst aufdringlich. Man höre. Vorn Jahre
1742 bis 1784 hat das Gräflich Erbachsche Amt protokollarisch festgestellt, welche
Schrecken der "in der Grafschaft Erbnch sich befindende Landgeist" verursachte.
Und was soll man dazu sagen, daß dieser Geist noch im neunzehnten Jahrhundert,
noch in den Jahren 1848 und 1850 die ganze Gegend und darüber hinaus weite
Kreise in Aufregung versetzt hat? Was das Volk erzählte und zum Teil selbst
erfahren haben wollte, ist folgendes: Auf dem Schnellerts wohnt der Geist; er
heißt darum auch der Schuellertsherr. Je nachdem er von seinem Sitz auf dem
Schnellerts über das Tal hinweg zur jenseitigen Höhe ausrückt oder von dort
wieder heimkehrt, gibt es Krieg oder Frieden. Aber nicht jeder Krieg stört ihn
aus seiner Ruhe auf, sondern nur der, der den Rhein bedroht. Übrigens scheint
der Geist habgierig zu sein; er will wohl seine Schätze in Sicherheit bringen und
hat jedenfalls kein gutes Gewissen.

Durch das Erbacher Protokoll wurde das Treiben des Geistes weithin be¬
kannt. Orthodoxe und Rationalisten stritten sich über Grund oder Ungrund des
Geisterspuks herum. Inzwischen aber bemächtigte sich die Romantik des dankbaren
Stoffes. Nach ihrer Art gestaltete sie den volkstümlichen Mythus um, und zwar s"
gründlich, daß von seiner volkstümlichen Gestalt nur ganz wenig noch übrig blieb.
Die romantischen Epigonen machten aus dem Schnellertsherrn zunächst einen Ritter,
und zwar einen Ritter von Rodenstein. Sodann suchten sie einen zureichenden
Grund für die Ruhelosigkeit des Ritters. Und hierbei schälkelen sie nach Belieben
mit den abenteuerlichsten Motiven.

So kommt es zu einer Fülle romantischer Dichtungen. Es bricht eine wahre
Flut von Balladen, Romanen, Märchenspielen, Dramen und sogar Opern herein-
Ein deutlicher Beweis, wie sehr die Schauergeschichten Von dem Nittergespenst im
Geschmacke jener Zeit waren. Die romantischen Dichterlinge -- Dichter kann man
sie nicht nennen -- schwelgen förmlich in dem gräßlichen Stoff, den ihre Phantasie
selber erzeugt hat. Da wird der Schwur gebrochen, die Ehe entweiht, die Gattin
ermordet, der Knabe gewürgt. Und der grausige Ritter, "seit seinem blutigen Tode
geht er als Gespenste umher.""

Höchst komisch mutet der Gegensatz an, der zwischen diesem "schäußlichen
Ritter und den wirklichen, in der Geschichte vorkommenden Rittern von Rodenstein
besteht. "Sie lebten schlecht und recht auf ihrer Burg, zeugten löblich Kinder,
manchmal ein bis zwei Dutzend, und die sie nicht ernähren konnten, schoben sie,
wie üblich, der Kirche zu, ergötzten sich auf der Jagd, ritten auf Fehde, kaufte"
und verkauften, verpfändeten und lösten wieder ein -- kurz, sie taten alles das,
was die Urkunden in öder Langweiligkeit auch von andern Rittergeschlechtern be-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

rettung vor? Und haben wir uns seinerzeit mit Unrecht ein dem trinkfesten Ritter
begeistert? Nichts von alledem. Was Lorentzen gibt, ist die höchst anziehende
Entwicklungsgeschichte einer Sage, worin sich zwar in kleinem aber scharfem Umriß
deutsches Geistesleben abspiegelt. Die Darstellung beruht auf umfassenden und
gesichtetem Quellenmaterial und regt zu weiterer Forschung an.

Die Rvdensteinsage führt uns in den von mythologischen Erinnerungen er¬
füllten Odenwald, und zwar in die Gegend von Reichelsheim im Gersprenztale,
wo rechts der Schnellerts und links die Neunkircher Höhe das Tal beherrschen. Auf
beiden Höhen stehn Überreste vou Burgen; die Burg, die auf einem Vorsprung der
Neunkircher Hohe steht, heißt heute noch der Rodenstein. In dieser Gegend haben
im heidnischen Altertum die Götter Wodan und Donar gehaust. Über das Till hinweg
besuchten sich die Götter. Das gab allemal einen fürchterlichen Geisterzug.

