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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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hervor, dann bekommt das Gesicht einen harten, abstoßenden Ausdruck, der es mit¬
unter bis zur Karikatur entstellt. Die weise Vorsehung hat jedoch dasür gesorgt,
daß neben dem absterbenden Alter zugleich eine aufblühende Jugend heranwachst,
die in neuer Form das Alte fortsetzt. Aber die grämliche Alte sitzt noch immer
gewohnheitsmäßig in ihrem wurmstichigen Lehnstuhl und kann sich in der neuen
Umgebung nicht zurechtfinden. Herrschsüchtig, wie sie immer war, möchte sie alles
nach ihrem Kopfe lenken, obgleich ihr sowohl die Einsicht als auch die Kraft, zu
herrschen, immer mehr abhanden kommt. Was wir dem Christentum ernstlich zum
Vorwurf machen müssen, ist nicht der poetisch-religiöse Ursprung, sondern das ge¬
waltsame Erhciltenwvllcn des mythologischen Bestandteils." Ja, wenn nur die
Töchter der Tochter, also die Enkelkinder der antiken Mythologie, erst fertig
Wären! Vorläufig sind all die unzähligen modernen Religionen und Philvsophen-
bünde noch im embryonenhnften Zustand, und Embryonen sind weder schön noch
regierungsfähig. Man kann es also der Alten nicht verargen, wenn sie auf
dem Throne sitzen bleibt, bis eine der Töchter geboren und herangewachsen sein
wird. Lebendig läßt sich doch niemand gern begraben, und die Alte lebt noch in
Millionen Seelen.


Etwas von Houston Stewart Chamberlain.

Vor einiger Zeit bekam
ich eiuen Brief zu lesen, den ein Gelehrter an einen seiner Freunde geschrieben
hatte. Der Gelehrte lehnte es ab, sich mit einer Zeitschrift zu befassen, auf die
der Freund seine Aufmerksamkeit zu lenken versuchte; er lese grundsätzlich weder
Zeitschriften uoch Zeitungen, nicht einmal die Zeitschriften seines Fachs; eine erhalte
er umsonst zugeschickt, aber er seapie die Hefte, ohne hineinzusehen, in der Rumpel¬
kammer auf. Wenn es alle Gelehrten so machten, dann würde aus der Gelehrten¬
republik ein Zellengefängnis: die Arbeiten jedes einzelnen wären für die übrigen,
die Arbeiten aller wären für das Volk nicht vorhanden; dazu müßte die Tätigkeit
der isoliert Arbeitenden immer unfruchtbarer werden, weil jedem das meiste und
das beste von dem, Was seine Fachgenossen schaffen, unbekannt bliebe, denn kein
Gelehrter kann heute mehr alle gelehrten Werke seines Fachs lesen, oder auch nnr
alle Werke des Zweiges seines Faches, der seine Spezialität ist, und orientieren
ihn nicht Zeitschriften einigermaßen, so hängt die Auswahl dessen, was er liest,
ganz vom Zufall ub. Aus diesem Grunde, und damit sich nicht die geistige Einheit
der Nation in eine Vielheit unzusammenhängender Gedankenkreise und Bestrebungen
auflöse, sind nicht allein Zeitungen und Zeitschriften nötig, sondern auch Dilettanten;
d. h. Männer, die darauf verzichten, Fachgelehrte zu werden, und sich dafür aus
allen Gebieten des Wissens so viel Kenntnisse aneignen, daß sie imstande sind, in
der eignen Seele die Forschungsergebnisse der verschiednen Gebiete zur lebendigen
organischen Einheit zu verschmelze", und indem sie die Fühlung zwischen den ver¬
schiednen Gelehrtenkreisen nicht abreißen lassen, die Möglichkeit einer solchen Einheit
auch ihrer Nation zu erhalten. Das ist der erste der vier Gedanken, die der Ver¬
fasser der Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts im Vorwort zur vierten
Anflöge dieses Werkes begründet, das er unter dem Titel: Dilettantismus,
Rasse, Monotheismus, Rom bei F. Bruckmann in München (1903) als be¬
sondre Schrift herausgegeben hat.

Der zweite ist sein Rassenbegriff, den er den Mißverständnissen und den Mi߬
deutungen der Rezensenten gegenüber noch einmal entwickelt. Und hier nun habe
ich dem Verfasser etwas nbzubitten. In einer Anzeige des vierten Bandes von
Gobinecms Nassenwerk in der Wiener Zeit habe ich Chamberlain zu den Aposteln
Gobineaus gerechnet. Chamberlain hat aber wiederholt sehr entschieden gegen die
Verwechslung seiner Rassentheorie mit der des phantasievollen Franzosen protestiert.
Nicht Gobineau sondern Darwin sei sein Lehrmeister, und zwar nicht der Darwin
der Darwinianer, die phantastische Stammbäume des Menschengeschlechts entwerfen,
sondern der Darwin, der in den Pferdestall geht, um die Ergebnisse der Züchtung
zu studieren. Er weise die uubeantwortbare Frage nach den Ursprüngen ausdrücklich


