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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Der Marquis von Narigny

der ebenfalls nach Koblenz reiste und mir einen Platz in seinem Wagen anbot.
Nun bin ich hier, verfügen Sie über mich! Ich höre, daß Sie hier Ihr eigner
Sekretär, Kammerdiener, Jäger, Kurier und Koch sind; wohlan, übertragen Sie
mir einige dieser Funktionen, Sie sollen mit meinen Diensten zufrieden sei"!

Villeroi hatte rin großer Wärme gesprochen, und seine Worte waren nicht
ohne Wirkung geblieben.

Das Amt des Kochs habe ich allerdings selbst übernommen und möchte es,
Marguerites Wege", auch keinem andern übertragen, erwiderte Marigny; und was
Sekretär, Kammerdiener, Jäger und Kurier anbelangt, so denke ich, daß wir diese für
die paar Wochen schon entbehren können. Aber was uns fehlt, ist ein fröhlicher Gesell¬
schafter. Wenn Sie als solcher in meine Dienste treten wollen, daß ich bei Ihrer
Ausdrucksweise bleibe, so sollen Sie uns willkommen sein. Nicht wahr, Marguerite?

Sie wissen doch, lieber Vater, daß Ihre Freunde auch meine Freunde sind,
gab das Mädchen gehorsam und korrekt wie immer zurück.

Ob ich ein fröhlicher Gesellschafter sein werde, sagte Villeroi nachdenklich,
möchte ich bezweifeln. Wir leben in einer ernsten Zeit. Jeder Tag kann Unge¬
ahntes bringen.

A bah! Ernste Zeit! Wir haben in der gute" Stadt Paris schon andre
Dinge erlebt, als solche Revolten des Pöbels. Geben Sie acht, ehe der Winter
kommt, wird die Ruhe wiederhergestellt sein. Der König muß einsehen, daß seine
Langmut und Nachsicht der von Schurken oder Wahnsinnigen aufgewiegelten Masse
gegenüber übel angebracht sind, und daß man umso mehr fordern wird, je mehr er
in seiner unerklärlichen und kaum zu entschuldigenden Milde gewährt. Man muß
ihn schlecht beraten haben, sonst hätte er für die Ereignisse des 14. Juli furcht¬
bare Vergeltung verlangt. Er hätte Se. Antoine beschießen lassen und den Pöbel
mit Waffengewalt zwingen müssen, die Bastille wieder aufzubauen. Aber indem er
ruhig zusah, wie man das Ansehen seiner geheiligten Person untergrub, wie man
ihm ein Recht nach dem andern bestritt, ermutigte er die Gegner der Ordnung zu
immer tollern Ausschreitungen. Sagen Sie selbst, Henri, durfte er überhaupt die
Nationalversammlung anerkennen? Durfte er den Rebellen Lnfayette empfangen?
Durfte er sich herablassen, nach Paris zu gehn und aus den schmutzigen Händen
eines Galerieaufsehers die dreifarbige Kokarde entgegenzunehmen? Für die Person
des Königs fürchte ich nichts, er hat seine Macht von Gott, und Gott wird ihn
auch zu schützen wissen. Aber dnrch seine Nachgiebigkeit bringt er die in Gefahr,
die der königlichen Sache ergeben sind. Wie will der König das verantworten?
Er muß und wird sich ermannen, anch seine Langmut muß sich endlich erschöpfen,
und dann wehe allen, die sich der Verführung des Volks schuldig gemacht habe"!

Der Marquis war in heftige Erregung geraten und fuhr sich jetzt hastig mit
dem seidnen Schnupftuch über die Stiru.

Villeroi betrachtete den alten Herrn mit wehmütigen Lächeln. Ich fürchte,
Sie unterschätze" das Volk und überschätzen die Macht des Königs, sagte er rnhig-
Ludwig kann nicht mehr, wie er will. Die Bewegung ist ihm über den Kopf ge¬
wachsen. Er nennt sich noch König, aber er hat aufgehört, es zu sein.

Mariguy sah deu Sprecher eiuen Augenblick erstaunt an und lachte dann
laut auf.

Er kann nicht mehr, wie er will? rief er. Henri, wissen Sie auch, was
Sie da reden? Glauben Sie, daß eine von Gott eingesetzte Einrichtung wie die
Monarchie durch eine Rotte Wahnsinniger beseitigt werden könne? -- daß das
achthundertjährige Haus der Capetinger zusammenstürzen müsse, weil einige Tob¬
süchtige mit ihren Köpfen seine Mnnern bcrennen?