So oft die Götter mit ihrem Geistergefolge durch die Luft, manchmal hart
an menschlichen Wohnungen vorüber, brausten, schreckten die Leute zusammen. Es
half nichts, daß die Mönche die heidnischen Götter für tot erklärten. Sie lebten
einfach weiter, nicht bloß ein paar Jahre, sondern viele Jahrhunderte. Sie lebten
weiter trotz Kirche und Schule, Christentum und Bildung, trotz aller Wandlungen
der Geschichte. Und sie machten sich höchst aufdringlich. Man höre. Vorn Jahre
1742 bis 1784 hat das Gräflich Erbachsche Amt protokollarisch festgestellt, welche
Schrecken der „in der Grafschaft Erbnch sich befindende Landgeist" verursachte.
Und was soll man dazu sagen, daß dieser Geist noch im neunzehnten Jahrhundert,
noch in den Jahren 1848 und 1850 die ganze Gegend und darüber hinaus weite
Kreise in Aufregung versetzt hat? Was das Volk erzählte und zum Teil selbst
erfahren haben wollte, ist folgendes: Auf dem Schnellerts wohnt der Geist; er
heißt darum auch der Schuellertsherr. Je nachdem er von seinem Sitz auf dem
Schnellerts über das Tal hinweg zur jenseitigen Höhe ausrückt oder von dort
wieder heimkehrt, gibt es Krieg oder Frieden. Aber nicht jeder Krieg stört ihn
aus seiner Ruhe auf, sondern nur der, der den Rhein bedroht. Übrigens scheint
der Geist habgierig zu sein; er will wohl seine Schätze in Sicherheit bringen und
hat jedenfalls kein gutes Gewissen.

Durch das Erbacher Protokoll wurde das Treiben des Geistes weithin be¬
kannt. Orthodoxe und Rationalisten stritten sich über Grund oder Ungrund des
Geisterspuks herum. Inzwischen aber bemächtigte sich die Romantik des dankbaren
Stoffes. Nach ihrer Art gestaltete sie den volkstümlichen Mythus um, und zwar s»
gründlich, daß von seiner volkstümlichen Gestalt nur ganz wenig noch übrig blieb.
Die romantischen Epigonen machten aus dem Schnellertsherrn zunächst einen Ritter,
und zwar einen Ritter von Rodenstein. Sodann suchten sie einen zureichenden
Grund für die Ruhelosigkeit des Ritters. Und hierbei schälkelen sie nach Belieben
mit den abenteuerlichsten Motiven.

So kommt es zu einer Fülle romantischer Dichtungen. Es bricht eine wahre
Flut von Balladen, Romanen, Märchenspielen, Dramen und sogar Opern herein-
Ein deutlicher Beweis, wie sehr die Schauergeschichten Von dem Nittergespenst im
Geschmacke jener Zeit waren. Die romantischen Dichterlinge — Dichter kann man
sie nicht nennen — schwelgen förmlich in dem gräßlichen Stoff, den ihre Phantasie
selber erzeugt hat. Da wird der Schwur gebrochen, die Ehe entweiht, die Gattin
ermordet, der Knabe gewürgt. Und der grausige Ritter, „seit seinem blutigen Tode
geht er als Gespenste umher.""

Höchst komisch mutet der Gegensatz an, der zwischen diesem „schäußlichen
Ritter und den wirklichen, in der Geschichte vorkommenden Rittern von Rodenstein
besteht. „Sie lebten schlecht und recht auf ihrer Burg, zeugten löblich Kinder,
manchmal ein bis zwei Dutzend, und die sie nicht ernähren konnten, schoben sie,
wie üblich, der Kirche zu, ergötzten sich auf der Jagd, ritten auf Fehde, kaufte»
und verkauften, verpfändeten und lösten wieder ein — kurz, sie taten alles das,
was die Urkunden in öder Langweiligkeit auch von andern Rittergeschlechtern be-


