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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Die englische Strafrechtspflege

So wird es nicht immer bleiben. Es ist zu erwarten, daß in kurzem
die Gebühren in Straffällen denen in bürgerlichen Füllen gleichgestellt werden,
und ebenso wird die Strafverfolgung von Staats wegen ihre Kreise weiter
ziehn. Das Wachsen der Staatsgewalt in den letzten fünfzig Jahren ist auf
diesem Felde nicht zu verkennen; nur ist bis zu dem zu erstrebenden Ziele noch
ein weiter Weg zu durchmessen, und die Wirksamkeit des Schatzamtsolieitors,
der die Staatsanwaltschaft leitet, ist noch immer sehr beschränkt. Der Schatz-
amtsolieitor leitet Verfolgung ein bei Mord und Totschlag, betrügerischen
Bankerott und bei Vergehn gegen den Staat, wie Falschmünzerei und Wahl¬
bestechung. Sonst schreitet der Staat nur in schwierigen und wichtigen Fallen
ein. Im übrigen überlädt er die Last der Anklage soviel wie möglich denen,
die geschädigt sind, oder rechnet gar auf die Habsucht der Menschen, um gewisse
Übeltäter zu bestrafen.

Viele Gesetzcsverletzungen sind nämlich mit schwerer Geldbuße bedroht,
die dem zufällt, der den Gesetzesverächter überführt. Dabei tritt eine sonder¬
bare Mischung des bürgerlichen Rechts mit dem Strafrechte zutage. Die Ab¬
sicht ist zu strafe", doch das Verfahren gehört nicht ins Strafrecht, sondern
kleidet sich in die Form einer Schuldforderung des Anklägers an den Be¬
sagten, die in einem Gerichtshöfe des bürgerlichen Rechts angebracht werden
'uuß. Der Ursprung dieser vom sittlichen Standpnnite höchst anfechtbaren
Strafweise geht mehrere Jahrhunderte zurück in die Zeit des Kampfes zwischen
Königtum und Parlament. Ein König braucht willige Helfer, um eine eigue,
den Gesetzen zuwider laufende Politik zu treiben. Das Parlament konnte nun
"lebt um jedes kleinen Übergriffs willen einem Kronbeamten einen großen
Stciatsprozcß anhängen, mochte ihn auch "licht frei nusgehn lassen. Aber mit

gewöhnlichen Strafrechte kam mau nicht weit, weil der König sein
Begnadigungsrecht üben und die Strafe erlassen konnte. Darum verfiel man
auf den Gedanken, die Buße, die zur Abschreckung stets viel größer war als
der möglicherweise angerichtete Schade, auf das Gebiet des bürgerlichen Rechts
hinüberzuspielen, in das der König nicht eingreifen dürfte. Später ist das
Verfahren von rein politischen auch auf andre Gesetze übertragen worden, be¬
sonders Gelverbeordnungen, bei denen die freiwilligen Späher Aufsichtsbecimte
überflüssig machten. Es gibt Leute, die ein gutes Geschäft daraus machen,
"is Ankläger gegen ihre Mitmenschen aufzutreten.

(Schluß folgt)




^rcnzboten II 19g",68
Die englische Strafrechtspflege

So wird es nicht immer bleiben. Es ist zu erwarten, daß in kurzem
die Gebühren in Straffällen denen in bürgerlichen Füllen gleichgestellt werden,
und ebenso wird die Strafverfolgung von Staats wegen ihre Kreise weiter
ziehn. Das Wachsen der Staatsgewalt in den letzten fünfzig Jahren ist auf
diesem Felde nicht zu verkennen; nur ist bis zu dem zu erstrebenden Ziele noch
ein weiter Weg zu durchmessen, und die Wirksamkeit des Schatzamtsolieitors,
der die Staatsanwaltschaft leitet, ist noch immer sehr beschränkt. Der Schatz-
amtsolieitor leitet Verfolgung ein bei Mord und Totschlag, betrügerischen
Bankerott und bei Vergehn gegen den Staat, wie Falschmünzerei und Wahl¬
bestechung. Sonst schreitet der Staat nur in schwierigen und wichtigen Fallen
ein. Im übrigen überlädt er die Last der Anklage soviel wie möglich denen,
die geschädigt sind, oder rechnet gar auf die Habsucht der Menschen, um gewisse
Übeltäter zu bestrafen.