hervor, dann bekommt das Gesicht einen harten, abstoßenden Ausdruck, der es mit¬
unter bis zur Karikatur entstellt. Die weise Vorsehung hat jedoch dasür gesorgt,
daß neben dem absterbenden Alter zugleich eine aufblühende Jugend heranwachst,
die in neuer Form das Alte fortsetzt. Aber die grämliche Alte sitzt noch immer
gewohnheitsmäßig in ihrem wurmstichigen Lehnstuhl und kann sich in der neuen
Umgebung nicht zurechtfinden. Herrschsüchtig, wie sie immer war, möchte sie alles
nach ihrem Kopfe lenken, obgleich ihr sowohl die Einsicht als auch die Kraft, zu
herrschen, immer mehr abhanden kommt. Was wir dem Christentum ernstlich zum
Vorwurf machen müssen, ist nicht der poetisch-religiöse Ursprung, sondern das ge¬
waltsame Erhciltenwvllcn des mythologischen Bestandteils." Ja, wenn nur die
Töchter der Tochter, also die Enkelkinder der antiken Mythologie, erst fertig
Wären! Vorläufig sind all die unzähligen modernen Religionen und Philvsophen-
bünde noch im embryonenhnften Zustand, und Embryonen sind weder schön noch
regierungsfähig. Man kann es also der Alten nicht verargen, wenn sie auf
dem Throne sitzen bleibt, bis eine der Töchter geboren und herangewachsen sein
wird. Lebendig läßt sich doch niemand gern begraben, und die Alte lebt noch in
Millionen Seelen.


Etwas von Houston Stewart Chamberlain.

Vor einiger Zeit bekam
ich eiuen Brief zu lesen, den ein Gelehrter an einen seiner Freunde geschrieben
hatte. Der Gelehrte lehnte es ab, sich mit einer Zeitschrift zu befassen, auf die
der Freund seine Aufmerksamkeit zu lenken versuchte; er lese grundsätzlich weder
Zeitschriften uoch Zeitungen, nicht einmal die Zeitschriften seines Fachs; eine erhalte
er umsonst zugeschickt, aber er seapie die Hefte, ohne hineinzusehen, in der Rumpel¬
kammer auf. Wenn es alle Gelehrten so machten, dann würde aus der Gelehrten¬
republik ein Zellengefängnis: die Arbeiten jedes einzelnen wären für die übrigen,
die Arbeiten aller wären für das Volk nicht vorhanden; dazu müßte die Tätigkeit
der isoliert Arbeitenden immer unfruchtbarer werden, weil jedem das meiste und
das beste von dem, Was seine Fachgenossen schaffen, unbekannt bliebe, denn kein
Gelehrter kann heute mehr alle gelehrten Werke seines Fachs lesen, oder auch nnr
alle Werke des Zweiges seines Faches, der seine Spezialität ist, und orientieren
ihn nicht Zeitschriften einigermaßen, so hängt die Auswahl dessen, was er liest,
ganz vom Zufall ub. Aus diesem Grunde, und damit sich nicht die geistige Einheit
der Nation in eine Vielheit unzusammenhängender Gedankenkreise und Bestrebungen
auflöse, sind nicht allein Zeitungen und Zeitschriften nötig, sondern auch Dilettanten;
d. h. Männer, die darauf verzichten, Fachgelehrte zu werden, und sich dafür aus
allen Gebieten des Wissens so viel Kenntnisse aneignen, daß sie imstande sind, in
der eignen Seele die Forschungsergebnisse der verschiednen Gebiete zur lebendigen
organischen Einheit zu verschmelze», und indem sie die Fühlung zwischen den ver¬
schiednen Gelehrtenkreisen nicht abreißen lassen, die Möglichkeit einer solchen Einheit
auch ihrer Nation zu erhalten. Das ist der erste der vier Gedanken, die der Ver¬
fasser der Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts im Vorwort zur vierten
Anflöge dieses Werkes begründet, das er unter dem Titel: Dilettantismus,
Rasse, Monotheismus, Rom bei F. Bruckmann in München (1903) als be¬
sondre Schrift herausgegeben hat.

Der zweite ist sein Rassenbegriff, den er den Mißverständnissen und den Mi߬
deutungen der Rezensenten gegenüber noch einmal entwickelt. Und hier nun habe
ich dem Verfasser etwas nbzubitten. In einer Anzeige des vierten Bandes von
Gobinecms Nassenwerk in der Wiener Zeit habe ich Chamberlain zu den Aposteln
Gobineaus gerechnet. Chamberlain hat aber wiederholt sehr entschieden gegen die
Verwechslung seiner Rassentheorie mit der des phantasievollen Franzosen protestiert.
Nicht Gobineau sondern Darwin sei sein Lehrmeister, und zwar nicht der Darwin
der Darwinianer, die phantastische Stammbäume des Menschengeschlechts entwerfen,
sondern der Darwin, der in den Pferdestall geht, um die Ergebnisse der Züchtung
zu studieren. Er weise die uubeantwortbare Frage nach den Ursprüngen ausdrücklich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/60>, abgerufen am 23.07.2024.