Was Sie da eine Rotte Wahnsinniger nennen, Herr Marquis, ist ein guter
Teil des französischen Volks. Ich will den König nicht anklagen, denn er ist der
mildeste, der menschenfreundlichste aller Fürsten. Hätte die Stimme der Untertanen
bis an sein Ohr zu bringen vermocht, so würde er der erste gewesen sein, der die
Lasten, die das Volk drücken, erleichtert hätte. Aber man hat ihn geflissentlich in


Der Marquis von Narigny

der ebenfalls nach Koblenz reiste und mir einen Platz in seinem Wagen anbot.
Nun bin ich hier, verfügen Sie über mich! Ich höre, daß Sie hier Ihr eigner
Sekretär, Kammerdiener, Jäger, Kurier und Koch sind; wohlan, übertragen Sie
mir einige dieser Funktionen, Sie sollen mit meinen Diensten zufrieden sei»!

Villeroi hatte rin großer Wärme gesprochen, und seine Worte waren nicht
ohne Wirkung geblieben.

Das Amt des Kochs habe ich allerdings selbst übernommen und möchte es,
Marguerites Wege», auch keinem andern übertragen, erwiderte Marigny; und was
Sekretär, Kammerdiener, Jäger und Kurier anbelangt, so denke ich, daß wir diese für
die paar Wochen schon entbehren können. Aber was uns fehlt, ist ein fröhlicher Gesell¬
schafter. Wenn Sie als solcher in meine Dienste treten wollen, daß ich bei Ihrer
Ausdrucksweise bleibe, so sollen Sie uns willkommen sein. Nicht wahr, Marguerite?

Sie wissen doch, lieber Vater, daß Ihre Freunde auch meine Freunde sind,
gab das Mädchen gehorsam und korrekt wie immer zurück.

Ob ich ein fröhlicher Gesellschafter sein werde, sagte Villeroi nachdenklich,
möchte ich bezweifeln. Wir leben in einer ernsten Zeit. Jeder Tag kann Unge¬
ahntes bringen.

A bah! Ernste Zeit! Wir haben in der gute« Stadt Paris schon andre
Dinge erlebt, als solche Revolten des Pöbels. Geben Sie acht, ehe der Winter
kommt, wird die Ruhe wiederhergestellt sein. Der König muß einsehen, daß seine
Langmut und Nachsicht der von Schurken oder Wahnsinnigen aufgewiegelten Masse
gegenüber übel angebracht sind, und daß man umso mehr fordern wird, je mehr er
in seiner unerklärlichen und kaum zu entschuldigenden Milde gewährt. Man muß
ihn schlecht beraten haben, sonst hätte er für die Ereignisse des 14. Juli furcht¬
bare Vergeltung verlangt. Er hätte Se. Antoine beschießen lassen und den Pöbel
mit Waffengewalt zwingen müssen, die Bastille wieder aufzubauen. Aber indem er
ruhig zusah, wie man das Ansehen seiner geheiligten Person untergrub, wie man
ihm ein Recht nach dem andern bestritt, ermutigte er die Gegner der Ordnung zu
immer tollern Ausschreitungen. Sagen Sie selbst, Henri, durfte er überhaupt die
Nationalversammlung anerkennen? Durfte er den Rebellen Lnfayette empfangen?
Durfte er sich herablassen, nach Paris zu gehn und aus den schmutzigen Händen
eines Galerieaufsehers die dreifarbige Kokarde entgegenzunehmen? Für die Person
des Königs fürchte ich nichts, er hat seine Macht von Gott, und Gott wird ihn
auch zu schützen wissen. Aber dnrch seine Nachgiebigkeit bringt er die in Gefahr,
die der königlichen Sache ergeben sind. Wie will der König das verantworten?
Er muß und wird sich ermannen, anch seine Langmut muß sich endlich erschöpfen,
und dann wehe allen, die sich der Verführung des Volks schuldig gemacht habe»!

Der Marquis war in heftige Erregung geraten und fuhr sich jetzt hastig mit
dem seidnen Schnupftuch über die Stiru.

Villeroi betrachtete den alten Herrn mit wehmütigen Lächeln. Ich fürchte,
Sie unterschätze» das Volk und überschätzen die Macht des Königs, sagte er rnhig-
Ludwig kann nicht mehr, wie er will. Die Bewegung ist ihm über den Kopf ge¬
wachsen. Er nennt sich noch König, aber er hat aufgehört, es zu sein.

Mariguy sah deu Sprecher eiuen Augenblick erstaunt an und lachte dann
laut auf.

Er kann nicht mehr, wie er will? rief er. Henri, wissen Sie auch, was
Sie da reden? Glauben Sie, daß eine von Gott eingesetzte Einrichtung wie die
Monarchie durch eine Rotte Wahnsinniger beseitigt werden könne? — daß das
achthundertjährige Haus der Capetinger zusammenstürzen müsse, weil einige Tob¬
süchtige mit ihren Köpfen seine Mnnern bcrennen?