Viele Gesetzcsverletzungen sind nämlich mit schwerer Geldbuße bedroht,
die dem zufällt, der den Gesetzesverächter überführt. Dabei tritt eine sonder¬
bare Mischung des bürgerlichen Rechts mit dem Strafrechte zutage. Die Ab¬
sicht ist zu strafe», doch das Verfahren gehört nicht ins Strafrecht, sondern
kleidet sich in die Form einer Schuldforderung des Anklägers an den Be¬
sagten, die in einem Gerichtshöfe des bürgerlichen Rechts angebracht werden
'uuß. Der Ursprung dieser vom sittlichen Standpnnite höchst anfechtbaren
Strafweise geht mehrere Jahrhunderte zurück in die Zeit des Kampfes zwischen
Königtum und Parlament. Ein König braucht willige Helfer, um eine eigue,
den Gesetzen zuwider laufende Politik zu treiben. Das Parlament konnte nun
"lebt um jedes kleinen Übergriffs willen einem Kronbeamten einen großen
Stciatsprozcß anhängen, mochte ihn auch »licht frei nusgehn lassen. Aber mit

gewöhnlichen Strafrechte kam mau nicht weit, weil der König sein
Begnadigungsrecht üben und die Strafe erlassen konnte. Darum verfiel man
auf den Gedanken, die Buße, die zur Abschreckung stets viel größer war als
der möglicherweise angerichtete Schade, auf das Gebiet des bürgerlichen Rechts
hinüberzuspielen, in das der König nicht eingreifen dürfte. Später ist das
Verfahren von rein politischen auch auf andre Gesetze übertragen worden, be¬
sonders Gelverbeordnungen, bei denen die freiwilligen Späher Aufsichtsbecimte
überflüssig machten. Es gibt Leute, die ein gutes Geschäft daraus machen,
"is Ankläger gegen ihre Mitmenschen aufzutreten.

(Schluß folgt)




^rcnzboten II 19g»,68
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[0525] Die englische Strafrechtspflege So wird es nicht immer bleiben. Es ist zu erwarten, daß in kurzem die Gebühren in Straffällen denen in bürgerlichen Füllen gleichgestellt werden, und ebenso wird die Strafverfolgung von Staats wegen ihre Kreise weiter ziehn. Das Wachsen der Staatsgewalt in den letzten fünfzig Jahren ist auf diesem Felde nicht zu verkennen; nur ist bis zu dem zu erstrebenden Ziele noch ein weiter Weg zu durchmessen, und die Wirksamkeit des Schatzamtsolieitors, der die Staatsanwaltschaft leitet, ist noch immer sehr beschränkt. Der Schatz- amtsolieitor leitet Verfolgung ein bei Mord und Totschlag, betrügerischen Bankerott und bei Vergehn gegen den Staat, wie Falschmünzerei und Wahl¬ bestechung. Sonst schreitet der Staat nur in schwierigen und wichtigen Fallen ein. Im übrigen überlädt er die Last der Anklage soviel wie möglich denen, die geschädigt sind, oder rechnet gar auf die Habsucht der Menschen, um gewisse Übeltäter zu bestrafen. Viele Gesetzcsverletzungen sind nämlich mit schwerer Geldbuße bedroht, die dem zufällt, der den Gesetzesverächter überführt. Dabei tritt eine sonder¬ bare Mischung des bürgerlichen Rechts mit dem Strafrechte zutage. Die Ab¬ sicht ist zu strafe», doch das Verfahren gehört nicht ins Strafrecht, sondern kleidet sich in die Form einer Schuldforderung des Anklägers an den Be¬ sagten, die in einem Gerichtshöfe des bürgerlichen Rechts angebracht werden 'uuß. Der Ursprung dieser vom sittlichen Standpnnite höchst anfechtbaren Strafweise geht mehrere Jahrhunderte zurück in die Zeit des Kampfes zwischen Königtum und Parlament. Ein König braucht willige Helfer, um eine eigue, den Gesetzen zuwider laufende Politik zu treiben. Das Parlament konnte nun "lebt um jedes kleinen Übergriffs willen einem Kronbeamten einen großen Stciatsprozcß anhängen, mochte ihn auch »licht frei nusgehn lassen. Aber mit gewöhnlichen Strafrechte kam mau nicht weit, weil der König sein Begnadigungsrecht üben und die Strafe erlassen konnte. Darum verfiel man auf den Gedanken, die Buße, die zur Abschreckung stets viel größer war als der möglicherweise angerichtete Schade, auf das Gebiet des bürgerlichen Rechts hinüberzuspielen, in das der König nicht eingreifen dürfte. Später ist das Verfahren von rein politischen auch auf andre Gesetze übertragen worden, be¬ sonders Gelverbeordnungen, bei denen die freiwilligen Späher Aufsichtsbecimte überflüssig machten. Es gibt Leute, die ein gutes Geschäft daraus machen, "is Ankläger gegen ihre Mitmenschen aufzutreten. (Schluß folgt) ^rcnzboten II 19g»,68

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/525>, abgerufen am 24.08.2024.