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[0624] Maßgebliches und Unmaßgebliches rettung vor? Und haben wir uns seinerzeit mit Unrecht ein dem trinkfesten Ritter begeistert? Nichts von alledem. Was Lorentzen gibt, ist die höchst anziehende Entwicklungsgeschichte einer Sage, worin sich zwar in kleinem aber scharfem Umriß deutsches Geistesleben abspiegelt. Die Darstellung beruht auf umfassenden und gesichtetem Quellenmaterial und regt zu weiterer Forschung an. Die Rvdensteinsage führt uns in den von mythologischen Erinnerungen er¬ füllten Odenwald, und zwar in die Gegend von Reichelsheim im Gersprenztale, wo rechts der Schnellerts und links die Neunkircher Höhe das Tal beherrschen. Auf beiden Höhen stehn Überreste vou Burgen; die Burg, die auf einem Vorsprung der Neunkircher Hohe steht, heißt heute noch der Rodenstein. In dieser Gegend haben im heidnischen Altertum die Götter Wodan und Donar gehaust. Über das Till hinweg besuchten sich die Götter. Das gab allemal einen fürchterlichen Geisterzug. So oft die Götter mit ihrem Geistergefolge durch die Luft, manchmal hart an menschlichen Wohnungen vorüber, brausten, schreckten die Leute zusammen. Es half nichts, daß die Mönche die heidnischen Götter für tot erklärten. Sie lebten einfach weiter, nicht bloß ein paar Jahre, sondern viele Jahrhunderte. Sie lebten weiter trotz Kirche und Schule, Christentum und Bildung, trotz aller Wandlungen der Geschichte. Und sie machten sich höchst aufdringlich. Man höre. Vorn Jahre 1742 bis 1784 hat das Gräflich Erbachsche Amt protokollarisch festgestellt, welche Schrecken der „in der Grafschaft Erbnch sich befindende Landgeist" verursachte. Und was soll man dazu sagen, daß dieser Geist noch im neunzehnten Jahrhundert, noch in den Jahren 1848 und 1850 die ganze Gegend und darüber hinaus weite Kreise in Aufregung versetzt hat? Was das Volk erzählte und zum Teil selbst erfahren haben wollte, ist folgendes: Auf dem Schnellerts wohnt der Geist; er heißt darum auch der Schuellertsherr. Je nachdem er von seinem Sitz auf dem Schnellerts über das Tal hinweg zur jenseitigen Höhe ausrückt oder von dort wieder heimkehrt, gibt es Krieg oder Frieden. Aber nicht jeder Krieg stört ihn aus seiner Ruhe auf, sondern nur der, der den Rhein bedroht. Übrigens scheint der Geist habgierig zu sein; er will wohl seine Schätze in Sicherheit bringen und hat jedenfalls kein gutes Gewissen. Durch das Erbacher Protokoll wurde das Treiben des Geistes weithin be¬ kannt. Orthodoxe und Rationalisten stritten sich über Grund oder Ungrund des Geisterspuks herum. Inzwischen aber bemächtigte sich die Romantik des dankbaren Stoffes. Nach ihrer Art gestaltete sie den volkstümlichen Mythus um, und zwar s» gründlich, daß von seiner volkstümlichen Gestalt nur ganz wenig noch übrig blieb. Die romantischen Epigonen machten aus dem Schnellertsherrn zunächst einen Ritter, und zwar einen Ritter von Rodenstein. Sodann suchten sie einen zureichenden Grund für die Ruhelosigkeit des Ritters. Und hierbei schälkelen sie nach Belieben mit den abenteuerlichsten Motiven. So kommt es zu einer Fülle romantischer Dichtungen. Es bricht eine wahre Flut von Balladen, Romanen, Märchenspielen, Dramen und sogar Opern herein- Ein deutlicher Beweis, wie sehr die Schauergeschichten Von dem Nittergespenst im Geschmacke jener Zeit waren. Die romantischen Dichterlinge — Dichter kann man sie nicht nennen — schwelgen förmlich in dem gräßlichen Stoff, den ihre Phantasie selber erzeugt hat. Da wird der Schwur gebrochen, die Ehe entweiht, die Gattin ermordet, der Knabe gewürgt. Und der grausige Ritter, „seit seinem blutigen Tode geht er als Gespenste umher."" Höchst komisch mutet der Gegensatz an, der zwischen diesem „schäußlichen Ritter und den wirklichen, in der Geschichte vorkommenden Rittern von Rodenstein besteht. „Sie lebten schlecht und recht auf ihrer Burg, zeugten löblich Kinder, manchmal ein bis zwei Dutzend, und die sie nicht ernähren konnten, schoben sie, wie üblich, der Kirche zu, ergötzten sich auf der Jagd, ritten auf Fehde, kaufte» und verkauften, verpfändeten und lösten wieder ein — kurz, sie taten alles das, was die Urkunden in öder Langweiligkeit auch von andern Rittergeschlechtern be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/624>, abgerufen am 23.07.2024.