Was Sie da eine Rotte Wahnsinniger nennen, Herr Marquis, ist ein guter
Teil des französischen Volks. Ich will den König nicht anklagen, denn er ist der
mildeste, der menschenfreundlichste aller Fürsten. Hätte die Stimme der Untertanen
bis an sein Ohr zu bringen vermocht, so würde er der erste gewesen sein, der die
Lasten, die das Volk drücken, erleichtert hätte. Aber man hat ihn geflissentlich in


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[0556] Der Marquis von Narigny der ebenfalls nach Koblenz reiste und mir einen Platz in seinem Wagen anbot. Nun bin ich hier, verfügen Sie über mich! Ich höre, daß Sie hier Ihr eigner Sekretär, Kammerdiener, Jäger, Kurier und Koch sind; wohlan, übertragen Sie mir einige dieser Funktionen, Sie sollen mit meinen Diensten zufrieden sei»! Villeroi hatte rin großer Wärme gesprochen, und seine Worte waren nicht ohne Wirkung geblieben. Das Amt des Kochs habe ich allerdings selbst übernommen und möchte es, Marguerites Wege», auch keinem andern übertragen, erwiderte Marigny; und was Sekretär, Kammerdiener, Jäger und Kurier anbelangt, so denke ich, daß wir diese für die paar Wochen schon entbehren können. Aber was uns fehlt, ist ein fröhlicher Gesell¬ schafter. Wenn Sie als solcher in meine Dienste treten wollen, daß ich bei Ihrer Ausdrucksweise bleibe, so sollen Sie uns willkommen sein. Nicht wahr, Marguerite? Sie wissen doch, lieber Vater, daß Ihre Freunde auch meine Freunde sind, gab das Mädchen gehorsam und korrekt wie immer zurück. Ob ich ein fröhlicher Gesellschafter sein werde, sagte Villeroi nachdenklich, möchte ich bezweifeln. Wir leben in einer ernsten Zeit. Jeder Tag kann Unge¬ ahntes bringen. A bah! Ernste Zeit! Wir haben in der gute« Stadt Paris schon andre Dinge erlebt, als solche Revolten des Pöbels. Geben Sie acht, ehe der Winter kommt, wird die Ruhe wiederhergestellt sein. Der König muß einsehen, daß seine Langmut und Nachsicht der von Schurken oder Wahnsinnigen aufgewiegelten Masse gegenüber übel angebracht sind, und daß man umso mehr fordern wird, je mehr er in seiner unerklärlichen und kaum zu entschuldigenden Milde gewährt. Man muß ihn schlecht beraten haben, sonst hätte er für die Ereignisse des 14. Juli furcht¬ bare Vergeltung verlangt. Er hätte Se. Antoine beschießen lassen und den Pöbel mit Waffengewalt zwingen müssen, die Bastille wieder aufzubauen. Aber indem er ruhig zusah, wie man das Ansehen seiner geheiligten Person untergrub, wie man ihm ein Recht nach dem andern bestritt, ermutigte er die Gegner der Ordnung zu immer tollern Ausschreitungen. Sagen Sie selbst, Henri, durfte er überhaupt die Nationalversammlung anerkennen? Durfte er den Rebellen Lnfayette empfangen? Durfte er sich herablassen, nach Paris zu gehn und aus den schmutzigen Händen eines Galerieaufsehers die dreifarbige Kokarde entgegenzunehmen? Für die Person des Königs fürchte ich nichts, er hat seine Macht von Gott, und Gott wird ihn auch zu schützen wissen. Aber dnrch seine Nachgiebigkeit bringt er die in Gefahr, die der königlichen Sache ergeben sind. Wie will der König das verantworten? Er muß und wird sich ermannen, anch seine Langmut muß sich endlich erschöpfen, und dann wehe allen, die sich der Verführung des Volks schuldig gemacht habe»! Der Marquis war in heftige Erregung geraten und fuhr sich jetzt hastig mit dem seidnen Schnupftuch über die Stiru. Villeroi betrachtete den alten Herrn mit wehmütigen Lächeln. Ich fürchte, Sie unterschätze» das Volk und überschätzen die Macht des Königs, sagte er rnhig- Ludwig kann nicht mehr, wie er will. Die Bewegung ist ihm über den Kopf ge¬ wachsen. Er nennt sich noch König, aber er hat aufgehört, es zu sein. Mariguy sah deu Sprecher eiuen Augenblick erstaunt an und lachte dann laut auf. Er kann nicht mehr, wie er will? rief er. Henri, wissen Sie auch, was Sie da reden? Glauben Sie, daß eine von Gott eingesetzte Einrichtung wie die Monarchie durch eine Rotte Wahnsinniger beseitigt werden könne? — daß das achthundertjährige Haus der Capetinger zusammenstürzen müsse, weil einige Tob¬ süchtige mit ihren Köpfen seine Mnnern bcrennen? Was Sie da eine Rotte Wahnsinniger nennen, Herr Marquis, ist ein guter Teil des französischen Volks. Ich will den König nicht anklagen, denn er ist der mildeste, der menschenfreundlichste aller Fürsten. Hätte die Stimme der Untertanen bis an sein Ohr zu bringen vermocht, so würde er der erste gewesen sein, der die Lasten, die das Volk drücken, erleichtert hätte. Aber man hat ihn geflissentlich in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/556>, abgerufen am 23.07.2024.